Hofmannsthal: seine bedeutenden Gedichte (mit Hilfsmitteln)

Hugo von Hofmannsthal (1874–1929)

Es war nicht einfach, für Hofmannsthal Gedichte zu finden, die heute noch in einen Kanon ‚Hofmannsthals bedeutende Gedichte’ gehören. Wenn man Reich-Ranickis Kanon, Der Große Conrady und „Epochen der deutschen Lyrik“ befragt (mit der Maßgabe, dass ein Gedicht in zwei dieser drei Quellen genannt sein muss, damit es zum „Kanon gehört), kommen nur ganz wenige Gedichte Hofmannsthals in Frage. Ich habe deshalb meine Kriterien gelockert und eine weitere Quelle hinzugenommen: http://de.wikisource.org/wiki/Kategorie:Hugo_von_Hofmannsthal; dann kommt man auf die Gedichte, die bisher in diesem Blog analysiert worden sind:

Die Beiden

Vorfrühling

Über Vergänglichkeit (Terzinen I)

Was ist die Welt?

Prolog (Einleitung) zu „Anatol“

Erlebnis

Weltgeheimnis

Wir sind aus solchem Zeug wie das zu Träumen (Terzinen III)

Der Jüngling in der Landschaft

Manche freilich

Ein Knabe

Ein Traum von großer Magie

Dein Antlitz…

Der Kaiser von China spricht,

sowie auf die folgenden:

Lebenslied, (1896), veröffentlicht 1898 

Verse auf ein kleines Kind, (1897) veröffentlicht 1898

Reiselied, 1898 veröffentlicht

Im Grünen zu singen I. (Hörtest du denn nicht hinein), veröffentlicht 1899

Im Grünen zu singen II. (War der Himmel trüb und schwer)

Im Grünen zu singen III. (Die Liebste sprach)

Die folgenden Links sollen beim Verständnis der Gedichte Hofmannsthals weiterhelfen:

http://gedichte.xbib.de/gedicht_Hofmannsthal.htm (Gedichte)  

http://www.zeno.org/Literatur/M/Hofmannsthal,+Hugo+von/Gedichte

http://de.wikipedia.org/wiki/Hugo_von_Hofmannsthal (HvH)

http://germanistik.gradina.net/wp-content/blogs/2/uploads//Hofmannsthal,%20Biographie,%20Killy.pdf (H.A. Koch, Hofmannsthal, in: Killy)

http://www.judentum-projekt.de/persoenlichkeiten/liter/hofmannsthal/index.html (HvH)

http://www.lexikus.de/bibliothek/Juden-in-der-deutschen-Literatur/Hugo-v-Hofmannsthal-von-Willy-Haas (Willy Haas: Hugo von Hofmannsthal)

http://www.gaestebuecher-schloss-neubeuern.de/biografien/Hofmannsthal%20Hugo%20von.pdf

http://publikationen.ub.uni-frankfurt.de/opus4/frontdoor/deliver/index/docId/13965/file/05_VO_5_Hofmannsthal.pdf (HvH)

http://riccardoconcetti.altervista.org/Hofmannsthal_Michel_Concetti.pdf (Hugo von Hofmannsthal und Robert Michel. Briefe)

http://www.ub.fu-berlin.de/service_neu/internetquellen/fachinformation/germanistik/autoren/autorh/hugovh.html (Links zu Hofmannsthal: Leben und Werk)

http://www.litde.com/sonstige/gestatten-hugo-von-hofmannsthal.php

http://home.bn-ulm.de/~ulschrey/literatur/hofmannsthal/junge-hofmannsthal.html (D. Schrey: Die Lyrik des jungen Hofmannsthal)

http://www.otto-friedrich-bollnow.de/doc/Hofmannsthal.pdf (Bollnow: Zum Lebensbegriff des jungen Hugo von Hofmannsthal)

http://www.gleichsatz.de/b-u-t/trad/hofm2.html (Der frühe Hofmannsthal: Schizophrenie als dichterische Struktur)

http://www.freidok.uni-freiburg.de/volltexte/6736/pdf/Mauser_Sensitive_Lust.pdf (W. Mauser: Untersuchungen zur Lyrik des jungen Hofmannsthal)

http://www.uni-due.de/lyriktheorie/texte/1904_hofmannsthal.html (Lyriktheorie Hofmannsthals)

http://www.fundus.org/pdf.asp?ID=8523 (Kulturgeschichtliche Perspektiven im essayistischen und novellistischen Werk Hugo von Hofmannsthals)

http://www.nthuleen.com/papers/150midterm.html (Hofmannsthal und Hauptmann)

http://www.renner-henke.de/ZauberEinleitung.htm (Bildende Kunst in Hofmannsthals Texten, 2000)

http://booksnow2.scholarsportal.info/ebooks/oca5/29/hugovonhofmannst00sulguoft/hugovonhofmannst00sulguoft.pdf  (E. Sulger-Gebing: Hugo von Hofmannsthal. Eine literarische Studie, 1905)

Hofmannsthal: Der Kaiser von China spricht – zum Verständnis

In der Mitte aller Dinge…

Text

http://gutenberg.spiegel.de/buch/1003/59

http://www.gedichte.xbib.de/Hofmannsthal_gedicht_Der+Kaiser+von+China+spricht:.htm

http://aladinrc.wrlc.org/bitstream/handle/1961/9166/Barron,%20Andrew%20-%20Spring%20’10.pdf?sequence=1 (dort S. 12, mit engl. Übersetzung)

Ankündigung eines Seminars:

„Lange Zeit ist China aus europäischer Perspektive ein Inbegriff und Topos des Fremden, Unverständlichen gewesen – was nicht nur mit der geografischen Ferne und Unvertrautheit des kulturellen Raums, sondern auch mit der ‚Unlesbarkeit’ seiner Zeichen zu tun hat. Neuerdings beginnt sich diese Fremdheit jedoch in einer verstärkten Aufmerksamkeit auf gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Entwicklungen aufzulösen, die in China die heraufkommende ‚Weltmacht’ erblickt. Lange Zeit haben auch chinesische Schauplätze in deutschsprachigen literarischen Texten vor allem der ästhetischen Distanzierung und Verfremdung gedient (vgl. etwa Paul Weidmanns klassizistisches ‚Originaltrauerspiel’ Usanquei, oder die Patrioten in Sina, 1771, und noch Bertolt Brechts Der gute Mensch von Sezuan, 1953). Aber in den Ansichten Chinas, die literarische Texte entwerfen, wird auch eine ‚Imagologie’, werden Topoi und Stereotype ausgebildet, die nur selten auf Erfahrung gegründet sind. Das Seminar will solche ‚Chinabilder’ anhand von Texten und Textproben vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart untersuchen. Zur Sprache kommen [in diesem Seminar des KIT, WS 2007/08, N.T.] Texte von Goethe (Chinesisch-deutsche Jahres- und Tageszeiten), Georg Forster, Heinrich Heine (Der Kaiser von China), Hugo von Hofmannsthal (Der Kaiser von China spricht), Franz Kafka (Beim Bau der chinesischen Mauer), Karl Kraus (Die chinesische Mauer), Alfred Döblin (Die drei Sprünge des Wang-lun), Max Frisch (Die chinesische Mauer), Hermann Kinder (Kina, Kina) und Christian Kracht (1979).“

Es fällt mir schwer, etwas zur Interpretation des 1897 entstandenen Gedichtes zu sagen; es ist ein Stück historischer China-Rezeption – vergangene Rezeption eines vergangenen China. Ich verweise auf einen Beitrag aus dem Programm des Deutschlandfunks sowie auf die folgenden Links:

http://www.deutschlandfunk.de/balsam-fuer-die-europaeische-kultur.1184.de.html?dram:article_id=185465 (Dagmar Lorenz: Hugo von Hofmannsthal und die Ruhe des Chinesen)

http://www.digitale-schule-bayern.de/dsdaten/18/587.pdf (Klabund: Geschichte der Weltliteratur in einer Stunde, 1922)

http://www.beyars.com/kunstlexikon/lexikon_1687.html („Chinoiserie“)

http://www.zeit.de/1973/40/chinoiserien-in-preussen/seite-1 (Chinoiserien in Preußen)

http://users.ox.ac.uk/~oaces/conference/papers/Bob_Lemon.pdf (Eastern Empires an Middle Kingdoms: Austria and China in Hofmannsthal and Kafka’s Orientalist Fictions)

http://www.stumpfeldt.de/hcn/hcn28/dct.html (Hamburger China-Notizen)

http://rep.adw-goe.de/bitstream/handle/11858/00-001S-0000-0007-5EB4-F/Article%20-%2028.pdf?sequence=1 (Anfänge einer modernen China-Rezeption in deutschen Kulturzeitschriften um 1900)

http://www.hhesse.de/media/files/01_china.pdf (Hermann Hesse und China)

Bilder

http://www.grassimuseum.de/ausstellungen/staendige-ausstellungen/antike-bis-historismus/raum-21-rokoko-chinoiserien.html

http://www.tapeten.de/wissenswertes/geschichte-der-tapete/

http://www.thegildedstag.com/wp-content/uploads/2013/02/Chinoiserie-Painting.jpg

http://www.hennydonovanmotif.co.uk/images/chinoiserie2small-large1.jpg

http://cmcdesignstudio.com/wp-content/uploads/2009/07/chinoiserie-landscape-on-bombe-chest1.jpg%3Fw%3D300

http://www.essential-architecture.com/STYLE/STY-Chinoiserie.htm

(weitere Bilder unter „Chinoiserie“ bei google-Bilder)

Hofmannsthal: Dein Antlitz… – Analyse

Dein Antlitz war mit Träumen ganz beladen…

Text

http://www.versalia.de/archiv/von_Hofmannsthal/Dein_Antlitz_war_mit_Traeumen_ga.2190.html

http://www.e-literatum.de/t77113193f22-Hugo-von-Hofmannsthal.html

http://www.zeno.org/Literatur/M/Hofmannsthal,+Hugo+von/Gedichte/Die+Gedichte%3A+Ausgabe+1924/Dein+Antlitz

http://de.wikisource.org/wiki/Dein_Antlitz

Das 1896 entstandene Gedicht war vielleicht an Georg Albert von und zu Franckenstein gerichtet, einen intimen Freund Hofmannsthals, den er und Leopold von Andrian „Bubi“ oder öfter noch „Bui“ nannten und der ab 1894/95 zum Freundeskreis Hofmannsthals gehörte; das Helle, Weiße, Glänzende ist bei O. Wilde und St. George mit dem Androgynen und mit Homoerotik verbunden. (Ilija Dürhammer, in: Literatur, Universalie und Kulturenspezifikum, hrsg. von Andreas Kramer und Jan Volker Röhnert, 2010, S. 149 f.) Es wurde im März 1896 in Georges „Blätter für die Kunst“ veröffentlicht.

