Faust: Zeichen des Makrokosmos

Das Zeichen des Makrokosmus im Buch des Nostradamus (Goethe: Faust I, Regieanweisung vor V. 430) gibt es nicht zu sehen; aber wir können verstehen, was die Idee des Makrokosmos ausmacht und was Faust dementsprechend sehen müsste:

Makrokosmos („große Welt“, von griechisch makrós „groß“ und kósmos „Welt“ […]) ist der Gegenbegriff zu Mikrokosmos („kleine Welt“). Man versteht darunter die Welt als Ganzes, insoweit sie unter einem philosophischen oder religiösen Gesichtspunkt als geordnete, in sich geschlossene Einheit – als Kosmos – aufgefasst wird. Der „Mikrokosmos“ ist dann ein abgegrenzter Teil des Makrokosmos, der zum Ganzen in einem bestimmten Verhältnis steht, etwa in einer Ähnlichkeits- oder Analogiebeziehung.

[…] Besonders häufig gilt der Mensch oder sein Körper in diesem Sinn als Mikrokosmos, daher ist der Makrokosmos/Mikrokosmos-Gedanke ein wichtiger Bestandteil vieler anthropologischer Konzepte. Oft wird auch geltend gemacht, dass der Mikrokosmos aus denselben Elementen aufgebaut sei wie der Makrokosmos.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Makrokosmos) Es geht also um Beziehungen zwischen den Himmelskörpern (Planeten, Sternen = Sternzeichen), den Elementen der Erde und den Körperteilen bzw. Organen des Menschen, um harmonische Entsprechungen in der ganzen Welt.

Diese Entsprechungen sind in verschiedenen Bildern dargestellt – so ähnlich hat man sich auch das Zeichen des Makrokosmos im „Faust“ vorzustellen:

Spagyrik – Das Weltbild der Alchemia medica

Der Begriff „Spagyrik“ setzt sich aus den beiden griechischen Wörtern „spáein“ (trennen) und „ágeirein“ (verbinden) zusammen. Dadurch dass in einem fortlaufenden Rhythmus das „Gute“ vom „Schlechten“ getrennt und weiter ausschließlich das „Gute“ wieder miteinander verbunden wird, erhöht sich die Qualität. Der Begriff „Spagyrik“ drückt die universelle Verbesserungsmethode der kosmischen Ordnung aus – Spagyrik ist Lernprozeß.

Die alchemistische Erfahrung führt zu der Einsicht, dass alle sieben Planetenprinzipien des Universums auch im Menschen veranlagt sind. Das bedeutet, der Mensch (Mikrokosmos) hat Entsprechung zum Universum (Makrokosmos): „Wie das Universum, so der Mensch“ (alchemistischer Grundsatz, s. auch Ayurveda)

Dementsprechend versteht die Alchemia medica verschiedene Organe als „innere Planeten oder Metalle“ des Menschen:

  • Im Gehirn wirkt das Mond-Prinzip,
  • in der Lunge wirkt das Merkur-Prinzip,
  • in den Nieren wirkt das Venus-Prinzip,
  • im Herz wirkt das Sonnen-Prinzip,
  • in der Galle wirkt das Mars-Prinzip,
  • in der Leber wirkt das Jupiter-Prinzip und
  • in der Milz wirkt das Saturn-Prinzip.

Dieselben Formbildungskräfte, die die Planeten und Metalle geformt haben, haben auch die menschlichen Organe ausgebildet. So sind beispielsweise das Goldmetall und das Herz Träger derselben Formbildungskraft. Die Wirkkraft einer spagyrisch zubereiteten Goldtinktur ist somit für das Herz Heilmittel. Dieses Prinzip hat Paracelsus (1493–1541) auf die einfache Formel der Alchemia medica gebracht: „Das Gestirn wird durch das Gestirn geheilt“. Aus dieser Formel hat später Hahnemann (1755–1843) das Simileprinzip der Homöopathie – „Gleiches wird geheilt durch Gleiches“– abgeleitet. Die Bernus-Spagyrik und die Homöopathie haben somit den selben metaphysischen Hintergrund.

