Novalis: Hymnen an die Nacht – Links zum thematischen Umfeld

Novalis: Hymnen an die Nacht

Die drei bisher analysierten Gedichte Novalis‘ sind recht konventionell geschrieben; originell sind seine „Hymnen an die Nacht“, die es in zwei Fassungen gibt, einer handschriftlichen und der später (1800) im „Athenäum“ veröffentlichten. Ich habe einige Links zusammengestellt, in denen die beiden Textfassungen vorgestellt werden, dann solche, in denen über ihre Entstehung und (Be)Deutung informiert wird. Es folgen Links zur Romantik, zum Thema Nacht und zu Novalis.

http://archiv-swv.de/pdf-bank/Novalis%20-%20Hymnen%20an%20die%20Nacht.pdf (Text)

https://www.lyrik.ch/lyrik/spur3/novalis/novalis1.htm (dito)

http://www.zeno.org/Literatur/M/Novalis/Gedichte/Hymnen+an+die+Nacht (dito)

https://germanistiksofia.files.wordpress.com/2016/10/hymnen-an-die-nacht-text.pdf (beide Fassungen)

https://www.lernhelfer.de/sites/default/files/lexicon/pdf/BWS-DEU2-0092-07.pdf (dito)

https://de.wikipedia.org/wiki/Hymnen_an_die_Nacht (Entstehung und Deutung)

https://anthrowiki.at/Hymnen_an_die_Nacht (dito)

file:///Users/norbert/Desktop/969-2640-1-SM.pdf (Deutung)

http://www.fundus.org/pdf.asp?ID=12016 (Interpretation, teilweise beschädigt oder schlecht übersetzt)

https://ubt.opus.hbz-nrw.de/opus45-ubtr/frontdoor/deliver/index/docId/318/file/Diss.pdf (Diss., dort S. 99 ff.)

https://abi.unicum.de/abitur/abitur-lernen/romantik-epoche (Romantik)

https://www.schreiben.net/artikel/romantik-epoche-3771/ (Romantik)

http://www.normasharp.de/Ger/Nacht-und-Traeume.htm (Nacht und Träume: Motive der Romantik)

https://www.academia.edu/37740639/MOTIVE_DER_SCHWARZEN_ROMANTIK_IN_E_T_A_HOFFMANNS_NACHTST%C3%9CCKEN_ (Motive der schwarzen Romantik in E.T.A. Hoffmanns „Nachtstücken“)

https://www.lyrikmond.de/gedichte-thema-4-27.php (u.a. romantische Gedichte über die Nacht)

https://artinwords.de/nacht-in-der-kunst-romantik-bis-symbolismus/ (Bilder: Nacht in der Kunst)

https://symbolonline.de/index.php?title=Nacht (Nacht als Symbol)

https://www.deutsche-biographie.de/sfz31783.html (Novalis)

https://de.wikipedia.org/wiki/Novalis (dito)

https://www.deutschlandfunk.de/novalis-die-romantisierung-der-welt.886.de.html?dram:article_id=295453 (Novalis)

https://web.archive.org/web/20060515012603/www.litlinks.it/n/novalis.htm (seine Texte im Netz)

Novalis: Fern in Osten wird es helle – Text und Analyse

Novalis: Geistliche Lieder, 2.

Fern in Osten wird es helle,
Graue Zeiten werden jung;
Aus der lichten Farbenquelle
Einen langen tiefen Trunk!
Alter Sehnsucht heilige Gewährung,
Süße Lieb‘ in göttlicher Verklärung.

Endlich kommt zur Erde nieder
Aller Himmel sel’ges Kind,
Schaffend im Gesang weht wieder
Um die Erde Lebenswind,
Weht zu neuen ewig lichten Flammen
Längst verstiebte Funken hier zusammen.

Ueberall entspringt aus Grüften
Neues Leben, neues Blut,
Ew’gen Frieden uns zu stiften,
Taucht er in die Lebensfluth;
Steht mit vollen Händen in der Mitte
Liebevoll gewärtig jeder Bitte.

Lasse seine milden Blicke
Tief in deine Seele gehn,
Und von seinem ewgen Glücke
Sollst du dich ergriffen sehn.
Alle Herzen, Geister und die Sinnen
Werden einen neuen Tanz beginnen.

Greife dreist nach seinen Händen,
Präge dir sein Antlitz ein,
Mußt dich immer nach ihm wenden,
Blüthe nach dem Sonnenschein;
Wirst du nur das ganze Herz ihm zeigen,
Bleibt er wie ein treues Weib dir eigen.

Unser ist sie nun geworden,
Gottheit, die uns oft erschreckt,
Hat im Süden und im Norden
Himmelskeime rasch geweckt,
Und so laßt im vollen Gottesgarten
Treu uns jede Knosp‘ und Blüthe warten.

Mit den Geistlichen Liedern Novalis‘ (1799/1800 entstanden) haben wir ein Zeugnis dafür, dass sich viele Romantiker wieder dem Christentum zuwandten, nachdem Schiller noch „Die Götter Griechenlands“ gepriesen hatte. Im zweiten der Geistlichen Lieder wird die Ankunft des göttlichen Kindes, Jesus Christus, gepriesen. (Zum Vergleich könnte man die fünfte „Hymne an die Nacht“ heranziehen!) Zunächst tritt der Sprecher hinter dem Blick auf dieses Ereignis ganz zurück (Str. 1 – 3); er steht sozusagen als Betrachter außerhalb der Zeit und beschreibt enthusiastisch die lange erwartete Ankunft des Erlösers und das von ihm erwirkte Heil. Dann fordert er vom neuen Standpunkt „nach Christi Geburt“ mehrfach ein nicht näher bestimmtes Du auf, sich diesem Kind und seinem Segen anzuvertrauen (Str. 4 – 5). In der letzten Strophe blickt er in der Gemeinschaft der Christ-Gläubigen auf das beschriebene Heilsereignis zurück und fordert diese Gemeinschaft („uns“, V. 36) auf, am göttlichen Segenswerk mitzuwirken.

