Herwegh / Preußen

Herweghs Verhältnis zu Preußen ist ambivalent und von der Enttäuschung geprägt, mit der er den Besuch beim preußischen König (1842, bald darauf Ausweisung aus Preußen) erlebt hat:

An den König von Preußen“ (1841): Herwegh hat noch Hoffnung, dass der König die Deutschen einen könnte, https://www.zgedichte.de/gedichte/georg-herwegh/an-den-koenig-von-preussen.html

Die drei Zeichen“ (1842): Herwegh äußert sich voller Begeisterung über die Vollendung des Kölner Doms (und damit indirekt positiv über Preußen, dessen König den Bau finanziert), https://deutsche-poesie.com/herwegh/die-drei-zeichen/

Epilog zum Kriege“ (nach 1870): vernichtende Kritik an Preußens Machtpolitik, https://deutsche-poesie.com/herwegh/epilog-zum-kriege/

Zwei Preußenlieder“ (???): Kritik am Absolutismus, https://gedichte.xbib.de/Herwegh_gedicht_Zwei+Preussenlieder.htm

Die Auseinandersetzung mit Preußen geht also weit über den Vormärz hinaus.

Heinrich Heine hat im Gedicht „Georg Herwegh“ dessen naive Hoffnung auf die persönliche Aussprache mit dem König von Preußen (1842) aufs Korn genommen.

G. Herwegh: Das Lied vom Hasse – Text und Analyse

Georg Herwegh: Das Lied vom Hasse (1841)

Wohlauf, wohlauf, über Berg und Fluss
Dem Morgenrot entgegen,
Dem treuen Weib den letzten Kuss,
Und dann zum treuen Degen!
Bis unsre Hand in Asche stiebt,
Soll sie vom Schwert nicht lassen;
Wir haben lang genug geliebt
Und wollen endlich hassen!

Die Liebe kann uns helfen nicht,
Die Liebe nicht erretten;
Halt du, o Hass, dein Jüngst Gericht,
Brich du, o Hass, die Ketten!
Und wo es noch Tyrannen gibt,
Die lasst uns keck erfassen;
Wir haben lang genug geliebt
Und wollen endlich hassen!

Wer noch ein Herz besitzt, dem soll‘s
Im Hasse nur sich rühren;
Allüberall ist dürres Holz,
Um unsre Glut zu schüren.
Die ihr der Freiheit noch verbliebt,
Singt durch die deutschen Straßen:
»Ihr habet lang genug geliebt,
O lernet endlich hassen!«

Bekämpfet sie ohn‘ Unterlass,
Die Tyrannei auf Erden,
Und
heiliger wird unser Hass
Als unsre Liebe werden.
Bis unsre Hand in Asche stiebt,
Soll sie vom Schwert nicht lassen;
Wir haben lang genug geliebt
Und wollen endlich hassen!

Das ist ein erstaunliches Gedicht aus der Sammlung „Gedichte eines Lebendigen“ (1841): Es ist ein Aufruf zum Hassen, direkt entgegen der seit Jahrhunderten in den Kirchen gepredigten Aufforderung zur Liebe, selbst zur Feindesliebe – es erinnert mich an den antichristlichen „Aufruf“: „Reißt die Kreuze aus der Erden!“ Es spricht ein Ich, das sich an eine Wir-Gemeinschaft wendet und sie zum Kampf und zum Hassen aufruft und wieder als Sprachrohr Herweghs gelten kann, wenn das Ich auch keineswegs mit dem Dichter Herwegh identisch ist – er hatte nämlich 1841 kein treues Weib, dem er den letzten Kuss hätte geben können (V. 3).

In der Ausgabe 1841 ist jeder zweite Vers eingerückt, so dass auch optisch sichtbar ist, was sich aus dem Satzbau ergibt: Jeweils zwei Verse bilden eine Einheit, was dem Sprechen angesichts der Jamben Tempo verleiht und der aufgeregten Kampfeslust des Ich entspricht, die sich auch in einer Vielzahl von Ausrufezeichen manifestiert (V. 4, V. 8, usw.). In jedem zweiten Vers fehlt eine Silbe (weibliche Kadenz), was eine kleine Pause im sonst ungehemmten Redefluss erfordert.

Mit einem doppelten Aufruf „Wohlauf“ kommt der Sprecher gleich zur Sache; „Berg und Fluss“ (V. 1) stehen für alle Hindernisse, die zu überwinden sind (wofür der Autor sogar eine Störung des Taktes in Kauf nimmt: „über“ hat eine Silbe zu viel). Zur Orientierung der Aufbrechenden soll das Morgenrot dienen (V. 2), das in der Nacht-Tag-Metaphorik den Beginn eines neuen Tages bezeichnet und so für die Hoffnung der Aufbrechenden steht. Der zweite Aufruf gilt den Waffen, die nach dem Abschiedskuss zu ergreifen sind (V. 3 f.) – der letzte Kuss ist wörtlich gemeint, wie sich aus V. 5 f. ergibt. Durch das Attribut „treu“ ist die eigene Frau mit dem Degen verbunden, was den Abschied von ihr erleichtern könnte. Es folgt ein weiterer Aufruf, der dem Kampf bis zum Endsieg gilt (V. 5 f.); „stieben“ ist hier nicht leicht zu verstehen, wohl aktivisch zu lesen: Staub aufwirbeln in der Asche der Häuser oder Städte, die man hat in Flammen aufgehen lassen – so lange soll gekämpft werden (V. 6). Es folgt eine radikale Begründung des militanten Aufrufs (V. 7 f.), die mit dem Kontrast „lieben – hassen“ spielt und nur aus der Verzweiflung des Sprechers verstanden werden kann: Die Unterdrückung durch den (nicht genannten) Feind ist so groß und grausam, dass jede Verständigung mit ihm, jeder Ausgleich unmöglich erscheint und der Hass sich im Kampf Bahn brechen muss. Damit wird jeder Aufruf zu Liebe und Verständigung zurückgewiesen: „lieben – hassen“ wird mit Vergangenheit („lang genug“) und Zukunft („endlich“) verbunden, wobei „endlich“ auch besagt, dass eine Erwartung erfüllt wird. Diese Begründung des Aufrufs bleibt jenseits aller politischen Analyse im Bereich bilanzierender Bewertung: Jetzt reicht es! Die Reime V. 2/4 bezeugen die Zuversicht des Aufbruchs, die von V. 6/8 die Kampfbereitschaft.

In der zweiten Strophe tut der erregte Sprecher kund, was er vom Hassen erwartet, hier zunächst an den kontrastierenden Nomina Liebe-Hass festgemacht: Der Sprecher wendet sich direkt an den personifizierten Hass und fordert ihn auf, sein Jüngstes Gericht zu halten und die Ketten zu brechen (V. 11 f.). Das ansonsten Gott vorbehaltene Jüngste Gericht ist, wenn es dem Hass übertragen wird, nur noch ein Tag der Rache und des Strafens – für die bisher Unterdrückten jedoch das Ende der Knechtschaft, für die metonymisch „die Ketten“ genannt werden. Zur Begründung wird eine doppelte Absage an die Liebe vorangeschickt (vorangestellt im Vers und deshalb betont; zweimal „kann … nicht“): Sie hat sich als hilflos erwiesen, so dass die einzige Hoffnung im Hassen liegt. Im zweiten Teil der zweiten Strophe wird wieder zum Kampf aufgerufen, diesmal konkreter gegen „Tyrannen“ (V. 13), und zwar gegen alle („Und wo es noch … gibt“, V. 13). Das Verb „erfassen“, hier des Reimes wegen gewählt, ist eine recht milde Bezeichnung der Behandlung, die man den Tyrannen angedeihen lassen will (vgl. V. 5 f.) und die aus dem Hassen entspringt. V. 15 f. ist die wörtliche Wiederholung von V. 7 f. (vgl. wieder V. 31 f.). Der Reim in V. 10/12 bindet Liebe und Hassen im Kontrast aneinander, der Reim in V. 14/16 handelt wieder vom Kampf gegen die Tyrannen. Wer die Tyrannen sind, ist im Vormärz allen Lesern klar: Es sind die Fürsten und Könige, welche ihre unumschränkte Herrschaft durch die Karlsbader Beschlüsse abgesichert haben.

Dem Herzen des Menschen wird normalerweise die Liebe zugeordnet, es kann auch hart oder weich sein. In der dritten Strophe wird es in einem erneuten Aufruf dagegen dem Hass verpflichtet (Modalverb „soll“, V. 17); damit wird die Gegenüberstellung Liebe-Hass aus der zweiten Strophe fortgeführt. Der Aufruf richtet sich anscheinend an solche Menschen (hier situationsbedingt: Männer), die noch nicht zur Wir-Gemeinschaft gehören: „Wer noch ein Herz besitzt…“ (V. 17) – an die Herzlosen braucht der Sprecher ohnehin keinen Gedanken zu verschwenden. Welche Funktion das folgende Bild vom dürren Holz und der Glut des Hasses (V. 19 f.) hat, ist nicht leicht auszumachen; am ehesten zeigt es, wie naheliegend und einfach es sei zu hassen; damit dient es als eine einfache metaphorische Begründung für den vorhergehenden Aufruf zum Hassen (V. 17 f.). Im zweiten Teil werden die wenigen Freiheitsfreunde im Land aufgefordert (Imperativ „singt“, V. 22), die versklavten Deutschen zum Hassen und damit zum Freiheitskampf aufzurufen (Imperativ „lernet“ mit dem Modalwort „endlich“, V. 24 es greift den Kontrast „lang genug – endlich“ aus V. 7 f. auf). Als Aufruf an Außenstehende wird der mehrfach wiederholte Schluss einer Strophe hier variiert, durch die Anrede „Ihr“ an die Fremden und den Imperativ an Stelle der Formel „Wir wollen…“ (V. 23 f.). Der Reim V. 18/20 verbindet das Hassen mit der zugehörigen Glut; der Reim V. 22/24 ist weniger zwingend, er verbindet die deutschen Straßen mit dem Ruf, der in ihnen erschallen soll. Die Reime der ungeraden Verse (V. 17/19, V. 21/23) sind wie in den übrigen Strophen Zufallsreime, denen man keine Bedeutung beimessen muss.

In der vierten Strophe wird noch einmal zum zum Kampf gegen die Tyrannei „auf Erden“ (V. 26), also auf der ganzen Erde aufgerufen, was aber nur formal rhetorisch eine Steigerung gegenüber dem Aufruf in V. 13 f. darstellt; dem folgt eine Verheißung, die dem Aufruf zum Hassen eine religiöse Weihe gibt: Der Hass werde heiliger „als unsre Liebe“ werden (V. 27 f., im Original gesperrt gedruckt, was ich durch ‚kursiv fett‘ dargestellt habe); das ist gegenüber der traditionellen religiösen Sprache eine Paradoxie, die ihr Recht einzig aus dem Freiheits- und Kampfpathos des Sprechers herleiten kann. Die zweite Hälfte der vierten Strophe ist gleich der zweiten Hälfte der ersten und rahmt so die erregten Äußerungen des Ich-Sprechers; die Wiederholung zeigt zugleich, dass von einem thematischen oder gedanklichen Fortschritt im Gedicht kaum die Rede sein kann – allenfalls der Kontrast Liebe-Hass und das Stichwort „Tyrannen“ führen in der zweiten Strophe noch über die erste hinaus; ansonsten wiederholt der Prophet des Hassens seine Aufrufe und hämmert sie so seinen Kampfgefährten ein. Um den Reim V. 26/28 zu würdigen, muss man die beiden ganzen Doppelverse heranziehen: Im Kampf gegen die Tyrannei wird der Hass der Kämpfer durch das Endziel der Freiheit geheiligt.

