W. Drews: Lessing – noch einmal gelesen

Wolfgang Drews: Gotthold Ephraim Lessing in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. rm 75, Reinbek 1962

Ein stolzes Alter hat das Buch: 60 Jahre; nur die Älteren kennen vermutlich noch „rowohlts monographien“, eine Reihe, in der verschiedenste Geistesgrößen dem breiten Publikum nahegebracht werden sollten und wurden. Den Autor Wolfgang Drews kennt heute keiner mehr, in der Wikipedia findet man nur einen Hinweis, im Netz den Anfang des Artikels im Munzinger (Schriftsteller und Theaterkritiker, 1903-1975). Ehe ich das Büchlein endgültig entsorge, habe ich es noch einmal gelesen; ich hatte es 1964 für eine Seminararbeit über Lessings „Die Erziehung des Menschengeschlechts“ (1780) herangezogen und die Stellen markiert und notiert, die ich eventuell zu verwerten gedachte. Selbst für eine Seminararbeit taugt aber der Text des Autors Drews kaum, eher die von ihm zitierten Stellen aus Lessings Briefen. Vor allem sind in rm 75 eindrucksvoll:

  • Ich würde nicht so lange angestanden haben, an Sie zu schreiben…“ (Brief an die Mutter, S. 13 ff.)

  • Endlich dringt mich die Not, an Sie zu schreiben.“ (Brief an Nicolai, S. 71 ff.)

  • Aber liebe, liebste Freundin, sollte ich nicht ein wenig schmählen…“ (Brief an Elise Reimarus)

  • die beiden Briefe an Eschenburg vom 31. Dez. 1777 und vom 10. Jenner 1778 zum Tod des Sohnes und der Frau.

Sie zeigen den Menschen Lessing. Einige wenige andere Stellen offenbaren den Dichter und Denker: „Nicht die Wahrheit, in deren Besitz irgendein Mensch ist oder zu sein vermeinet…“; die Polemik gegen Gottsched (‚„Niemand“, sagen die Verfasser der Bibliothek, „wird leugnen…“ Ich bin dieser Niemand…‘); das Gedicht „Auf ein Karussell“; und natürlich der Anti-Goeze: „Lieber Herr Pastor! Poltern Sie doch nicht so in den Tag hinein…“. „Laokoon“ und die Hamburgische Dramaturgie bleiben in Drews’ Darstellung kaum verständlich, „Die Erziehung des Menschengeschlechts“ wird nur erwähnt, die Dramen werden allzu knapp vorgestellt; die verbindenden Texte sind journalistisch-flott, doch weithin nichtssagend: Man bekommt insgesamt ein Bild vom Menschen Lessing, nicht vom Dichter.

Ohne Quellenangabe zitiert Drews ein Stück, das hier den Schluss bilden soll: „Ich habe immer geglaubt, es sei die Pflicht der Kritikus, sooft er ein Werk zu beurteilen vornimmt, sich nur auf dieses Werk allein einzuschränken; an keinen Verfasser dabei zu denken; sich unbekümmert zu lassen, ob der Verfasser noch andere Bücher , ob er noch schlechtere oder bessere geschrieben habe; uns nur aufrichtig zu sagen, was für einen Begriff sich man aus diesem gegenwärtigen allein mit Grunde von ihm machen könne.“

P.S. Wenn man die zitierten Stellen über google verifizieren will, stößt man auf das Problem der Differenz der damaligen Rechtschreibung zur heutigen. Das Zitat am Ende findet man nur, wenn man eingibt: „ich habe immer geglaubt, es sey die pflicht des kriticus“ (105. Literaturbrief) Bei der Suchmaschine etools klappt es auch mit der modernen Rechtschreibung.

Lessing: Anakreontik

Lessing: Antwort eines trunknen Dichters

Ein trunkner Dichter leerte
Sein Glas auf jeden Zug;
Ihn warnte sein Gefährte:
Hör‘ auf! du hast genug.

Bereit vom Stuhl zu sinken,
Sprach der: Du bist nicht klug;
Zu viel kann man wohl trinken,
Doch nie trinkt man genug.

Das ist ein schönes Preislied auf das Trinken und damit ein Beispiel für eines der großen Themen der Anakreontik: das Lob des Weines; die erste Fassung des Gedichts stand unter der Überschrift „Die Antwort des trunkenen Dichters“. Eine andere witzige Gestaltung des gleichen Themas ist „Das Erdbeben“:

Das Erdbeben

Bruder, Bruder, halte mich!
Warum kann ich denn nicht stehen?
Warum kannst du denn nicht gehen?
Bruder geh, ich führe dich.

Sachte Bruder, stolperst du?
Was? Du fällst mir gar zur Erden?
Halt! ich muß dein Retter werden.
Nu? Ich falle selbst dazu?