Die sechs Strophen bestehen jeweils aus sechs Versen; die ersten vier sind aus vier Trochäen gebildet, die im Kreuzreim verbunden sind. Dabei fehlen dem zweiten und vierten Vers jeweils ein Silbe (männliche Kadenz), was eine kleine Pause im Sprechen erfordert, zumal da je zwei Verse eine semantische Einheit bilden und der Reim des vierten Verses die Erinnerung an den zweiten Vers aufruft und so ebenfalls zur Ruhe einlädt. Die Verse 5 und 6 einer Strophe bestehen aus fünfvollständigen Trochäen und sind im Paarreim verbunden; in der Abgrenzung von den ersten vier Versen wirken sie getragener, ruhiger; oft bilden sie einen einzigen Satz (Str. 2, 3, 4, 6; Aufzählung in Str. 1, Neben- und Hauptsatz in Str. 5); infolgedessen kann man von den Paarreimen semantisch nichts erwarten – aber auch die Reime der Verse 2 / 4 lassen nur in Strophe 2 und 4 einen semantischen Zusammenhang aufscheinen (Ankunft / Folgen in Str. 2; Forderung, sich zu öffnen / verheißene Folgen, Str. 4). Die Reime in den Versen 5 und 6 passen semantisch besser zusammen (v.a. Str. 1, 2, 5, 6).

Novalis stammte aus einer pietistischen Familie und war auch persönlich fromm. Wenn sein Sprecher in diesem Gedicht die Weltwende verherrlicht, welche durch die Ankunft des göttlichen Kindes bewirkt wird (Präsens: „Endlich kommt zur Erde nieder / Aller Himmel sel‘ges Kind“, V. 7 f.), so ist der Dichter doch längst ein Glaubender; er müsste also davon sprechen, wie das Kind kam und was es bewirkte (Präteritum). Das ist so ähnlich, wie wenn im Advent die Christen singen: „Tauet, Himmel, den Gerechten…“; dabei „wissen“ sie doch längst, dass der Gerechte da war/ist und dass man sein Ankunft höchstens feiern, nicht aber erwarten kann. Will sagen: Der Sprecher erlebt die Ankunft des göttlichen Kindes nicht real, sondern nur in seiner von christlicher Apologetik geprägten Vorstellung – entsprechend sind die prädikativen Kontraste (vorher / nachher) der christlichen Predigt entlehnt:

dunkel – lichte Flammen

grau – lichte Farben

Sehnsucht – Gewährung, Liebe

……………….. – Gesang

Grüfte – neues Leben, Lebenswind

………………. – Frieden

………………. – volle Hände (Str. 1 – 3).

Man sieht, dass die Kontrastierung nicht streng durchgeführt worden ist.

In den beiden folgenden Strophen spricht das erlöste Ich ein (jedes) Du an und fordert es auf, sich auf den Erlöser einzulassen (Imperative, verbunden mit Verheißungen des wahren Glücks): „Lasse seine milden Blicke …, Greife dreist nach seinen Händen, Präge dir sein Antlitz ein …“ Bei den Verheißungen sind das ewige Glück (V. 21) und die Treue des Erlösers (V. 29 f.) konventionelle Formeln; originell ist dagegen: „Alle Herzen, Geister und die Sinnen / Werden einen neuen Tanz beginnen.“ (V. 23 f.) Dass das Erstarrte ins Tanzen gerät, bleibt aber homiletische Verheißung, ist nicht durch Erfahrung oder Beispiele untermauert.

Der Aufruf, am Erlösungswerk gemeinsam mitzuwirken (Str. 6), arbeitet mit dem Bild von den bereits gesäten Keimen, die im Gottesgarten Knospen und Blüten treiben und der Wärter bedürfen, die sie pflegen.

Novalis legt ein Gedicht vor, das vom Ton pietistischer Prediger bestimmt ist; die christlichen Kirchen waren um 1800 weithin erstarrt, und ob die pietistisch Erweckten einen neuen Tanz begonnen haben, darf man bezweifeln – im Gedicht werden Hoffnungen eines Christen ausgedrückt, die jedoch so klingen, als würde die erlebte Wirklichkeit beschrieben. Es ist die Wirklichkeit einer einzelnen Seele, die im 6. Geistlichen Lied so spricht:

Ich habe dich empfunden,

O! lasse nicht von mir;

Laß innig mich verbunden

Auf ewig seyn mit dir.

https://de.wikipedia.org/wiki/Novalis

https://www.deutschlandfunk.de/novalis-die-romantisierung-der-welt.886.de.html?dram:article_id=295453 (Novalis)

https://www.eh-tabor.de/de/was-ist-pietismus (Pietismus)

http://www.mennlex.de/doku.php?id=top:pietismus (dito, ausführlich)

https://de.wikipedia.org/wiki/Pietismus (dito)

Novalis: Der Himmel war umzogen – Text und Analyse

Novalis: Der Himmel war umzogen (1799/1800)

Der Himmel war umzogen,
Es war so trüb und schwül,
Heiß kam der Wind geflogen
Und trieb sein seltsam Spiel.

Ich schlich in tiefem Sinnen,
Von stillem Gram verzehrt –
Was sollt ich nun beginnen?
Mein Wunsch blieb unerhört.

Wenn Menschen könnten leben
Wie kleine Vögelein,
So wollt ich zu ihr schweben
Und fröhlich mit ihr sein.

Wär hier nichts mehr zu finden,
Wär Feld und Staude leer,
So flögen, gleich den Winden
Wir übers dunkle Meer.

Wir blieben bei dem Lenze
Und von dem Winter weit
Wir hätten Frücht und Kränze
Und immer gute Zeit.

Die Myrte sproßt im Tritte
Der Wohlfahrt leicht hervor
Doch um des Elends Hütte
Schießt Unkraut nur empor.

Mir war so bang zumute
Da sprang ein Kind heran,
Schwang fröhlich eine Rute
Und sah mich freundlich an.