Wer hasst, fokussiert sich. Hass kann Energie freisetzen und Identität stiften. Doch dieses Gefühl erschafft nie etwas, ohne gleichzeitig zu zerstören.“ (ZEIT 4/2018) Dieses Zitat aus der ZEIT zeigt, worauf der Sprecher mit seinem Aufruf zum Hass hinaus will: die Kämpfer einen, die Tyrannen zerstören. Heute wird allüberall zum Kampf gegen Hass (im Internet etc.) aufgerufen; man muss lange suchen, bis man eine vernünftige Erklärung des Hasses findet: „Hass ist eine menschliche Emotion scharfer und anhaltender Antipathie und entsteht, wenn tiefe und lang andauernde Verletzungen nicht abgewehrt und/oder bestraft werden können. Hass ist in den meisten Fällen somit eine Kombination aus Vernunft und Gefühl, wobei die Vernunft das Ende der Verletzung und eine Bestrafung des Quälers fordert.“ [Stangl, W. (2020). Stichwort: ‚Hass‘. Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik. WWW: https://lexikon.stangl.eu/17226/hass/ (2020-06-26)]

Vielleicht ist der glücklich zu preisen, der am Ende so sprechen kann:

Lieben und Hassen, Hassen und Lieben,
Ist alles über mich hingegangen;
Doch blieb von allem nichts an mir hangen,
Ich bin der allerselbe geblieben.
“ (Heinrich Heine)

https://archive.org/details/bub_gb_UFJLAAAAMAAJ (Gedichte eines Lebendigen, 1841)

http://www.zeno.org/Literatur/M/Herwegh,+Georg/Gedichte/Lieder+eines+Lebendigen (Lieder eines Lebendigen, 1841 – falscher Titel)

https://nddg.de/dichter/657-Georg+Herwegh.html (Gedichte Herweghs)

Herwegh

http://ciml.250x.com/archive/literature/german/herwegh/georg_herwegh.html

https://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/127236126

https://www.swr.de/swr1/importe/migration/redaktion/download-swr-2752.pdf (Emma Herwegh)

Welches Ansehen Herwegh genoss, zeigt Robert E. Prutz‘ Gedicht Wilde, wilde Rosen.“ Seinem Georg Herwegh, September 1842 https://archive.org/details/bub_gb_OvoPAAAAYAAJ/page/n79/mode/2up

Vormärz

https://www.geschichte-abitur.de/restauration-und-vormarz/vormarz

https://www.inhaltsangabe.de/wissen/literaturepochen/vormaerz/

Sonstiges

https://de.wikipedia.org/wiki/Karlsbader_Beschl%C3%BCsse (Karlsbader Beschlüsse)

https://www.dhm.de/lemo/kapitel/vormaerz-und-revolution/deutscher-bund/karlsbader-beschluesse-1819.html (dito)

https://www.zeit.de/zeit-wissen/2018/04/emotionen-hass-gefuehl-empathie (Hass)

https://www.tagesspiegel.de/wissen/psychologie-hass-ein-ganz-normales-gefuehl/19539854.html (Hass, ein ganz normales Gefühl)

http://www.psychology48.com/deu/d/hass/hass.htm (Hass, psychologisch)

https://gedichte.xbib.de/Weinheber%2C+Josef_gedicht_0029.+HASS.htm (Gedicht „Hass“)

https://gedichte.xbib.de/Lasker-Sch%FCler_gedicht_Ungl%FCcklicher+Hass.htm (Gedicht „Unglücklicher Hass“)

G. Herwegh: Abschied – Text und Analyse

Georg Herwegh: Abschied

Lebwohl! was könnt‘ ich auch dir bieten?
Lebwohl! Lebwohl! mein ander‘ Herz!
In deiner Hütte schläft der Frieden,
Und in die Fremde irrt der Schmerz!

Du bist ein Weib! und eine Stütze
Suchst an dem Manne du für dich!
Du suchst ein Haupt, verschont vom Blitze,
Such‘ einen andern denn als mich!

Du könntest einen Zauber sprechen,
Und alle Himmel wären mein!
Doch müsste ich den Zauber brechen,
Weil deine Ruh der Preis würd‘ sein!

Lebwohl! ich werd‘ dir nicht mehr folgen!
Lebwohl! Lebwohl! ich ziehe gern!
Lebwohl! Lebwohl! rett‘ vor den Wolken
In deinen Himmel dich, mein Stern!

Dein Leben – dass es Gott beschütze –
Ein Maitag sei‘s im Morgenlicht,
Eh ihm der Sonne Glut und Hitze
Die Rosen von dem Haupte bricht!

Der Tod sei dir die Hippokrene,
Die jeden Durst der Seele stillt;
Willkommen wie die erste Träne,
Die erster Lieb‘ im Auge quillt!

Der Herr behüte dich in Gnaden!
Ein Wetter lagert sich um mich.
Es könnte endlich sich entladen
Und träfe dann auch dich, auch dich!

Ich will dir nicht den Frieden trüben!
Nimmt auch der Wahnsinn ganz mich ein;
Lebwohl! ich will dich ewig lieben
Und doch von dir geliebt nicht sein!

Erst im Kontext der „Gedichte eines Lebendigen“ versteht man dieses Gedicht, in dem ein Liebender den Abschied von seiner Geliebten nimmt, um der Liebe willen – und um des Freiheitskampfes willen, wie sich erst aus den anderen Gedichten ergibt. Das sprechende Ich ist ein Mann, der sich an eine geliebte Frau wendet („du“), im Moment des Abschieds. Er erklärt und begründet, warum er sich von ihr auf immer trennt, obwohl er sie liebt und obwohl ihn die Trennung schmerzt: Er kann und will ihr nicht das bieten, was sie braucht: Ruhe (V. 12), Frieden (V. 3, V. 29), eine Stütze im Leben (V. 5 f.). Deshalb sagt er ihr „Lebwohl!“ (sechsmal, V. 1 ff.), obwohl sie „mein ander Herz“ (V. 2) ist.

Warum das so ist, warum die Liebe nicht Erfüllung finden kann, wird in zwei Bildern ausgeführt. Das erste Bild ist das des Gewitters, welches den Sprecher bedroht: Blitze (V. 7), Wolken (V. 15), (bedrohliches) Wetter (V. 26) – wenn sich das Wetter entlüde, „träfe [es] dann auch dich, auch dich“ (V. 28); deshalb rät er der Geliebten, sich in ihren friedlichen Himmel zu retten (V. 15) – dem korrespondiert die bildhafte Anrede „mein Stern“ (V. 16). Das zweite Bild ist das des Maitages, dem das Leben der Frau (in seinem Wunsch) gleicht und der von „der Sonne Glut und Hitze“ bedroht ist (5. Strophe).

Der Sprecher ist aufgewühlt, von Schmerz gepeinigt (V. 4), von Wahnsinn bedroht (V. 30) – seine Äußerung ist zwar metrisch geordnet, aber gedanklich nicht. So wechseln mit den Begründungen für den Abschied seine guten Wünsche für die Geliebte, Ratschläge an sie und Blicke auf sich selbst. Beginnen wir mit dem Blick auf sie: Du bist eine Frau und suchst eine Stütze – suche deshalb einen anderen (2. Strophe); du könntest mich durch einen Zauber bannen (V. 9 f.) – aber ich müsste ihn brechen, weil er dich unglücklich machte (3. Strophe). Mit dem Blick auf sich sagt er: Dein Zauber würde mich beglücken (V. V. 10); doch ich werde dir nicht mehr folgen (V. 13, weil ich dir deinen Frieden nicht trüben will (V. 29) – dass er gern fortzieht (V. 14), passt nicht zu den Bekundungen des Schmerzes und der andauernden Liebe.

Er hat nur noch einige gute Wünsche für sie:

  • Rette dich vor dem über meinem Haupt drohenden Unwetter (V. 15 f.).
  • Dein Leben sei ein Maitag im Morgenlicht (5. Str.).
  • Gott behüte dich (V. 17 und V. 25).
  • Mein Tod bringe dir Frieden (6. Strophe).

Dieser letzte Wunsch ist nicht so klar ausgesprochen, wie ich ihn formuliert habe. Hippokrene ist im griechischen Mythos die Quelle, die das geflügelte Pferd Pegasus aus dem Berg Helikon losgetreten hat; sie ist dem Apoll und den Musen heilig, ihr Wasser begeistert zum Dichten. Nun ist „Der Tod“ (V. 21) völlig unbestimmt, doch kann angesichts des drohenden Unwetters nur sein Tod gemeint sein; er könnte ihr (s. „dir“, V. 21) den Durst der Seele nach dem verschwundenen Geliebten stillen, weil dann jede Hoffnung auf seine Wiederkehr verschwunden wäre. Sein Tod wäre ihr dann „[w]illkommen wie die erste Träne…“ (V. 23 f.) – ein etwas unglücklicher Vergleich, gerechtfertigt allein durch die letzten Tränen, die sie bei seinem Tod vergösse.

Den Höhepunkt bilden die Schlussverse:

Lebwohl! Ich will dich ewig lieg

Und doch von dir geliebt nicht sein!“ (V. 31 f.)

Dieser Verzicht auf ihre Liebe ist der höchste Ausdruck seiner Liebe – um ihrer Ruhe willen entsagt er ihrer Liebe – nur dass er sie nicht fragt, was sie zu seinem einsamen Entschluss sagt; das macht sein Liebesbekenntnis etwas fragwürdig. Es erinnert an Philines Wort zu Wilhelm (in „Wilhelm Meisters Lehrjahre“, 4. Buch, 9. Kap.): „und wenn ich dich lieb habe, was geht‘s dich an?“ Und doch gibt es einen Unterschied, weil in Herweghs Gedicht der Liebende offensichtlich aus einen bestehenden Liebesbindung um einer größeren Sache willen ausbricht. Ich meine, mich an ein ähnliches Wort aus einem Gedicht der Louise Labé zu erinnern, kann das aber nicht belegen.

Die acht Strophen weisen alle die gleiche metrische Form auf: Das Ich spricht im Jambus, vier Takte pro Vers; die vier Verse sind im Kreuzreim verbunden und weisen abwechselnd männliche und weibliche Kadenz auf, was eine Pause nach jedem zweiten und vierten Vers bedingt. Der Form gemäß sind vor allem die Reime der Verse 2/4 semantisch sinnvoll, weil manchmal der Satz nicht mit dem Versschluss endet; jedenfalls bilden jeweils zwei Verse eine gedankliche Einheit. Die Entsprechung fällt bei V. 6/8 ins Auge (einen Mann suchen), V. 10/12 (Kontrast: Himmel für mich / keine Ruhe für dich), V. 18/20 (Morgenlicht / Sonnenglut), V. 26/28 (das Unwetter), V. 30/32 (Wahnsinn / Grund: von dir getrennt).

Das Ich spricht zügig, wozu die Sinneinheit von je zwei Versen und der Jambus beiträgt; nur vier Nebensätze gibt es in den acht Strophen, sonst reiht sich Hauptsatz an Hauptsatz. „Hippokrene“, ein Anspielung auf den griechischen Mythos, passt nicht recht zum übrigen sprachlichen Niveau, das die Ebene gehobener Umgangssprache darstellt.

Das Gedicht berührt einen trotz einiger formaler Schwächen, weil es sich so stark von gängigen Liebesgedichten oder Liebesklagen unterscheidet. Kein Wunder, dass sich Emma Siegmund für den Dichter begeisterte und seine Nähe suchte; der gedichtete Liebesverzicht wurde durch das reale Leben konterkariert.

https://archive.org/details/bub_gb_UFJLAAAAMAAJ (Gedichte eines Lebendigen, 1841)

http://www.zeno.org/Literatur/M/Herwegh,+Georg/Gedichte/Lieder+eines+Lebendigen (Lieder eines Lebendigen, 1841 – falscher Titel)

https://gedichte.xbib.de/gedicht_Herwegh.htm (Gedichte Herweghs)

https://nddg.de/dichter/657-Georg+Herwegh.html (dito)

https://www.gedichte.com/gedichte/Georg_Herwegh (Gedichte Herweghs)

https://www.hs-augsburg.de/~harsch/germanica/Chronologie/19Jh/Herwegh/her_alph.html (dito)

https://www.youtube.com/watch?v=lv8KwGqf2vI (Die Liederarchäologen: Georg Herwegh – Geschichte in Liedern)

Georg Herwegh

https://literaturkritik.de/die-eiserne-lerche-und-deutschlands-erster-politischer-dichter-zum-200-geburtstag-von-georg-herwegh,23363.html

https://www.deutsche-biographie.de/sfz30395.html#ndbcontent

https://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Herwegh

http://ciml.250x.com/archive/literature/german/herwegh/georg_herwegh.html

spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/127236126

Welches Ansehen Herwegh genoss, zeigt Robert E. Prutz‘ Gedicht Wilde, wilde Rosen.“ Seinem Georg Herwegh, September 1842 https://archive.org/details/bub_gb_OvoPAAAAYAAJ/page/n79/mode/2up

Vormärz

https://www.geschichte-abitur.de/restauration-und-vormarz/vormarz

https://www.lernhelfer.de/schuelerlexikon/deutsch/artikel/vormaerz-und-junges-deutschland

https://www.inhaltsangabe.de/wissen/literaturepochen/vormaerz/

Sonstiges

https://de.wikipedia.org/wiki/Karlsbader_Beschl%C3%BCsse (Karlsbader Beschlüsse)

https://www.dhm.de/lemo/kapitel/vormaerz-und-revolution/deutscher-bund/karlsbader-beschluesse-1819.html (dito)

G. Herwegh: Protest – Text und Analyse

Georg Herwegh: Protest

Solang ich noch ein Protestant,
Will ich auch protestieren,
Und jeder deutsche Musikant
Soll‘s weiter musizieren!
Singt alle Welt: Der freie Rhein!
So sing‘ doch ich: Ihr Herren, nein!
Der Rhein, der Rhein könnt‘ freier sein –
So will ich protestieren.