Ein anderes Bild: Die Tierkreiszeichen des Himmels in Beziehung zu den Organen resp. Körperteilen des Menschen; es fehlen die Beziehungen zu den Stoffen (Metalle etc.) der Erde: https://www.alamy.de/stockfoto-die-organe-des-korpers-und-die-tierkreiszeichen-einflusse-auf-sie-von-robert-fludd-1574-1637-ein-englischer-paracelsian-arzt-sowohl-mit-wissenschaftlichen-und-okkulten-interessen-vom-17-jahrhundert-162596412.html

Analogie Mikrokosmos-Makrokosmos: https://www.alamy.de/analogie-der-alchemic-mikrokosmos-den-makrokosmos-mylius-chymica-basilika-philosophica-image268849666.html

Die Planeten im Menschen: https://www.sonnenblau.com/index.php/Themen/die-planeten-im-menschen

Eine andere Darstellung (Abb. 8):

Eine sehr schöne schematische Darstellung findet man bei Gottwein in der Erläuterung der Prinzipien des Arztes Hippokrates (fehlt hier):

Das Selbstverständnis der Hippokratische Heilkunst:

  1. Die Analogie zwischen Makro- und Mikrokosmos
    • Das (Natur-)Gesetz beherrscht alles. (Hippokr.genit.1)
    • Alles im Körper ist eine Nachbildung des Weltganzen. (Hippokr.vict.1,10)
    • Der Ausgangspunkt der ärztlichen Kunst ist für mich die Zusammensetzung der ewigen Dinge (d.h. des Makrokosmos); denn es ist unmöglich, die Natur der Krankheiten zu erkennen – das ist es ja gerade, was zu finden Sache der ärztlichen Kunst ist – , wenn man nicht die Natur in ihrer Unteilbarkeit von Anfan an kennt, aus der heraus sie sich entwickelt haben. (Hippokr.virg.)
    • Ich werde nun zeigen, dass sowohl die Gesamtwelt als auch alle ihre (einzelnen) Körper bei einer Störung (bzw. Krankheit) das Gleiche erleiden. (Hippokr.hebd.12)
    • Das Warme ging, als alles erschüttert wurde, zum größten Teil an den obersten Umlauf; die Alten scheinen mir es Aither genannt zu haben. Der zweite Teil unten wird Erde genannt, sie ist kalt, trocken und vielbewegt. In ihr ist viel von dem Warmen enthalten. Der dritte Teil ist der der Luft, sie nimmt den Zwischenraum ein, sie ist etwas warm und feucht. Der vierte Teil, der Erde am nächsten stehend, ist das ganz Feuchte (Wasser) und Dichte. (Hippokr.anat.2)
    • Alle Lebewesen […] haben das Warme von der Sonne, alle Feuchtigkeit vom Wasser, das Kalte vom Hauch der (kalten) Luft, das in den Knochen und Fleisch vorhandene Trockene von der Erde. (Hippokr.hebd.18)
    • Vom Darm her leiten Adern die Grundstoffe aus der Nahrung selektiv in vier Zentralorgane (Herz, Milz, Gallenblase, Gehirn) und diese geben sie mit den Säften an den Körper ab. Die Flüssigkeit ist das Fahrzeug der Nahrung. (Hippokr.alim.55)
  1. Gesundheit und Krankheit
  1. Wohlbefinden und Gesundheit besteht im harmonischen Ausgleich (εὐκρασίη) aller vier natürlichen Körperelemente (συμπαθέα πάντα), Krankheit in einer quantitativen oder funktionellen Störung ((παρὰ φύσιν oder ὑπὲρ φύσιν)). Die Voraussetzungen der Gesundheit liegen in der 1.) Zeugung, 2.) richtigen Ernährung, 3. körperlichen Betätigung und 4.) Anpassungsfähigkeit an makrokosmische Veränderungen.
      • Der Körper des Menschen enthält in sich Blut, Schleim, gelbe und dunkle Galle, und diese (Säfte) machen die Natur des Menschen aus und wegen dieser ist er krank bzw. gesund. Gesund ist er besonders dann, wenn diese (Säfte) nach Mischung, Wirkungskraft und Menge in richtigem Verhältnis zueinander stehen und vollständig miteinander vermischt sind. (Hippokr.nat.hom.4)
      • Weder Überfüllung noch Hunger noch sonst irgendetwas, was über die Natur (μᾶλλον τῆς φύσιος) geht, ist gut. (Hippokr.aph.2,4)
      • Das Wohlbefinden des Menschen besteht in einer gewissen (normalen) Natur, die sich von Natur aus eine keineswegs abweichende, sondern ganz harmonische (εὐαρμοστεῦσα) Bewegung verschafft hat. (Hippokr.praec.9)
      • Ein Zusammenfließten, ein Zusammenatmen, alles in Zusammenstimmung (συμπαθέα πάντα). (Hippokr.alim.23)