Das lyrische Ich spricht von dem Eindruck, den ein Du auf das Ich macht. Es braucht also die Pronomina der 2. Person (Dein Antlitz, V. 1; deinem Haar, V. 15; deinen Lidern, V. 16), ohne dass man daraus schließen kann, dass es dieses Du tatsächlich anspricht. Wahrscheinlicher ist es, dass es monologisch seine Begegnungen mit dem Du bedenkt.

Zuerst spricht es von einer undatierten vergangenen Begegnung: „Dein Antlitz war mit Träumen ganz beladen…“ (V. 1, Präteritum). „Antlitz“ ist gehobene Sprache; mit wessen Träumen das Antlitz beladen war, wird nicht gesagt – vermutlich ist diese erlesene Wendung nur die Umschreibung für den Satz „Du blicktest verträumt“; dafür spricht die Aufteilung der Verse 1 / 2 nach den Anteilen Du / Ich. Das „Beben“ (V. 2) ist Ausdruck der Erschütterung: Das Ich blieb stumm, erst nachträglich kann es darüber sprechen.

Dann folgt der rätselhafte, später zweimal wiederholte Satz „Wie stieg das auf!“ (V. 3; 11, 12) Es wird nicht gesagt, was wo aufstieg. Zwei Möglichkeiten sehe ich, das Was zu bestimmen: a) das Beben, b) der folgende dass-Satz bzw. das im dass-Satz Gesagte. Für die zweite Möglichkeit spricht der Inhalt des dass-Satzes: dass das Ich sich „einmal schon / In frühern Nächten völlig hingegeben“ (V. 3 f.) hatte. Das besagt, dass es sich auch in seinem stummen Beben dem Du hingibt – früher hatte es sich dem Mond und dem Tal hingegeben (V. 5).

Mond, Tal, Fluss sind die Requisiten in Goethes Gedicht „An den Mond“; durch diesen Rückbezug wird als Alternative zur Hingabe an Mond und Tal die Hingabe an den Freund aufgerufen („Selig, wer sich vor der Welt / Ohne Haß verschließt, / Einen Freund am Busen hält…“; in der 1. Fassung hieß es: „Einen Mann am Busen hält…“). „Wie stieg das auf!“ – das wäre dann die Erinnerung an die frühere Hingabe und ihre Emotionen. Dafür spricht die Fortsetzung: „Denn allen diesen Dingen / Und ihrer Schönheit – die unfruchtbar war – / Hingab ich mich in großer Sehnsucht ganz“ (V. 12-14). Und dann wird die Verbindung zur neuen Begegnung hergestellt: „Wie jetzt“ (V. 15). Das Adverbial „jetzt“ markiert gegenüber der Begegnung mit dem verträumten Antlitz eine zweite, neue Begegnung. Die neue Begegnung mit dem Du wird gegenüber der Hingabe an Mond und Tal dadurch hervorgeheben, dass jene als „unfruchtbar“ (V. 13) abgewertet wird: völlige Hingabe umsonst! Diesmal ist das Ich vom Haar des Du und von den glänzenden Augen ergriffen. Dass Antlitz, Haar und Augen des Du faszinieren, lässt die Begegnung als erotisch, aber nicht sexuell bestimmt erscheinen.

Die Form des Gedichtes ist eigenwillig; es reimen sich V. 2/4, dann V. 8/12 paarig, schließlich V. 13-16 im Kreuzreim. Der Takt ist eigentlich ein fünfhebiger Jambus mit teils männlicher, teils weiblicher Kadenz; einige Verse weichen davon jedoch stark ab, und zwar immer die Verse mit der Wendung „Wie stieg das auf!“ (alle vier Silben werden betont!). Dann fallen auch V. 14 und 15 aus dem Schema heraus. Es fällt auf, dass der Bericht von der Hingabe an Mond und Tal (der dass-Satz) nur einen einzigen Satz ausmacht, der über alle Versenden hinweg geht; auch die letzten vier Verse bilden einen einzigen Satz – man hört die Aufregung des Ergriffenen aus seinem Tempo heraus. Die Inversion „Hingab ich mich“ wirkt künstlich, ebenso die Inversion in V. 9-11.

In der Strophenbildung ist V. 12 der letzten Strophe zugeschlagen worden, obwohl er nach dem Schema zur dritten gehören könnte; damit wird das dritte „Wie stieg das auf!“ vom zweiten getrennt und mit neuer Betonung hervorgehoben.

In allen Drucken heißt es im letzten Vers „diesen Glanz“; nach den Handschriften müsste es „diesem Glanz“ heißen, grammatisch von „von“ (V. 15) abhängig. Hier konnte sich der Dichter nicht gegen die Drucker durchsetzen.

Vortrag

http://www.youtube.com/watch?v=m-eKasl4S-o

http://www.sprechbude.de/dein-antlitz-hugo-von-hofmannsthal/ (Angelika Fanai)

Hofmannsthal: Ein Traum von großer Magie – Analyse

Viel königlicher als ein Perlenband…

Text

https://www.uni-due.de/lyriktheorie/texte/1896_2hofmannsthal.html

http://www.balladen.de/web/sites/balladen_gedichte/autoren.php?b05=13&b16=132

http://www.richard-dehmel.de/rdehmel/zeitgenossen/hofmannsthal.html#Traum

„Wir sind aus solchem Zeug wie das zu Träumen“, dieses Gedicht Hofmannsthals haben wir hier bereits kennengelernt. Nun steht erneut ein Traum-Gedicht an, 1895 entstanden, 1896 veröffentlicht. Es ist „Ein Traum von grosser Magie“.

Magie wird in einer klassischen anthropologischen Definition als der Glaube angesehen, durch Manipulation übernatürlicher Mächte könne man gute oder böse Wirkungen erzielen.“ (wikipedia) Wir brauchen die wissenschaftlichen Diskussionen darüber, was Magie nun wirklich ist oder wie sie sich von Hexerei und Religion unterscheidet, nicht zu verfolgen. Es genügt zu wissen, dass als Magie „die vorgegebene Kunst, Wirkungen hervor zu bringen, welche die natürlichen Kräfte der Körper übertreffen“ (Adelung), bezeichnet wird. Im Traum von großer Magie vollzieht der Sprecher also eine Regression in ein früheres Stadium der Geschichte oder in ein frühes Stadium seiner geistigen Entwicklung – solange er im Traum der großen Magie befangen bleibt.

Der Ich-Sprecher erzählt in der 1. Str. von einem Traum, den er „fand“ (V. 3) und außerordentlich hoch schätzt. In Str. 2-13 wird der Inhalt des Traums erzählt. Dabei wird zuerst die Situation des (im Traum) schlafenden Ichs geschildert (Str. 2-3); es folgt der Bericht davon, wie der große Magier auftrat (Str. 4-10); in den letzten drei Strophen des Traumberichts wird die überirdische Position des Magiers zusammenfassend herausgestellt: „Er fühlte traumhaft aller Menschen Los (…), Genoß er allen Lebens großen Gang (…)“ (V. 31 ff.). Unter einer gestrichelten Linie folgen noch zwei Strophen bzw. sieben Verse, in denen das lyrische Ich bedenkt, was „unser [zuweilen träumender, N.T.] Geist“ (V. 40) ist und wie er in uns bzw. „in mir“ (V. 45) lebt; diese letzten sieben Verse stehen im Präsens, während die Erzählung vorher im Präteritum abgefasst ist.

Der große Magier erweist sich zunächst als Herr der Elemente Erde und Wasser (V. 16 ff.); daraus holt er die tönenden Edelsteine hervor: Musik und Sprache (V. 20 f.). Dann ruft er mit einem Wort die vergangenen Zeiten herauf (V. 27 f.), wodurch er sich als der große Mittler erweist (V. 31), und zwar nicht nur der Menschen, sondern aller Lebewesen, ja des Lebens selbst (13. Str.).

Es folgt unterm Strich die Traumdeutung; dort leugnet der Sprecher möglicherweise die „Wahrheit“ der Magie, indem er auf den Geist reflektiert, der die Welt regiere (V. 40). Christoph König formuliert Hofmannsthals Problem, das sich in dieser Spannung zwischen Traum und Reflexion zeigt, so: „Wie kann ich die Magie, die die strenge Form schafft, samt ihrer Unmittelbarkeit retten angesichts einer Dualität, die die (Universitäts)Philosophie behauptet?“ (Hofmannsthal: ein moderner Dichter unter den Philologen, S. 104) König meint, Hofmannsthal könne das Problem nicht lösen. Gegen König kann man aber vertreten, dass der Geist als „Feuer“ (V. 43) bestimmt wird, welches auch „mit den Feuern jener Ferne“ spricht (V. 42) und sich so als das überlegene bzw. den Traum mit einschließende Prinzip erweist.

Das Gedicht ist in Terzinen angefasst: fünfhebigen Jamben in Strophen zu drei Versen, die sich nach dem Muster a-b-a, b-c-b, c-d-c, usw. reimen; der Takt wird nicht immer sauber durchgehalten (z.B. V. 4).

Stefan Waba hat in einer Seminararbeit im WS 1999/2000 unter anderem Hofmannsthals Vortrag „Bildlicher Ausdruck“ (1897) referiert. Zum angemessenen Verständnis des Gedichts „Ein Traum von grosser Magie“ und seiner Bilder zitiere ich zwei Absätze aus Wabas Referat von Hofmannsthals Vortrag:

Gleich zu Beginn wendet er sich mit Nachdruck gegen die Auffassung, ein Dichtwerk sei „mit bildlichem Ausdruck geziert“. Denn dies rufe eine falsche Vorstellung hervor, die Vorstellung nämlich, dass Bilder in der Dichtkunst etwas Entbehrliches seien, die bloß als schmückendes Beiwerk dienen. Hofmannsthal stellt im Gegenteil fest, der bildliche Ausdruck sei Kern und Wesen aller Poesie: „Jede Dichtung ist durch und durch ein Gebilde aus uneigentlichen Ausdrücken“. Dies unterstreicht die schon in „Poesie und Leben“ erläuterte Auffassung, ein Kunstwerk sei eben nicht ein bloßes Abbild der Natur, sondern schaffe sich seine eigene Bilderwelt.