Kaum war die Taufe abgetan,
Ich kroch noch auf den Vieren,
Da fing ich schon voll Glaubens an,
Mit Macht zu protestieren,
Und protestiere fort und fort,
O Wort, o Wind, o Wind, o Wort,
O selig sind, die hier und dort,
Die ewig protestieren.

Nur eins ist not, dran halt‘ ich fest
Und will es nit verlieren,
Das ist mein christlicher Protest,
Mein christlich Protestieren.
Was geht mich all das Wasser an
Vom Rheine bis zum Ozean?
Sind keine freien Männer dran,
So will ich protestieren.

Von nun an bis in Ewigkeit
Soll euch der Name zieren:
Solang ihr Protestanten seid,
Müsst ihr auch protestieren.
Und singt die Welt: Der freie Rhein!
So singet: Ach! Ihr Herren, nein!
Der Rhein, der Rhein könnt‘ freier sein,
Wir müssen protestieren.

Das Gedicht bezieht sich auf ein vertontes Gedicht, das so beginnt und endet:

Sie sollen ihn nicht haben,
den freien deutschen Rhein,
ob sie wie gier‘ge Raben
sich heiser danach schrein,
(…)

Sie sollen ihn nicht haben,
Den freien deutschen Rhein,
Bis seine Flut begraben
Des letzten Manns Gebein!

Dieses Gedicht wurde gegen Ende Juli 1840 von Nikolaus Becker geschrieben und am 18. September 1840 in der „Trierischen Zeitung“ veröffentlicht; durch die Veröffentlichung in der „Kölnischen Zeitung“ im Oktober 1840 wurde es schlagartig bekannt – Becker wurde als Patriot gefeiert und geehrt, weil er französische Ansprüche auf linksrheinisches Gebiet abwehrte. Als Lied in der Komposition von Konradin Kreutzer wurde es am 15. Oktober 1840 zum Geburtstag des preußischen Königs im Kölner Theater gesungen; das Gedicht wurde über hundertmal vertont. – Auch bei Hoffmann von Fallersleben: „Guter Rat“ liegt eine kritische Anspielung auf das Lied vom deutschen Rhein vor.

Mit Beckers populärem Gedicht, genauer: mit der darin festgehaltenen patriotischen Begeisterung, die sich dann im Singen äußerte, setzt Herwegh sich in seinem Gedicht „Protest“ (in „Gedichte eines Lebendigen“, 1841) auseinander. Der Begeisterung für den „freien“ Rhein setzt er seinen Protest entgegen: „Der Rhein, der Rhein könnt‘ freier sein“ (V. 7 und V. 31); denn es komme nicht auf das Wasser an, sondern darauf, dass freie Männer am Rhein wohnen (V. 23) – das ist die Idee seines Protests. Für das Recht zum Protest beruft er sich darauf, dass er Protestant sei (V. 1 ff.); er schält also aus dem zur bloßen Konfessionsbezeichnung gewordenen Nomen die ursprüngliche Bedeutung wieder heraus und wendet sie ins Politische, was er zu seiner Legitimation als christliches Protestieren deklariert (V.17-20); das ist die Technik, mit der er seine Idee verwirklicht.

Ein Ich-Sprecher, der gut als Sprachrohr Herweghs zu verstehen ist, wendet sich mit seinem Protest an die Öffentlichkeit; in der vierten Strophe spricht er zwar direkt die (deutschen) Protestanten an („euch“, „ihr“), aber die fordert er nur auf, in seinen Protest einzustimmen. Innerhalb seines Protestes zitiert er sein Gegenlied, das sich an „Ihr Herren“ wendet (V. 6); diese „Herren“ sind diejenigen, die als „alle Welt“ singen: „Der freie Rhein“ (V. 5).

Der Sprecher beruft sich zu Beginn darauf, dass er Protestant ist (V. 1; Herwegh hat in seiner Jugend ein Jahr lang in Tübingen Theologie studiert) und deshalb auch protestieren will (V. 2) und darf, wie er implizit gegen mögliche Kritiker festhält; denn es gehört nun einmal zum Wesen des Protestanten zu protestieren, wie er in der 2. Strophe expliziert. Der Übergang zu Vers 3 erfolgt abrupt: Er fordert alle deutschen Musikanten auf, „‘s weiter [zu] musizieren“ (V. 3 f.). Die Frage ist, worauf „‘s“ verweist: Das könnte, rückwärts gerichtet, sein Bekenntnis zum Protest (V. 1 f.) sein; liest man es vorwärts gerichtet, wäre es das von aller Welt gesungene Lied vom freien Rhein (V. 5). Das Rufzeichen hinter V. 4 scheint mir den Ausschlag für die erste Lesart zu geben, wenn auch die zweite Lesart grammatisch möglich wäre; doch erforderte sie wohl als Satzzeichen einen Doppelpunkt hinter V. 4. Der Sprecher fordert also für sein Protestieren die gleiche Publizität, wie sie das Rheinlied derzeit hat; das sei wahrhaft „deutsch“, besagt das Attribut des bzw. der Musikanten (V. 3). Dem Lied vom freien Rhein stellt er sein Protestlied entgegen, sein Lied vom freieren Rhein (V. 6 f.). Er bekräftigt seine Entschlossenheit zum Protestieren, indem er seinen festen Willen noch einmal (V. 8 nach V. 2) bekundet.

Die ersten vier Verse bestehen aus vier Jamben, im Kreuzreim aneinander gebunden, die zu je zwei Versen miteinander verbunden sind: je ein Satz mit weiblicher Kadenz am Ende des zweiten Verses. V. 5-8 weichen von diesem Schema ab: Auf drei vierhebige Jamben mit gleichem Reim folgt der Vers mit der weiblichen Kadenz, der sich auf V. 4 reimt und so den Anschluss an die erste Hälfte herstellt. V. 5-8 bilden einen einzigen Satz, der also schwungvoll zu sprechen ist. Der semantische Zusammenhang der Reime „protestieren – musizieren“ (V. 2/4/8) liegt offen, weil das Protestieren des Sprechers im Musizieren aufgegriffen wird, was dann auch für die Wörter „Protestant / Musikant“ (V. 1/3) gilt. Auch der Sinnzusammenhang der Verse 5-7 liegt auf der Hand: frei / nein / freier (Steigerung).

In der zweiten Strophe erklärt der Sprecher, wieso er von seinem Wesen her ein Protestant ist: Schon von der Taufe an hat er protestiert (V. 9-14); folgerichtig preist er die selig, „[d]ie ewig protestieren“ (V. 16). Diese Seligpreisung steht den für einen Protestanten maßgeblichen Seligpreisungen Jesu (Mt 5,1 ff.) entgegen; da werden u.a. die Friedfertigen gepriesen und alle, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden – von solchen Anmutungen ist der „protestantische“ Sprecher weit entfernt! Schon vorher steht die Religion im Zwielicht; die Taufe war „abgetan“ (V. 9), was einen despektierlichen Unterton hat, und dass er schon damals „voll Glaubens“ (V. 11) protestiert habe, ist für das Babygeschrei eine religiös unzulässige Qualifikation. Wiederholungen (dreimal „protestieren“, „fort und fort“ sowie V. 14 und V. 15 f.) sind das Charakteristikum dieser Strophe, in ihnen stellt sich so das Wesen des Protestanten dar. V. 14 ist im Zusammenhang rätselhaft: „O Wort“ könnte man als Begeisterung für das Wort des Protestes verstehen, während der alliterierende Ausruf „O Wind“ schleierhaft ist – nicht ohne Fantasie könnte man an das Jesus zugeschriebene Wort denken: „Der Wind [oder: Der Geist] weht, wo er will; du hörst sein Brausen, weißt aber nicht, woher er kommt und wohin er geht.“ (Joh 3,8) Diese Lesart ist gut möglich, weil Herwegh seine Bibel gut kannte; sie würde die Protestierenden als die wahren Jünger Jesu erweisen.

Formal gleicht die zweite Strophe der ersten; die Reime der ersten vier Verse verdeutlichen, dass der Sprechen von klein an Protestant war, während die Reime in V. 13-15 die Unendlichkeit des Protestes bezeugen. Die Strophe besteht aus zwei Sätzen, was zum Schwung des Sprechens beiträgt.

In der dritten Strophe wird der Protest noch einmal geadelt und inhaltlich gefüllt: Es geht mehr um die Freiheit als um den Rhein. In V. 17-20 wird der Protest des Ich-Protestanten als wesentlich christlich „geadelt“; das erfolgt einmal durch das wiederholte Attribut „christlich“ (V. 19 f.), aber auch schon vorher durch den Einleitungssatz „Nur eins ist not“ (V. 17). Mit diesem Satz greift der Sprecher ein Wort Jesu an Marta auf (vgl. Luk 10.38-42): Marta hat fortwährend für das leibliche Wohl gesorgt, ihre Schwester Maria hat zu Jesu Füßen seinen Worten gelauscht; darauf wird Marta zurechtgewiesen: „Marta, Marta, du machst dir viele Sorgen und Mühen. Aber nur eines ist notwendig. Maria hat das Bessere gewählt…“ Dem Nützlichen stellt Jesus hier das eine Notwendige gegenüber – und indem der Sprecher Jesus zitiert, beansprucht er für seinen Protest das Prädikat des einen Notwendigen: Protest und Kampf für die Freiheit ist das eine Notwendige, ist das wahre Christentum (anders formuliert: ist die neue Religion).

In der zweiten Hälfte der Strophe wird das patriotische Rheinlied resp. der darin gefeierte deutsche Rhein als „all das Wasser“ (V. 21) abgetan, das als solches ohne die „freien Männer dran“ (V. 23) wertlos und deshalb Grund zum Protestieren sei. Die Reduktion des freien Rheins auf bloßes Wasser ist rhetorisch geschickt, sie unterschlägt die Bedeutung des Rheins für die Patrioten.

Auch die dritte und vierte Strophe gleichen formal der ersten. Die Reime in V. 17-20 stellen das Bekenntnis zum Protest dar; die Reime in V. 21-23 verknüpfen das besagte „Wasser“ mit den wichtigeren freien Männern. Der letzte Vers bindet V. 21-23 an die erste Hälfte und ist wie alle letzten Verse der vier Strophen dem entschlossenen Protest gewidmet.

In der vierten Strophe wird der Anschluss an die erste wieder hergestellt; diese wird, könnte man sagen, leicht variiert: Der Sprecher geht vom Namen Protestanten aus, folgert daraus die Pflicht zum Protest (V. 27 f.) und wiederholt die zweite Hälfte der ersten Strophe, nur statt dass des Singulars „ich“ nun der Plural „ihr“ (wie in V. 27) steht: Es sollen Mit-Protestanten geworben werden. Ob das Pronomen „wir“ in V. 32 noch zum Liedtext (V. 30 f.) gehört oder das Ich mit „ihr“ zusammenfasst, ist nicht zu entscheiden und auch nicht von Belang – wichtig ist allein die Botschaft: „Wir müssen protestieren“, gegen die patriotische Rhein-Duselei, für die Freiheit in Deutschland.

Die Wendung „Von nun an bis in Ewigkeit“ (V. 25) ist die Antwort auf den religiösen Gruß „Gelobt sei Jesus Christus“ bzw. die Schlussformel von Gebeten, auf welche das „Amen“ folgt; sie wird wie auch die anderen religiösen Anspielungen hier in den Dienst des politischen Protests gestellt, um ihm den christlichen Anstrich oder die höhere Legitimation zu verleihen (und bei Christen um Mit-Protestanten zu werden).