Warum mußt du dich grämen?
O! weine doch nicht so,
Kannst meine Gerte nehmen,
Dann wirst du wieder froh.

Ich nahm sie und es hüpfte
Mit Freuden wieder fort
Und stille Rührung knüpfte
Sich an des Kindes Wort.

Wie ich so bei mir dachte,
Was soll die Rute dir?
Schwankt aus den Büschen sachte
Ein grüner Glanz zu mir.

Die Königin der Schlangen
Schlich durch die Dämmerung.
Sie schien gleich goldnen Spangen,
In wunderbarem Prunk.

Ihr Krönchen sah ich funkeln
Mit bunten Strahlen weit,
Und alles war im Dunkeln
Mit grünem Gold bestreut.

Ich nahte mich ihr leise
Und traf sie mit dem Zweig,
So wunderbarerweise
Ward ich unsäglich reich.

Eine nicht greifbare, jedoch offenbar männliche Person („zu ihr schweben“, Str. 3) erzählt in der Ich-Form vor ungenannten Zuhörern, wie sie aus einer gedrückten Stimmung erlöst und beglückt wurde. Die Sprache und die Form des Gedichts sind einfach: in 13 Strophen jeweils vier Verse, im Kreuzreim verbunden, wobei oft zwei Verse eine semantische Einheit bilden (z.B. Str. 1 Himmel / Wind; Str. 2 Bericht / Frage; Str. 3 Wenn / Dann; usw.). Die reimenden Verse 2 / 4 einer Strophe stehen manchmal in einem sinnvollen Zusammenhang (z.B. von Gram verzehrt / Wunsch nicht erhört, Str. 2; hier / dort, Str. 4; Wohlfahrt / Elend, Str. 6; u.ö.).

Aufbau des Gedichts: Es beginnt mit einem Bericht von der betrüblichen Situation des Ichs (Str. 1 f.), wobei dem trüben Wetter (1) die Lage des Ichs entspricht (2). Das Adjektiv (Partizip) „umzogen“ (1) bedeutet so viel wie bedeckt. Der in (2) genannte Wunsch wird in (3) – (5) wiedergegeben (im Konjunktiv II, also irreal): Er möchte mit „ihr“ zusammen sein und eine gute Zeit verleben. (6) ist eine Art Lebensweisheit (im Präsens: So ist es immer!): Konfrontiert werden die Lage im Wohlergehen und im „Elend“, beide metaphorisch umschrieben (Tritt der Wohlfahrt, Hütte des Elends); zu ihnen gehören die Myrte (Wohlfahrt) und das Unkraut (Elend) als symbolträchtige Pflanzen. „Im alten Griechenland war die Myrte der Göttin Aphrodite geweiht, der Göttin der Liebe und Schönheit. Myrtenzweige gelten als Symbol für Jungfräulichkeit, Lebenskraft und viele gesunde Kinder, aber auch der über den Tod hinausgehenden Liebe.“ (Wikipedia) Durch die Myrte ist also die Liebe dem Wohlergehen zugeordnet.

Ab (7) berichtet das Ich dann, wie sich seine Situation verändert, d.h. in zwei Stufen verbessert hat: Zuerst begegnete ihm ein Kind (7) – (9), dann traf es auf die Schlangenkönigin (10-13). Zur Bedeutung des Kindes: „C.G. Jung, der Zürcher Arzt und Tiefenpsychologe, (…) versteht den Weg der Selbstverwirklichung als einen der Begegnung mit dem göttlichen inneren Seelen-Kern und die Unterordnung unter ihn. Er nannte ihn das Selbst und den daraus sich anordnenden Prozess: Individuationsprozess. Der Seelen-Kern erscheint individuell in unseren Träumen als ein göttliches Kind mit ganz besonderenEigenschaften. In jedem Erwachsenen steckt nämlich ein ewiges Kind, ein immer noch Werdendes, nie Fertiges, das unserer steten Achtsamkeit bedarf. (…) Der Weg wird angeordnet durch das Selbst im Symbol des göttlichen Kindes, das durch eine besondere Geburt und aussergewöhnliche Eigenschaften in unseren Träumen erscheint. Diese bewusste Begegnung mit einem inneren Du ermöglicht uns die Erfahrung, Vertrauende zu sein und zu werden.“ (Ute Karin Höllrigl, http://www.zentrum-spiritualitaet.ch/start/images/2018.01.17.A5ds.pdf) Statt ausschließlich auf das göttliche Kind zu rekurrieren (allerdings wird im zweiten der Geistlichen Lieder Jesus als das göttliche Kind gepriesen!) ist es vermutlich angebracht, ebenfalls die Neuentdeckung des Kindes in der Romantik zu beachten: „Das Kindheitsbild der Romantik speist sich aus Ideen Rousseaus: Das Kind sei der bessere Mensch, ein Wesen, das im moralischen Sinne von sich aus gut ist. Das Kind lebt – laut Rousseau – in einem arkadischen Paradies und ist frei von den Deformationen der Welt der Erwachsenen.“ (https://www.deutschlandfunkkultur.de/zum-zweiten-mal-ein-kind-die-entdeckung-der-kindheit-in-der.3780.de.html?dram:article_id=463568) Die Worte des Kindes an das Ich stehen in (8); es kündet eine Wende an, „[d]ann wirst du wieder froh“. Eine erste Wirkung der Worte ist die stille Rührung des Ichs (9), ohne dass es verstände, wozu es vom Kind eine Rute bekommen hat (8 und 10).

Darauf sah das Ich einen grünen Glanz (Ende 10), ein Zeichen für den endgültigen Umschwung: Der Glanz kam von der Schlangenkönigin, deren Krönchen funkelte (11 und 12); ihr Scheinen, ihr wunderbarer Glanz, das Goldene weisen sie als Wesen des göttlichen Bereichs aus. Das Ich näherte sich der Schlange und berührte sie mit seiner Rute („Zweig“), „So wunderbarerweise / Ward ich unsäglich reich.“ (13) Leider bleibt offen, worin der von der Schlangenkönigin gewährte Reichtum besteht – vielleicht ist er auch (weil göttlich) so überaus groß, dass man ihn nicht beschreiben kann.