Bei den meisten Menschen weicht die individuelle Natur (φύσις – Konstitution) von dem Ideal der εὐκρασίη ab. Es ergeben sich je nach Überschuss eines Körpersaftes vier Temperamente: Sanguiniker (Blut), Phlegmatiger (Schleim), Choleriker (gelbe Galle), Melancholiker (schwarze Galle). Sie erkranken in bestimmten Jahreszeiten leichter an den für sie spezifischen Krankheiten.

http://www.gottwein.de/graeca/graeca01.php, dort unter „Hippokrates (Lex)“, am Ende der Darstellung


Man findet bei google-Bilder unter dem Stichwort „Makrokosmos“ diese und andere Darstellungen. In „Faust I“ ist das Zeichen des Makrosmos dem erscheinenden realen, wirkenden Erdgeist entgegengesetzt: Das Zeichen des Ganzen ist schwach, bringt Faust keine Erleichterung oder Erlösung; der reale Geist unserer Erde ist zu stark, ihm ist Faust nicht gewachsen, als er Befreiung aus seiner engen Studierstube sucht. So betritt er den Weg, der ihn abwechselnd ins Enge und ins Weite, ins Enge und ins Weite… führt (vgl. dazu http://www.nicolas-bellm.de/schule/deutsch/faust.htm).

Im Kapitel „Tollheiten des Mystizismus“ in G. von Schlaberndorfs Roman „Der Krokodill“ (1806) findet man die Zahlenspekulationen und ihre mystischen Beziehungen zu Elementen und Planeten beschrieben, wie man sie sich wohl im Bild des Makrokosmos vorzustellen hat (https://archive.org/details/bub_gb_jYFXAAAAcAAJ/page/n375/mode/2up).

In „Dichtung und Wahrheit“ berichtet Goethe von eigener Lektüre mystischer chemisch-alchemistischer Bücher, die er zusammen mit Susanne von Klettenberg studierte, und von Experimenten mit den Ingredienzien des Mikro- und Makrokosmus. Das geschah nach seiner Rückkehr aus Leipzig 1768, wo er krank geworden war, so dass er der Pflege bedurfte und sich an die pietistische Freundin seiner Mutter, Susanne von Klettenberg, anschloss (HA Bd. 9, S. 338,31 ff.; Dichtung Wahrheit, Zweiter Teil, 8. Buch). Ein in diesen Kreisen verkehrender Arzt heilte Goethes Verdauungsprobleme durch ein geheimnisvolles, von ihm selber unerlaubterweise zubereitetes Salz. – Man sollte den Text ab folgendem neuem Absatz lesen: „Meine Mutter, von Natur sehr lebhaft und heiter, brachte unter diesen Umständen sehr langweilige Tage zu. Die kleine Haushaltung war bald besorgt. Das Gemüt der guten, innerlich niemals unbeschäftigten Frau wollte auch einiges Interesse finden, und das nächste begegnete ihr in der Religion, das sie um so lieber ergriff, als ihre vorzüglichsten Freundinnen gebildete und herzliche Gottesverehrerinnen waren. Unter diesen stand Fräulein von Klettenberg obenan.“

Es genügt, wenn der Lehrer diese Stelle kennt; die armen Schüler soll man nicht dadurch verwirren, dass man außer der fiktionalen Ebene des Textes und der darin gespielten Historie des Dr. Faustus (16. Jh.) auch noch die Ebene der Biografie Goethes ins Spiel bringt.

Analysen zu „Faust I“: https://norberto42.wordpress.com/2012/03/10/goethe-faust-i-erste-analysen/

Faust I und II in Mönchengladbach (2012)

Gestern (26. Mai 2012) habe ich die Aufführung des kompletten „Faust“ in Mönchengladbach gesehen – man müsste eher sagen: Aufführung dessen, was die Regie davon übrig gelassen hat. In gut drei Stunden wurde ein irrwitzig gekürzter Text auf einer kargen Bühne dargeboten. Wenn man Goethes Text nicht kennt, verstand man kaum, was man sah und hörte.