Die Reime in V. 25-28 propagieren die Größe und Dauer und des Protests; über die Reime V. 29-31 ist oben schon gesprochen, V. 32 verbindet wieder die beiden Hälften der Strophe.

https://archive.org/details/bub_gb_UFJLAAAAMAAJ (Gedichte eines Lebendigen, 1841)

http://www.zeno.org/Literatur/M/Herwegh,+Georg/Gedichte/Lieder+eines+Lebendigen (Lieder eines Lebendigen, 1841 – falscher Titel)

https://gedichte.xbib.de/gedicht_Herwegh.htm (Gedichte Herweghs)

https://nddg.de/dichter/657-Georg+Herwegh.html (dito)

https://www.gedichte.com/gedichte/Georg_Herwegh (Gedichte Herweghs)

https://www.hs-augsburg.de/~harsch/germanica/Chronologie/19Jh/Herwegh/her_alph.html (dito)

https://www.youtube.com/watch?v=lv8KwGqf2vI (Die Liederarchäologen: Georg Herwegh – Geschichte in Liedern)

Georg Herwegh

https://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Herwegh

http://ciml.250x.com/archive/literature/german/herwegh/georg_herwegh.html

https://gedichte.xbib.de/gedicht_Herwegh.htm

https://austria-forum.org/af/Wissenssammlungen/Essays/Literatur/Georg_Herwegh

https://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/127236126

http://oberrhein-projekte.de/poet-mit-dem-flammenwort/

https://www.swr.de/swr1/importe/migration/redaktion/download-swr-2752.pdf (Emma Herwegh)

Welches Ansehen Herwegh genoss, zeigt Robert E. Prutz‘ Gedicht Wilde, wilde Rosen.“ Seinem Georg Herwegh, September 1842 https://archive.org/details/bub_gb_OvoPAAAAYAAJ/page/n79/mode/2up

Vormärz

https://www.geschichte-abitur.de/restauration-und-vormarz/vormarz

https://www.lernhelfer.de/schuelerlexikon/deutsch/artikel/vormaerz-und-junges-deutschland

https://praxistipps.focus.de/vormaerz-die-epoche-einfach-erklaert_112306

https://www.inhaltsangabe.de/wissen/literaturepochen/vormaerz/

Sonstiges

https://de.wikipedia.org/wiki/Karlsbader_Beschl%C3%BCsse (Karlsbader Beschlüsse)

https://www.dhm.de/lemo/kapitel/vormaerz-und-revolution/deutscher-bund/karlsbader-beschluesse-1819.html (dito)

https://de.wikipedia.org/wiki/Nikolaus_Becker (Nikolaus Becker)

http://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/nikolaus-becker-/DE-2086/lido/57c577157dc4b1.94865755 (dito)

Heine Heine hat in „Deutschland. Ein Wintermärchen“ in Caput V ebenfalls Beckers Rhein-Gedicht aufs Korn genommen.

Lenaus Gedicht „Protest“ ist schon 1833 entstanden, aber erst 1851 gedruckt worden:

Protest

Wenn ich verachte heimliches Verschwören,

Und wenn ich hasse Meuchelmörderhand,

Wenn in des Volkserretters Ruhmgewand

Verhüllte Schufte meinen Groll empören,

Reih ich das Königstum den Himmelsgaben,

Verlaßner Völker Vaterhaus und Hort.

O glaubet nicht, ich liebe drum sofort,

Was jetzt und hier an Königen wir haben.

O glaubet nicht, ich führe keinen Zunder

Im Herzen für des Zornes edle Glut,

Tritt wo ein Fürst sein Volk im Übermut,

Noch daß ich ehren kann gekrönten Plunder.

Nie wird mein Flügelroß zum Schindergaule

Für meine Ehre, und mich strafe Gott,

Sing ich ein Fürstenlied, daß mir, zum Spott,

Die Hand vom Saitenspiel herunterfaule.

(Ich halte es für denkbar, dass in V. 9 ein Lese- oder Druckfehler steht: fühle > führe.)

Auch Richard Dehmels Gedicht „Protest“ verdient Beachtung.

P.S. Im Vormärz überschnitten sich wie so oft religiöse und politische Reformbestrebungen; so ist auch das Phänomen des Deutschkatholizismus zu verstehen (wo z.B. Robert Blum aktiv war), was man bei der Interpretation politisch-religiöser Motive in Gedichten wissen und beachten sollte.

https://de.wikipedia.org/wiki/Deutschkatholizismus

https://deacademic.com/dic.nsf/meyers/30848/Deutschkatholiken

https://de.unionpedia.org/i/Deutschkatholizismus

https://de.wikipedia.org/wiki/Ultramontanismus

G. Herwegh: Die Jungen und die Alten – Text und Analyse

Georg Herwegh: Die Jungen und die Alten

 

»Du bist jung, du sollst nicht sprechen!

Du bist jung, wir sind die Alten!

Lass die Wogen erst sich brechen

Und die Gluten erst erkalten!

 

Du bist jung, dein Tun ist eitel!

Du bist jung und unerfahren!

Du bist jung, kränz‘ deinen Scheitel

Erst mit unsern weißen Haaren!

 

Lern‘, mein Lieber, erst entsagen,

Lass die Flammen erst verrauchen,

Lass dich erst in Ketten schlagen,

Dann vielleicht kann man dich brauchen!«

 

Kluge Herren! Die Gefangnen

Möchten ihresgleichen schauen;

Doch, ihr Hüter des Vergangnen,

Wer soll denn die Zukunft bauen?

 

Sprecht, was sind euch denn verblieben,

Außer uns, für wackre Stützen?

Wer soll eure Töchter lieben?

Wer soll eure Häuser schützen?

 

Schmäht mir nicht die blonden Locken,

Nicht die stürmische Gebärde!

Schön sind eure Silberflocken,

Doch dem Gold gehört die Erde.

 

Schmähet, schmäht mir nicht die Jugend,

Wie sie auch sich laut verkündigt!

O wie oft hat eure Tugend

An der Menschheit still gesündigt!

In diesem Gedicht setzt sich ein Junger stellvertretend für seine Generation von den Alten ab. Das Gedicht ist also Zeugnis einer Jugendbewegung – und macht deutlich, dass „Jugendbewegung“ viel zu eng verstanden wird, wenn man damit nur den Aufbruch zu Beginn des 20. Jahrhunderts bezeichnet, den Ausbruch „aus grauer Städte Mauern“ (Fahrtenlied), „eine vor allem in Kreisen der bürgerlichen Jugend sich ausbreitende Hinwendung zum Naturerleben“ (Wikipedia). Auch der Sturm und Drang war eine Jugendbewegung, ebenfalls der Aufbruch 1968, die Gründung der Burschenschaften 1815 oder der Aufbruch im „Vormärz“: Freiligrath war Jahrgang 1810, Gutzkow 1811, Robert Prutz 1816, Georg Herwegh 1817, Georg Weerth 1822.

Die Jungen und die Alten“ steht in Herweghs Gedichtband „Gedichte eines Lebendigen“ von 1841. In den ersten drei Strophen werden die Sprüche referiert, die sich ein Junger von einem Alten anhören musste bzw. muss – auch wenn im Satz „wir sind die Alten!“ der Plural steht, können die Redensarten als stereotype Äußerungen eines einzelnen Alten gelten. Es handelt sich, wie gesagt, um Redensarten, die nicht sonderlich originell sind und sich so zusammenfassen lassen:

Du bist (zu) jung (fünfmal in Strophe 1 und 2, eindringlich wiederholt).

Du bist zu stürmisch.

Du hast keine Ahnung.

Du musst erst noch deine Kanten abschleifen.

Das wird in der Form bewertender indikativischer Aussagen (z.B. fünfmal Du bist jung“; „dein Tun ist eitel“, V. 5), eines verbietenden Modalverbs („du sollst nicht…“, V. 1) und mehrerer Imperative („Lern‘ entsagen“, V. 9; dreimal „Lass…“, V. 3 ff.) vorgebracht. Die Ratschläge sind vom Gegensatz jung/alt (V. 2, in jedem „jung“ und in „weißen Haaren“, V. 8, mit aufgerufen) bestimmt. In drei Bildern aus der Natur versuchet der Alte plausibel zu machen, wieso die Jungen weltfremde Spinner sind:

Wogen müssen sich brechen (V. 3),

Gluten müssen erkalten (V. 4),

Flammen müssen verrauchen (V. 9) –

Dann vielleicht kann man dich [in der realen Welt, N.T.] brauchen!“ (V. 12) Die geforderte Einschränkung der Jungen wird auch explizit genannt:

nicht mitreden (V. 1)

entsagen (V. 9)

sich bändigen lassen, sich einschränken (V. 11, bildhaft).

Der Alte hat seine Worte energisch vorgetragen, was sich auch im vierhebigen Trochäus zeigt. Sicher ist „wir“ (V. 2), vielleicht auch „dein“ (V. 5) gegen den Takt betont; die Pronomina und Imperative zu Beginn der Verse bekommen naturgemäß einen starken Akzent.

Die Sätze des Alten sind kurz; meistens ist ein Vers ein Satz, gelegentlich besteht ein Vers sogar aus zwei Sätzen (V. 1, 2, 5), in V. 7 f. finden wir ein Enjambement. Sinnvolle Reim gibt es in V. 1/3 (Gebot/Begründung), V. 9/11 (Entsprechung), V. 10/12 (Forderung/Folge). Die Form des Gedichts ist der Kreuzreim, der jeweils zwei Verse zu einer Einheit verbindet, weil nach den jeweiligen Versen 2 und 4 eine durch das Reimwort bedingte Pause eintritt.

Der zweite Teil des Gedichts stellt die Antwort des Jungen, der für seine Generation spricht („uns“, V. 18), auf diese Ermahnungen dar. Voller Ironie spricht er die Alten als „Kluge Herren!“ (V. 13) an, eine Replik auf den Vorwurf, unerfahren zu sein (V. 6). Er bezeichnet sie als „[d]ie Gefangnen“, womit er die Beschränktheit der Sicht- und Lebensweise der Alten bewertet; es ist die Antwort auf die Forderung, sich „erst in Ketten schlagen“ zu lassen (V. 11), also sich den geltenden Gepflogenheiten anzupassen. Diesen Gefangenen wirft er vor, sie möchten bloß „ihresgleichen schauen“ (V. 14), möchten also keine Freien neben sich dulden – in der Bezeichnung „Gefangnen“ (V. 13) ist das Antonym „Freie“ mit aufgerufen. In einer rhetorischen Frage wertet er danach den vom Alten aufgebauten Kontrast ‚alt=klug / jung=unerfahren‘ um: ‚Hüter des Vergangenen / Erbauer der Zukunft‘ (V. 15); so kann er rhetorisch fragen, wer denn die Zukunft erbauen soll, da Hüter des Vergangenen eo ipso dazu nicht fähig sind.

An diese grundsätzliche rhetorische Frage schließt er vier weitere an, in denen er entfaltet, was das heißt: die Zukunft bauen (fünfte Strophe):

für euch sorgen

eure Töchter lieben

eure Häuser schützen.

Die metrische Form der vierten und fünften Strophe hat sich nicht geändert (und wird sich auch in den beiden letzten Strophen nicht ändern). Die Wiederholung der Frage „Wer soll [etwas tun]?“ unterstreicht die Notwendigkeit, dass die Jungen für die Zukunft sorgen, und die These, dass nur sie es können. In V. 13 f., V. 15 f. und V. 17 f. geht der Satz übers Versende hinaus, was die Erregung des Sprechers anzeigt; trotzdem reimt sich „die Gefangnen“ sinnvoll auf „Hüter des Vergangnen“ (V. 13/15). Die Verse 13 f./15 f. stellen einen Kontrast dar, während „wackre Stützen“ / „eure Häuser schützen“ (V. 18/20) das Gleiche bezeichnet.

In den beiden letzten Strophen wendet sich der Sprecher mit dem wiederholten Appell „Schmäht mir nicht…“ (V. 21, V. 25 mit Verdoppelung) an die Alten (Plural); dabei beansprucht er Respekt für „die stürmische Gebärde“ (V. 22) und die lautstarken Äußerungen (V. 26) der Jugend. Die Begründungen der beiden Appelle unterscheiden sich jedoch: In der ersten wird mit „Silberflocken“ (V. 23) auf die von seinem zitierten Alten beschworenen weißen Haare (V. 8) zurückgegriffen; dem Silber des Alters stellt er das „Gold“ der Jugend gegenüber, das mehr wert sei, wobei dieses Gold einfach die Wertsteigerung gegenüber Silber impliziert, aber in keiner Weise sachlich bestimmt oder begründet wird. In der zweiten Begründung wirft er den Alten Unredlichkeit oder Heuchelei vor – anklingend an das Sprichwort „Jugend kennt keine Tugend“ – weil „eure [beanspruchte] Tugend“ (V. 27, halb ironisch) nur verdecke, dass man „[a]n der Menschheit still gesündigt“ habe (V. 28). Auch für diesen Vorwurf bleibt der Sprecher einen Beleg schuldig, er begnügt sich mit einer simplen Retourkutsche. Die Menschheit, das kann auch die Menschlichkeit, die Würde des Menschen bedeuten; an der versündigt man sich auch, wenn man die Herrschaft von Fürsten und Despoten erträgt. Aber, wie gesagt, das wird von Sprecher nicht näher ausgeführt.

Die Silberflocken kontrastieren zu den blonden Locken der Jugend (V. 21/23); die stürmische Gebärde ist denen eigen, die das Gold der Erde darstellen (V. 22/24); Jugend und Tugend stehen im traditionellen Kontrast (V. 25/27), während „still gesündigt“ das, was „laut verkündigt“ wird (V. 26/28), fragwürdig macht. Auch in den beiden letzten Strophen merkt man die Erregung des Sprechers daran, dass er zweimal über die Versende hinaus spricht (V. 21 f., V. 27 f.) und in den beiden anderen Verspaaren für den ganzen Satz ebenfalls zwei Verse braucht.

