Ich herze dich …
Text:
http://www.lyrikline.org/de/gedichte/woertlich-genommen-10715#.VpJ0TfH1eHl
http://www.50plus-treff.de/forum/moegt-ihr-gedichte–t47642-s900.html (dort 2. Gedicht)
Das Gedicht „Wörtlich genommen“ (aus: Wiɘderworte, 2011) ist John Donne gewidmet, einem englischen Dichter des 17. Jahrhunderts. Warum sie gerade ihm gewidmet ist, wird nicht gesagt – vielleicht erschließt es sich aus seinem Gedicht „Elegie auf das Zubettgehen seiner Dame“ (s. Link!), einem innigen Liebesgedicht.
Es beginnt mit dem Bekenntnis „Ich herze dich“ (V. 1): herzen = jemanden ans Herz drücken, liebkosen (DWDS). Als Bekenntnis ist dieser Satz eher sinnlos: Wenn ich eine Frau herze, sage ich nicht: „Ich herze dich.“ Das kann man allenfalls als Versprechen und Lockung sagen („Wenn ich dich morgen sehe, dann …“) oder zur Beschreibung einer Beobachtung resp. als Bericht: „Sie herzte ihn innig.“ Wie dem auch sei, von diesem Satz aus, der angeblich „wörtlich genommen“ wird, ist das ganze Gedicht konstruiert: „herzen“ wird auf „Herz“ („wörtlich genommen“) zurückgeführt; danach werden in Analogie zu „Herz/herzen“ neue Verben zu „Lunge, Haut“ usw. gebildet (V. 2-4), die allesamt von Substantiven für „Dinge“ ausgehen, die man zärtlich berühren kann.
Die zweite Strophe setzt an beim Satz „Du baust auf mich“ = Du verlässt dich auf mich, du vertraust mir (V. 5). Hier ist der Rückgang vom metaphorischen „bauen auf…“ über „bauen“ (ein anderes Verb!) zu „Bau“ riskanter; danach werden Verben zu „Spitzdach“ und „Palast“ gebildet (V. 6 f.). Es folgen in der inzwischen bekannten Analogiebildung Sätze mit Verben zu „Oase, Meerstern [kenne ich nur aus dem Marienlied], Land“, also geografischen Größen (V. 8 ff.). Über den Anklang an „bergen/Berg“ folgen weitere „geografische“ Verben (zu Berg, Tal, Gipfel), diesmal dem Ich zugesprochen (V.11 f.).
In der 4. Strophe werden – im Ich-Du-Wechsel – zunächst die Befindlichkeiten Freude und Sehnsucht verbalisiert (V. 13-15), darauf das mögliche Kosewort „Sternschnuppe“ (V- 16).
In der 5. Strophe sind die zärtlich berührten Körperteile dran, verbalisiert zu werden: Brust, Hüfte, Schenkel (V. 17 f.), danach mit Ich-Subjekt Zunge, Zähne, Kehlkopf. Ich lese „Zaum“ = Zähne, nach der homerischen Wendung vom „Gehege deiner Zähne“; „ich kehlkopf“ überschreitet m.E. die Sinngrenze des Sagbaren – ich habe jedenfalls keine erotische Beziehung zu einem fremden Kehlkopf – zur Stimme, ja, aber nicht zum Kehlkopf – das lyrische Ich ist hier etwas eigen.
Die bisherigen Strophen haben alle aus vier Versen bestanden, jeweils mit einer oder zwei betonten Silben (je nach Anzahl der Verben); als Reimwörter dienten nur die Pronomina „dich/mich“. Die letzte Strophe besteht aus drei Versen, wovon der erste und letzte nach einem neuen Prinzip gebildet werden: Gleichklang von Verben mit dem Stammlaut „au“ (V. 21) bzw. „a“ (V. 23), diesmal ohne Objekt: „Ich hauch, brauch, fauch“: bloße Tätigkeiten des Ichs; „du füllhornst mich“: Analogie zu V. 13 ff., mit Objekt. Der letzte Vers hat als neues Subjekt das gemeinschaftliche „Wir“ (V. 23): „Wir atmen amseln amen“. Der Ich-Sprecher (oder ist es eher eine Sprecherin?) geht vom normalen „atmen“ aus: atmen = leben (kein Wunder bei so viel Liebe!). Das folgende kleingeschriebene Wort „amseln“ müsste in Analogie zu den anderen Verben als Verb gelesen werden: „amseln“ = flöten. Es folgt das Wort des Gebetsabschlusses: „Amen“, hier kleingeschrieben, womit offen bleibt, ob es sich um das Schlusswort „Amen“ oder das Verb „amen“ (= sich gegenseitig die letzte Bestätigung geben?) oder beides zugleich handelt. Die beiden letzten Worte sollte man nicht eindeutig machen wollen, weil sie nicht eindeutig sind: Lassen wir das Liebesgedicht offen verklingen.
Die Sammlung „Wiɘderworte“, 2011, ist Ulla Hahns eigene Antwort auf den frühen Gedichtband „Herz über Kopf“, 1981.
https://de.wikipedia.org/wiki/John_Donne (John Donne)
http://www.badische-zeitung.de/literatur-rezensionen/du-fuellhornst-mich–49511190.html (Vorstellung des Gedichtbandes)
http://www.blick-aktuell.de/Koblenz/Ulla-Hahn-bringt-Lyrik-zum-Klingen-1313.html (dito)
http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=16089 (dito)