In diesem Sinne fährt Hofmannsthal fort. Die Handlungen und Personen von literarischen Werken seien nichts anderes als „Gleichnisse, aus vielen Gleichnissen zusammengesetzt“. Genauso verhalte es sich mit der Sprache, die auch voller Gleichnisse sei. Bloß werden diese im normalen Sprachgebrauch nur unbewusst verwendet. Der Dichter sei der Einzige, der sich des Gleichnishaften der Sprache ununterbrochen bewusst ist und damit in seiner Dichtung Bezüge zur Wirklichkeit herstellen kann. (S. 13)

Stefan Waba: Kulturgeschichtliche Perspektiven im essayistischen und novellistischen Werk Hugo von Hofmannsthals (dort S. 12-14)

Vortrag

http://www.youtube.com/watch?v=zitqKb-PtuM (Patrick B.)

Hofmannsthal: Ein Knabe – zur Interpretation

Ein Knabe stand ich so im Frühlingsglänzen…

Text

http://gutenberg.spiegel.de/buch/1003/18

http://www.thokra.de/html/hofmannsthal1.html

http://www.gedichte.xbib.de/Hofmannsthal_gedicht_Ein+Knabe+stand+ich+so+im+Fr%FChlingsgl%E4nzen….htm

http://www.avl.uni-mainz.de/Dateien/Aesthetizismus-Vorlesung.doc (Auszüge aus „Der Tod und der Tor“, dort S. 34 ff.)

Das Gedicht ist Teil von Hofmannsthals Drama „Der Tod und der Tor“ (1894). Es stammt aus einer Rede Claudios, ist von Musik begleitet. Wenn man den Kontext liest, fühlt man sich stark an Goethes „Faust“, und zwar an die Osternacht und die Szene vor dem Tor erinnert. 1896 ist es als eigenständiges Gedicht veröffentlicht worden.

Ich zitiere aus einer Dissertation zur Interpretation des Kontextes im Drama:

„Was erfahren wir über Claudios Leben? Eigentlich sehr wenig. Das Bezeichnende für Claudio ist nämlich die Armut an Erlebnissen. Claudio selbst erzählt nur von seiner Sehnsucht nach etwas Größerem, als das Leben ist. Als er jung war, durchdrang ihn eine „so hohe Ahnung von den Lebensdingen, daß dann die Dinge, wenn sie wirklich [waren], nur schale Schauer des Erinnerns [brachten].“ (GD1, 297)

Andererseits hat Claudio in seiner Jugend auch jenes Gefühl erlebt, das Nietzsche als dionysisch bezeichnet. Es ist das Gefühl der Vereinigung ‚mit dem Ur-Einen, seinem Schmerz und Widerspruch’ (zitiert nach STR, 54) das Nietzsche in seiner Geburt der Tragödie der Wirkung der Musik zuschreibt. Dieses Gefühl beschreibt Hofmannsthal meistens als eine Art Entgrenzung und Ausweitung der eigenen Person, die eine ungeheure Anteilnahme an allen Einzelwesen oder sogar ein „Hinüberfließen“ in sie ermöglicht. Der Klang der Geige des Todes erweckt in Claudio dieses Gefühl, das ihn an die Gefühlswelt seiner Jugend erinnert. Claudio beschreibt die Wirkung der Musik folgendermaßen:

Wie der Geliebten, wie der Mutter Kommen,

Wie jedes Langverlornen Wiederkehr,

Regt es Gedanken auf, die warmen, frommen,

und wirft mich in ein jugendliches Meer:

Ein Knabe stand ich so im Frühlingsglänzen

Und meinte aufzuschweben in das All,

Unendlich Sehnen über alle Grenzen

Durchwehte mich in ahnungsvollem Schwall! (GD1, 287)

Dieses Gefühl steht scheinbar im vollen Gegensatz zum Großteil aller Repliken und Monologe Claudios, in denen er sich über das Fehlen seiner Anteilnahme an der Welt beklagt.“ (Pavel Knápek: Zur Kunstauffassung und Künstlerproblematik im Werk von Hugo von Hofmannsthal und Henrik Ibsen, Dissertation, S. 11 f.) 

 

Kontext des Gedichtes in „Der Tod und der Tor“:

Claudio

        Hinter der Szene erklingt das sehnsüchtige und ergreifende Spiel einer Geige, zuerst ferner, allmählich näher, endlich warm und voll, als wenn es aus dem Nebenzimmer dränge.)

       Musik?


       Und seltsam zu der Seele redende!


       Hat mich des Menschen Unsinn auch verstört?


       Mich dünkt, als hätt ich solche Töne


       Von Menschengeigen nie gehört . . .

(Er bleibt horchend gegen die rechte Seite gewandt)

In tiefen, scheinbar lang ersehnten Schauern


Dringts allgewaltig auf mich ein;


Es scheint unendliches Bedauern,


Unendlich Hoffen scheints zu sein,


Als strömte von den alten, stillen Mauern


Mein Leben flutend und verklärt herein.


Wie der Geliebten, wie der Mutter Kommen,


Wie jedes Langverlornen Wiederkehr,


Regt es Gedanken auf, die warmen, frommen,


Und wirft mich in ein jugendliches Meer:


Ein Knabe stand ich so im Frühlingsglänzen


Und meinte aufzuschweben in das All,


Unendlich Sehnen über alle Grenzen


Durchwehte mich in ahnungsvollem Schwall!


Und Wanderzeiten kamen, rauschumfangen,


Da leuchtete manchmal die ganze Welt,


Und Rosen glühten, und die Glocken klangen,


Von fremdem Lichte jubelnd und erhellt:


Wie waren da lebendig alle Dinge


Dem liebenden Erfassen nah gerückt,


Wie fühlt ich mich beseelt und tief entzückt,


Ein lebend Glied im großen Lebensringe!


Da ahnte ich, durch mein Herz auch geleitet,


Den Liebesstrom, der alle Herzen nährt,


Und ein Genügen hielt mein Ich geweitet,


Das heute kaum mir noch den Traum verklärt.


Tön fort, Musik, noch eine Weile so


Und rühr mein Innres also innig auf:


Leicht wähn ich dann mein Leben warm und froh,


Rücklebend so verzaubert seinen Lauf:


Denn alle süßen Flammen, Loh an Loh


Das Starre schmelzend, schlagen jetzt herauf!


Des allzu alten, allzu wirren Wissens


Auf diesen Nacken vielgehäufte Last


Vergeht, von diesem Laut des Urgewissens,


Den kindisch-tiefen Tönen angefaßt.


Weither mit großem Glockenläuten


Ankündigt sich ein kaum geahntes Leben,


In Formen, die unendlich viel bedeuten,


Gewaltig-schlicht im Nehmen und im Geben.

(Die Musik verstummt fast plötzlich.)

Da, da verstummt, was mich so tief gerührt,


Worin ich Göttlich-Menschliches gespürt!


Der diese Wunderwelt unwissend hergesandt,


Er hebt wohl jetzt nach Kupfergeld die Kappe,


Ein abendlicher Bettelmusikant.

(Am Fenster rechts)

Hier unten steht er nicht. Wie sonderbar!


Wo denn? Ich will durchs andre Fenster schaun . . .

(Wie er nach der Türe rechts geht, wird der Vorhang leise zurückgeschlagen, und in der Tür steht der Tod, den Fiedelbogen in der Hand, die Geige am Gürtel hängend. Er sieht Claudio, der entsetzt zurückfährt, ruhig an.)

Wie packt mich sinnlos namenloses Grauen!


Wenn deiner Fiedel Klang so lieblich war,


Was bringt es solchen Krampf, dich anzuschauen?


Und schnürt die Kehle so und sträubt das Haar?


Geh weg! Du bist der Tod. Was willst du hier?


Ich furchte mich. Geh weg! Ich kann nicht schrein.

(sinkend)

Der Halt, die Luft des Lebens schwindet mir!


Geh weg! Wer rief dich? Geh! Wer ließ dich ein?

Der Tod

       Steh auf! Wirf dies ererbte Graun von dir

       
Ich bin nicht schauerlich, bin kein Gerippe!


       Aus des Dionysos, der Venus Sippe,


       Ein großer Gott der Seele steht vor dir.

       
Wenn in der lauen Sommerabendfeier


       Durch goldne Luft ein Blatt herabgeschwebt,

       
Hat dich mein Wehen angeschauert,

       
Das traumhaft um die reifen Dinge webt;


       Wenn Überschwellen der Gefühle


       Mit warmer Flut die Seele zitternd füllte,


       Wenn sich im plötzlichen Durchzucken


       Das Ungeheure als verwandt enthüllte,

       
Und du, hingebend dich im großen Reigen,

       
Die Welt empfingest als dein eigen:


       In jeder wahrhaft großen Stunde,

       
Die schauern deine Erdenform gemacht,


       Hab ich dich angerührt im Seelengrunde


       Mit heiliger, geheimnisvoller Macht.

Claudio

       Genug. Ich grüße dich, wenngleich beklommen.

(http://gutenberg.spiegel.de/buch/1009/1 Der Tod und der Tor, Text)

Zum Schluss einige Interpretationen zu „Der Tor und der Tod“:

http://www.peter-matussek.de/Pub/A_24.html

http://de.wikipedia.org/wiki/Der_Tor_und_der_Tod

http://thanatoblog.wordpress.com/2010/01/05/hugo-von-hofmannsthal-der-tor-und-der-tod/

http://aspektedergermanistik.blogspot.de/2012/02/hugo-von-hofmannsthal-der-tor-und-der.html und

http://aspektedergermanistik.blogspot.de/2012/03/hugo-von-hofmannsthal-der-tor-und-der.html

http://www.univie.ac.at/iggerm/files/mitschriften/Literaturgeschichte_I-2009S-Sonnleitner.pdf (dort S. 3-5)

http://deutschsprachige-literatur.blogspot.de/2010/05/epoche-symbolismus-1890-1920.html (Symbolismus)

Vortrag

http://www.youtube.com/watch?v=CGpt8VCD4Lw (Patrick B.)

Hofmannsthal: Ballade des äußeren Lebens – Analyse

Und Kinder wachsen auf mit tiefen Augen…

Text

http://www.lyrikwelt.de/gedichte/hofmannsthalg1.htm

http://www.german.sbc.edu/hofmannstalgedichte.html (mit analytischen Verstehensfragen)

http://www.rivisteweb.it/doi/10.1419/36319

http://www.rbreu.de/galerie/artandpoetry/html/hofmannsthal.html (in deutscher Schrift: Sütterlin)

Das lyrische Ich dieses Gedichts verbirgt sich in einem umfassenden Pronomen „wir“ (V. 8); es äußert sich in seiner Subjektivität von der 5. Strophe an: in Fragen (V. 13 ff.) und der emphatischen Schlussthese (V. 20 ff.).

