Georg Rodolf Weckherlin:
Erklärung an etliche canzleiherren
1615.
Ihr herren, damit ich ja euch
nenn eben gleich
wie günstig ihr euch selbs intitulieret,
ihr, deren grob verderbtes blut
sich, gleichsam ab des fiebers wut,
ab meiner schrift erhitzet und gefrieret.
Ihr mischet teutsch, welsch und latein,
doch keines rein,
weil eure kunst ihr nicht gern wolt verhehlen,
10 und sprechet mit zu weiser schmach,
daß ich verderb die teutsche sprach,
weil fremde wort ich nicht, wie ihr, mag quälen.
Zwar wan man ja welsch reden soll,
so müst ihr wol,
daß besser ich, dan ihr, es red, gestehen;
kan also auch ein blinder tropf
nicht so vil witz in euerm kopf
als neid und haß in euern herzen sehen.
Demnach dan euers hirns gefahr
20 so offenbar,
warum solt ich in versen euch bedenken?
wär ich nicht kränker selbs, dan ihr,
und auch ein vernunftloses thier,
wan ich euch wolt mit schriften mehr bekränken?
Nein. Euer argwohn ist umsunst
und nur ein dunst,
der euch das hirn, so vorhin schwach, verletzet.
ich wär wie ihr, wan ich die hand,
für oder wider eure schand
30 zu schreiben, nur auf das papier gesetzet.
Dan würden alle weisen nicht
bald das gedicht,
das euch fuchsschwänzen wolt, verlachen?
wie dan euch schelten, wär auch kaum
ein weisers werk, dan einen baum,
der dürr und faul, noch fruchtbar wollen machen.
Wan ich die zeit schadlos vertreib
und frölich schreib,
so schreib ich doch nicht an, für, noch von allen,
40 und meine vers, kunstreich und wert,
die sollen denen, die gelehrt,
und nur, hoff ich, verständigen gefallen.
Zu köstlich und zu rein und frisch
für euern tisch
und magen seind die trachten meiner schriften;
den bauren taugt ein hafenkäs,
die pomeranzen seind zu räß,
damit sie sich wol förchten zu vergiften.
Ich will nicht die torechte müh,
50 so ich alhie,
jemals von euch zu schreiben ferners haben;
darum so gebt euch nu zu ruh,
ich sag euch bei den Musen zu:
von euch schreib ich kein einigen buchstaben.
Auch mir gebührt es freilich nicht
durch ein gedicht
euch, herren, euch und euer lob zu singen,
sondern dem der in hungersnot
mit starker stim ein stücklein brot
60 für euerm haus verhoft davon zu bringen.
Quelle: Georg Rodolf Weckherlin: Gedichte, Leipzig 1873, S. 134-136.
Sprachliche Erläuterungen:
canzleiherr (Überschrift): Die Kanzlei war die Behörde des Regenten, die den Schriftverkehr führte. Kaiser Maximilian führte eine eigene (oberdeutsche) Kanzleisprache ein, während Luther sich auf die Sächsische Kanzleisprache stützte.
ab (V. 5): vor, aus
welsch (V. 7): ausländisch (italienisch, auch französisch)
verhehlen (V. 9): verbergen
schmach (V. 10): herabsetzende Beleidigung
tropf (V. 16): einfältiger Mensch
witz (V. 17): Verstand
euers hirns (V. 19): für euer Hirn
bedenken (V. 21): über etwas nachdenken, beachten
dan (V. 22, beim Komparativ): als (noch selten noch „denn“)
bekränken (V. 24): kränken
vorhin (V. 27): vorher
wan (V. 28) wenn
fuchsschwänzen (V. 34): schmeideln, nach dem Mund reden
schadlos (V. 37): ohne Schaden zu bringen
tracht (V. 45): was als Frucht getragen wird
hafenkäs (V. 46): alter fauler Käse
pomeranzen (V. 47): Goldäpfel
räß (V. 47): scharf, herb
damit (V. 48): womit (oder Objekt zu „sich vergiften“)
torecht (V. 49): töricht
einig (V. 54): einzig
für (V. 60): vor
verhoft (V. 60): von „verhofen (?): Bedeutung unklar; die Vorsilbe „ver-“ bedeutet oft das Falsche, Schlechte, Unzweckmäßige; „des Hofs verwiesen“ (bezogen auf „dem…“) oder „weggeworfen“ (bezogen auf „brot“)?; oder „erhofft“?
1. Durch die Überschrift werden die Gegner ungenau identifiziert, gegen die sich der Ich-Sprecher wendet. Dieser kann hier mit dem Autor Weckherlin gleichgesetzt werden.
2. Es geht um die angemessene Sprache des Autors Weckherlin, in in den Ohren mancher Kanzleiherren unangemessen klingt: Sie verwenden eine gängige Bildungssprache (V. 7-9) und werfen Weckherlin vor, die „teutsche sprach“ zu verderben (V. 11), weil er deutsche Wörter gebrauche.
Dagegen wehrt Weckherlin sich sehr polemisch:
- Ich beherrsche die Fremdsprache besser als ihr (V. 13-18).
- Mit euch setze ich mich nicht einmal auseinander (V. 19-36 und V. 49-54).