Das Tier, hier die Schlange ist im Märchen eine große Helferfigur, welche außer- oder übermenschliche Hilfe gewährt. Auch in „Der goldene Topf“ erfolgt am Schluss eine Begegnung mit der Schlangenkönigin (s. letzter Link); der Rückgriff auf ein Märchenmotiv ist typisch für die romantische Dichtung.

https://de.wikipedia.org/wiki/Novalis

https://www.deutschlandfunk.de/novalis-die-romantisierung-der-welt.886.de.html?dram:article_id=295453 (Novalis)

https://www.symbolonline.de/index.php?title=Kind,_g%C3%B6ttliches (Symbol: das göttliche Kind)

https://de.wikipedia.org/wiki/Romantische_Anthropologie (sehr knapp)

https://edoc.hu-berlin.de/bitstream/handle/18452/6340/schmaus.pdf?sequence=1 (Die romantische Idee des Kindes)

https://sgipt.org/galerie/tier/schlang/schl_kult.htm (Schlange: Symbol)

https://www.symbolonline.de/index.php?title=Schlange (dito)

https://www.planet-wissen.de/natur/reptilien_und_amphibien/schlangen/pwieschlangenmystikschlangenhabenvielegesichter100.html (dito)

https://www.bibelwissenschaft.de/wibilex/das-bibellexikon/lexikon/sachwort/anzeigen/details/schlange-1/ch/999994afe4902dbe51e469939be5cc03/ (dito)

http://www.maerchenatlas.de/miszellaneen/marchenfiguren/die-schlange-im-maerchen/ (Schlange im Märchen)

Novalis: Walzer – Text und Analyse

Novalis: Walzer

Hinunter die Pfade des Lebens gedreht
Pausiert nicht, ich bitt euch so lang es noch geht
Drückt fester die Mädchen ans klopfende Herz
Ihr wißt ja wie flüchtig ist Jugend und Scherz.

Laßt fern von uns Zanken und Eifersucht sein
Und nimmer die Stunden mit Grillen entweihn
Dem Schutzgeist der Liebe nur gläubig vertraut
Es findet noch jeder gewiß eine Braut.

Ein lyrisches Ich wendet sich mit einer Reihe von Aufforderungen an andere, die direkt angesprochen werden (V. 2) und zu denen es selbst auch gehört (s. „uns“, V. 5); es sind die Gleichaltrigen angesprochen, die wie er selber in der „Jugend“ (V. 4) stehen. Offensichtlich spricht das männliche Ich nur zu anderen jungen Männern, wie aus seiner dritten Aufforderung („Drückt fester die Mädchen…“, V. 3) und der Begründung in V. 8 hervorgeht. Die ersten drei Aufforderungen, sich frisch ins Leben zu stürzen (V. 1-3), werden mit dem Hinweis auf die Flüchtigkeit der Jugendzeit begründet (V. 4) und sind vom Tenor „Freut euch des Lebens!“ getragen. Diesem Tenor wird das flotte Sprechen im Walzertakt, auch Daktylus genannt, gerecht.

„Hinunter die Pfade des Lebens gedreht“ (V. 1) ist energisch gesprochen; das Partizip II hat den Wert eines Imperativs, ihm folgen auch zwei Imperative (Pausiert nicht, V. 2; Drückt, V. 3). Die Pfade des Lebens hinunterdrehen, das ist eine nicht leicht zu entschlüsselnde Metapher. Das Verb „hinunterdrehen“ war zu Novalis‘ Zeit ungebräuchlich; es findet sich weder im Wörterbuch von Adelung noch im Deutschen Wörterbuch der Brüder Grimm. Man kann es vom Titel „Walzer“ her entschlüsseln: Die Pfade des Lebens sollen nicht begangen oder abgeschritten, sondern eben flott im Walzer hinuntergedreht werden. Dahinter steht die Vorstellung, dass es von der Höhe der Jugend aus abwärts geht (vgl. V. 4) und dass man diesen Weg am besten leichten Herzens im Walzertakt bewältigt. Im Walzertakt spricht auch das lyrische Ich zu seinen Altersgenossen: In jedem Vers folgen auf einen Auftakt drei Daktylen plus einer betonten Silbe, wodurch in Verbindung zum nächsten Auftakt eine kleine Pause entsteht, da zum ganzen dreisilbigen Walzertakt eine Silbe fehlt.

Es folgt die zweite Aufforderung: „Pausiert nicht“, in diesem Drehen, ist zu ergänzen; die Parenthese „ich bitt euch“ füllt den Vers 2; die Zeitangabe „so lang es noch geht“ hat einen kausalen Unterton, sie entspricht der expliziten Begründung in Vers 4, einem Topos der gängigen Lebensweisheit. Die dritte Aufforderung ist im Ton etwas kecker: „Drückt fester die Mädchen [beim Tanzen, N.T.] ans klopfende Herz“ (V. 3); warum das Herz der Tänzer klopft, wird nicht gesagt – vielleicht weil die Bewegung den Kreislauf in Schwung bringt, vielleicht weil die körperliche Nähe eines Mädchens aufregend ist. Und wenn man sie fester ans Herz drückt, spürt man ihren Körper deutlicher.

Die bereits genannte Begründung der drei Aufforderungen folgt in Vers 4. Die einleitende Formel „Ihr wißt ja“ verweist darauf, dass der Sprecher sich auf geläufiges Wissen bezieht, das offenbar unbestritten gilt: Die Jugendzeit geht schnell vorbei; seine Folgerung daraus besagt, dass man sie intensiv erleben muss, „so lang es noch geht“ (V. 2).