Die ersten vier Strophen des 1894 entstandenen Gedichts beginnen mit der Konjunktion „Und“; dadurch wird signalisiert, dass man die Aufzählung der darin genannten Phänomene von Entstehen und Vergehen, von Leben und Untergang endlos fortsetzen kann. Die Wiederholbarkeit wird im wiederholten Adverbial „immer wieder“ (V. 7) ausdrücklich bestätigt, ebenso durch das Pronomen „alle“ (V. 3) und das unbestimmte Adverbial „da und dort“ (V. 11). In diesen endlosen Lebensvollzug gehören auch die vielen Worte, die wir machen (V. 8), der Wechsel von Lust und Müdigkeit (V. 9); sie füllen die Strophen der „Ballade des äußeren Lebens“, wie die Überschrift sie ankündigt.

Dieser Aufzählung stellt das lyrische Ich seine Frage entgegen: Wozu? (V. 13). Die Frage wird variiert und auf den bzw. die Menschen selbst bezogen: „Was frommt das alles uns und diese Spiele (…)?“ (V. 16 ff.) Angesichts ihrer stetigen Wiederholung erweisen sich die Lebensvollzüge als bloße „Spiele“ (V. 16), die den Menschen in seiner Einsamkeit belassen (V. 17) und ziel-los betrieben werden (V. 18). Im Partizip „wandernd“ (V. 18) wird der alte Topos vom Menschen als Wanderer aufgegriffen; doch er ist nicht mehr nach der ewigen Heimat unterwegs, sondern wandert ziellos umher. So erweist sich in der Distanz des Reflektierens dieser ganze Spielbetrieb als sinnlos: „Was frommts, dergleichen viel gesehen haben?“ (V. 19); „frommen“ ist ein altertümliches Verb, bereits um 1800 veraltet, in der Bedeutung „Nutzen, Vorteil bringen“ (Adelung).

Gegen diese kritischen Fragen setzt das lyrische Ich seine eigene These, dass der viel sagt, „der ‚Abend’ sagt“ (V. 20); dieses eine Wort „Abend hebt sich gegen die vielen Worte, die täglich gewechselt werden (V. 8), ab. „Abend“ bezeichnet das Ende des Tages, betont das Weinen nach dem Lachen (zu V. 15), die Müdigkeit gegenüber der Lust (V. 9), das Niederfallen nach dem Erblühen (V. 4 f.). Mit diesem einen Wort bejaht sein Sprecher die Todesnähe des Lebens. Dies erklärt das lyrische Ich zum Abschluss: Es ist ein Wort „daraus Tiefsinn und Trauer rinnt“ (V. 21, Alliteration). Mit einem Vergleich beschließt es seine Äußerung; Tiefsinn und Trauer rinnen aus dem Wort  „Wie schwerer Honig aus den hohlen Waben“ (V. 22). Tiefsinn und Trauer sind also die Frucht des Lebens, die Ernte, sein Ertrag; und die vielen Lebensspiele gleichen – indirekt zumindest – den hohlen Waben, die ihren Ertrag preisgegeben haben.

Das Gedicht besteht aus Terzinen: dreizeilige Strophen, mit fünfhebigen Jamben: a-b-c, b-d-b, d-e-d, e-f-e, f-g-f, g-h-g, i-j-h, i; h und j weisen eine männliche Kadenz auf, die andere eine weibliche (eine Silbe zusätzlich). Durch die Form der Terzinen werden die verschiedenen Aussagen, erst recht die klagende Aufzählung, die aufbegehrenden Fragen und die besänftigende Antwort ineinander verschlungen.

http://www.stiftikus.de/umbruh19/HvHball1.pdf (zwei Interpretationen, gekürzt)

Eine Interpretation F.N. Mennemeiers gibt es in „Die deutsche Lyrik“, hrsg. von Benno von Wiese, Bd. II, S. 303 ff.; Clemens Heselhaus: Deutsche Lyrik der Moderne, 1961, S. 81 ff. (im Kontext von S. 73 ff.)

Vortrag

http://www.deutschelyrik.de/index.php/ballade-des-aeusseren-lebens.html (Fritz Stavenhagen, sehr gut)

http://www.youtube.com/watch?v=Hqr7pjhDjZo

http://gedichte.xbib.de/mp3-audio_Hofmannsthal_Ballade+des+%E4u%DFeren+Lebens.htm (Bettina Radener, sehr gut)

http://media3.roadkast.com/sprechbude/balladehoffmannsthalharald.mp3 (viel zu schnell)

http://vimeo.com/38321051 (zu viel Nachhall)

http://www.youtube.com/watch?v=8dLE-juwA84 (mit Bildern und Musik unterlegt – Text schwach)

http://www.youtube.com/watch?v=8dLE-juwA84 (mit langem Film unterlegt – Text nicht schlecht)

http://www.youtube.com/watch?v=3mlDOa2BlEA (gesungen, etwas eintönig)

http://www.youtube.com/watch?v=lJvxBjE7ZO8 (gesungen, schwermütig)

Sonstiges

http://www.literaturknoten.de/literatur/g/gumppenberg/parodie/hofmannsthalxballadedes.html (H. von Gumppenberg: Parodie des Gedichts)

http://wwwuser.gwdg.de/~cwagenk/ballade.html (Ballade)

Hofmannsthal: Manche freilich – Analyse

Manche freilich müssen drunten sterben…

Text

http://de.wikisource.org/wiki/Manche_freilich

http://harpers.org/blog/2007/11/hofmannsthals-manche-freilich/ (mit engl. Übersetzung)

http://colecizj.easyvserver.com/pghofman.htm (dito)

http://www.lyrik-und-lied.de/ll.pl?kat=typ.show.poem.eb&&ds=2588&id=3217&add=erles&start=0 (Geschichte der Editionen; Kommentare 1984)

In den beiden ersten Strophen des 1895/96 entstandenen Gedichts werden zwei Gruppen von Menschen einander gegenüber gestellt: manche / andere (V. 1-10). Manche sind „drunten“ (V. 1), andere „droben“ (V. 3); die einen liegen (V. 5 f.), die anderen sitzen (V. 7 ff.). Der Sprecher meldet sich erst später als „ich“ zu Wort (V. 16); durch die Partikel „freilich“ (V. 1) wird der Eindruck erweckt, er antworte einem Partner und müsse diesem auf seine letzte Bemerkung hin zugeben, dass manche drunten sterben. „Freilich“ ist „ohne Zweifel eine elliptische Art des Ausdrucks, welche ungefähr so viel bedeutet: daß ich es frey gestehe“ (Adelung).

Das Bild ist das eines antiken Schiffs, wo unten die Galeerensklaven rudern, während oben die Herren leben und kommandieren (lenken, steuern). Sie sind durch ihr Wissen ausgezeichnet, sie „kennen“ den im Vogelflug gedeuteten Willen der Götter. Was „die Länder der Sterne“ (V. 4) sind, ist nicht eindeutig bestimmt; es könnte sein, dass Vogelflug und Sternenländer einfach für Vögel und Sterne steht: für das, was oben an Deck zu sehen ist, während die Sklaven unten eingepfercht sind. Das Schiff ist eine alte Metapher des Staates, zugleich ist die Schiff-Fahrt ein Symbol des menschlichen Lebens und seiner Unwägbarkeiten.

In der 2. Strophe wird die Beschreibung der Zweiklassengesellschaft fortgeführt, wenn auch die Einheit des Bildes aufgegeben wird: bei den Wurzeln des verworrenen Lebens liegen / bei den Sibyllen, den Königinnen sitzen (V. 5-10). Die Sibylle „ist dem Mythos nach eine Prophetin, die im Gegensatz zu anderen göttlich inspirierten Sehern ursprünglich unaufgefordert die Zukunft weissagt“ (wikipedia); die Sprüche der Sibyllen entwirren das verworrene Leben und bewirken, dass ihren Gästen Haupt und Hände (Alliteration) leicht werden (vs. schwere Glieder, V. 5). Das Zustandspassiv „sind … gerichtet“ (V. 7) zeigt den schicksalhaften Charakter der Bevorzugung an. Die Wendung „die Stühle gerichtet“ (V. 7) ist eine Anspielung auf das Parzenlied in Goethes „Iphigenie auf Tauris“ IV,5: „Auf Klippen und Wolken / Sind [den Lieblingen der Götter, N.T.] Stühle bereitet / Um goldene Tische“ (V. 1734 ff.). In diesem Zusammenhang klingt die Bestimmung „wie zu Hause“ (V. 9) nicht nur heimatlich, sondern auch bedrohlich: Sie sind dort nicht wirklich zu Hause, sie können ihren Platz wieder verlieren. Gleichwohl wird das leichte Leben der anderen breiter beschrieben als das schwere Leben der Geknechteten (4 vs. 2 Verse).

In der 3. Strophe wird der bisher eindeutige Gegensatz der beiden Gruppen durch die einleitende Partikel „Doch“ (V. 11) abgemildert; „doch dient einem Satz „zur Begleitung, welcher dem Vordersatze zu Folge eigentlich nicht Statt finden sollte, wie dennoch“ (Adelung), oder leitet einen Gegensatz ein: Die anderen sind an die einen „Wie an Luft und Erde gebunden“ (V. 14); Luft und Erde sind die Bedingungen unserer Existenz. Diese Bindung wirkt wie ein Schatten, der in das Leben der leicht Lebenden fällt (V. 11 f.); ein Schatten ist eine dunkle Stelle im Licht, er beeinträchtigt das schöne Bild. Die anderen sind keine Götter, die einfach über den einen stehen und sorglos leben können.