Das Gedicht ist vom Kontrast zwischen Jungen und Alten beherrscht, der sich in den verschiedenen Kontrasten spiegelt (jung-alt, blond-weiß, Gefangene-Freie, Vergangenheit-Zukunft, laut verkündigen – leise sündigen). Beide Seiten kommen nicht über Rhetorik hinaus zu einer sachlichen Auseinandersetzung, was auch daran mag, dass das Gedicht nur sieben Strophen zu vier Versen umfasst. – Das Gedicht könnte ein Anlass sein, über die Interessengegensätze nachzudenken, welche in der Realität das Verhältnis der Generationen bestimmen, über die Lasten, die den Jungen von den Alten für die Zukunft aufgebürdet werden.

Auch im Gedicht „An die Zahmen“ tritt der Gegensatz scharf hervor, genau wie im Gedicht „Alter und Jugend“ oder „Billigkeit“ von Robert Prutz. Viel näher kommen sich die Generationen in Herweghs Gedicht „Gesang der Jungen bei der Amnestierung der Alten“, das ebenfalls in „Gedichte eines Lebendigen“ (1841) zu finden ist:

Ihr habt die Erlösung so nahe gedacht,
Ihr Brüder, ihr lustigen Zecher;
Ihr glaubtet zu fallen in blutiger Schlacht;
In den Kerkern wird uns Quartier gemacht –
Den Becher, mein Liebchen, den Becher! –
Die Alten heraus und die Jungen hinein!
Wie sollte der Weltlauf anders sein?
Gott schütze dich, Liebchen!

(Gesang der Jungen bei der Amnestierung der Alten, 2. Strophe)

Zum Vergleich kann man Prutz‘ Gedicht „Deutschlands Gelehrten“ lesen. Auch die letzte Strophe von Robert E. Prutz‘ Gedicht „Rechtfertigung“ verdient Beachtung:

Dich, deutsche Jugend, dich allein,
Dich suchen diese Lieder!
Dein Ohr ist wach, dein Herz ist rein,
Dein Busen hallt sie wieder.
Die Jugend nur, die Jugend nur,
Die Jugend soll uns hören:
Und nicht Kritik und nicht Zensur
Soll unsre Lieder stören! –

https://archive.org/details/bub_gb_UFJLAAAAMAAJ (Gedichte eines Lebendigen, 1841)

http://www.zeno.org/Literatur/M/Herwegh,+Georg/Gedichte/Lieder+eines+Lebendigen (Lieder eines Lebendigen, 1841 – falscher Titel)

https://gedichte.xbib.de/gedicht_Herwegh.htm (Gedichte Herweghs)

https://nddg.de/dichter/657-Georg+Herwegh.html (dito)

https://www.gedichte.com/gedichte/Georg_Herwegh (Gedichte Herweghs)

https://www.hs-augsburg.de/~harsch/germanica/Chronologie/19Jh/Herwegh/her_alph.html (dito)

https://www.youtube.com/watch?v=lv8KwGqf2vI (Die Liederarchäologen: Georg Herwegh – Geschichte in Liedern)

Georg Herwegh

https://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Herwegh

http://ciml.250x.com/archive/literature/german/herwegh/georg_herwegh.html

https://gedichte.xbib.de/gedicht_Herwegh.htm

https://austria-forum.org/af/Wissenssammlungen/Essays/Literatur/Georg_Herwegh

https://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/127236126

http://oberrhein-projekte.de/poet-mit-dem-flammenwort/

https://www.swr.de/swr1/importe/migration/redaktion/download-swr-2752.pdf (Emma Herwegh)

Welches Ansehen Herwegh genoss, zeigt Robert E. Prutz‘ Gedicht Wilde, wilde Rosen.“ Seinem Georg Herwegh, September 1842 https://archive.org/details/bub_gb_OvoPAAAAYAAJ/page/n79/mode/2up

Vormärz

https://www.geschichte-abitur.de/restauration-und-vormarz/vormarz

https://www.lernhelfer.de/schuelerlexikon/deutsch/artikel/vormaerz-und-junges-deutschland

https://praxistipps.focus.de/vormaerz-die-epoche-einfach-erklaert_112306

https://www.inhaltsangabe.de/wissen/literaturepochen/vormaerz/

Sonstiges

https://de.wikipedia.org/wiki/Karlsbader_Beschl%C3%BCsse (Karlsbader Beschlüsse)

https://www.dhm.de/lemo/kapitel/vormaerz-und-revolution/deutscher-bund/karlsbader-beschluesse-1819.html (dito)

https://www.wissen.de/lexikon/jugendbewegung (Jugendbewegung)

G. Herwegh: An die Zahmen – Text und Analyse

Georg Herwegh: An die Zahmen (1841)

Die ihr im Abendsäuseln schon
Des Herren Spur gewahrt,
Und denen er im Kräuseln schon
Der See sich offenbart –
O freut euch eurer Lose,
Und dankt und lasst mich gehn!
Im wilden Sturmgetose,
Im Feuer nur, wie Mose,
Mag ich den Herren sehn!

So einer glücklich, sonn‘ er sich
In Frieden vor dem Haus;
Ich lobe mir den Donner, ich,
Des Sinai Gebraus‘.
Ich fühl‘s durch alle Nerven,
Durch alle Adern sprühn:
Ich möchte Speere werfen,
Ich möchte Klingen schärfen,
Und tatlos nicht verglühn.

Nicht mehr an Blumenhügeln möcht‘
Ich liegen auf der Wacht,
In eines Streithengsts Bügeln möcht‘
Ich wiegen mich zur Schlacht,
Nicht mehr im Mondschein wandeln,
Nicht länger schreiben mehr,
Ich möcht‘ nun einmal sandeln,
Ich möcht‘ nun einmal handeln –
Auf! bringt mir Fahnen her!

Lasst endlich das Geleier sein
Und rührt die Trommel nur!
Der Deutsche muss erst freier sein,
Dann sei er Troubadour.
Im Freiheitsfeuertranke
Werd‘ unser Reich erfrischt,
Ihr ewiger Gedanke
Führ‘ unser Schwert, das blanke,
Wenn‘s in die Feinde zischt!

Gedichte eines Lebendigen“ (1841) war der Titel des Gedichtbandes, der Herwegh berühmt machte und mit dem er auch das Herz seiner späteren Frau Emma eroberte; aus diesem Band stammt der Aufruf „An die Zahmen“, mit dem der junge Herwegh (Jahrgang 1817) sich von den traditionellen „zahmen“ Dichtern abgrenzt.

Der Sprecher tritt als Ich auf (V. 6 ff.) und wendet sich an eine Gruppe, die er mit „ihr“ anspricht (V. 1 ff.) und die der Autor schon in der adressierenden Überschrift als „die Zahmen“ verspottet hat; aus V. 28-31 ergibt sich eindeutig, dass es Dichter sind. Etwas verhaltener erkennt man es schon in V. 1-4: Es sind Leute, die in milden Naturerscheinungen (Säuseln – Kräuseln, V. 1/3, ein hübscher Binnenreim) Gottes Spur erkennen; das zielt auf die Wald- und Naturfrömmigkeit der Romantiker. Als Beispiel sei die erste Strophe des Gedichtes „Waldandacht“ des gleichaltrigen Leberecht Blücher Drewes (1816-1870) zitiert:

Frühmorgens, wenn die Hähne krähn,
Eh‘ noch der Wachtel Ruf erschallt,
Eh‘ wärmer all‘ die Lüfte wehn,
Vom Jagdhornruf das Echo hallt:
Dann gehet leise
Nach seiner Weise
Der liebe Herrgott durch den Wald.

Ironisch – ironisch deshalb, weil er solche Dichtungen als „Geleier“ (V. 28) abwertet – grenzt er sich von solchen Dichtern in drei Imperativen ab: Freut euch eures Lebens, dankt (eurem Gott für eure Beschränktheit, von mir sinngemäß ergänzt) und lasst mich gehen! Denn mit solchen Schwätzern will er nichts zu tun haben (V. 5 f.). Man geht nicht fehl, in diesem Ich das Sprachrohr des Dichters Herwegh zu sehen.

Dem Säuseln und Kräuseln, das den Zahmen gefällt, setzt er Sturmgetose und Feuer entgegen, in dem er wie einst Moses die Gegenwart des „Herren“, also Gottes verspürt (V. 7-9), wobei dieses Sturmgetose allerdings der Kriegslärm ist (V. 12 ff.). Den der Bibel entwöhnten Lesern sei der Bericht aus dem Buch Exodus vorgestellt:

Am dritten Tag, im Morgengrauen, begann es zu donnern und zu blitzen. Schwere Wolken lagen über dem Berg und gewaltiger Hörnerschall erklang. Das ganze Volk im Lager begann zu zittern. Mose führte das Volk aus dem Lager hinaus Gott entgegen. Unten am Berg blieben sie stehen. Der ganze Sinai war in Rauch gehüllt, denn der HERR war im Feuer auf ihn herabgestiegen. Der Rauch stieg vom Berg auf wie Rauch aus einem Schmelzofen. Der ganze Berg bebte gewaltig und der Hörnerschall wurde immer lauter. Mose redete und Gott antwortete ihm mit verstehbarer Stimme. (Ex 19,16-19) Diese Stelle schwebte Herwegh vor, wo Jahwe sich in einem Vulkanausbruch dem Volk Israel bzw. Moses offenbart. Hier wird in der Tat anders von Gott gesprochen, als es die Zahmen tun.

Der Sprecher redet in seinem Zorn schnell daher, im Jambus. Jeweils zwei Verse bilden in V. 1-4 eine Einheit (ein Satz); dem entspricht, dass in den jeweils zweiten Versen eine Silbe fehlt (weibliche Kadenz, kleine Pause), wobei die Satzenden für sinnvolle Reime in Frage kommen (Thema: Offenbarung Gottes, V. 2/4). Die Form der Verse 5-9 ist etwas komplizierter: Es kommt zu einem Wechsel des Jambus mit vier und drei Versfüßen, nur dass jetzt dem Vers mit der weiblichen Kadenz einer mit männlicher Kadenz (3 Takte) folgt; außerdem ist nach der Anzahl der Silben und dem Reimwort am Ende der siebte Vers im achten „verdoppelt“. Durch den Wechsel von Kadenzen und Anzahl der Versfüße hinter V. 4 und den „zusätzlichen“ V. 8 wird der Vortrag des Sprechers viel lebhafter. Auch in V. 5-9 liegt wieder ein Kreuzreim vor (mit der Einschränkung, dass V. 8 dabei nicht mitgezählt werden darf), mit sinnvollem Reim (lasst mich von euch gehen / Begründung dafür, V. 6/9). Auch in V. 7/8 kann man einen sachlich bedeutsamen Reim erkennen (Moses vor dem offenbaren Gott), während der Reim in V. 1/3 simpel aus der Wiederholung des gleichen Wortes besteht. In V. 3 liegt um des Reimes willen eine Inversion vor, „schon“ müsste vor „im Kräuseln der See“ stehen. In den beiden folgenden Strophen stellt sich der Ich-Sprecher mit seinen Wünschen und Plänen selbst dar (sechsmal „Ich möcht[e]“); dabei grenzt er sich von allen Spießern ab, deren Welt an der Grenze ihres eigenen Gartens endet: Wer es mag, soll sich ruhig vor seinem Haus sonnen (V. 10 f.) – ich dagegen… (V. 12 ff.). „So“ bedeutet so viel wie „Wenn“; in dem einleitenden Nebensatz fehlt aus Gründen des Metrums das Prädikat „ist“.

Die Wünsche des Sprechers laufen auf ein Leben voller Kampf, voller Taten, voller Gefahren hinaus (V. 12-27); das ist in sich verständlich und braucht insgesamt nicht erläutert zu werden. Nur einige Einzelheiten sind zu klären: Das achtmalige „Ich“ am Versanfang (V. 12-26) ist gegen den Takt betont, ebenso der Aufruf „Auf!“ (V. 27). V. 13 f. bezieht sich auf V. 7-9 zurück, hier jedoch als Kriegslärm umgedeutet. Das Adjektiv „tatlos“ (V. 18) ist um des Metrums willen verkürzt („tatenlos“). In V. 19/21 haben wir die gleiche Wiederholung des Reimwortes wie in V. 1/3 und in V. 28/30. Die Adverbiale „an Blumenhügeln“ (V. 19) und „im Mondschein“ (V. 23) verdanken sich dem Spott auf die gottesfrohen Naturdichter (V. 1 ff.). In V. 24 entsagt der Sprecher jedweder Dichterei, was er in V. 30 f. begründet; das ist kein Selbstwiderspruch (‚Der Dichter Herwegh schreibt…‘), da hier nicht der Dichter Herwegh schreibt, sondern sein Ich-Sprecher zu seinen Zuhörern redet – hier sieht man, wie wichtig die präzise Unterscheidung von Ich und Autor ist. Das Verb „sandeln“ (V. 25) bedeutet: mit teerartigen Stoffen getränkte Pappe mit Sand bestreuen (DWDS); langsam arbeiten, faulenzen (Duden); im oder mit Sand spielen (Pons) es steht hier eher des Reimes wegen, sachlich erkenne ich keinen Bezug zum Kontext, es sei denn, das Sandeln habe eine Funktion im Krieg, wovon ich aber nichts weiß. Von den Reimen seien 11/13 (Gegensatz), 15/19 (Tatendurst), 20/22 (Krieg) und 24/27 (Gegensatz) genannt.