Die vier Verse sind im Paarreim verbunden; die Reime verbinden je zwei Verse sinnvoll, das fröhliche Drehen und Tanzen in der kurzen Jugendzeit (V. 1 f., ebenso V. 3 f.). Die Reimwörter treten dabei hinter dem Vers, den sie abschließen, zurück; „Herz / Scherz“ (V. 3 f.) kann als gängiges Paar gelten. Auch in der zweiten Strophe ist der Paarreim das Mittel, die Verse zu verbinden, und zwar wieder die ganzen Verse, nicht aber die reimenden Wörter: Bitte keine Unstimmigkeiten (V. 5 f.), voll Zuversicht in Liebesfragen sein (V. 7 f.).

Diese beiden Mahnungen oder Bitten, welche die zweite Strophe ausmachen, schließen sich an Erfahrungen an, die man beim Tanzen machen kann: „Zanken und Eifersucht“ (V. 5) kommen schnell auf, wenn ein anderer eine bessere Tänzerin, ein hübscheres Mädchen im Arm hält (und an sein klopfendes Herz drückt, V. 3); deshalb hat der Sprecher Anlass zu bitten, sich von solchen kleinen Eifersüchteleien nicht die Freude des Tanzens verderben zu lassen – das seien nur „Grillen“, welche die gehobene Stimmung „entweihn“ (V. 6). Nach Adelung ist die Grille „eine mühsame mit Nachdenken verbundene Beschäftigung des Gemüthes“, enger gefasst: „mühsame Gedanken und Vorstellungen ohne Nutzen“. „In noch engerer Bedeutung sagt man, doch nur im Plural, im gemeinen Leben und der vertraulichen Sprechart von jemanden, er habe Grillen, oder er mache Grillen, wenn er tiefsinnigen verdrießlichen Gedanken nachhängt, wenn er mürrisch, verdrießlich, eigensinnig ist, und diesen Zustand seines Gemüthes äußerlich merken lässet (…).“ Durch das Verb „entweihen“ wird den Stunden des Tanzens eine beinahe religiöse Bedeutung zuerkannt: Tanzen ist dem Alltag enthoben, ist eine Feier des Lebens, die man nicht durch Grillen zerstören soll.

Die beiden letzten Verse liefern die Begründung dafür, dass solche Grillen Unsinn sind: Der Schutzgeist der Liebe sorge dafür, dass schließlich jeder eine Braut findet, weshalb man einem anderen sein Mädchen nicht zu neiden braucht (V. 7 f.). Der Schutzgeist (V. 7) ist so etwas wie ein Schutzengel, „ein Engel, welchem von Gott der besondere Schutz eines Landes, eines Ortes oder einer Person anvertrauet worden, dergleichen von einigen auch in der christlichen Religion angenommen werden“ (Adelung). Wenn es einen Schutzgeist der Liebe gibt, dann ist auch klar, wieso die genannten Grillen die Freuden des Tanzens entweihen (V. 6). Vielleicht stammt die Idee des Schutzgeistes vom römischen Genius, dem persönlichen Schutzgeist eines Menschen, einer Gemeinschaft oder eines Ortes; hier kann die Rede vom Schutzgeist aber rein metaphorisch gemeint sein als Möglichkeit, die Bedeutung der Liebe für ein gelingendes Leben zu bezeichnen. Diesem Schutzgeist gläubig zu vertrauen – eigentlich ein religiöser Akt – ist gefordert, weil der Schutzgeist für das Gelingen sorgen wird. – Die Vorstellungen der Liebe sind schon im Sturm und Drang, speziell bei Schiller in religiösen Vokabeln formuliert, so von Ferdinand in „Kabale und Liebe“.

Mit dem letzten Vers wird das Walzer-Tanzen als eine Form des Liebesspiels gedeutet, das für Männer darauf hinausläuft, eine Braut zu finden. Eine Braut ist „eine verlobte Person weiblichen Geschlechtes, und in engerer Bedeutung, eine solche Person am Tage der Hochzeit“ (Adelung). Die Hochzeit ist ein Fest, ein hohes Fest, in enger und der „einzigen noch üblichen Bedeutung, der feyerliche Tag der ehelichen Verbindung zwischen zwey Personen, und besonders das deßhalb angestellte Gastmahl“ (Adelung). Und in diesem Zusammenhang ist das Walzertanzen selbst der Akt, in dem man das Fest des Lebens feiert. – Das Gedicht ist in der Tennstedter Zeit (1794/97) entstanden.

Etwa zur gleichen Zeit wie Novalis hat Schiller sein Gedicht „Der Tanz“ geschrieben und in ihm das große Weltgesetz erkannt; Novalis kannte Schiller persönlich – ob sich das im Gedicht „Walzer“ (oder in Schillers „Der Tanz“) ausgewirkt hat, kann ich nicht beurteilen. Einfach schön ist hundert Jahre später Morgensterns Gedicht „Der Tanz“.

https://de.wikipedia.org/wiki/Novalis

https://www.deutschlandfunk.de/novalis-die-romantisierung-der-welt.886.de.html?dram:article_id=295453

Poesie – ihr Wesen, ihre Kraft (Romantik)

Heinrich von Ofterdingen ist dabei, ein Dichter zu werden. Im zweiten Kapitel des Romans (1802) wird erzählt, wie die Kaufleute ihn über die Poesie belehren:

Es dünkt uns, ihr habt Anlage zum Dichter. Ihr sprecht so geläufig von den Erscheinungen eures Gemüths, und es fehlt Euch nicht an gewählten Ausdrücken und passenden Vergleichungen. Auch neigt Ihr Euch zum Wunderbaren, als dem Elemente der Dichter.