In den beiden folgenden Strophen wird vom Ich-Sprecher erklärt, wie er mit diesem Schatten umgeht, wie er sich zur Zweiteilung der Menschen stellt: Die Müdigkeit der einen färbt auf das Ich ab („nicht abtun von meinen Lidern“, V. 16), ihr Untergang geht die eigene erschrockene Seele an (V. 17 f.). Hier wird der Bereich dessen, was das Ich etwas angeht, in Raum und Zeit unermesslich auf vergessene Völker (Zeit) und ferne Sterne (Raum) ausgeweitet. In der letzten Strophe wird durch eine Erklärung begründet, warum das Ich die Geschicke der Leidenden nicht ausblenden kann: Das Nebeneinander der Geschicke ist ein vom „Dasein“ bewirktes Durcheinander (V. 19 f.), wobei das Dasein kein Name einer wirkenden Macht ist – das Ich und sein Dichter flüchten ins Nebulöse. Das Verb „weben“ (V. 17) ist altertümlich, kommt beinahe nur neben „leben“ vor und bedeutet „sich (langsam) bewegen“. Die beiden letzten Verse stellen ein Bekenntnis des mitleidenden Ichs dar. Die Wendung „mein Teil“ ist aus den Psalmen bekannt; dort sagt der Beter, dass Gott „mein Gut und mein Teil“ ist (Ps 16,5). „Du bist meine Zuversicht, mein Teil im Land der Lebendigen.“ (Ps 142,6) Hier im Gedicht könnte man die Wendung so ersetzen: „Und mein Anteil [an diesem Knäuel der Geschicke] ist mehr als…“ (V. 21). Mehr als was? Mehr „als dieses Lebens / Schlanke Flamme oder schmale Leier“ (V. 21 f.). „Dieses Leben“ lese ich als „dieses mein Leben“, welches in den Bildern von Flamme und Leier, von Licht und Dichtung gesehen wird. Beide sind schlank oder schmal – aber das Ich will im Lebensknäuel auch in die Breite gehen und dort seinen Anteil bei den Unterdrückten suchen.

Das alles wird in freien Rhythmen gesagt; vier oder fünf Hebungen machen einen Vers aus; öfter geht ein Satz übers Versende hinaus (V. 5, 7 usw.), was aber den ruhigen Fluss des Sprechens nicht stört. Der Sprecher gewinnt durch den Rückgriff auf die antiken Bilder, auf die Sprache Goethes und der Bibel einen getragen-erhabenen Ton. Er klagt nichts und niemanden an, sondern beschreibt die Zweiklassengesellschaft in Bildern und bekennt sich – wiederum in Bildern – als betroffen oder mitverantwortlich. Freilich lässt er offen, wie er das schwere Dasein der Leidenden mittragen will.

Das Gedicht wurde von Rudolf Borchardt in seine Anthologie „Ewiger Vorrat deutscher Poesie“ (1926) unter der Überschrift Schicksalslied aufgenommen, was ihm ein große Verbreitung sicherte.

Reinhold Grimm: Bange Botschaft, in: Gedichte und Interpretationen 5, hrsg. von Harald Hartung. Stuttgart 1983, S. 34 ff.

Jörg Schönert, in: Lyrik und Narratologie: Text-Analysen…, hrsg. von Jörg Schönert u.a. Berlin 2007, S. 197 ff.

Vortrag

http://www.youtube.com/watch?v=zyA1k8zkExA (Konstantin Wecker)

http://www.firstpost.com/topic/person/max-beckmann-hugo-von-hofmannsthal-manche-freilich-video-tesDlO3xgcA-77885-6.html (HvH, 1907)

Hofmannsthal: Der Jüngling in der Landschaft – Analyse

Die Gärtner legten ihre Beete frei…

Text

http://de.wikisource.org/wiki/Der_J%C3%BCngling_in_der_Landschaft

http://gutenberg.spiegel.de/buch/1003/24

Dieses 1896 entstandene Gedicht Hofmannsthals klingt in einem ganz neuen Ton, wenn man es mit vorher geschriebenen vergleicht: Da ging es um Träume, um das Weltgeheimnis, um Todesnähe („Erlebnis“) und das Leben als ein leichtes, oberflächliches Spiel („Hohe Gitter, Taxushecken“); hier dagegen ist „dienen“ das beherrschende Stichwort, genauer: die Freude daran, dass ein junger Mensch dienen darf.

„Dienen dürfen“ widerspricht dem normalen Empfinden; dieses sieht Dienen als ein „Müssen“, dem dann ein Lohn folgt. So sagte schon Jakob zu seinem künftigen Schwiegervater: „Ich will dir um die jüngere Tochter Rahel sieben Jahre dienen.“ (Gen 29,18) Im Christentum tauchte dann ein neues Pathos des Dienens auf, das sich an der Gestalt Jesu Christi orientierte: „… wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein […]. Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele.“ (Mk 10,43-45 in Abgrenzung gegen das Streben nach Herrschaft und Unterdrückung, Mk 10,42 bzw. Mk 10,35 ff.) Schließlich gehen ineinander, dass der rechte Christ Gott, dem Herrn Jesus und dem Nächsten bzw. den „Brüdern“ (und Schwestern) dient. [In diesem Pathos des Dienens wird überspielt, dass es natürlich auch Nutznießer des Dienens gibt, dass also neue Herren von diesem Dienen profitieren – aber das soll hier ausgeklammert bleiben.]

Wenn man die deutschen Sprichwörter zum Dienen befragt, erhält man eher skeptische Antworten. Im normalen Sprachgebrauch gibt es die Variante, dass von „dienen“ „In edlerem Verstande“ die Rede ist: „eines andern Geschäfte ausrichten, eines andern Nutzen befördern, so wohl gegen eine gewisse Vergeltung, als auch aus andern Verbindlichkeiten“ (Adelung), was besonders von Kriegsdiensten und der Verwaltung kirchlicher Ämter gilt. Von den im Deutschen Wörterbuch angegebenen Bedeutungen kommt hier am ehesten die 4. in Frage: „wolwollend, liebreich, hilfreich, gefällig sich erweisen, ohne dazu verpflichtet zu sein“ (DWB); in 5.b. finden wir: „bei einem übertragenen amt, in einem übernommenen geschäft. er hat dem könig, dem staat, der kirche treu gedient.“

Aufbau: Zunächst wird im Gedicht Hofmannsthals eine Landschaft im Frühling beschrieben; die Beete werden freigelegt, der Blick geht frei ins Weite (V. 1, 6), neue Blumen duften (V. 4 f.). „Durch diese Landschaft ging er langsam hin Und fühlte ihre Macht und wußte – daß Auf ihn die Weltgeschicke sich bezogen.“ (V. 9-11) Dieser Jüngling („Der Jüngling“, Überschrift) ist von einem ungeheuren Sendungsbewusstsein erfüllt; er entscheidet Weltgeschicke, er lebt aus der Kraft der jungen Frühlingslandschaft. Wohin geht er? Er steht an einer Schwelle seines Lebens (V. 13), er geht auf fremde Kinder zu (V. 12); er ist bereit, „Ein neues Leben dienend hinzubringen“ (V. 14, vgl. die Verstärkung in V. 22). In seinem Sendungsbewusstsein lässt er leicht die normalen jugendlichen Liebeshoffnungen und –wünsche hinter sich (V. 15-18, V. 21), obwohl sie ihm nicht fremd sind – seinem Sendungsbewusstsein werden sie zum „nichtigen Besitz“. In den beiden ersten Strophen wird „Der Jüngling in der Landschaft“ beschrieben (zuerst die Landschaft, dann der Jüngling in ihr); in der dritten Strophe wird die seelische Disposition der Jünglings beschrieben (positiv V. 12.14, negativ V. 15-19), ehe in der vierten Strophe die Frühlingskräfte (Duft der neuen Blumen, die neue Luft) als seine Kraftquellen herausgestellt werden, die ihn befähigen, Freude am Dienendürfen zu haben.

Kurz ein paar Worte zur Form, ehe wir uns noch einmal mit diesem Jugend-Dienst und seiner Eigenart befassen: Der Sprecher ist ein allwissender Erzähler (V. 10, V. 15, V. 22), der voller Wohlwollen auf den Jüngling blickt; er spricht ruhig, auch wenn er gelegentlich den Satz übers Versende hinaus zieht, in fünfhebigen reimlosen Jamben; die Kadenzen sind teils männlich, teils weiblich. In den beiden letzten Versen, vielleicht auch in V. 4 ist gegen den Takt die erste Silbe betont. Die Strophen sind unterschiedlich lang.

Dieser Jüngling ist anders als die jungen Menschen bei Goethe, die im Frühling gerade die Liebe erleben („Maifest“ – aber bereits anders die Abfolge im Gedicht „Ein zärtlich jugendlicher Kummer“), anders aber auch als die Schüler bei Hofmannsthals Zeitgenossen Wedekind, die an ihrer Jugend leiden („Frühlings Erwachen“). Hofmannsthals Jüngling lässt das alles hinter sich; er tut den entscheidenden Schritt über die Schwelle zum reifen Erwachsenen (siehe die Suchworte „Schwelle – Initiation“ bei google). Sein Dienst ist aber auch nicht der Dienst, wie er jungen Erwachsenen in Preußen als Ideal eingeimpft wurde: Dienst für den König und fürs Vaterland. Er geht vielmehr auf fremde Kinder zu (V. 13), wobei er nicht weiß, was auf ihn zukommt (V. 13). Doch mit seinem neuen Leben (V. 14) passt er in die Frühlingslandschaft mit ihren neuen Blumen (V. 4) und der neuen Luft (V. 20).

Ob zu dieser Konzeption des reifenden Jünglings Linien vom „jungen Wien“ oder vom „Jugendstil“ hinführen, kann ich nicht beurteilen. Ich verweise dazu auf die Vorstellung Hofmannsthals in der Uni Duisburg und auf Ferdinand Hodlers Bild „Jüngling, vom Weibe bewundert“: „Berauscht davon [von Hofmannsthals Gedichten, N.T.] reiste der deutsche Dichter Stefan George 1891 eigens nach Wien, um einen Bundesgenossen für sein eigenes – antinaturalistisches – Schreibprogramm, die Erneuerung der deutschsprachigen Literatur aus dem Geiste der Romantik und des französischen Symbolismus, zu gewinnen Im Schnittpunkt gemeinsamer Interessen, besonders bei der Zusammenarbeit in der Zeitschrift Blätter für die Kunst, fanden die beiden Dichter für eine Weile zusammen; menschlich hielten sie lebenslang Distanz. Ein zweiter Entdecker Hofmannsthals war der Wiener Kunstkritiker Hermann Bahr. Als er ihn im Kaffeehaus kennen lernen sollte, erwartete er einen alten, lebenserfahrenen Herrn – und traf zu seiner Verblüffung einen siebzehnjährigen Jüngling. „Jung“ wurde zum Synonym für „modern“, und nicht zufällig ist „Das junge Wien“ der (nachträgliche!) Sammelbegriff für eine ganze Reihe von – nicht notwendig biologisch, wohl aber ‚mental‘ – jugendlichen Autoren geworden. Sie selbst verstanden sich nicht als Gruppe, aber doch als Repräsentanten einer „neuen“ Kunst und Kultur, für die Friedrich Nietzsche wichtige Impulse geliefert hatte.“ (https://www.uni-due.de/einladung/Vorlesungen/ausblick/hofmannsthal.htm)

Jüngling, vom Weibe bewundert – ein Bild Ferdinand Hodlers (1903/4), oder hier

Als älterer Herr denke ich an das Pathos meiner eigenen Jugend zurück, das anders als das heutige Streben nach „Selbstverwirklichung“ auch ein Pathos des Dienens war, welches dann in der katholischen Kirche heftig ent-täuscht wurde. Anderseits weiß ich jedoch, dass man sich selbst finden kann, wenn man sich an einer Aufgabe abarbeitet; cum grano salis verweise ich auf das, was Arnold Gehlen über „Persönlichkeit“ geschrieben hat („Die Seele im technischen Zeitalter“).