An den Aufruf in V. 27 schließt sich ein weiterer Aufruf an die zahmen Dichter an, für den Krieg zu trommeln statt bloß herumzudichten (V. 28 f., Rufzeichen und Imperativ). Als Begründung folgt die Maxime über die Prioritäten im Leben eines Deutschen (V. 30 f.); dabei ist „Troubadour“ nicht zwingend abwertend für „Dichter“ gebraucht, während „Geleier“ (V. 28) ausschließlich negativ konnotiert ist. Mit dem Adjektiv „frei“ (V. 30) ist das entscheidende Stichwort genannt, das hinter dem bösen Aufruf „An die Zahmen“ steht: Es steht der Kampf um die Freiheit an, wobei die Gegner der Freiheit nicht einmal benannt werden müssen: Es sind die Fürsten und Könige, welche hinter den Karlsbader Beschlüssen stehen. Mit dem Neologismus „Freiheitsfeuertrank“ (V. 32), dem ein ewiger Gedanke im Reim zugeordnet ist (V. 34), wird der Ruf nach Freiheit als Kriegsgrund verherrlicht – dem Reich wird bildhaft eine Erfrischung durch den Kampf wie durch einen kühlen Schluck gewünscht (Konjunktiv I in V. 33 und V. 35).

Die metrische Form ist in allen Strophen gleich. In der vierten Strophe finden wir wieder sinnvolle Reime: 28/30 (Gegensatz), 29/31 (Gegensatz), 33/36 (Krieg). Formal sind die Reime in V. 28/30 (wie in V. 19/21 und in V. 1/3) schwach, aber hinter ihnen steht eine große Begeisterung für die Freiheit der Deutschen und für den Freiheitskampf, dessen Zielpunkt 1848 wurde.

Als Parallele kann man Herweghs Gedicht „An die deutschen Dichter“ (1840, ebenfalls in „Gedichte eines Lebendigen“ 1841) lesen.

https://archive.org/details/bub_gb_UFJLAAAAMAAJ (Gedichte eines Lebendigen, 1841)

http://www.zeno.org/Literatur/M/Herwegh,+Georg/Gedichte/Lieder+eines+Lebendigen (Lieder eines Lebendigen, 1841 – falscher Titel)

https://gedichte.xbib.de/gedicht_Herwegh.htm (Gedichte Herweghs)

https://nddg.de/dichter/657-Georg+Herwegh.html (dito)

https://www.gedichte.com/gedichte/Georg_Herwegh (Gedichte Herweghs)

https://www.hs-augsburg.de/~harsch/germanica/Chronologie/19Jh/Herwegh/her_alph.html (dito)

https://www.youtube.com/watch?v=lv8KwGqf2vI (Die Liederarchäologen: Georg Herwegh – Geschichte in Liedern)

An die deutschen Dichter

https://www.zgedichte.de/gedichte/georg-herwegh/an-die-deutschen-dichter.html

https://www.litde.com/stationen-der-deutschen-lyrik/die-republik-ein-traum/georg-herwegh-iii-an-die-deutschen-dichter-i-lasst-die-harfen-uns-zertrmmern.php (kritisch!)

Georg Herwegh

https://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Herwegh

http://ciml.250x.com/archive/literature/german/herwegh/georg_herwegh.html

https://gedichte.xbib.de/gedicht_Herwegh.htm

https://austria-forum.org/af/Wissenssammlungen/Essays/Literatur/Georg_Herwegh

https://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/127236126

http://oberrhein-projekte.de/poet-mit-dem-flammenwort/

https://www.swr.de/swr1/importe/migration/redaktion/download-swr-2752.pdf (Emma Herwegh)

Welches Ansehen Herwegh genoss, zeigt Robert E. Prutz‘ Gedicht Wilde, wilde Rosen.“ Seinem Georg Herwegh, September 1842 https://archive.org/details/bub_gb_OvoPAAAAYAAJ/page/n79/mode/2up

Vormärz

https://www.geschichte-abitur.de/restauration-und-vormarz/vormarz

https://www.lernhelfer.de/schuelerlexikon/deutsch/artikel/vormaerz-und-junges-deutschland

https://praxistipps.focus.de/vormaerz-die-epoche-einfach-erklaert_112306

https://www.inhaltsangabe.de/wissen/literaturepochen/vormaerz/

Sonstiges

https://de.wikipedia.org/wiki/Karlsbader_Beschl%C3%BCsse (Karlsbader Beschlüsse)

https://www.dhm.de/lemo/kapitel/vormaerz-und-revolution/deutscher-bund/karlsbader-beschluesse-1819.html (dito)

P.S. Im Vormärz überschnitten sich wie so oft religiöse und politische Reformbestrebungen; so ist auch das Phänomen des Deutschkatholizismus zu verstehen (wo z.B. Robert Blum aktiv war), was man bei der Interpretation politisch-religiöser Motive in Gedichten wissen und beachten sollte.

https://de.wikipedia.org/wiki/Deutschkatholizismus

https://deacademic.com/dic.nsf/meyers/30848/Deutschkatholiken

https://de.unionpedia.org/i/Deutschkatholizismus

https://de.wikipedia.org/wiki/Ultramontanismus

G. Herwegh: Aufruf – Text und Analyse

Georg Herwegh: Aufruf (1841)

Reißt die Kreuze aus der Erden!
Alle sollen Schwerter werden,
Gott im Himmel wird‘s verzeih‘n.
Lasst, o lasst das Verseschweißen!
Auf den Amboss legt das Eisen!
Heiland soll das Eisen sein.

Eure Tannen, eure Eichen –
Habt die grünen Fragezeichen
Deutscher Freiheit ihr gewahrt?
Nein, sie soll nicht untergehen!
Doch ihr fröhlich Auferstehen
Kostet eine Höllenfahrt.

Deutsche, glaubet euren Sehern,
Unsre Tage werden ehern,
Unsre Zukunft klirrt in Erz;
Schwarzer Tod ist unser Sold nur,
Unser Gold ein Abendgold nur,
Unser Rot ein blutend Herz!

Reißt die Kreuze aus der Erden!
Alle sollen Schwerter werden,
Gott im Himmel wird‘s verzeih‘n.
Hört er unsre Feuer brausen
Und sein heilig Eisen sausen,
Spricht er wohl den Segen drein.

Vor der Freiheit sei kein Frieden,
Sei dem Mann kein Weib beschieden
Und kein golden Korn dem Feld;
Vor der Freiheit, vor dem Siege
Seh‘ kein Säugling aus der Wiege
Frohen Blickes in die Welt!

In den Städten sei nur Trauern,
Bis die Freiheit von den Mauern
Schwingt die Fahnen in das Land;
Bis du, Rhein, durch freie Bogen
Donnerst, lass die letzten Wogen
Fluchend knirschen in den Sand.

Reißt die Kreuze aus der Erde!
Alle sollen Schwerter werden,
Gott im Himmel wird‘s verzeih‘n.
Gen Tyrannen und Philister!
Auch das Schwert hat seine Priester,
Und wir wollen Priester sein!

Den Kern des „Aufrufs“ machen die ersten drei Verse aus, die zu Beginn der vierten und der siebten Strophe wiederholt werden und so dem Gedicht seine Struktur geben. Sie sind Anfang, Mitte und Ende der Forderungen des Sprechers: „Reißt die Kreuze aus der Erden…“ Dieser Aufruf (Imperativ) ist in einem christlich geprägten Land, wie es Deutschlang um 1840 war, eine Gotteslästerung; daher ist es erforderlich, dass die Bedenken der zu solcher Tat Aufgerufenen beschwichtigt werden: „Gott im Himmel wird‘s verzeih‘n“ (V. 3), auch wenn alle seine irdischen Vertreter und Statthalter ob des Frevels laut aufheulen werden. Wozu sollen die Kreuze ausgerissen werden? „Alle sollen Schwerter werden“ (V. 2); erst später wird klar, wozu diese Schwerter gebraucht werden: zum Kampf für die Freiheit (V. 9, V. 25 ff.), zum Kampf gegen „Tyrannen und Philister“ (V. 40). Dieser Freiheitskampf ist der große Zweck, der das Mittel: aus Kreuzen Schwerter schmieden, heiligt – das besagt der dreifache Aufruf.

Es spricht ein im Text Ungenannter, der leicht als das Sprachrohr des Dichters Herwegh zu erkennen ist. Abschätzig nennt man solche Dichtung „Tendenzliteratur“: „Dichtungen mit propagandistischer Absicht, die eine eindeutige politische Richtung, Ideologie oder Moral erkennen lassen. Die Bezeichnung geht zurück auf die Zeit des Jungen Deutschland und des Vormärz, als man eine leidenschaftlich vertretene politische oder weltanschauliche Orientierung eine ‚Tendenz‘ nannte.“ (Wikipedia, 6/2020) Positiv kann man von politisch engagierter Literatur sprechen. Angesprochen sind die Deutschen („Eure Tannen“, V. 7, und direkt „Deutsche“, V. 13).

Mit diesem Aufruf ist eine Reihe von Forderungen verbunden, aber auch mehrere Prognosen: Der Sprecher blickt ausschließlich in die Zukunft und lässt die Vergangenheit, zu der auch die Kreuze gehörten, hinter sich.

Es schließt sich ein zweiter Aufruf (Imperativ) an: Die Deutschen sollen nicht Verse, sondern das Eisen schmieden (V. 4 f.); die Deutschen, sonst Dichter und Denker („Verseschweißen“, V. 4, ein Bild aus der Erzverarbeitung, in der Nähe der Schwertproduktion), sollen Freiheitskämpfer werden – das sei derzeit die höchste Forderung an jeden, sei die neue Religion. Das wird in den drei Schlussversen der genannten Strophen 1, 4, 7 bekräftigt: „Heiland soll das Eisen sein“ / Gott spricht „wohl den Segen drein“ / „Und wir wollen Priester sein“: Hier wird der alte Gott des Kreuzes dafür in Anspruch genommen, den Kampf und die Kämpfer (= „Priester“) für die neue Göttin der Freiheit zu segnen. Es ist beinahe unmöglich, hier nicht an Delacroix‘ Bild „Die Freiheit führt das Volk“ von 1830 zu denken.

Der Aufrufende spricht kraftvoll in Trochäen, er schließt seine Forderungen mit Rufzeichen (V. 1, V. 5). Die Verse bestehen aus vier Metren, der jeweils dritte und sechste Vers sind um eine Silbe verkürzt (weibliche Kadenz), was – verbunden mit einem Satzende (mindestens Semikolon) zu einem kurzen Innehalten im Sprechen führt. Die Verse 1/2 und 4/5 bilden semantisch sinnvolle Paarreime: Kreuze aus der Erden / sollen Schwerter werden (ein Vorgang); Verseschweißen [Neologismus, statt Verseschmieden] / schmieden das Eisen (zwei konträre Schmiedevorgänge). Auch die verkürzten Verse 3/6 reimen sich: Gott wird‘s verzeih‘n / Heiland soll das Eisen sein (alte und neue Religion im Bunde); die Verse 3 und 6 schmieden also die Doppelverse 1/2 und 4/5 zu einer Einheit zusammen, auch wenn alle Verse in sich geschlossene Sätze sind.

