Rolf Meyer: Limericks

Beim Aufräumen bin ich auf ein Bändchen Gedichte von Rudolf Meyer, Aachen, gestoßen, den ich nur unter dem Namen Rolf Meyer kenne; Rolf hat meinem mit ihm befreundeten Schwiegervater, der auf Familienfesten gern Gedichte vortrug, solche Gedichte geliefert. Er hat auch bemerkenswerte Bilder gemalt, von den mehrere in unserem Haus hängen. Er ist inzwischen verstorben; dass er mit dem am 14. Mai 2021 verstorbenen Rolf Meyer identisch ist, kann ich nur annehmen. Zum Andenken an „meinen“ Rolf Meyer zitiere ich drei seiner Limericks.

Bangen im Ganges

Ein Inder, der stieg in den Ganges,

immer tiefer ins Wasser, schon drang es

vom Hals übers Kinn,

da beschlich seinen Sinn

ein seltsam Gefühl, ein gar banges.

Sprichwörtlich

Ein Gaul, ein geschenkter, beklagte,

daß keinem sein Maul je behagte.

Man schaue dem Gaul

nicht gerne ins Maul,

sprach jeder persönlich Befragte.

Verwechslung

Ins Affengehege, das leider

nicht geschlossen, verlief sich ein Schneider.

Die Leute, die lachten,

doch einige dachten:

Wie kommt nur das Tier an die Kleider?

Ulla Hahn: Wörtlich genommen (2011) – Analyse

Ich herze dich …

Text:

http://www.lyrikline.org/de/gedichte/woertlich-genommen-10715#.VpJ0TfH1eHl

http://www.50plus-treff.de/forum/moegt-ihr-gedichte–t47642-s900.html (dort 2. Gedicht)

Das Gedicht „Wörtlich genommen“ (aus: Wiɘderworte, 2011) ist John Donne gewidmet, einem englischen Dichter des 17. Jahrhunderts. Warum sie gerade ihm gewidmet ist, wird nicht gesagt – vielleicht erschließt es sich aus seinem Gedicht „Elegie auf das Zubettgehen seiner Dame“ (s. Link!), einem innigen Liebesgedicht.

Es beginnt mit dem Bekenntnis „Ich herze dich“ (V. 1): herzen = jemanden ans Herz drücken, liebkosen (DWDS). Als Bekenntnis ist dieser Satz eher sinnlos: Wenn ich eine Frau herze, sage ich nicht: „Ich herze dich.“ Das kann man allenfalls als Versprechen und Lockung sagen („Wenn ich dich morgen sehe, dann …“) oder zur Beschreibung einer Beobachtung resp. als Bericht: „Sie herzte ihn innig.“ Wie dem auch sei, von diesem Satz aus, der angeblich „wörtlich genommen“ wird, ist das ganze Gedicht konstruiert: „herzen“ wird auf „Herz“ („wörtlich genommen“) zurückgeführt; danach werden in Analogie zu „Herz/herzen“ neue Verben zu „Lunge, Haut“ usw. gebildet (V. 2-4), die allesamt von Substantiven für „Dinge“ ausgehen, die man zärtlich berühren kann.

Die zweite Strophe setzt an beim Satz „Du baust auf mich“ = Du verlässt dich auf mich, du vertraust mir (V. 5). Hier ist der Rückgang vom metaphorischen „bauen auf…“ über „bauen“ (ein anderes Verb!) zu „Bau“ riskanter; danach werden Verben zu „Spitzdach“ und „Palast“ gebildet (V. 6 f.). Es folgen in der inzwischen bekannten Analogiebildung Sätze mit Verben zu „Oase, Meerstern [kenne ich nur aus dem Marienlied], Land“, also geografischen Größen (V. 8 ff.). Über den Anklang an „bergen/Berg“ folgen weitere „geografische“ Verben (zu Berg, Tal, Gipfel), diesmal dem Ich zugesprochen (V.11 f.).

In der 4. Strophe werden – im Ich-Du-Wechsel – zunächst die Befindlichkeiten Freude und Sehnsucht verbalisiert (V. 13-15), darauf das mögliche Kosewort „Sternschnuppe“ (V- 16).

In der 5. Strophe sind die zärtlich berührten Körperteile dran, verbalisiert zu werden: Brust, Hüfte, Schenkel (V. 17 f.), danach mit Ich-Subjekt Zunge, Zähne, Kehlkopf. Ich lese „Zaum“ = Zähne, nach der homerischen Wendung vom „Gehege deiner Zähne“; „ich kehlkopf“ überschreitet m.E. die Sinngrenze des Sagbaren – ich habe jedenfalls keine erotische Beziehung zu einem fremden Kehlkopf – zur Stimme, ja, aber nicht zum Kehlkopf – das lyrische Ich ist hier etwas eigen.

Die bisherigen Strophen haben alle aus vier Versen bestanden, jeweils mit einer oder zwei betonten Silben (je nach Anzahl der Verben); als Reimwörter dienten nur die Pronomina „dich/mich“. Die letzte Strophe besteht aus drei Versen, wovon der erste und letzte nach einem neuen Prinzip gebildet werden: Gleichklang von Verben mit dem Stammlaut „au“ (V. 21) bzw. „a“ (V. 23), diesmal ohne Objekt: „Ich hauch, brauch, fauch“: bloße Tätigkeiten des Ichs; „du füllhornst mich“: Analogie zu V. 13 ff., mit Objekt. Der letzte Vers hat als neues Subjekt das gemeinschaftliche „Wir“ (V. 23): „Wir atmen amseln amen“. Der Ich-Sprecher (oder ist es eher eine Sprecherin?) geht vom normalen „atmen“ aus: atmen = leben (kein Wunder bei so viel Liebe!). Das folgende kleingeschriebene Wort „amseln“ müsste in Analogie zu den anderen Verben als Verb gelesen werden: „amseln“ = flöten. Es folgt das Wort des Gebetsabschlusses: „Amen“, hier kleingeschrieben, womit offen bleibt, ob es sich um das Schlusswort „Amen“ oder das Verb „amen“ (= sich gegenseitig die letzte Bestätigung geben?) oder beides zugleich handelt. Die beiden letzten Worte sollte man nicht eindeutig machen wollen, weil sie nicht eindeutig sind: Lassen wir das Liebesgedicht offen verklingen.

Die Sammlung „Wiɘderworte“, 2011, ist Ulla Hahns eigene Antwort auf den frühen Gedichtband „Herz über Kopf“, 1981.

https://de.wikipedia.org/wiki/John_Donne (John Donne)

http://www.badische-zeitung.de/literatur-rezensionen/du-fuellhornst-mich–49511190.html (Vorstellung des Gedichtbandes)

http://www.blick-aktuell.de/Koblenz/Ulla-Hahn-bringt-Lyrik-zum-Klingen-1313.html (dito)

http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=16089 (dito)