Vortrag

http://gedichte.xbib.de/Hofmannsthal_gedicht_141.+Der+J%FCngling+in+der+Landschaft.htm (Ole Irenäus Wieröd)

http://www.youtube.com/watch?v=bJsmHQgFN9o (Wortmann)

http://www.youtube.com/watch?v=CwadGY5tpmo (Patrick B.)

Sonstiges

http://www.leopoldmuseum.org/de/sammlung-leopold/schwerpunkte/wien1900undjugendstil (Wien 1900 und Jugendstil

http://www.youtube.com/watch?v=RzdoN_8HWKo (Film dazu)

http://austria-forum.org/af/AEIOU/Jugendstil (Jugendstil)

http://www.my-entdecker.de/europa/oesterreich/wien/wien-und-sein-jugendstil/7458?cw=la1i (Wien und sein Jugendstil)

Hofmannsthal: Wir sind aus solchem Zeug wie das zu Träumen – Analyse

Terzinen III

Wir sind aus solchem Zeug wie das zu Träumen…

Text

http://de.wikisource.org/wiki/Terzinen_%C3%BCber_Verg%C3%A4nglichkeit_%28I%E2%80%93IV%29

http://www.lyrik123.de/hugo-von-hofmannsthal-wir-sind-aus-solchem-zeug-wie-das-zu-traeumen-terzinen-ueber-vergaenglichkeit-iii-11807/(richtig: III statt IV)

http://home.bn-ulm.de/~ulschrey/literatur/hofmannsthal/hvh.html#terzinen

1894 ist das Gedicht entstanden, Erstdruck in 1895 in »Pan«. In anderen Ausgaben ist es als Teil III der Gruppe »Terzinen« erschienen.

Der rätselhafte erste Vers zitiert Shakespeare „Der Sturm“ IV/1, 156-158: „We are such stuff / As dreams are made on; and our little life / Is rounded by a sleep.“ Das sagt in Shakespeares Stück der Zauberer Prospero zu Ferdinand, dem Bräutigam seiner Tochter Miranda, im Rückblick auf sein Zauberspiel, dass der ganze Erdball sich ebenso wie dieses auflösen und spurlos verschwinden werde. Hofmannsthal verwendet das Zitat in Anlehnung an die schlegelsche Übersetzung (»Wir sind solcher Zeug, / Wie der zu Träumen, und dies kleine Leben / Umfaßt ein Schlaf.«). Bei Hofmannsthal verschiebt sich allerdings gegenüber Shakespeare der Fokus vom Leben als Traum zum Wesen unserer Träume.

Über den Traum als literarisches Symbol schreibt Christiane Frey (in: Metzler Lexikon literarischer Symbole, 2008): „Symbol einer höheren Offenbarung, der Seele, des Gewissens und des Unbewussten, des Vergänglichen und der Täuschung sowie der Poesie. – Relevant für die Symbolbildung sind (a) die enigmat. und surreale Bildhaftigkeit des T., (b) sein flüchtiger und irrealer Charakter und (c) die Verbindung mit Nacht und Schlaf.“

Entgegen der gängigen Tendenz, das menschlichen Leben als einen Traum zu verstehen (Herder: Ein Traum ist unser Leben), geht es in Hofmannsthals Gedicht um die Träume selbst und ihre Verbindung zu uns. Diese Verbindung wird in V. 1 als eine substanzielle dargestellt: Ein ungenannter Sprecher meditiert über die Träume und spricht über die uns Menschen gemeinsamen Traumerfahrungen („wir“, V. 1 ff.). Er beginnt mit der Beschreibung dessen, wie Träume auftauchen (V. 2-6). Diese Beschreibung lebt von den Vergleichen, wie ja bereits in V. 1  die Verbindung zu den Träumen im Vergleich hergestellt wird. Diese Vergleiche machen aber nichts „deutlich“, sondern stellen traumhafte Verbindungen her: wir und die Träume (V. 1), Träume schlagen die Augen auf (Personifikation!) wie kleine Kinder (V. 2 f.), sie tauchen wie der Vollmond aus den Kirschbäumen auf (V. 4-6) – kurz, sie tauchen irgendwie auf.

Diese Vergleiche mit dem Kind und dem schwebenden Vollmond werden in Str. 3 wieder aufgenommen: So leben sie (V. 7). In der 4. Strophe wird ihre besondere Potenz gepriesen: „Das Innerste ist offen ihrem Weben“ (V. 10). Diese eigentümliche Macht der Träume ist es, die nicht nur diesen Dichter des Symbolismus fasziniert: dass wir im Traum Zugang zum Weltgeheimnis finden („Der tiefe Brunnen weiß es wohl…“); im folgenden Vergleich werden wir als versperrter Raum gesehen, in dem die Träume „wie Geisterhände“ durch die Sperren hindurchgreifen (V. 11, wieder ein Vergleich).

Im Schlussvers verzichtet der Sprecher auf Vergleiche und spricht dadurch erst recht rätselhaft: „Und drei sind eins: ein Mensch, ein Ding, ein Traum.“ (V. 13) Wenn ich diesen rätselhaften Vers überhaupt „verstehen“ will, muss ich diese mystische Einheit so differenzieren, dass dem Menschen im Traum „ein Ding“ präsent ist, dass der Mensch sozusagen in das Ding hineinschlüpfen kann; einfacher wird es, wenn wir „ein Ding“ als eine Aufgabe oder Idee ansehen, der sich ein Mensch hingibt: Dann ist ihm dieses Ding ein Traum, sein Leben steht unter einem Traum. Die einleitende Formel „drei sind eins“ greift auf die christliche Formel von der Dreieinigkeit oder Dreifaltigkeit Gottes zurück: „In der christlichen Dogmatik bezeichnet man mit diesem Worte die Eigenschaft der Gottheit, nach welcher die drei Personen, Vater, Sohn und Geist, nur Ein Wesen ausmachen.“ (Damen Conversations Lexikon, 1834) Hofmannsthals Sprecher bleibt genauso bildhaft-unverständlich wie das christliche Dogma, er legitimiert so sein dunkles Sprechen.

Zu den Vergleichen kommt in diesem rätselhaften Sprechen die Form der Terzinen hinzu, in der die einzelnen Verse über die Strophengrenzen hinaus miteinander verbunden werden: a – b – b / b – c – b / c – d – c / e – f – e / f. Terzinenverse sind so wie Leben und Traum ineinander verschlungen. Die letzte f-Silbe, das Schlusswort, ist „Traum“. Fünfhebige Jamben bestimmen den Rhythmus; die a- und d-Reime haben eine zusätzliche Silbe, also eine weibliche Kadenz, was den Sprechfluss bremst. In V. 4, V. 8 und V. 11 geht der Satz übers Versende hinweg, was das Sprechen beschleunigt.

Die geheimnisvolle Traumhaftigkeit des Lebens, die tiefe Lebendigkeit der Träume ist ein bezeichnendes Motiv des symbolistischen Dichtens, vgl. Ein Traum von grosser Magie!

Analysen

http://de.wikipedia.org/wiki/Gedichte_in_Terzinen (Entstehung)

http://prezi.com/us8sfuxwplrs/hugo-von-hoffmansthal-terzinen-uber-verganglichkeit/ (einige Andeutungen)

Clemens Heselhaus: Deutsche Lyrik der Moderne, 1961, S. 73 ff.

Vortrag

http://www.deutschelyrik.de/index.php/terzinen.496.html (F. Stavenhagen, mit Text)

Sonstiges

http://www.seminarhaus-schmiede.de/pdf/traumarbeit.pdf (kreative Traumarbeit)

https://norberto42.wordpress.com/2013/10/26/symbolismus-deutscher-und-franzosischer/ (Symbolismus)

https://norberto42.wordpress.com/2013/11/30/hofmannsthal-weltgeheimnis-analyse/ (Analyse „Weltgeheimnis“)

https://norberto42.wordpress.com/2013/10/24/hofmannsthal-uber-verganglichkeit-terzinen-i-analyse/ (Analyse: Terzinen I)

Hofmannsthal: Weltgeheimnis – Analyse

Der tiefe Brunnen weiß es wohl…

Text

http://hor.de/gedichte/hugo_von_hofmannsthal/weltgeheimnis.htm

http://de.wikisource.org/wiki/Weltgeheimnis

http://home.bn-ulm.de/~ulschrey/literatur/hofmannsthal/hvh.html#geheimnis

http://www.noltex.de/dichtung/5105059bd90989c07/5105059bd90b280a9/index.html

Im Wiki „Sprachkritik; Sprachskepsis; Sprachnot“ wird das 1894 entstandene, 1896 veröffentlichte Gedicht „Weltgeheimnis“ als Beleg für besagtes Phänomen aufgeführt; aber damit ist es noch nicht verstanden – im Gegenteil: Wie im Chandos-Brief wird hier versucht, eine neue Sprache zu finden oder zu begründen. Hier kommt einiges zusammen, was sorgsam aufzuhellen ist: die Rede vom Weltgeheimnis, das Symbol des wissenden Brunnens und ein raunendes Sprechen.

Was meint „Weltgeheimnis“? Ich verstehe es als das Unsagbare, was manche auch das Göttliche nennen. Da das Weltgeheimnis „die Sache“ ist, um die es geht, habe ich eine Reihe Links unter den Suchworten „das Unaussprechliche“ und „das Unsagbare“ gesammelt, teils triviale, teils sorgfältig bedachte Texte. Wo nicht „das Göttliche“ selbst gemeint ist, nennt man das entsetzliche Leiden zum Tod und den Verlust der Liebsten unsagbar.