In den beiden nächsten Strophen geht es primär um das Thema: Wie sieht die nächste Zukunft aus? Die Antwort lautet: düster. Doch zunächst wird enthüllt, worum es im bevorstehenden Kampf geht: um die Freiheit (2. Str.). Der Sprecher lanciert das Thema geschickt, indem er die Tannen und Eichen metaphorisch als „die grünen Fragezeichen / Deutscher Freiheit“ (V. 8 f.) einführt und fragt, ob man deren Frage [etwa: Wie steht es um die deutsche Freiheit?] wahrgenommen habe, wobei seine Zuhörer erstmals mit dem Pronomen „ihr“ angesprochen werden. Die Tanne als immergrüner Baum ist nicht nur Weihnachtsbaum, sondern auch Symbol für ewiges Leben und Auferstehung und verweist als solche schon auf V.10-12 vor, während die Eiche mit ihrem harten Holz einmal Lebensbaum, seit dem 18. Jahrhundert auch typisch deutscher Wappenbaum bzw. Nationalbaum ist. So können beide Bäume „Fragezeichen deutscher Freiheit“ sein, wie in V. 10-12 erläutert wird – in Form einer Willenserklärung (V. 10) und einer Prognose (V. 11 f.). Dabei sind die drei Stationen: (beinahe) Tod / Höllenfahrt / Auferstehung dem im Christentum geglaubten Erlösungsweg Jesu Christi nachgebildet, womit indirekt die Hoffnung auf das Wiedererstehen der Freiheit begründet ist. Im Vordergrund der Prognose steht jedoch die angekündigte Höllenfahrt. – Die Reime sind wieder sinnvoll: V. 7/8 Identifizierung der genannten Bäume, V. 10/11 Stationen des Erlösungsweges (bzw. wenn man die Negation in V. 10 mit hinzunimmt: Gleichheit der beiden Zustände).

Wieso „uns“ (erstmals Hörer und Sprecher zusammengeschlossen) eine Höllenfahrt bevorsteht (Prognose), wird im Anschluss an die Aufforderung in V. 13 erläutert: Mit den Attributen „ehern“ und „Erz“ (V. 14 f.) wird im Anschluss an das Eisenschmieden (1. Str.) die Härte der bevorstehenden Kämpfe angedeutet und in der Auslegung der Farben Schwarz-Rot-Gold, die seit 1815 die erhoffte deutsche Einheit symbolisierten, entfaltet (V. 16-18): Schwarz steht für den drohenden Tod, Gold ist „ein Abendgold nur“, also ein bald verschwindendes Gold, und Rot steht für das blutende Herz – wobei offen bleibt, warum das Herz blutet, aus Leiden an der Unfreiheit oder im Kampf getroffen. Das Rufzeichen hinter V. 18 bekräftigt die entschiedene Prognose. – Wer die Seher sind (V. 13), wird nicht gesagt; ich halte es für wahrscheinlich, dass der Sprecher sich selbst zu diesen Sehern zählt. Die Reime schmieden die Aussagen über die Ankündigung der Seher (13/14) und die tödlichen Gefahren (V. 16/17) zusammen.

Es folgt eine Wiederholung der ersten drei Verse (V. 19-21), wobei diesmal die Voraussage über des alten Gottes Handeln erweitert wird: Er wird nicht nur das Ausreißen verzeihen (V. 21), sondern das Tun der Kämpfer auch segnen (V. 24); die Begründung dieser Hoffnung steht in V. 22 f.: Wenn er „sein heilig Eisen“ (= unsere aus den Kreuzen geschmiedeten Schwerter) sausen hört, erkennt er das Recht der Kämpfer, denen er deshalb seinen Segen nicht verweigern kann. In V. 22/23 wird im Reim die Einheit des Schmiedens und der Kämpfer hergestellt; die Verse 21/24 bezeichnen auch im Reim die Einheit des göttlichen Handelns („verzeih‘n / Segen drein“).

Den zweiten Zwischenraum zwischen den Aufforderungen, die Kreuze auszureißen (4. und 7. Strophe), füllt der Sprecher mit einer ganzen Reihe von Forderungen, die entweder im Konjunktiv I (Wunsch, 5. Str. und V. 31 f.) oder im Imperativ „lass“ (V. 35) formuliert sind. Der Tenor dieser Forderungen ist: Das ganze normale Leben muss vor dem Sieg im Freiheitskampf (V. 32 f.) eingestellt werden, weil es in diesem Kampf um alles geht. Die Fahnen schwingende Freiheit (V. 32 f.) und der fluchende deutsche Rhein (V. 36) werden als Personen eingeführt; was mit den freien Bogen gemeint ist, bleibt offen – ich vermute, dass es parallel zu V. 35 f. die großen Windungen des mäandrierenden Flusses sind.

In den Versen 28/29 und 31/32 kann man wegen der Enjambements keine sinnvollen Reime erwarten; in 25/26 sind Entsagungen des Kampfes, in 34/35 Bewegungen des Rheins im Reim aneinander gebunden – 34/35 nur die betreffenden Wörter, keine ganzen Aussagen (Enjambements); ähnliche Zusammenhänge kann man in 27/30 und in 33/36 entdecken. Dass der Rhein im Kampf mit den Franzosen seit den Eroberungskriegen Napoleons als „freier deutscher Rhein“ gefeiert und gefordert wird, sei nur am Rand erwähnt: „Die Wacht am Rhein“ von Max Schneckenburger sei genannt, aber auch Herweghs relativierende Antwort „Protest“ (1841): „Und singt die Welt: Der freie Rhein! / So singet: Ach! Ihr Herren, nein! / Der Rhein, der Rhein könnt‘ freier sein, / Wir müssen protestieren.“ Auch der seit 1800 aufkommenden Rheinromantik kann man nachspüren, um zu verstehen, dass der Rhein in die im Kampf notwendige Einschränkung des Lebens einbezogen wird.

Nach der zweiten Wiederholung der ersten drei Verse (V. 37-39) werden erstmals die Gegner im Freiheitskampf benannt: Tyrannen und Philister, bzw. es wird zum Kampf gegen sie aufgerufen (Rufzeichen, V. 40). Tyrannen sind alle, die die Freiheit unterdrücken: die Pressefreiheit, die Meinungsfreiheit, die Vereinigung von Studenten, die kritischen Professoren (Karlsbader Beschlüsse 1819). Philister sind in der Sprache der Studenten die Spießer, die nicht über den Tellerrand ihres Lebens im Städtchen hinausblicken – Herwegh war Jahrgang 1817 und hatte nach kurzem Studium sich auch als Dichter dem politischen Kampf verschrieben.

Zum Schluss wird noch einmal die religiöse Metaphorik des Freiheitskampfes ausgeweitet: „Auch das Schwert hat seine Priester“ (V. 41), nämlich uns Kämpfer (V. 42) – damit werden die zum Kampf Aufgeforderten ins große WIR eingebunden, sie erhalten eine Weihe und Auszeichnung. Rhetorisch geschickt ruft der Sprecher: „Wir wollen…“ – können sich die Aufgerufenen da noch dem Kampf versagen? „Philister/Priester“ (V. 41 f.) bezeichnet einen Gegensatz, während 39/42 im Reim den verzeihenden Gott und seine Priester zusammenschließt.

Es gibt eine anonyme Replik zu Herweghs Gedicht (Reaction und Adel. Eine Mahnung. Nebst einem Anhange aus dem Tagebuche eines Royalisten, Berlin 1843, S. 24)

An Georg Herwegh

Reißt die Kreuze aus der Erden! –“

Ward durch deutsche Lieder kund,

Schwerter sollen alle werden

Flammend durch der Erde Rund.

Reißt die Kreuze aus der Erden! –“

Sang ein deutscher Dichtermund, —

Soll‘n wir alle Heiden werden?

Soll‘n zerreißen Christi Bund?

     Dichter, der du so gesungen,

Hast du niemals Ihn geschaut,

Der von Liebe nur durchdrungen

Mild die Kirche uns erbaut?

Ward in Nächten Schmerz durchrungen

Nie die Seele dir bethaut,

Durch den Trost, der einst erklungen

Von dem Kreuze hell und laut?

     Freiheit mußt vom Kreuz du flehen.

Freiheit ist am Kreuz allein,

Nur am Kreuze kann entstehen

Freiheit wahrhaft hell und rein,

Dichter laß die Kreuze stehen,

Steck die Schwerter ruhig ein,

Willst zum Freiheitskampf du gehen,

Laß das Kreuz die Waffe sein!

Hier ahnt man, was das Bündnis von Thron und Altar bedeutet.

https://www2.klett.de/sixcms/media.php/229/350470_0237_Herwegh_Aufruf.pdf (Text)

http://www.deutschestextarchiv.de/book/view/herwegh_gedichte01_1841?p=59 (Text, Original)

https://lyrik.antikoerperchen.de/georg-herwegh-aufruf,textbearbeitung,131.html (schülerhafte Analyse, hilflos)

https://www.youtube.com/watch?v=gGfsvZQgXcg (Stefan Höning singt)

https://www.youtube.com/watch?v=lv8KwGqf2vI (Die Liederarchäologen: Georg Herwegh – Geschichte in Liedern)

Georg Herwegh

https://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Herwegh

https://gedichte.xbib.de/gedicht_Herwegh.htm

https://austria-forum.org/af/Wissenssammlungen/Essays/Literatur/Georg_Herwegh

https://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/127236126

http://oberrhein-projekte.de/poet-mit-dem-flammenwort/

https://www.swr.de/swr1/importe/migration/redaktion/download-swr-2752.pdf (Emma Herwegh)

Welches Ansehen Herwegh genoss, zeigt Robert E. Prutz‘ Gedicht Wilde, wilde Rosen.“ Seinem Georg Herwegh, September 1842 https://archive.org/details/bub_gb_OvoPAAAAYAAJ/page/n79/mode/2up

Vormärz

https://www.geschichte-abitur.de/restauration-und-vormarz/vormarz

https://www.lernhelfer.de/schuelerlexikon/deutsch/artikel/vormaerz-und-junges-deutschland

https://praxistipps.focus.de/vormaerz-die-epoche-einfach-erklaert_112306

https://www.inhaltsangabe.de/wissen/literaturepochen/vormaerz/

Sonstiges

https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Freiheit_f%C3%BChrt_das_Volk (Delacroix)

https://de.wikipedia.org/wiki/Schwarz-Rot-Gold (Schwarz-Rot-Gold)

https://de.wikipedia.org/wiki/Rheinromantik (Rheinromantik)

https://de.wikipedia.org/wiki/Karlsbader_Beschl%C3%BCsse (Karlsbader Beschlüsse)

https://www.dhm.de/lemo/kapitel/vormaerz-und-revolution/deutscher-bund/karlsbader-beschluesse-1819.html (dito)

P.S. Im Vormärz überschnitten sich wie so oft religiöse und politische Reformbestrebungen; so ist auch das Phänomen des Deutschkatholizismus zu verstehen (wo z.B. Robert Blum aktiv war), was man bei der Interpretation politisch-religiöser Motive in Gedichten wissen und beachten sollte.

