L. Padura: Der Mann, der Hunde liebte – Besprechung

2009 erschien dieser Roman in Barcelona, 2011 auf Deutsch im Unionsverlag in der Schweiz: Auf drei Ebenen wird erzählt, wie Trotzki die letzten Lebensjahre bis zu seiner Ermordung 1940 in Mexiko verbringt; wie sein Mörder Mercader als gläubiger Kommunist systematisch auf diesen Mord vorbereitet wird und ihn schließlich ausführt; wie der kubanische Ex-Schriftsteller Ivan Cardenas Maturell am Strand bei Havanna einen kranken Mann trifft, der sich Jaime Lopez nennt und ihm die Geschichte Ramon Mercaders erzählt – wobei Ivan und der Leser schließlich ahnen, das Lopez kein anderer als Mercader ist. „Der Mann, der Hunde liebte“ wird als Titel einer Erzählung Chandlers eingeführt (S. 84); die Liebe zu Hunden verbindet drei Hauptfiguren des Buches: Ramon, Lopez und Trotzki.

Es ist ein Roman von 730 Seiten, der die menschlichen Seiten seiner Figuren offen legt: ihren Fanatismus; ihre Angst; ihre Gläubigkeit, die bei Mercaders Führungsoffizier schließlich in Zynismus umschlägt; ihre Hoffnungen und ihre Rücksichtslosigkeit, die selbst elementarste Bindungen wie die zwischen zwei Liebenden oder zwischen Mutter und Kind bedenkenlos beiseite schiebt – und die damit fragen lässt, wozu denn eine Revolution für die Befreiung der Ärmsten gut sein soll, an deren Weg sich die Leichenberge stapeln und die Menschlichkeit verkommt. Im Hintergrund steht überall Stalin, dessen Brutalität die Menschen erniedrigt und in Angst und Schrecken versetzt: ein Buch für Leser, die noch Ahnung davon haben, was im 20. Jahrhundert passiert ist, und für solche, die keine Ahnung davon haben.

Ivan erhält von Lopez nach dessen Tod ein Manuskrip mit dem Bericht von Mercaders Leben, das er seinerseits kommentiert, das nach seinem Tod an seinen Freund kommt (ein neues Ich in Kap. 30), der es wiederum liest, um es dann zu verkleben und in Ivans Sarg zu legen – gleichwohl hat Leonardo Padura das Buch 2006-2009 geschrieben, und nun wird es bewundert, wie man an den zahlreichen überschwänglichen Besprechungen sehen kann. „Von dem Geschriebenen [d.h. von Mercaders Manuskript] ging der fade Nachgeschmack einer Beichte aus, die kaum die Sehnsucht nach Verzeihung und die Enttäuschung eines Mannes verhehlen konnte, der sich nach all den Jahren und Ereignissen schließlich mit sich selbst und der Rolle auseinandersetzt, die er in einem schmutzigen Spiel, das ihn mit Haut und Haaren verschlingen sollte, gespielt hat.“ (S. 712)

http://www.deutschlandradiokultur.de/biografie-eines-schattens.950.de.html?dram:article_id=139740 (Sigrid Löffler)

http://www.deutschlandfunk.de/von-opfern-und-taetern.700.de.html?dram:article_id=85004 (Eva Karnofsky)

http://www.theintelligence.de/index.php/belletristik/3614-der-mann-der-hunde-liebte-ein-roman-ueber-die-revolutionen.html (bb)

http://www.frankfurter-hefte.de/upload//2011-04_Schornstheimer_web.pdf (Michael Schornstheimer)

http://www.quetzal-leipzig.de/lateinamerika/kuba/padura-leonardo-der-mann-der-hunde-liebte-19093.html (Sven Schaller)

http://faustkultur.de/420-0-Leonardo-Padura-Der-Mann-der-Hunde-liebte.html (Andrea Gremels)

http://www.derfunke.de/index.php/rubriken/kultur/1321-leonardo-padura-der-mann-der-hunde-liebte (marxistisch)

http://www.marxist.com/padura-der-mann-der-hunde-liebte.htm (Alan Woods, sehr umfangreich; marxistisch)