- Ich schreibe nur für vernünftige Menschen (V. 37-48).
- Ich schreibe für den, dem eure Sprachprodukte nicht genügen (V. 55 ff.).
Das Thema ist der Streit um die Frage, wie weit Schriftsteller sich von der mit Fremdwörtern durchsetzten Bildungssprache zugunsten der deutschen Sprache lösen dürfen oder sollen.
3. Die Strophen stehen in einer kunstvollen Spannung zwischen Reimform, Verslänge und Satzbau. Die Verse bestehen aus Jamben zu 5, 2, 6, 4, 4, 5 Hebungen; dabei bilden die Verse 1 und 2 jeder Strophe einen Paareim, die Verse 3-6 einen umarmenden Reim. Die jeweils ersten drei Verse und die letzten drei sind ein Satz, der mit einer weiblichen Kadenz ausklingt – sonst haben wir immer männliche Kadenzen. Zusammen ergibt das ein lebhaftes Sprechen, das dem Zorn des Sprechers den nötigen Schwung verleiht.
Der Form nach argumentiert der Sprecher, aber im Wesentlichen beschimpft er seine Gegner und setzt sie als Idioten herab. Den Titel „Herren“ erkennt er ihnen nicht zu (V. 1-3); im Bild von Blut und Fieber wertet er sie als „verderbt“ ab (V. 4-6). Er wirft ihnen vor, sich mit ihren Kenntnissen brüsten zu wollen (V. 7-9), und benennt ihren Vorwurf (V. 10-12). Er prahlt damit, die fremdsprachen besser als sie zu beherrschen (V. 13-15), woraus sich ergibt, dass ihr vorwurf gegen ihn auf Neid und Hass beruhe (V. 16-18). Daraus folgert er, dass er sich mit ihnen nicht abzugeben brauche (V. 19 ff.), sie seien Schwachköpfe (V. 27); das ist ein innerer Widerspruch, da er sich ja die ganze Zeit mit ihnen befasst und bei seinem Gedicht die Hand aufs Papier gesetzt hat (V. 28-30). Mit dem Vergleich der Gegner mit einem dürren Baum (bzw. Vergleich des Scheltens der Gegner mit dem Versuch, einen verdorrten Baum fruchtbar zu machen, V. 34-36) schließt er diese Passage ab. Daraus ergibt sich logisch, dass er für Verständige schreibt, wie er anschließend kundtut (V. 37 ff.). Den Vergleich mit dem verdorrten Baum führt er in V. 43-45 fort: „Zu köstlich und zu rein und frisch / für euern tisch / und magen seind die trachten meiner schriften;“ er beschimpft sie indirekt als dumme Bauern (V. 46-48), für die seine Früchte (V. 45) zu schade sind. Im Zorn des Streitens wiederholt er den bereits geäußerten (V. 19 ff.) Schimpf, er setze sich mit ihnen nicht einmal auseinander (V. 49-54 und V. 55-57, vgl. V. 31-33). Er schreibe vielmehr für Leser, die solide Kost brauchten (V. 58-60).
Das Bild vom Gedicht als geistiger Nahrung beherrscht sachlich die Argumentation (V. 43 ff.), während vorher noch „gefallen (V. 42) als Kriterium des guten Gedichtes genannt wird.
4. Die Heftigkeit des Streits zeigt an, dass eine neue Zeit angebrochen ist, in der die deutsche Sprache in die Dichtung einzieht. Über diesen Hintergrund informiert der Artikel „Sprachgesellschaften im Barock“ im Lernhelfer Deutsch (https://www.lernhelfer.de/schuelerlexikon/deutsch-abitur/artikel/sprachgesellschaften-im-barock), allgemein die Übersicht „Literatur des Barock“ (https://www.lernhelfer.de/schuelerlexikon/deutsch-abitur/kapitel/46-literatur-des-barock oder https://de.wikipedia.org/wiki/Barockliteratur). Im Barock wird die deutsche Literatur neu begründet.
Leben:
https://de.wikisource.org/wiki/ADB:Weckherlin,_Georg_Rudolph
https://www.deutsche-biographie.de/sfz75070.html
https://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Rodolf_Weckherlin
Werke:
https://de.wikisource.org/wiki/Georg_Rodolf_Weckherlin (Übersicht)
https://archive.org/details/bub_gb_6WAZAAAAYAAJ/page/n5 (Gedichte, hrsg. von Karl Goedecke)
http://www.zeno.org/Literatur/M/Weckherlin,+Georg+Rodolf/Gedichte/Gedichte (Gedichte)
https://archive.org/details/bub_gb_AyZLAAAAcAAJ/page/n15 (Geistliche und weltliche Gedichte, 1648)
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/2/26/BLV_199_Georg_Rudolf_Weckherlins_Gedichte_Band_1.pdf?uselang=de (Gedichte, Bd. 1)
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/4/45/BLV_200_Georg_Rudolf_Weckherlins_Gedichte_Band_2.pdf?uselang=de (Gedichte, Bd. 2)
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/a/ae/BLV_245_Georg_Rudolf_Weckherlins_Gedichte_Band_3.pdf (Gedichte, Bd. 3)