Wieso weiß der tiefe Brunnen von dem, wovon die Menschen nur ahnend sprechen können? Spätestens hier (wenn nicht schon beim Namen „Weltgeheimnis“) beginnt das Raunen des lyrischen Ich-Sprechers („in unsern Worten“, V. 19): Der Brunnen ist ein Symbol. Daniela Gretz nennt in ‚Metzler Lexikon literarischer Symbole’ als Kern des Symbols „das zu Tage geförderte Wasser als Symbol des Ursprungs und Lebens“ (Art. „Quelle/Brunnen“), sodann die Funktion des Brunnens als Begegnungsstätte. Im Einzelnen zählt sie folgende Aspekte auf: 1. Symbol des Ursprungs, des Lebens, der Weisheit und des Schicksals; 2. Symbol der (erotischen) Begegnung und der Sehnsucht; 3. Symbol der Läuterung, Reinigung, Heilung und Verwandlung; 4. Symbol der dichterischen Inspiration; 5. Symbol des Unbewussten. Für uns sind die 1., 4. und 5. Bedeutung von Interesse; im Verlauf des Gedichts kommt auch die 2. Bedeutung ins Spiel. Wenn man den Selbst-Bezug (5. Bedeutung) ernst nimmt, kommt auch die 3. Bedeutung zum Tragen: als Möglichkeit einer Heilung und Verwandlung aus dem Wissen des Brunnens.

Der Aufbau des Gedichts ist in der ersten Analyse (s.u.) i.W. zutreffend beschrieben; allerdings würde ich den Abgesang (7., 8. Str.) noch einmal aufteilen: In den beiden ersten Strophen wird das gegenwärtige Sprechen der Unwissenden dem früheren allgemeinen Wissen (und Schweigen) gegenübergestellt. Die beiden Zustände sind im Wissen des tiefen (!) Brunnens heute (V. 1) miteinander verbunden (früher waren alle tief, V. 2). Im Mittelteil wird eine mythische Geschichte erzählt, wie das Wissen aus dem Brunnen über einen erleuchteten Mann und sein wirres Sprechen, vermittelt über Spiegel und Kind, in der Liebe einer Frau wieder als „tiefe (!) Kunde“ (V. 16) in die Welt kommt, freilich nur geahnt (V. 17, 18). In der 7. Strophe wird die „normale“ Existenz dieses Liebes-Wissens in der Welt beschrieben: Es ist in unseren Worten (V. 19), die allerdings nur wie Zauberworte nachgelallt und nicht begriffen sind (V. 4 f.). Die 7. Strophe entspricht also der 2., wie ja auch die 8. der 1. entspricht (formale Wiederholung in V. 22 f.; Gegensatz einst/nun in V. 24 wie vorher in den beiden ersten Strophen).

In den vorliegenden Analysen wird hinreichend deutlich, wie viele semantische Unbestimmtheiten sich im raunend-ahnenden Sprechen finden, womit der Sprecher über ein tieferes Wissen zu verfügen suggeriert. Ausdrücklich möchte ich nur auf den Mann hinweisen, der sich in den Brunnen bückt und das Weltgeheimnis begreift (3. Str.) – was hat er „in Wirklichkeit“ gemacht? Wir wissen es nicht. Und wie konnte er sein Wissen verlieren? Wir wissen es nicht. Und wie kann das verlorene Wissen in seinem irren Lied fortleben? Was kann der Spiegel eines Liedes sein? Wie kann ein Kind entrückt werden? Das Motiv des Blicks in den Spiegel als Medium undeutlicher Erkenntnis finden wir schon in 1 Kor 13; dort ist es aber einfach dem direkten Schauen entgegengesetzt; bei Hofmannsthal finden wir das völlig surreale Bild des Spiegels eines Liedes (V. 10 f.). Deutlich ist hier nur das Ende des Wissensweges: die in der Liebe ahnend erfahrene „tiefe Kunde“ (6. Str.).

Für weitere Einzelheiten verweise ich auf die vorliegenden Analysen. Zur Form ist kurz zu sagen, dass die Verse aus vierhebigen Jamben bestehen; an entscheidenden Stellen wird jedoch die erste Silbe betont (V. 2, 9, 23, 24, auch 20). Die drei Verse einer Strophe sind keine echten Terzinen, weil der Reim nicht über die einzelne Strophe hinausweist; dass sich nur die beiden letzten Verse einer Strophe reimen, gemahnt an die „Zauberworte, nachgelallt“ (V. 4).

Zu fragen bleibt, woher der ungenannte Ich-Sprecher des Gedichts sein Wissen um das Geschick des Weltgeheimnisses bezieht. Genügt es, aus den Ahnungen der Liebe (6. Str.) und einzelnen Erleuchtungen (3. Str.), verbunden mit der Erfahrung eines Mangels (2. und 7. Str.), auf die Existenz eines ursprünglichen Wissens zu schließen? Kann das jeder, oder beansprucht der Sprecher eine Erleuchtung, von der er jedoch schweigt?

P.S. Man könnte von dem Mann, der irr redete und ein Lied sang (V. 10), annehmen, dass er die den Menschen gemäße Weise gewählt hat, vom Unsagbaren zu sprechen – er hätte das Weltgeheimnis also gar nicht verloren, entgegen dem Sprecher des Gedichts (und seinem Autor).

Einen Hinweis verdient auch das Motto von Robert Musils Roman „Die Verwirrungen des Zöglings Törleß“ (1906): „Sobald wir etwas aussprechen, entwerten wir es seltsam. Wir glauben in die Tiefe der Abgründe hinabgetaucht zu sein, und wenn wir wieder an die Oberfläche kommen, gleicht der Wassertropfen an unseren bleichen Fingerspitzen nicht mehr dem Meere, dem er entstammt. Wir wähnen eine Schatzgrube wunderbarer Schätze entdeckt zu haben, und wenn wir wieder ans Tageslicht kommen, haben wir nur falsche Steine und Glasscherben mitgebracht; und trotzdem schimmert der Schatz im Finstern unverändert.“ [Maurice Maeterlinck: Le Trésor des humbles, 1896]

Analysen

http://userpage.fu-berlin.de/~mertins/haus.htm

http://ejournals.library.ualberta.ca/index.php/crcl/article/download/2253/1659 (als Beispiel indischer Metaphysik bei Hofmannsthal)

http://trace.tennessee.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=3006&context=utk_gradthes (dort S. 32 ff. – im Zusammenhang mit Novalis: Die Lehrlinge zu Sais, und dem Chandos-Brief)

http://johannesklinkmueller.wordpress.com/2009/06/14/wie-liebe-tiefe-kunde-gibt-uber-hugo-von-hofmannsthals-weltgeheimnis/ (tiefsinnig-frommes Gerede)

Tobias Heinz: Hofmannsthals Sprachgeschichte, S. 242 ff. – leider unvollständig

Vortrag

http://www.deutschelyrik.de/index.php/weltgeheimnis.html (Fritz Stavenhagen – gut)

http://www.youtube.com/watch?v=MxR_YuRsiZA

Das Unaussprechliche, das Unsagbare

http://druiden.de.tl/Das-Unaussprechliche.htm

http://www.wortblume.de/dichterinnen/heigeiei.htm

http://www.zeno.org/Literatur/M/Angelus+Silesius/Gedichte/Cherubinischer+Wandersmann/Viertes+Buch/9.+Das+Unaussprechliche

http://www.uni-kassel.de/hrz/db4/extern/dbupress/publik/abstract.php?978-3-86219-424-7

http://wittgensteinrepository.org/agora-alws/article/view/2766/3255 (Florian Franken: Über das Unaussprechliche beim frühen und späten Wittgenstein)

https://also42.wordpress.com/?s=%C3%BCber+das+unaussprechliche

https://norberto42.wordpress.com/2013/04/11/hofmannsthal-ein-brief-des-lord-chandos-inhalt-links-zum-verstandnis/ (Hofmannsthals Chandos-Brief)

http://www.byak.de/media//DasUnsagbaresagen_DAB_06_2010_Seite_8_9.pdf

http://www.uni-trier.de/fileadmin/fb2/SIN/Pohl_Publikation/das_unsagbare_sagen.pdf 

http://sammelpunkt.philo.at:8080/677/1/SagenZeigenBeobachten.pdf

http://www.youtube.com/watch?v=V_I1An7IxYM

http://www.ardmediathek.de/bayern-2/evangelische-perspektiven-bayern-2?documentId=17924666

http://www.akademie-rs.de/fileadmin/user_upload/download_archive/religion-oeffentlichkeit/100809_splett_wort.pdf

http://www.goethe.de/kue/tut/tre/de3745546.htm

Sonstiges

http://www.nthuleen.com/papers/150midterm.html (N. Thuleen: Hofmannsthal und Hauptmann)

http://de.wikipedia.org/wiki/Brunnen_als_Motiv (Brunnen als Motiv)

http://www.symbolonline.de/index.php?title=Brunnen (dito)

http://de.wikipedia.org/wiki/Am_Brunnen_vor_dem_Tore („Am Brunnen vor dem Tore“)

Hofmannsthal: Erlebnis – Analysen

Mit silbergrauem Dufte war das Tal…

Text

http://de.wikisource.org/wiki/Erlebnis

http://www.lyrik123.de/hugo-von-hofmannsthal-erlebnis-11044/

http://www.gym-raubling.de/medien/Oberstufe/lehrerbereich/Abituraufgaben/abi2011/D_2011_A.pdf (Abitur Bayern 2011)

http://www.balladen.de/web/sites/balladen_gedichte/autoren.php?b05=13&b16=128

Das Gedicht ist 1892 entstanden; 2011 war es Thema im bayerischen Abitur. – Es gibt drei größere Analysen; deshalb wäre es überflüssig, wenn ich eine weitere schriebe.

