Das Zeichen des Makrokosmus im Buch des Nostradamus (Goethe: Faust I, Regieanweisung vor V. 430) gibt es nicht zu sehen; aber wir können verstehen, was die Idee des Makrokosmos ausmacht und was Faust dementsprechend sehen müsste:
„Makrokosmos („große Welt“, von griechisch makrós „groß“ und kósmos „Welt“ […]) ist der Gegenbegriff zu Mikrokosmos („kleine Welt“). Man versteht darunter die Welt als Ganzes, insoweit sie unter einem philosophischen oder religiösen Gesichtspunkt als geordnete, in sich geschlossene Einheit – als Kosmos – aufgefasst wird. Der „Mikrokosmos“ ist dann ein abgegrenzter Teil des Makrokosmos, der zum Ganzen in einem bestimmten Verhältnis steht, etwa in einer Ähnlichkeits- oder Analogiebeziehung.
[…] Besonders häufig gilt der Mensch oder sein Körper in diesem Sinn als Mikrokosmos, daher ist der Makrokosmos/Mikrokosmos-Gedanke ein wichtiger Bestandteil vieler anthropologischer Konzepte. Oft wird auch geltend gemacht, dass der Mikrokosmos aus denselben Elementen aufgebaut sei wie der Makrokosmos.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Makrokosmos) Es geht also um Beziehungen zwischen den Himmelskörpern (Planeten, Sternen = Sternzeichen), den Elementen der Erde und den Körperteilen bzw. Organen des Menschen, um harmonische Entsprechungen in der ganzen Welt.
Diese Entsprechungen sind in verschiedenen Bildern dargestellt – so ähnlich hat man sich auch das Zeichen des Makrokosmos im „Faust“ vorzustellen:
Spagyrik – Das Weltbild der Alchemia medica
Der Begriff „Spagyrik“ setzt sich aus den beiden griechischen Wörtern „spáein“ (trennen) und „ágeirein“ (verbinden) zusammen. Dadurch dass in einem fortlaufenden Rhythmus das „Gute“ vom „Schlechten“ getrennt und weiter ausschließlich das „Gute“ wieder miteinander verbunden wird, erhöht sich die Qualität. Der Begriff „Spagyrik“ drückt die universelle Verbesserungsmethode der kosmischen Ordnung aus – Spagyrik ist Lernprozeß.
Die alchemistische Erfahrung führt zu der Einsicht, dass alle sieben Planetenprinzipien des Universums auch im Menschen veranlagt sind. Das bedeutet, der Mensch (Mikrokosmos) hat Entsprechung zum Universum (Makrokosmos): „Wie das Universum, so der Mensch“ (alchemistischer Grundsatz, s. auch Ayurveda)
Dementsprechend versteht die Alchemia medica verschiedene Organe als „innere Planeten oder Metalle“ des Menschen:
- Im Gehirn wirkt das Mond-Prinzip,
- in der Lunge wirkt das Merkur-Prinzip,
- in den Nieren wirkt das Venus-Prinzip,
- im Herz wirkt das Sonnen-Prinzip,
- in der Galle wirkt das Mars-Prinzip,
- in der Leber wirkt das Jupiter-Prinzip und
- in der Milz wirkt das Saturn-Prinzip.
Dieselben Formbildungskräfte, die die Planeten und Metalle geformt haben, haben auch die menschlichen Organe ausgebildet. So sind beispielsweise das Goldmetall und das Herz Träger derselben Formbildungskraft. Die Wirkkraft einer spagyrisch zubereiteten Goldtinktur ist somit für das Herz Heilmittel. Dieses Prinzip hat Paracelsus (1493–1541) auf die einfache Formel der Alchemia medica gebracht: „Das Gestirn wird durch das Gestirn geheilt“. Aus dieser Formel hat später Hahnemann (1755–1843) das Simileprinzip der Homöopathie – „Gleiches wird geheilt durch Gleiches“– abgeleitet. Die Bernus-Spagyrik und die Homöopathie haben somit den selben metaphysischen Hintergrund.