Interview mit Padura: https://www.rezensionen.ch/leonardo-padura-der-mann-der-hunde-liebte/3293004253/ = http://www.glanzundelend.de/Artikel/abc/o_p/leonardo_padura.htm

Ich stehe allerdings nicht allein mit der Meinung, dass der Roman etwas kürzer hätte ausfallen sollen; trotz aller Spannung hat er ca. S. 350-550 einen Durchhänger und man wartet (bis S. 610) darauf, dass Trotzki erschlagen wird. Schwach finde ich auch, dass die Gehirnwäsche Mercaders, der er in Sibirien unterzogen wird und die ihn unter dem Ideal der Auserwählung in einen total Unterworfenen und Gehorsamen verwandelt, nicht erzählt wird; es wird nur behauptet, dass dies mit ihm geschehen sei (S. 261), und später zeigt sich, dass seine Verwandlung nicht vollständig gelungen ist (S. 356, 359, 363 f.). Gelegentlich sehe ich den erhobenen Zeigefinder des Autors, so wenn Ivan bekundet, er habe gelernt, „dass sich wirkliche menschliche Größe in bedingungsloser Güte zeigt, in der Fähigkeit, denen zu geben, die nichts haben, und zwar nicht das, was wir entbehren können, sondern einen Teil des wenigen, das wir haben“ (S. 504) Vielleicht kann man auch von einer Dramatisierung sprechen, die beinahe zwingend erforderlich ist, wenn sich die Schilderungen von Angst, Terror und Fanatismus wiederholen.

Interessant fand ich die Begegnung Kotows mit Mercader in Moskau, nachdem Mercader 20, Kotow 15 Jahre im Gefängnis gesessen haben und Kotow seinem ehemaligen Schützling und „Soldaten“ bekennt: „Ich war gläubig, aber ich habe dich gezwungen, an Dinge zu glauben, von denen ich wusste, dass es Lügen waren.“ (S. 656) Und kurz darauf: „Ich habe weitergekämpft, weil auch ich zum Zyniker geworden war. Aber wenn man als effizienter Zyniker mit ein paar Toten auf dem Buckel erst einmal fünfzehn Jahre im Gefängnis gesessen hat, dann sieht man die Dinge mit anderen Augen.“ (S. 671)

Der Mann, der Hunde liebte“ ist (zumindest indirekt) ein selbstbezüglicher Roman. Ivan erzählt von der Geschichte seines Manuskripts: „Mir wurde [nach einem Gespräch mit Daniel, N.T.] klar, wie eminent wichtig es war, eine weitere Stimme einzuführen, eine andere Perspektive, von der aus das, was der Mann, der Hunde liebte, mir erzählt hatte, kommentiert und ergänzt würde. Und sehr bald erkannte ich, dass, wenn ich das Leben von Ramón Mercader verstehen wollte, ich auch das seines Opfers verstehen musste; das Bild des Mörders als Henker und als Mensch würde erst dann vollständig sein, wenn es das Ziel seiner Tat, den Gegenstand seines Hasses und des Hasses derjenigen, die ihn zum Mord angestiftet und ihn bewaffnet hatten, mit einschloss.“ (S. 511) Im Roman sind natürlich diese Stimmen, die Figuren Trotzki und Kotow, längst eingeführt – aber anders als mit dieser Zeitverschiebung kann man im Roman nicht von der Entstehung des Romans sprechen.

Sehe ich die Geschichte des 20. Jahrhunderts nach der Lektüre des Romans mit anderen Augen? Nein, ich kannte das alles im Prinzip bereits, durch Lektüre und auch (abgeschwächt natürlich) durch meine Erfahrungen mit der katholischen Kirche: den Stolz, zur Auslese zu gehören (S. 254) oder ein Auserwählter zu sein (S. 470); die Forderung nach bedingungslosem Gehorsam (S. 257, 425); den Fanatismus (S. 293). „Seine Zeit besaß historische Dimensionen, ging über menschliche Fristen hinaus, und sein Handeln entsprang philosophischer Notwendigkeit.“ (S. 282) Auch die Psychologie des Zynismus ist in diesem Zusammenhang interessant und durch katholische Anekdoten zu belegen – aber das ist eine andere Geschichte: ein weites Feld.