Ich weiß nicht, sagte Heinrich, wie es kommt. Schon oft habe ich von Dichtern und Sängern sprechen gehört, und habe noch nie einen gesehn. Ja, ich kann mir nicht einmal einen Begriff von ihrer sonderbaren Kunst machen, und doch habe ich eine große Sehnsucht davon zu hören. Es ist mir, als würde ich manches besser verstehen, was jetzt nur dunkle Ahndung in mir ist. Von Gedichten ist oft erzählt worden, aber nie habe ich eins zu sehen bekommen, und mein Lehrer hat nie Gelegenheit gehabt Kenntnisse von dieser Kunst einzuziehn. Alles, was er mir davon gesagt, habe ich nicht deutlich begreifen können. Doch meynte er immer, es sey eine edle Kunst, der ich mich ganz ergeben würde, wenn ich sie einmal kennen lernte. In alten Zeiten sey sie weit gemeiner gewesen, und habe jedermann einige Wissenschaft davon gehabt, jedoch Einer vor dem Andern. Sie sey noch mit andern verlohrengegangenen herrlichen Künsten verschwistert gewesen. Die Sänger hätte göttliche Gunst hoch geehrt, so daß sie begeistert durch unsichtbaren Umgang, himmlische Weisheit auf Erden in lieblichen Tönen verkündigen können.

Die Kaufleute sagten darauf: Wir haben uns freylich nie um die Geheimnisse der Dichter bekümmert, wenn wir gleich mit Vergnügen ihrem Gesange zugehört. Es mag wohl wahr seyn, daß eine besondere Gestirnung dazu gehört, wenn ein Dichter zur Welt kommen soll; denn es ist gewiß eine recht wunderbare Sache mit dieser Kunst. Auch sind die andern Künste gar sehr davon unterschieden, und lassen sich weit eher begreifen. Bey den Mahlern und Tonkünstlern kann man leicht einsehn, wie es zugeht, und mit Fleiß und Geduld läßt sich beydes lernen. Die Töne liegen schon in den Saiten, und es gehört nur eine Fertigkeit dazu, diese zu bewegen um jene in einer reitzenden Folge aufzuwecken. Bey den Bildern ist die Natur die herrlichste Lehrmeisterin. Sie erzeugt unzählige schöne und wunderliche Figuren, giebt die Farben, das Licht und den Schatten, und so kann eine geübte Hand, ein richtiges Auge, und die Kenntniß von der Bereitung und Vermischung der Farben, die Natur auf das vollkommenste nachahmen. Wie natürlich ist daher auch die Wirkung dieser Künste, das Wohlgefallen an ihren Werken, zu begreifen. Der Gesang der Nachtigall, das Sausen des Windes, und die herrlichen Lichter, Farben und Gestalten gefallen uns, weil sie unsere Sinne angenehm beschäftigen; und da unsere Sinne dazu von der Natur, die auch jenes hervor bringt, so eingerichtet sind, so muß uns auch die künstliche Nachahmung der Natur gefallen. Die Natur will selbst auch einen Genuß von ihrer großen Künstlichkeit haben, und darum hat sie sich in Menschen verwandelt, wo sie nun selber sich über ihre Herrlichkeit freut, das Angenehme und Liebliche von den Dingen absondert, und es auf solche Art allein hervorbringt, daß sie es auf mannichfaltigere Weise, und zu allen Zeiten und allen Orten haben und genießen kann. Dagegen ist von der Dichtkunst sonst nirgends äußerlich etwas anzutreffen. Auch schafft sie nichts mit Werkzeugen und Händen; das Auge und das Ohr vernehmen nichts davon: denn das bloße Hören der Worte ist nicht die eigentliche Wirkung dieser geheimen Kunst. Es ist alles innerlich, und wie jene Künstler die äußern Sinne mit angenehmen Empfindungen erfüllen, so erfüllt der Dichter das inwendige Heiligthum des Gemüths mit neuen, wunderbaren und gefälligen Gedanken. Er weiß jene geheimen Kräfte in uns nach Belieben zu erregen, und giebt uns durch Worte eine unbekannte herrliche Welt zu vernehmen. Wie aus tiefen Höhlen steigen alte und künftige Zeiten, unzählige Menschen, wunderbare Gegenden, und die seltsamsten Begebenheiten in uns herauf, und entreißen uns der bekannten Gegenwart. Man hört fremde Worte und weiß doch, was sie bedeuten sollen. Eine magische Gewalt üben die Sprüche des Dichters aus; auch die gewöhnlichen Worte kommen in reizenden Klängen vor, und berauschten die festgebannten Zuhörer.

Ihr verwandelt meine Neugierde in heiße Ungeduld, sagte Heinrich. Ich bitte euch, erzählt mir von allen Sängern, die ihr gehört habt. Ich kann nicht genug von diesen besondern Menschen hören. Mir ist auf einmal, als hätte ich irgendwo schon davon in meiner tiefsten Jugend reden hören, doch kann ich mich schlechterdings nichts mehr davon entsinnen. Aber mir ist das, was ihr sagt, so klar, so bekannt, und ihr macht mir ein außerordentliches Vergnügen mit euren schönen Beschreibungen.

Wir erinnern uns selbst gern, fuhren die Kaufleute fort, mancher frohen Stunden, die wir in Welschland, Frankreich und Schwaben in der Gesellschaft von Sängern zugebracht haben, und freuen uns, daß ihr so lebhaften Antheil an unsern Reden nehmet. Wenn man so in Gebirgen reist, spricht es sich mit doppelter Annehmlichkeit, und die Zeit vergeht spielend. Vielleicht ergötzt es euch einige artige Geschichten von Dichtern zu hören, die wir auf unsern Reisen erfuhren. Von den Gesängen selbst, die wir gehört haben, können wir wenig sagen, da die Freude und der Rausch des Augenblicks das Gedächtniß hindert viel zu behalten, und die unaufhörlichen Handelsgeschäfte manches Andenken auch wieder verwischt haben.