Sieh doch Bruder! Siehst du nicht,
Wie die lockern Wände schwanken?
Sieh, wie Tisch und Flasche wanken!
Greif doch zu! das Glas zerbricht!

Himmel, bald, bald werden wir
Nicht mehr trinken, nicht mehr leben!
Fühlst du nicht? des Grunds Erbeben
Droht es Bruder mir und dir.

Limas Schicksal bricht herein!
Bruder, Bruder, wenn wir sterben,
Soll der Wein auch mit verderben?
Der auf heut bestimmte Wein?

Nein, die Sünde wag ich nicht.
Bruder, wolltest du sie wagen?
Nein, in letzten Lebenstagen
Tut man gerne seine Pflicht.

Sieh, dort sinket schon ein Haus!
Und hier auch! Nun muß man eilen!
Laß uns noch die Flasche teilen!
Hurtig! Hurtig! trink doch aus!

Limas Schicksal war ein Erdbeben, das 1746 die Stadt zerstörte.

Das andere große Thema in Lessings anakreontischer Frühzeit ist das Küssen; dieses Thema behandelt Lessing eher in den traditionellen Formen. Es gibt mindestens zwei Gedichte unter der Überschrift „Die Küsse“. Eines davon ist:

Die Küsse

Der Neid, o Kind,
Zählt unsre Küsse:
Drum küß‘ geschwind
Ein Tausend Küsse;
Geschwind du mich,
Geschwind ich dich!
Geschwind, geschwind,
O Laura, küsse
Manch Tausend Küsse:
Damit er sich
Verzählen müsse.

http://www.zeno.org/Literatur/M/Lessing,%20Gotthold%20Ephraim/Gedichte/Lieder%20(Ausgabe%201771) (Lessing: Lieder)

https://de.wikipedia.org/wiki/Anakreontik (Anakreontik)

https://wiki.zum.de/wiki/Anakreontik (dito)

http://www.wmelchior.com/archive/own/literatur/thesenpapiere/anakreontik.pdf (dito, von W. Melchior)

https://www.lernhelfer.de/schuelerlexikon/deutsch-abitur/artikel/anakreon (Anakreon – Anakreontik)

Lessing: Ich – Text und Analyse

G. E. Lessing: Ich

Die Ehre hat mich nie gesucht;
Sie hätte mich auch nie gefunden.
Wählt man, in zugezählten Stunden,
Ein prächtig Feierkleid zur Flucht?

Auch Schätze hab ich nie begehrt.
Was hilft es sie auf kurzen Wegen
Für Diebe mehr als sich zu hegen,
Wo man das wenigste verzehrt?

Wie lange währts, so bin ich hin,
Und einer Nachwelt untern Füßen?
Was braucht sie wen sie tritt zu wissen?
Weiß ich nur, wer ich bin.

Lessing hat dieses Sinngedicht am 11. Oktober 1752 in das Stammbuch eines seiner Wittenberger Universitätsbekannten geschrieben. Es wurde 1804 in den Obersächsischen Provinzialblättern veröffentlicht; heute steht es im Anhang der Lieder. Man kann es kaum wie andere frühe Gedichte unter „Anakreontik“ einordnen – es spielt zwischen altkluger Lebensweisheit und ruhiger Selbstbesinnung: ein eindrucksvolles Gedicht. Es greift in Kurzform die drei Aspekte auf, die Schopenhauer 1851 in seinen „Aphorismen zur Lebensweisheit“ reflektiert hat und für deren Formulierung er (offensichtlich zu Unrecht) den Primat beanspruchte: Was einer ist – Was einer hat – Was einer darstellt; bei Lessing werden sie in umgekehrter Reihenfolge bedacht.

Die drei Strophen stehen jede für sich und werden doch durch einen Grundgedanken zusammengehalten, eine Variation des barocken Vanitas-Motivs. Da steht also, dass wir nur zugezählte Stunden haben (V. 3), die uns zur Flucht bleiben, also eine kurze Zeit, um zu leben; da steht, dass uns nur kurze Wege zur Verfügung stehen (V. 6), um etwas zu genießen; da steht drittens, dass es nicht lange währt (dauert), bis wir begraben sind (V. 9 f.). Das ist also die Grundtatsache unseres Lebens: dass unsere Zeit sehr knapp bemessen ist. Von dieser Tatsache aus bedenkt das reflektierende Ich die drei Fragen, die verschiedene Wege zum Glück bezeichnen. Lessing war damals 23 Jahre alt – wie weit er sich mit dem sprechenden Ich identifiziert, muss offen bleiben.