Einmal fehlten die „christlichen“ Elemente, also die Wette des Herrn mit Mephisto, die Himmelsstimme am Ende von Faust I (stattdessen die Stimme Fausts: „Sie soll leben.“ – Aber wieso, bitte, soll sie leben?) und die Rettung des Unsterblichen Fausts am Ende des ganzen Stücks. Mephisto malte zwar ein Kreuz (!?) auf den Bühnenboden, wo er das Grab Fausts gezeichnet hatte – aber was soll ein Teufelspakt, ein Mephisto, ein Junker Satanas, wenn ihm kein „Herr“ entgegensteht? Dass die Bibelübersetzung und vor allem die Szene „Zwinger“ gestrichen waren, habe ich als großen Mangel im Ablauf des Geschehens empfunden; die Dom-Szene wurde von liturgischer Musik getragen, aber eben nicht vom „Dies irae“ – aber bitte, warum nicht?

Ein weiteres Manko: „Wald und Höhle“ war natürlich im Text verstümmelt und spielte auch nicht im Wald und in der Höhle, Faust kauerte bloß auf dem Boden und wurde von Mephisto animiert, zu Gretchen zu gehen, als er sich kurz und knapp an einen ominösen „erhabenen Geist“ gewandt hatte. Ein Kernzszene des Stücks war das nicht, wie überhaupt die Spannung Fausts zwischen dem Drang ins Weite und der Sehnsucht nach Enge fehlte (sogar die Stelle mit den „zwei Seelen“ in der Brust war gestrichen).

Die Elemente nichtchristlicher Mythologie verstand man überhaupt nicht: Da agierten lange Zeit vermummte Rollstuhlfahrer zwischen Feuer und Qualm: Was für Gestalten waren das? Die Erschaffung des Homunkulus konnte man erkennen, aber das Verhältnis Fausts zu Helena blieb wirklich schleier-haft; von Euphorion habe ich nichts vernommen. Ein altes Ehepaar wurde aus seiner Hütte am Meer vertrieben (bzw. wohl von modernen Schlägerpolizisten darin verbrannt) – aber wer sind schon Philemon und Baucis?

Der ganze Teil Faust II war eine Abfolge von Bildern (mit Angela Merkel als „Kaiser“), deren Bezug zu Heinrich Faust weithin unklar war – Mephisto rauchte Zigaretten, sauste immer zwischen den Figuren umher und Faust hatte einen langen Bart und einen Krückstock (kann man nicht anders alt werden?), aber so etwas wie einen roten Faden konnte ich nicht erkennen. Die musikalischen Elemente des „Faust“ fehlten leider beinahe vollständig.

Vor allem im ersten Teil ging es wie üblich in Mönchengladbach laut und hektisch zu, sodass Gretchen beinahe manisch getrieben war; Frau Marthe war dagegen überzeugend gespielt.

Fazit: Wozu soll man heute einen solchen „Goethe“ noch spielen? Ich weiß es nicht. Vielleicht ist ein Teil der Schwierigkeiten, die ich mit dieser Aufführung hatte, aber auch in meiner Person begründet: Ich kenne Faust I ziemlich gut (vgl. https://norberto42.wordpress.com/2012/01/02/goethe-faust-i-aufbau-der-gretchenhandlung/ und die dort verlinkten Beiträge), Faust II dagegen kaum; das lässt mich bei Faust I vieles vermissen, während mir bei Faust II der Durchblick fehlt.

Lieder und Chöre in Goethe: „Faust I“

Wenn man nur den gedruckten Text liest, wird einem nicht recht bewusst, ein wie musikalisches Werk „Faust I“ ist. Ich habe den Text einmal durchforstet, mit folgendem Ergebnis:

Chor der Engel, der Weiber, der Jünger, V. 737-807

Bettler, V. 852-859

Soldaten, V. 884-902

Bauern, V. 949-980

Chor der Geister, V. 1447 ff. (? unsicher)

Geisterchor, V. 1607 ff.