„Im Schoße des wohlhabenden, hochkultivierten und differenzierten Bürgertums einer glanzvollen europäischen Großstadt erreicht hier — in der frühen Dichtung Hofmannsthals — der abendländische Individualismus einen ins Nervenhafte sublimierten, kaum überbietbaren Höhepunkt: Das von Generationen feinsinniger Frauen und Männer geschaffene Kulturgut wird jungen Menschen mühelos zum Besitz. Unbefangen verfügen sie über Formen und Inhalte, und gleich unbefangen stellen sie sie in Frage. Mit einer immer wieder überraschenden Selbstverständlichkeit ist Hofmannsthals frühe Dichtung Feier des Schönen, narzißhafte Selbstbespiegelung und distanzierendes Infragestellen zugleich. Es ist Dichtung, die um das eigene Ich kreist, die dieses Ich zum Gegenstand kulthafter Hingabe und hellwacher Analyse macht — und die selbst der Skepsis, die dieses Kreisen um die eigene Wohlgefälligkeit und Fragwürdigkeit begleitet, noch ein hohes Maß an Genuß abgewinnt.“ (Wolfram Mauser – 2. Link der „Analysen“: Zusammenfassung seiner Untersuchungen zur frühen Lyrik Hofmannsthals, S. 128)

Analysen

http://www.examinus.de/download/process/file/id/YTozOntzOjI6ImlkIjtzOjM6IjcwMyI7czoxMjoiY3VzdG9tZXJfa2V5IjtzOjEwOiJSZmt3VDMyZzg2IjtzOjE0OiJkYXRlX21pY3JvdGltZSI7czoyMToiMC43MTgxNjUwMCAxMzg1MzY3NjEzIjt9 (Musterlösung bayer. Abitur – bereits in der Einleitung sieht man, welches Geschwätz anscheinend erwartet wird: Um 1900 gab es die Relativitätstheorie, die angeblich zur Wiener Moderne etwas beigetragen hatte, noch gar nicht!)

http://www.freidok.uni-freiburg.de/volltexte/6736/pdf/Mauser_Sensitive_Lust.pdf (Wolfram Mauser – dort S. 123 ff.)

http://othes.univie.ac.at/19228/1/2012-03-20_0502307.pdf (dort S. 112 ff.)

http://home.bn-ulm.de/~ulschrey/literatur/hofmannsthal/junge-hofmannsthal.html (D. Schrey: Die Lyrik des jungen Hofmannsthal)

Hofmannsthal: Prolog (Einleitung) zu „Anatol“ – Analyse

Hohe Gitter, Taxushecken…

Text

http://home.bn-ulm.de/~ulschrey/literatur/hofmannsthal/hvh.html#anatol 

http://www.zeno.org/Literatur/M/Schnitzler,+Arthur/Dramen/Anatol/Einleitung

http://gutenberg.spiegel.de/buch/5378/2

http://depts.washington.edu/vienna/literature/hofmannsthal/hofmannsthal-anatol.htm (mit engl. Übersetzung)

Die Interpretation dieses 1892 entstandenen Gedichts bringt eine Reihe Fragen mit sich: Was bedeutet es, dass es das Vorwort zu Arthur Schnitzlers „Anatol“ ist? Wie steht es in der Tradition der „Garten“-Literatur? Was verdankt es dem Standort des Autors in der „Wiener Moderne“?

Beginnen wir mit der Wiener Moderne: „Wien war um 1900 das kulturelle Zentrum der multi-ethnischen österreichisch-ungarischen K.u.K.- Monarchie, die sich aufgrund nationaler, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Spannungen und Krisen in der Dekadenz befand. Motive und Themen der modernen Strömungen in Dichtung und Kunst der Jahrhundertwende waren die Krise der Sprache und des Bewußtseins, das komplexe Innenleben des Individuums, Zerfall, Dekadenz und Tod.“ (Sabine Mödersheim)

Erläuterungen zu Vers

1 Taxushecken: Die Gemeine Eibe (Taxus) ist eine typische Garten- und Parkpflanze; „Taxushecken“ haben etwas Vornehmes an sich (http://wordincontext.com/de/taxushecken).

3 Sphinxe: als Figuren in Parks des Adels

5 Kaskaden: Wasserfall in Form von Stufen

6 Tritonen: die Begleiter und Diener des Neptun, die zugleich mit den Nereiden, als den weiblichen Begleitern, neben seinem Wagen schwimmen und auf den Meermuscheln blasen – Brunnenfiguren

7 Rokoko: Stilrichtung der europäischen Kunst Mitte des 18. Jh.: zierlich-verspielt (s. Bilder zu Rokoko, z.B. http://www.fotocommunity.de/pc/pc/display/25592394)

8 Canaletto: Künstlername zweier Maler (Canal, Bellotto); Wiener Canaletto

16 Oleander: Gartenpflanze (http://de.wikipedia.org/wiki/Oleander)

20 Heroinen und Heroen: Gestalten der griechischen und römischen Mythologie, meist halbgöttlicher Herkunft – Figuren in Parks des Adels

29 Amoretten: kindliche Liebesgötter, meist nackte geflügelte Knaben

37 Monsignori: höhere katholische Geistliche, die eine violette Soutane oder Schärpe tragen

40 Abbati: Äbte (Klostervorsteher, entsprechen den Monsignori)

49 Winde: Einige Windengewächse werden als Zierpflanzen gezogen; die Ackerwinde ist nicht beliebt, „weil sie sich an Kultur- und Zierpflanzen emporrankt und mit ihrem eigenen raschen Wachstum deren Entwicklung hemmt“ (wikipedia)

54 Watteau: Antoine Watteau (1684-1721) war ein Maler des franz. Rokoko, s. dieses  oder dieses oder dieses Bild!

65 Agonie: Kampf, Todeskampf

69 galant: a) betont höflich und gefällig gegenüber Damen, b) ein Liebeserlebnis betreffend – passt zu den Kavalieren (V. 40)

74 Bologneser: ein Schoßhund; Madame de Pompadour, Katharina die Große und Maria Theresia besaßen Bologneser.

Aufbau des Textes

Der Sprecher scheint zunächst anonym zu sein und das Geschehen allwissend zu betrachten (V. 1 ff.); er wendet sich dann – vielleicht nur eine rhetorische Floskel – an ungenannte Zuschauer der Szene („Seht“, V. 8); schließlich erweist er sich als jemand, der zu den Figuren der Szene zählt („wir“, V. 48; „uns“, V. 57; „unser“, V. 58 ff.).

Der Blick auf einen Garten adeliger Kreise (Wappen, V. 2) kommt zuerst von außen und trifft die abgrenzende Hecke. Es wird beschrieben, wie sich die Tore öffnen (V. 4) und den Blick auf das Innere freigeben (V. 5 ff.). Es ist ein Rokoko-Park mit Brunnen, der dem Wien von 1760 zugezählt wird; vermittelt wird der Eindruck über die Nennung von Malern (Canaletto, V. 8; Watteau, V. 54).

Zunächst werden danach Teiche, Bäume und Figuren des Parks beschrieben (V. 10-25), ehe durch die Erwähnung von Musik die Gegenwart von Menschen angedeutet wird (V. 26-34). Es ist eine vornehme Gesellschaft; eigens genannt werden kokette Frauen und höhere Geistliche (V. 35-42), die parfümierten Sänften (V. 42) bezeugen den Charakter der Gesellschaft.

Es folgt eine Beschreibung dessen, was die Gesellschaft tut: Man hat ein Gerüst aufgeschlagen und mit Tapeten drapiert, auf welchen Schäferszenen dargestellt sind (V. 43 ff.): „Also spielen wir Theater“ (V. 57; V. 55-65). Die Theaterstücke haben es in sich, wie die ambivalente Charakterisierung (V. 59 ff.) zeigt; es sind „Böser Dinge hübsche Formeln“ (V. 62), Agonien stehen neben Episoden (V. 65) – hier sieht man, was in die Wieder Moderne gehört. Die Anteilnahme der Zuschauer wird kurz erwähnt (V. 66-69), ehe die Beschreibung der Szene mit einem Blick auf die Natur endet (V. 70-74).

Durch die Hecke ist diese verwöhnt-dekadente Gruppe von den arbeitenden Bürgern abgetrennt; sie lebt noch halb in der Vergangenheit (Rokoko) und beschäftigt sich damit, nutzlose Spiele zu betreiben und halb ernst, halb unernst sich in den eigenen Gefühlen zu bespiegeln. Dirk Niefanger hat „Raum und Landschaft in der Wiener Moderne“ untersucht (dort S. 74 ff.).

Form

Die 74 Verse sind in einem vierhebigen Trochäus abgefasst, reimlos und ruhig dahinfließend. Oft stehen im Text drei Punkte (V. 4, 8, 10 usw.), wodurch eine kleine Pause bezeichnet wird; der Sprecher scheint ein wenig zu träumen oder seinen Blick auf einem Detail ruhen zu lassen. Die kleinen Einschnitte im Aufbau werden immer durch drei Punkte bzw. einen Gedankenstrich (V. 4) angezeigt. Was man von der Wortwahl zu sagen geneigt ist, gehört eher in das beschriebene Geschehen: Eine Gruppe vornehmer, reicher und untätiger Menschen hat sich in einem alten, gepflegten Schlosspark zu galantem Zeitvertreib getroffen.

Das Gedicht als Prolog des Schauspiels „Anatol“ soll „die Stimmung darstellen, die auch in Anatol herrscht. Dies ist die Oberflächlichkeit und die Welt als Theater, in der sich die Leute gegenseitig etwas vorspielen“ (wikipedia, Art. „Anatol“).

Garten

http://www.navigare.de/hofmannsthal/zerebin.htm („Garten“ bei HvH)

http://www.ananieva.de/pdf/ananieva_art_garten.pdf („Garten/Park“)

http://www.derkleinegarten.de/kunst_und_religion.htm (Garten in Kunst und Religion)

http://www.bibelkommentare.de/index.php?page=dict&article_id=151 (Eden, der Garten)

Wiener Moderne

http://www.austria.gv.at/2004/4/15/wiener_moderne.pdf (umfangreich)

http://community.eduhi.at/download.php?id=367019&folder=99785

http://de.wikipedia.org/wiki/Wiener_Moderne

http://www.helpster.de/wiener-moderne-die-epoche-anschaulich-erklaert_208986

http://lav-kurs.beepworld.de/wienermoderne.htm (Schülerarbeiten)

http://www.psychoanalyse-literatur.de/index.php?id=5

http://www.pf.jcu.cz/stru/katedry/nj/doc/Wiener_Moderne.pps (mit Bildern)

http://german.lss.wisc.edu/~smoedersheim/gr711wm/ (Bilder)

Schnitzler: Anatol

http://de.wikipedia.org/wiki/Anatol_%28Schauspiel%29 (Inhalt)

http://publikationen.ub.uni-frankfurt.de/files/13965/06_VO_6_Schnitzler.pdf

http://aspektedergermanistik.blogspot.de/2012/01/arthurs-schnitzlers-anatol-als.html

http://www.uni-due.de/imperia/md/content/genderportal/vanessa_tr__sch_neu.pdf (Die Frau bei Schnitzler)

http://www.gestalttherapie.at/downloads/gt08_vortrag_dorit_warta.pdf (Schnitzlers Herren)

http://gutenberg.spiegel.de/buch/5378/1 (Text des Schauspiels)

http://www.zeno.org/Literatur/M/Schnitzler,+Arthur/Dramen/Anatol (dito)