In alten Zeiten muß die ganze Natur lebendiger und sinnvoller gewesen seyn, als heut zu Tage. Wirkungen, die jetzt kaum noch die Thiere zu bemerken scheinen, und die Menschen eigentlich allein noch empfinden und genießen, bewegten damals leblose Körper; und so war es möglich, daß kunstreiche Menschen allein Dinge möglich machten und Erscheinungen hervorbrachten, die uns jetzt völlig unglaublich und fabelhaft dünken. So sollen vor uralten Zeiten in den Ländern des jetzigen Griechischen Kaiserthums, wie uns Reisende berichtet, die diese Sagen noch dort unter dem gemeinen Volke angetroffen haben, Dichter gewesen seyn, die durch den seltsamen Klang wunderbarer Werkzeuge das geheime Leben der Wälder, die in den Stämmen verborgenen Geister aufgeweckt, in wüsten, verödeten Gegenden den todten Pflanzensaamen erregt, und blühende Gärten hervorgerufen, grausame Thiere gezähmt und verwilderte Menschen zu Ordnung und Sitte gewöhnt, sanfte Neigungen und Künste des Friedens in ihnen rege gemacht, reißende Flüsse in milde Gewässer verwandelt, und selbst die todtesten Steine in regelmäßige tanzende Bewegungen hingerissen haben. Sie sollen zugleich Wahrsager und Priester, Gesetzgeber und Ärzte gewesen seyn, indem selbst die höhern Wesen durch ihre zauberische Kunst herabgezogen worden sind, und sie in den Geheimnissen der Zukunft unterrichtet, das Ebenmaß und die natürliche Einrichtung aller Dinge, auch die innern Tugenden und Heilkräfte der Zahlen, Gewächse und aller Kreaturen, ihnen offenbart. Seitdem sollen, wie die Sage lautet, erst die mannichfaltigen Töne und die sonderbaren Sympathien und Ordnungen in die Natur gekommen seyn, indem vorher alles wild, unordentlich und feindselig gewesen ist. Seltsam ist nur hiebey, daß zwar diese schönen Spuren, zum Andenken der Gegenwart jener wohlthätigen Menschen, geblieben sind, aber entweder ihre Kunst, oder jene zarte Gefühligkeit der Natur verlohren gegangen ist. In diesen Zeiten hat es sich unter andern einmal zugetragen, daß einer jener sonderbaren Dichter oder mehr Tonkünstler – wiewohl die Musik und Poesie wohl ziemlich eins seyn mögen und vielleicht eben so zusammen gehören, wie Mund und Ohr, da der erste nur ein bewegliches und antwortendes Ohr ist – daß also dieser Tonkünstler übers Meer in ein fremdes Land reisen wollte. Er war reich an schönen Kleinodien und köstlichen Dingen, die ihm aus Dankbarkeit verehrt worden waren. Er fand ein Schiff am Ufer, und die Leute darinn schienen bereitwillig, ihn für den verheißenen Lohn nach der verlangten Gegend zu fahren. Der Glanz und die Zierlichkeit seiner Schätze reizten aber bald ihre Habsucht so sehr, daß sie unter einander verabredeten, sich seiner zu bemächtigen, ihn ins Meer zu werfen, und nachher seine Habe unter einander zu vertheilen. Wie sie also mitten im Meere waren, fielen sie über ihn her, und sagten ihm, daß er sterben müsse, weil sie beschlossen hätten, ihn ins Meer zu werfen. Er bat sie auf die rührendste Weise um sein Leben, bot ihnen seine Schätze zum Lösegeld an, und prophezeyte ihnen großes Unglück, wenn sie ihren Vorsatz ausführen würden. Aber weder das eine, noch das andere konnte sie bewegen: denn sie fürchteten sich, daß er ihre bösliche That einmal verrathen möchte. Da er sie nun einmal so fest entschlossen sah, bat er sie ihm wenigstens zu erlauben, daß er noch vor seinem Ende seinen Schwanengesang spielen dürfe, dann wolle er mit seinem schlichten hölzernen Instrumente, vor ihren Augen freywillig ins Meer springen. Sie wußten recht wohl, daß wenn sie seinen Zaubergesang hörten, ihre Herzen erweicht, und sie von Reue ergriffen werden würden; daher nahmen sie sich vor, ihm zwar diese letzte Bitte zu gewähren, während des Gesanges aber sich die Ohren fest zu verstopfen, daß sie nichts davon vernähmen, und so bey ihrem Vorhaben bleiben könnten. Dies geschah. Der Sänger stimmte einen herrlichen, unendlich rührenden Gesang an. Das ganze Schiff tönte mit, die Wellen klangen, die Sonne und die Gestirne erschienen zugleich am Himmel, und aus den grünen Fluten tauchten tanzende Schaaren von Fischen und Meerungeheuern hervor. Die Schiffer standen feindselig allein mit festverstopften Ohren, und warteten voll Ungeduld auf das Ende des Liedes. Bald war es vorüber. Da sprang der Sänger mit heitrer Stirn in den dunkeln Abgrund hin, sein wunderthätiges Werkzeug im Arm. Er hatte kaum die glänzenden Wogen berührt, so hob sich der breite Rücken eines dankbaren Unthiers unter ihm hervor, und es schwamm schnell mit dem erstaunten Sänger davon. Nach kurzer Zeit hatte es mit ihm die Küste erreicht, nach der er hingewollt hatte, und setzte ihn sanft im Schilfe nieder. Der Dichter sang seinem Retter ein frohes Lied, und ging dankbar von dannen. Nach einiger Zeit ging er einmal am Ufer des Meers allein, und klagte in süßen Tönen über seine verlohrenen Kleinode, die ihm, als Erinnerungen glücklicher Stunden und als Zeichen der Liebe und Dankbarkeit so werth gewesen waren. Indem er so sang, kam plözlich sein alter Freund im Meere fröhlich daher gerauscht, und ließ aus seinem Rachen die geraubten Schätze auf den Sand fallen. Die Schiffer hatten, nach des Sängers Sprunge, sich sogleich in seine Hinterlassenschaft zu theilen angefangen. Bey dieser Theilung war Streit unter ihnen entstanden, und hatte sich in einen mörderischen Kampf geendigt, der den Meisten das Leben gekostet; die wenigen, die übrig geblieben, hatten allein das Schiff nicht regieren können, und es war bald auf den Strand gerathen, wo es scheiterte und unterging. Sie brachten mit genauer Noth das Leben davon, und kamen mit leeren Händen und zerrissenen Kleidern ans Land, und so kehrten durch die Hülfe des dankbaren Meerthiers, das die Schätze im Meere aufsuchte, dieselben in die Hände ihres alten Besitzers zurück.