Frosch, V. 2090 f., 2101 f., 2106/08

Brander, V. 2136 ff., mit Chorus V. 2133, 2141, 2149 (Rattenlied)

Mephisto, V. 2207 f., 2211 ff., mit Chorus V. 2239 f. (Flohlied)

Gretchen, V. 2759 ff. (Es war ein König in Thule)

Gretchen, V. 3374 ff. (Meine Ruhe ist hin – nicht zwingend ein Lied, aber von Schubert vertont)

Mephisto, V. 3682 ff. (Was machst du mir)

Chor im Dom, V. 3798 ff. (Dies irae)

Faust, Mephisto, Irrlicht, V. 3871 ff.

Chor der Hexen, V. 3956 ff.

Faust, die Schöne, Mephisto, die Alte, V. 4128 ff.

Gretchen, V. 4412 ff. (Variation des Liedes aus „Märchen vom Machandelbaum“ der Brüder Grimm)

Ich habe mich auch bei youtube umgeschaut, da gab es (u.a.) am 30. Oktober 2011 zu hören:

http://www.youtube.com/watch?v=1OV5ftPeuOg Der Schäfer putzte sich zum Tanz (Busch)

http://www.youtube.com/watch?v=WEBUPlVl98Y&feature=related dito (Wagner)

http://www.youtube.com/watch?v=3ZbWEeeWaKw&feature=related Lied der Soldaten (Wagner)

http://www.youtube.com/watch?v=FSUnNg3buek Es war eine Ratt im Kellernest (Wagner)

http://www.youtube.com/watch?v=yGz8THD3loc&feature=related Flohlied (Busch)

http://www.youtube.com/watch?v=sBqNEywuabs dito: Wagner

http://www.youtube.com/watch?v=05fL51-LKuU Es war ein König in Thule: (Schubert)

http://www.youtube.com/watch?v=FJOFlEHvQck dito

http://www.youtube.com/watch?v=CSnS4N_D_mI&feature=related dito: (Zelter)

http://www.youtube.com/watch?v=mbuVxXNNIao&feature=related Meine Ruhe ist hin (Schubert)

http://www.youtube.com/watch?v=vxyW_72Mrpc Was machst du mir (Wagner, insgesamt 7 Faust-Lieder)

http://www.grimmstories.com/de/grimm_maerchen/von_dem_machandelbaum Grimm: Märchen „Von dem Machandelbaum“ (zu Gretchens letztem Lied) – das Märchen ist nur zu lesen.

—– Vgl. zu „Faust I“ auch noch

https://norberto42.wordpress.com/2012/01/02/goethe-faust-i-magie/

https://norberto42.wordpress.com/2012/01/02/goethe-faust-i-faust-und-hiob/

https://norberto42.wordpress.com/2012/01/02/goethe-faust-i-pakt-und-wette-verlauf-und-funktion/

https://norberto42.wordpress.com/2012/01/02/goethe-faust-i-aufbau-der-gretchenhandlung/

https://norberto42.wordpress.com/2012/01/02/goethe-faust-i-motiv-weben/

https://norberto42.wordpress.com/2011/02/01/h-a-korff-uber-das-drama-des-sturm-und-drang-und-goethes-faust/

https://norberto42.wordpress.com/2012/03/10/goethe-faust-i-erste-analysen/

https://norberto42.wordpress.com/2011/05/25/goethe-faust-i-entstehung-geschichte-des-textes/

H. A. Korff über das Drama des „Sturm und Drang“ und Goethes „Faust“

Hermann August Korff hat mit dem vierbändigen Werk „Geist der Goethezeit. Versuch einer ideellen Entwicklung der klassisch-romantischen Literaturgeschichte“ ein hinreißendes Buch geschrieben, das man nur noch antiquarisch bei ebay oder booklooker usw. erwerben kann. Den 1. Band (Sturm und Drang) hat die University of Toronto Library ins Netz gestellt ( http://www.archive.org/stream/geistdergoetheze01korfuoft/geistdergoetheze01korfuoft_djvu.txt); unter http://www.archive.org/stream/geistdergoetheze01korfuoft/geistdergoetheze02korfuoft_djvu.txt kann man im Text blättern (mit ie, firefox und safari, nicht mit opera!). Man kann den 1. Band auch als Datei herunterladen, siehe http://www.archive.org/details/geistdergoetheze01korfuoft, vgl. auch http://openlibrary.org/books/OL17993647M/Geist_der_Goethezeit.