https://de.wikipedia.org/wiki/Deutschkatholizismus

https://deacademic.com/dic.nsf/meyers/30848/Deutschkatholiken

https://de.unionpedia.org/i/Deutschkatholizismus

https://de.wikipedia.org/wiki/Ultramontanismus

Georg Herwegh: Wiegenlied – Analyse

Herwegh ahmt in seinem „Wiegenlied“ (1843) Goethes „Nachtgesang“ (1804) in der Form nach, um die politische Untätigkeit seiner Zeitgenossen zu kritisieren. Unmittelbare Quelle ist vermutlich Hoffmann von Fallersleben: „Schlafe! was willst du mehr?“ von 1840 (http://www.von-fallersleben.de/text267.html).
Der „Nachtgesang“ [vgl. die Analyse in diesem Blog, später angefertigt!] ist Liebesklage und Liebeswerben eines enttäuschten Liebhabers; es ist also eine private Erfahrung darin formuliert, die jeder kennt. Die Form des Gedichtes ist hauptsächlich durch drei Elemente bestimmt: die am Ende jeder Strophe formulierte vorwurfsvolle Forderung „Schlafe, was willst du mehr?“; die Aufnahme des jeweils dritten Verses als Anfangsvers der nächsten Strophe; die dreihebigen Verse, die im Kreuzreim zu viert eine Strophe ausmachen.
Herwegh übernimmt das erste und das dritte dieser Merkmale und stellt außerdem die Forderung „Schlafe, was willst du mehr?“ als Zitat und Motto über sein Gedicht, knüpft damit offen an Goethes bekanntes und auch oft parodiertes Gedicht an. Der Sprecher, der zunächst hinter seinem Anliegen zurücktritt, wendet sich an „Deutschland“ (V. 1) und nennt es zum Schluss „Mein Deutschland“ (V. 23), womit er sich als Patriot ausweist. Mit der folgenden Anrede „mein Dornröschen“ weiß man zunächst nichts anzufangen; sie ist aus der wiederholten Forderung „Schlafe, was willst du mehr?“ in Anlehnung an die schlafende Prinzessin im Märchen der Brüder Grimm entwickelt. Dornröschens Bestimmung ist jedoch, wachgeküsst zu werden; somit ist die Forderung „Schlafe…“ nur ironisch zu verstehen, der Ich-Sprecher jedoch als der Prinz erwiesen, der Dornröschen/Deutschland wieder ins Leben rufen will.
Die alte Metapher vom Erwachen aus dem Schlaf wird in der Bibel häufig genutzt, um die Menschen zur inneren Umkehr, zu Aufbruch und Neubeginn zu rufen; sie ist auch im Kirchenlied den Menschen des 19. Jahrhunderts geläufig („Wachet auf, ruft uns die Stimme“). Wird hier dagegen Deutschland „im irdischen Gewühle“, wo man vor lauter Lärm natürlich nicht schlafen kann, zum Schlafen aufgefordert, so ist im doppelten Widerspruch (zur Möglichkeit; zur Tradition der Metapher) erneut die Ironie greifbar. Auch die erste Forderung „Mach‘ dir den Kopf nicht schwer!“, denke also nicht zu viel, sorge dich nicht in schwieriger Zeit (vgl. V. 10), kann jeden denkenden Menschen nur vor den Kopf stoßen: Ironie als Kritik daran, dass es „Deutschland“ offensichtlich genügt, „auf weichem Pfühle“ (V. 1) zu liegen.
„Mach‘ dir den Kopf nicht schwer!“ leitet eine Reihe von Aufforderungen ein, die sich an das geliebte Deutschland richten und allesamt offensichtlich ironisch gemeint sind:
„Schlafe, was willst du mehr?“ (V. 4, 8 usw.);
„Laß jede Freiheit dir rauben,
Setze dich nicht zur Wehr“ (V. 5 f.);
„gräme dich nicht sehr sehr“ (V. 10), auch wenn man dir die Freiheit raubt (V. 9).
Die Botschaft der Forderungen, die damit 1843 „Deutschland“ gestellt werden, lautet: Kämpfe für die Freiheit, also gegen die Herrschaft der Fürsten und Könige, für Demokratie und Mitbestimmung der Bürger! Dass „jede“ Freiheit geraubt (V. 5) und „alles“ vom „König“ (V. 13) verboten wird (V. 9), diese pauschale Anklage gehört zum Pathos des revolutionären Gedichtes.
Diese Forderungen werden ironisch begründet: Deutschland brauche sich nicht sorgen, weil es ihm gut ergehe. Erstens liegt es ja „auf weichem Pfühle“, was als Zitat noch sehr unbestimmt ist und vielleicht auch nur zum Bild des schlafenden Deutschland gehört: Die gemütliche Liege lädt zum Schlafen ein.
Die darauf folgenden Begründungen benennen Parteien und Positionen im politischen Kampf:
1. Du behältst ja den christlichen Glauben (V. 7);
2. du hast ja Schiller und Goethe (V. 11);
3. der König bezahlt seine Beamten (V. 13-15);
4. es gibt eine Presse im Untergrund (V. 17 f.);
5. man bekommt täglich einen Wetterbericht (V. 19);
6. es gibt keine Nackten in Deutschland (V. 21 f.), was aber als Wortspiel („ohne Höschen“: Sansculotten, also Freiheitskämpfer gibt es nicht) etwas anderes meint: Der gegen Frankreich behauptete „freie“ Rhein als deutscher Strom fließt durch ein Land, in dem es keine Freiheitskämpfer gibt; und was nützt ein  angeblich freier Rhein (V. 22), wenn die Deutschen sich jede Freiheit rauben lassen (V. 5)?
Diese Begründungen könnten im Einzelnen ausführlich erläutert werden. Nur so viel sei hier angedeutet, dass der Besitz des christlichen Glaubens ein schwacher Trost bei politischer Unterdrückung ist – abgesehen davon, dass die christlichen Kirchen im Bündnis von „Thron und Altar“ auf der Seite der Unterdrücker standen. Für die Kenntnis von Schiller und Goethe gilt das Gleiche: Als „Klassiker“ haben sie (Goethe schon immer, Schiller nach revolutionären Anfängen) sich einer Sicht des Menschen verschrieben, der auf politischen Kampf verzichtet; dass sie zu den bekanntesten deutschen Dichtern wurden, hängt eben nicht nur von ihrem Können, sondern auch davon ab, dass ihre Lektüre in der Schule aus besagten Gründen gefördert wurde. Die Beamtenbesoldung mit dem Schimpf auf die „Kamele“ (Tiermetapher) wird als Kauf bzw. Verkauf der Seele bewertet (V. 15). Den unpolitischen Deutschen genügt es, so belanglose Dinge wie die Wettervorhersage zu erfahren, statt sich um die Sache der Freiheit zu kümmern; diesen Kampf überlassen sie den 300 Blättern, also der Presse, die im Untergrund (oder unbeachtet: „im Schatten“, V. 18) die Zensur unterläuft. Sie wird im Kampf metaphorisch „ein Sparterheer“ (V. 18) genannt, das statt des Sternenheeres hilft: Leonidas und seine Spartaner verteidigten 480 v.u.Z. Griechenland am Thermopylenpass gegen die Perser, während die anderen Griechen nichts taten. Insgesamt wird durch diese sechs Begründungen ironisch die Untätigkeit der Deutschen gerechtfertigt, in Wirklichkeit kritisiert.
Die entscheidenden Wörter in den Forderungen und Begründungen tragen die Betonung: „Deutschland“, auf der ersten Silbe betont, der Adressat aller Äußerungen; „schwer“ als das zu meidende Negative; „Gewühle“ (2. Silbe) als die Situation, wo man nicht schlafen kann; „schlafe“ als Hauptforderung und so weiter. In den Reimen werden einerseits Verse so verbunden, dass sie sich gegenseitig verstärken: Freiheit rauben lassen / den christlichen Glauben bewahren (V. 5/7); ähnlich ist es mit „verböte / Goethe“ (V. 9/ 11) oder „Kamele / Seele“ (V. 13/15). Es gibt aber auch Reime, in denen Gegensätze zusammengeschlossen sind, etwa „Pfühle / Gewühle“ (V. 1/3).
Wie und wozu verarbeitet Herwegh Goethes Gedicht? Schon mit dem Motto, dem Zitat des Refrains „Schlafe, was willst du mehr?“ weist er seinen Lesern nicht nur die Richtung, sondern sagt ihnen auch, dass er „Göthe“ zitiert. Wichtig und brauchbar ist offensichtlich die in dessen Gedicht vorgegebene Situation, dass ein angesprochenes Du „schläft“ (Übernahme der Wendung „auf weichem Pfühle“, V. 1); allgemeiner gesprochen, ist Herwegh die Differenz von Traum und Realität wichtig, die er als Differenz von Ideologie (Goethe, christlicher Glaube) oder Vordergrund (das Wetter) und dem wesentlichen politischen Kampf („im irdischen Gewühle“, V. 3, von Goethe übernommen) gestaltet. Zusätzlich sind Metrum und Verslänge (drei Hebungen) sowie das Schema des Kreuzreims übernommen – Bildungsverliebte (3. Strophe) werden so mit ihren eigenen Waffen bekämpft.
Insgesamt ist Herwegh weniger an großer Dichtung als am politischen Kampf interessiert; er benutzt ein bekanntes Gedicht des vom Jungen Deutschland (s. Artikel im Schülerduden „Die Literatur“!) verachteten Herrn Goethe, um, dieses Gedicht in der Form nachahmend, jedoch nicht als Gedicht parodierend, sein Deutschland, also seine Lands-leute zum Kampf gegen Unterdrückung und für die Freiheit der Bürger aufzurufen. Zwar wiederholt er mit Goethe „Schlafe!“, aber er sagt: Lasst es euch nicht an Pension und Kultur, an Ideologie und Wettervorhersage genügen, sondern werdet wach, kämpft!

Im Hintergrund dieser Parodie klingt auch der alte lutherische Choral „Wach auf, wach auf, du deutsches Land, du hast genug geschlafen“ (16. Jahrhundert) an, den wirklich jeder ordentliche Protestant und aufgeweckte Deutsche kannte ….

P.S. Heine an Varnhagen von Ense, 1. Juli 1830: „Welche Ironie des Geschickes, daß ich, der ich mich so gerne auf dem Pfühle des stillen beschaulichen Gemüthslebens bette, daß eben ich dazu bestimmt war, meine armen Mitdeutschen aus ihrer Behaglichkeit hervorzugeißeln und in die Bewegung hineinzuhetzen! Ich (…) mußte politische Annalen herausgeben, Zeitinteressen vortragen, revolutionäre Wünsche anzetteln, die Leidenschaften aufstacheln, den armen deutschen Michel beständig an der Nase zupfen, daß er aus seinem gesunden Riesenschlaf erwache. (…) Freilich, ich konnte dadurch bei dem schnarchenden Giganten nur ein sanftes Nießen, keineswegs aber ein Erwachen bewirken.“ In seinem Gedicht „O Deutschland, meine ferne Liebe“ (ca. 1843) spricht Heine nicht ohne Ironie von dem Land, nach dem er sich sehnt: „Mir ist, als hört‘ ich fern erklingen / Nachtwächterhörner, sanft und traut; / Nachwächterlieder hör‘ ich singen, / Dazwischen Nachtigallenlaut.“ Auch hier ist das Motiv des Schlafens im Schlafmützenland Deutschland zu finden.

P.S.

Noch immer, wenn ich meine deutschen Republikaner betrachte, reibe ich mir die Augen und sage zu mir selber: träumst du etwa? […]

Ist es wirklich wahr, daß das stille Traumland in lebendige Bewegung geraten? Wer hätte das vor dem Julius 1830 denken können! Goethe mit seinem Eiapopeia, die Pietisten mit ihrem langweiligen Gebetbücherton, die Mystiker mit ihrem Magnetismus hatten Deutschland völlig eingeschläfert, und weit und breit, regungslos, lag alles und schlief. Aber nur die Leiber waren schlafgebunden; die Seelen, die darin eingekerkert, behielten ein sonderbares Bewußtsein. Der Schreiber dieser Blätter wandelte damals als junger Mensch durch die deutschen Lande und betrachtete die schlafenden Menschen; ich sah den Schmerz auf ihren Gesichtern, ich studierte ihre Physiognomien, ich legte ihnen die Hand aufs Herz, und sie fingen an, nachtwandlerhaft im Schlafe zu sprechen, seltsam abgebrochene Reden, ihre geheimsten Gedanken enthüllend. Die Wächter des Volks, ihre goldenen Nachtmützen tief über die Ohren gezogen und tief eingehüllt in Schlafröcken von Hermelin, saßen auf roten Polsterstühlen und schliefen ebenfalls und schnarchten sogar. Wie ich so dahinwanderte mit Ränzel und Stock, sprach ich oder sang ich laut vor mich hin, was ich den schlafenden Menschen auf den Gesichtern erspäht oder aus den seufzenden Herzen erlauscht hatte; – es war sehr still um mich herum, und ich hörte nichts als das Echo meiner eigenen Worte. Seitdem, geweckt von den Kanonen der großen Woche, ist Deutschland erwacht, und jeder, der bisher geschwiegen, will das Versäumte schnell wieder einholen, und das ist ein redseliger Lärm und ein Gepolter, und dabei wird Tabak geraucht, und aus den dunklen Dampfwolken droht ein schreckliches Gewitter. Das ist wie ein aufgeregtes Meer, und auf den hervorragenden Klippen stehen die Wortführer; die einen blasen mit vollen Backen in die Wellen hinein, und sie meinen, sie hätten diesen Sturm erregt und je mehr sie bliesen, desto wütender heule die Windesbraut; die anderen sind ängstlich, sie hören die Staatsschiffe krachen, sie betrachten mit Schrecken das wilde Gewoge, und da sie aus ihren Schulbüchern wissen, daß man mit Öl das Meer besänftigen könne, so gießen sie ihre Studierlämpchen in die empörte Menschenflut, oder prosaisch zu sprechen, sie schreiben ein versöhnendes Broschürchen und wundern sich, wenn das Mittel nicht hilft, und seufzen: »Oleum perdidi!«“ (Heinrich Heine: Französische Zustände, 16. Junius 1832 = http://gutenberg.spiegel.de/buch/-387/13)

Heine gebraucht hier die Metaphern von schlafen/erwachen zur Bewertung der politischen Lage in Deutschland; vielleicht bezieht Herwegh sich auf diese Stelle, wahrscheinlich ist diese Metaphorik jedoch so bekannt (vgl. das Schimpfwort „Du bist eine Schlafmütze“!), dass jeder problemlos darauf zurückgreifen kann. Auch nach 1848 konnte man das Motiv des Schlafens im politischen Kampf verwenden, wie es Ludwig Pfau im Badischen Wiegenlied vormacht: „Schlaf‘, mein Kind, schlaf leis‘, / dort draußen geht der Preuß‘…“ (https://www.musicanet.org/robokopp/Lieder/badische.html), eine Parodie des Kinderlieds „Schlaf‘ Kindlein, schlaf‘…“.