(http://www.zeno.org/Literatur/M/Novalis/Romane/Heinrich+von+Ofterdingen/Erster+Theil%3A+Die+Erwartung/Zweytes+Kapitel)

Atlantis – das Märchen in „Heinrich von Ofterdingen“

Atlantis

Die Kaufleute erzählen Heinrich eine Geschichte (in Novalis: Heinrich von Ofterdingen, 1802, Erster Teil, Drittes Kapitel):

Ein alter König, dessen Frau verstorben war, lebte glücklich in seinem Reich. Seine ganze Liebe galt seiner einzigen Tochter und der Dichtkunst. Viele Sänger kamen an seinen Hof, deren Lieder die Seele der Prinzessin erfüllten. Streit und Missgunst gab es im Land nicht. Nur eine Sorge hatten seine Bewohner: ob es überhaupt einen Prinzen geben könnte, der der schönen Königstochter würdig wäre. Erst recht war der König selber überzeugt, dass nur ein Mann vornehmster Herkunft als Schwiegersohn in Frage käme.

Nahe der Hauptstadt lebte nun ein alter Mann, der seinen einzigen Sohn in der Wissenschaft von der Natur unterrichtete. Eines Tages kam die Prinzessin auf einem Spaziergang zu ihrem Hof und bat um ein Glas Milch; sowohl das Haus wie die beiden Männer gefilen ihr und sie bat um die Erlaubnis, sie wieder besuchen zu dürfen. Dann ging sie nach Hause, ohne ihre Herkunft verraten zu haben. Sowohl der Jüngling wie das Mädchen waren von der Begegnung zutiefst beeindruckt; die Prinzessin fühlte sich, als sei sie in eine überirdische Welt versetzt worden.

Der junge Mann hatte sich am Abend noch in den Wald begeben, wo er einen roten Stein fand, einen Karfunkel; er erinnerte sich, dass das Mädchen ihn in einer Kette getragen hatte. Er schrieb ein Gedicht auf einen Zettel, in den er den Stein einwickelte, um ihn am anderen Morgen seiner Besitzerin in der Stadt zu bringen. Die Prinzessin, die den Verlust bemerkt hatte, machte sich am nächsten Morgen ebenfalls auf, um ihren Stein zu suchen. Als sie sich trafen, überreichte er ihr den Stein, während sie ihm zum Dank ihre goldene Kette um den Hals hängte. Er war zutiefst betroffen; sie verabschiedeten sich und die Prinzessin versprach, ihn bald wieder zu besuchen, um von seinem Vater in die Kenntnis der Natur eingeweiht zu werden.

Bald kam sie wieder, und ihre Besuche hörten seitdem nicht mehr auf; sie sang auf ihrer Laute, er unterrichtete sie in den Geheimnissen der Natur. Eines Tages, als er sie auf dem Rückweg ein Stück begleitete, wurde ihre Liebe so stark, dass sie sich küssten. Bald kam ein Unwetter auf, vor dem sie sich in eine Höhle retten konnten. Dort kamen sie einander immer näher und vereinigten sich in Liebe. Sie beschlossen, im Haus des Jünglings eine Wohnung für sich einzurichten, und lebten von da an als Mann und Frau.

In der Stadt war der König von Sorge um seine Tochter gequält; er bereute es, alle Bewerber um sie für gering geachtet zu haben. In der Stadt aber hielt sich das Gerücht, die Prinzessin werde wiederkehren. Am Jahrestag ihres Verschwindens, einem heiteren Sommertag, feierte man am Hof wieder; die Dichter trugen ihre Lieder vor, aber der König war von Wehmut erfüllt. Da kam ein Jüngling, der ein wunderbares Lied vortrug. Es handelte vom Ursprung der Welt und aller Lebewesen, von der Sympathie der Natur und der goldenen alten Zeit, von der Erscheinung des Hasses und dem künftigen Triumph der Liebe und der Poesie; alle waren beeindruckt. Dann trug er ein zweites Lied vor, in dem er in Bildern sein eigenes Geschick besang. Währenddessen kam ein alter Mann mit einer verschleierten jungen Frau, die ein kleines Kind trug. Die beiden letzten Strophen lauteten so:

Der Liebe weicht und dem Gesange

Auch auf dem Thron ein Vaterherz,

Und wandelt bald in süßem Drange

Zu ewger Lust den tiefen Schmerz.

Die Liebe giebt, was sie entrissen,

Mit reichem Wucher bald zurück,

Und unter den Versöhnungsküssen

Entfaltet sich ein himmlisch Glück.

*

Geist des Gesangs, komm du hernieder,

Und steh auch jetzt der Liebe bey;

Bring die verlorne Tochter wieder,

Daß ihr der König Vater sey! –

Daß er mit Freuden sie umschließet,

Und seines Enkels sich erbarmt,

Und wenn das Herz ihm überfließet,

Den Sänger auch als Sohn umarmt.

Dann lüftete er den Schleier der Frau, die Prinzessin fiel ihrem Vater zu Füßen und hielt ihm ihr Kind hin. Der König hob sie und ihren Mann auf und reichte das Kind, das man ihm gab, dem Himmel entgegen, worauf er auch den Alten begrüßte. „Unendliche Freudenthränen flossen. In Gesänge brachen die Dichter aus, und der Abend ward ein heiliger Vorabend dem ganzen Lande, dessen Leben fortan nur Ein schönes Fest war. Kein Mensch weiß, wo das Land hingekommen ist. Nur in Sagen heißt es, daß Atlantis von mächtigen Fluten den Augen entzogen worden sey.“

(http://www.zeno.org/Literatur/M/Novalis/Romane/Heinrich+von+Ofterdingen/Erster+Theil%3A+Die+Erwartung/Drittes+Kapitel)