Ich stelle zunächst die Grundidee des Buches vor, wie sie im ersten Kapitel der Einleitung skizziert wird: Geist der Goethezeit (Kap. I des Buchs, erster Teil der „Einleitung“)

1. Der Humanitätstraum des gebildeten deutschen Bürgertums

Dieser Humanitätstraum der gebildeten Bürger ist das Gegenbild ihres in der Arbeitsteilung verkümmerten Bürgerseins, eine Flucht in die Dichtung; der Weg zur Humanität geht über die ästhetische Erziehung der Bürger. Das führt zu einer Spannung in den bürgerlichen Dichtern selbst, in ihrer bürgerlichen Existenz: Sie leiden an ihrer Entfremdung von der Gesellschaft. Das kann zum Weltschmerz führen (Wertherkrankheit), aber auch zu einer Anklage der bürgerlichen Gesellschaft; deshalb haben sich die Dichter deshalb gern als Freunde oder in Dichterzirkeln zusammengeschlossen.

Das Urerlebnis der Goethezeit (1770 – 1830) und ihrer Dichter ist die Spannung zwischen dem Idealismus ihres Geistes und dem Realismus ihres bürgerlichen Grundes. Diese Spannung kann sich ausformen als scharfe Anklage (Lenz), als humorvoll-idealistische Rettung der Kleinbürger (Jean Paul), im Entwurf von Gegenbildern (Idyllen – romantische Ideale verlagern diese in die Vergangenheit) oder in der Idee, den humanen Menschen zu vergesellschaften (Wilhelm Meister, Faust).

2. Die philosophische Umbildung der Religion

Diese Umbildung ist der zentrale Vorgang der Goethezeit. Nachdem die „Aufklärung“ zu einer Abkehr von den Kirchen (unter Anerkennung eines Gottes: Deismus) geführt hatte, wurde nun der christliche Dualismus (Himmel-Hölle, Gott-Mensch) selbst überwunden und der Welt eine göttliche Tiefe verliehen. Das heißt dann Pantheismus: Gott ist die Seele der Welt. Die Welt ist ein werdender Gott, die Auseinandersetzung Gottes mit sich selbst. Als Weltgeist umfasst das Göttliche alle Gegensätze in sich.

Dem entspricht eine neue Weltfrömmigkeit als Gefühl. Das ist Naturvertrauen, Naturgefühl; rein äußerlich kann es im christlichen Gewand einherkommen („Vorspiel im Himmel“), aber auch andere Religionen können dieses Gewand liefern. Toleranz ist der neuen Religion wesentlich.

3. Die Religion der Kunst

Kunst dient dazu, sich ehrfürchtig in die Welt versenken zu können, und ist damit die neue Religion. Kunst ist für die Ausbildung der Humanität notwendig; erst in der ästhetischen Erziehung vollendet sich die Humanität. Kunst erlöst uns (Schiller: Das Ideal und das Leben), sie versöhnt uns mit der Wirklichkeit. Klassisch ist Kunst dann, wenn sie aus der Not erlöst und mit dem Leben versöhnt.

Richtige Dichtung ist das Werk eines wahren Dichters. Der Dichter ist nämlich der wahre Mensch, also der, dem nichts Menschliches fremd ist – der alles erleben könnte, nicht alles erlebt haben muss (Erlebnisdichtung). Er ist Genie; seine Intuition kann er sprachlich verwirklichen. Diese Intuition kommt „von oben“, meistens spricht man von der Muse. Aber diese Muse muss als Göttin der Wahrheit verstanden werden; so ist der Dichter dem Philosophen verwandt, er ist ein Weiser.

*** Im zweiten Kapitel wird die Entwicklung der Goethezeit skizziert, ehe es im 1. Teil mit dem „Sturm und Drang“ losgeht.