Ein anderes Bild: Die Tierkreiszeichen des Himmels in Beziehung zu den Organen resp. Körperteilen des Menschen; es fehlen die Beziehungen zu den Stoffen (Metalle etc.) der Erde: https://www.alamy.de/stockfoto-die-organe-des-korpers-und-die-tierkreiszeichen-einflusse-auf-sie-von-robert-fludd-1574-1637-ein-englischer-paracelsian-arzt-sowohl-mit-wissenschaftlichen-und-okkulten-interessen-vom-17-jahrhundert-162596412.html
Analogie Mikrokosmos-Makrokosmos: https://www.alamy.de/analogie-der-alchemic-mikrokosmos-den-makrokosmos-mylius-chymica-basilika-philosophica-image268849666.html
Die Planeten im Menschen: https://www.sonnenblau.com/index.php/Themen/die-planeten-im-menschen
Eine andere Darstellung (Abb. 8):
Eine sehr schöne schematische Darstellung findet man bei Gottwein in der Erläuterung der Prinzipien des Arztes Hippokrates (fehlt hier):
Das Selbstverständnis der Hippokratische Heilkunst:
- Die Analogie zwischen Makro- und Mikrokosmos
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- Gesundheit und Krankheit
- Wohlbefinden und Gesundheit besteht im harmonischen Ausgleich (εὐκρασίη) aller vier natürlichen Körperelemente (συμπαθέα πάντα), Krankheit in einer quantitativen oder funktionellen Störung ((παρὰ φύσιν oder ὑπὲρ φύσιν)). Die Voraussetzungen der Gesundheit liegen in der 1.) Zeugung, 2.) richtigen Ernährung, 3. körperlichen Betätigung und 4.) Anpassungsfähigkeit an makrokosmische Veränderungen.
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Bei den meisten Menschen weicht die individuelle Natur (φύσις – Konstitution) von dem Ideal der εὐκρασίη ab. Es ergeben sich je nach Überschuss eines Körpersaftes vier Temperamente: Sanguiniker (Blut), Phlegmatiger (Schleim), Choleriker (gelbe Galle), Melancholiker (schwarze Galle). Sie erkranken in bestimmten Jahreszeiten leichter an den für sie spezifischen Krankheiten.
http://www.gottwein.de/graeca/graeca01.php, dort unter „Hippokrates (Lex)“, am Ende der Darstellung
Man findet bei google-Bilder unter dem Stichwort „Makrokosmos“ diese und andere Darstellungen. In „Faust I“ ist das Zeichen des Makrosmos dem erscheinenden realen, wirkenden Erdgeist entgegengesetzt: Das Zeichen des Ganzen ist schwach, bringt Faust keine Erleichterung oder Erlösung; der reale Geist unserer Erde ist zu stark, ihm ist Faust nicht gewachsen, als er Befreiung aus seiner engen Studierstube sucht. So betritt er den Weg, der ihn abwechselnd ins Enge und ins Weite, ins Enge und ins Weite… führt (vgl. dazu http://www.nicolas-bellm.de/schule/deutsch/faust.htm).
Im Kapitel „Tollheiten des Mystizismus“ in G. von Schlaberndorfs Roman „Der Krokodill“ (1806) findet man die Zahlenspekulationen und ihre mystischen Beziehungen zu Elementen und Planeten beschrieben, wie man sie sich wohl im Bild des Makrokosmos vorzustellen hat (https://archive.org/details/bub_gb_jYFXAAAAcAAJ/page/n375/mode/2up).
In „Dichtung und Wahrheit“ berichtet Goethe von eigener Lektüre mystischer chemisch-alchemistischer Bücher, die er zusammen mit Susanne von Klettenberg studierte, und von Experimenten mit den Ingredienzien des Mikro- und Makrokosmus. Das geschah nach seiner Rückkehr aus Leipzig 1768, wo er krank geworden war, so dass er der Pflege bedurfte und sich an die pietistische Freundin seiner Mutter, Susanne von Klettenberg, anschloss (HA Bd. 9, S. 338,31 ff.; Dichtung Wahrheit, Zweiter Teil, 8. Buch). Ein in diesen Kreisen verkehrender Arzt heilte Goethes Verdauungsprobleme durch ein geheimnisvolles, von ihm selber unerlaubterweise zubereitetes Salz. – Man sollte den Text ab folgendem neuem Absatz lesen: „Meine Mutter, von Natur sehr lebhaft und heiter, brachte unter diesen Umständen sehr langweilige Tage zu. Die kleine Haushaltung war bald besorgt. Das Gemüt der guten, innerlich niemals unbeschäftigten Frau wollte auch einiges Interesse finden, und das nächste begegnete ihr in der Religion, das sie um so lieber ergriff, als ihre vorzüglichsten Freundinnen gebildete und herzliche Gottesverehrerinnen waren. Unter diesen stand Fräulein von Klettenberg obenan.“
Es genügt, wenn der Lehrer diese Stelle kennt; die armen Schüler soll man nicht dadurch verwirren, dass man außer der fiktionalen Ebene des Textes und der darin gespielten Historie des Dr. Faustus (16. Jh.) auch noch die Ebene der Biografie Goethes ins Spiel bringt.
Analysen zu „Faust I“: https://norberto42.wordpress.com/2012/03/10/goethe-faust-i-erste-analysen/