Ich möchte in einigen Zitaten noch ein paar zentrale Einsichten des Buches vorstellen, um den Geschmack an der Lektüre (und evtl. am Kauf) des Buchs zu wecken: jeweils den Anfang der Ausführungen über das Drama des Sturm und Drang, über Gretchen (Faust I) und Faust selbst. Ich nenne die Seiten (des ersten Links), auf denen man den betreffenden Textanfang finden kann:

„Wir rücken nun sogleich in das Zentrum des irrationalen Dramas, wenn wir als sein eigentliches Charakteristikum die Unberechenbarkeit seiner Menschentypen und demgemäß als etwas eigentümlich Neues den ,schwachen Charakter’ erkennen, wie ihn gewisse ,Helden’ der Goetheschen Jugenddramen, Weislingen, Clavigo, Fernando usw., verkörpert zeigen…“ (S. 190)

„Auch in dieser Hinsicht [Liebe – Ehe, N.T.] ist die Sturm-und-Drang-Periode also nur die Vollendung der Aufklärung. (…) — Die klassischen Gestalten in einer dieser Hinsichten sind K l ä r c h e n und Gretchen, die Mädchen einfacher Gesellschafts- und ebensolcher Bildungskreise, die auch ohne die Formalität der Eheschließung dem Manne ihrer Wahl als etwas ganz Natürliches ihre höchste Liebesgunst gewähren: nicht im Zusammenhang mit irgendeiner bewußten Auflehnung gegen die Idee des Standesunterschiedes, dessen gesellschaftliches Recht nicht weiter in Frage gestellt wird, sondern als ein Naturrecht wahrer Liebeszusammengehörigkeit, das — und darin liegt das Entscheidende — über aller Sitte steht. Hier wird nicht wie in ,Kabale und Liebe’ der Versuch gemacht, für das Naturrecht der Liebe auch die gesellschaftliche Legitimation zu ertrotzen, hier ist die Liebe vielmehr jener Sphäre völlig entrückt, wo sie noch der gesellschaftlichen Legitimation bedarf.“ (S. 244)

„Obgleich wir somit zwischen den Faustdichtungen Müllers, Lessings und Goethes bedeutsame Zusammenhänge und daraus weiterhin erkennen, wie sehr Goethes Faustdichtung vom Geiste ihrer Zeit getragen wurde, hat nun doch schon der Urfaust Goethes jene ganz geniale, unterscheidende Wendung, durch die er seine Vorgänger weit hinter sich läßt. Was unter anderem darin charakteristisch zum Ausdruck kommt, daß alle Faustdichtungen vor Goethe mit einem Vorspiel in der Hölle beginnen, der spätere Goethesche Faust aber mit einem Prolog im Himmel, das offenbart sich innerlich in der entscheidenden Tatsache, daß jeder vorgoethesche Faust den Teufel, der Goethesche Faust aber an Stelle des Teufels den Erdgeist beschwört, nicht den Luzifer des alten Gottes, sondern den neuen Gott. Und erst der neue Gott, dessen unendliches Wesen der endliche Faust nicht zu erfassen und zu ertragen vermag, gesellt ihm, dem über das Irdische Hinausstrebenden, den zur Erde Hinabziehenden, von der christlichen Weltanschauung der ,Böse’ genannten Mephisto bei, in Wahrheit den Diener des Erdgeistes, dessen Führung sich der nach universaler Welt- und Gotteserfahrung dürstende Faust anvertrauen muß, wenn der Erdgeist seinem menschlich eingeschränkten Auffassungsvermögen zum wirklichen Erlebnis werden soll.“ (S. 293 f.)

Der 1. Band enthält natürlich viel, viel mehr; ich wollte hier nur an drei kleinen Beispielen zeigen, was man von diesem Buch erwarten darf. Im 4. Band begreift man die Idee des Ganzen erst richtig, wenn man unter Korffs Anleitung die Romantik als die Vollendung des „Sturm und Drang“ bzw. diesen als die Wurzel der deutschen literarischen Romantik versteht.

—– Vgl. zu „Faust I“ auch noch

https://norberto42.wordpress.com/2012/01/02/goethe-faust-i-magie/

https://norberto42.wordpress.com/2012/01/02/goethe-faust-i-faust-und-hiob/

https://norberto42.wordpress.com/2012/01/02/goethe-faust-i-pakt-und-wette-verlauf-und-funktion/

https://norberto42.wordpress.com/2012/01/02/goethe-faust-i-aufbau-der-gretchenhandlung/

https://norberto42.wordpress.com/2012/01/02/goethe-faust-i-motiv-weben/

https://norberto42.wordpress.com/2011/10/30/lieder-und-chore-in-faust-i/

https://norberto42.wordpress.com/2012/03/10/goethe-faust-i-erste-analysen/

https://norberto42.wordpress.com/2011/05/25/goethe-faust-i-entstehung-geschichte-des-textes/