Zunächst lehnt das Ich es ab, nach Ehre und Ansehen zu streben – hier in der originellen Formulierung, dass die (personifizierte) Ehre „mich nie gesucht“ hat (V. 1 – statt: Ich habe sie nicht gesucht), mit der noch originelleren Fortsetzung des Bildes: Sie hätte mich nicht gefunden (V. 2). Es folgt in einem Vergleich mittels einer rhetorischen Frage (V. 3 f.) die Begründung dafür, dass der Ich-Sprecher keine Ehre gesucht hat: Die Ehre gleicht einem prächtigen Feierkleid, das man angesichts der kurzen Zeit bis zur Flucht (übertragen: bis zum Tod) nicht anzieht, weil es bei der Flucht hinderlich ist und weil es einfach nicht lohnt, sich für die kurze Zeit besonders schön zu machen.

Der Sprecher spricht in gebundener Form: Vier Verse im Jambus mit vier Hebungen, die Verse im umfassenden Reim miteinander verbunden; die beiden Mittelverse haben eine Silbe zusätzlich (weibliche Kadenz) – man erwartet eine Fortsetzung, während die männliche Kadenz den Vers ziemlich hart abschließt. Durch den Aufbau der Strophe (zwei Verse Bericht, zwei Verse Begründung) kommen keine sinnvollen Reime zustanden; trotzdem klingt die Strophe auch aufgrund der Reime melodisch. In der Spitzenstellung ist „Wählt“ (V. 3) gegen den Takt betont; in allen anderen Versen ist solches nicht der Fall, nur die Fragewörter „Wie“ (V. 9) und „Was“ (V. 11) bekommen einen (unterschiedlich) kleinen Akzent, „Was“ stärker als „Wie“, welches eigentlich „Wie lange“ ist, mit dem Akzent auf a.

Ganz anders geht es in der zweiten Strophe zu: Der Bericht, dass das Ich keine Schätze begehrt hat, macht nur einen Vers aus (V. 5). Die Begründung umfasst dann drei Verse, wieder in einer rhetorischen Frage: dass man von den aufgehäuften Schätzen „das wenigste“ selbst verzehren könnte (V. 8), da die Wege kurz sind (V. 6), dass man also im Prinzip nur für potenzielle Diebe Schätze gesammelt hätte (V. 7). Hier sind die Reime sinnvoll: nicht begehrt / das wenigste selbst verzehrt (V. 5/8); auf kurzen Wegen / Schätze hegen (V. 6/7).

In der dritten Strophe geht es um die entscheidende Frage, wer ich bin. Das Ich beginnt mit zwei rhetorischen Fragen (V. 9-11), um kraftvoll mit der These zu schließen: [Es genügt,] wenn ich selber weiß, wer ich bin (V. 12). Die erste Frage greift noch einmal das Vanitas-Motiv auf und kann so primär zur Begründung des Verzichts auf Ehre und Schätze dienen (V. 9 f.). Mit dem Stichwort „Nachwelt“ wird dann aber doch zur These in V. 12 übergeleitet, indem das Desinteresse der Nachwelt, die auf dem später Toten bloß herumtrampelt (V. 10 f.), in einen Kontrast zu meinem Interesse an mir selber gestellt wird („ich“ betont, V. 12). Der Gedankenzusammenhang ist weithin nicht ausgesprochen, er stellt sich mir etwa so dar: Die Mitwelt hätte nur auf das geschaut, was ich habe (Schätze) und was ich darstelle (Ehre); die Nachwelt interessiert sich dafür nicht mehr, wenn ich begraben bin (V. 10) – aber ich selber, ich muss im Gegensatz zur Mitwelt jetzt wissen, wer ich bin, weil nur dieses für mich zählt – die kurze Zeit, die ich da bin; und wegen der Kürze der Zeit zählt nichts anderes, auch die Nachwelt nicht.

Der unsaubere Reim „untern Füßen / … zu wissen“ (V. 10/11) verbindet die Verse durch das Todesmotiv; die Verse 9/12 stehen im Verhältnis These (V. 12) – Begründung (V. 9) zueinander. Die zentrale These steht, wie gesagt, kraftvoll im letzten Vers und klingt so nach, wenn man das Gedicht gelesen hat.

Entfernt verwandt mit dem Gedicht „Ich“ ist „Der Sonderling“ aus den Liedern. Da bekennt der Ich-Sprecher, dass ihm im Gegensatz zu den anderen egal ist, ob ihm von den Mitmenschen attestiert wird, er sei kein Narr oder sei weise. In der letzten Strophe bekennt er:

Ein jeder, der mich kennt,
Spricht: Welcher Sonderling!
Nur diesem ists ein Ding,
Wie ihn die Welt auch nennt.

Dahinter steht unausgesprochen: Mir genügt es, wenn ich selber weiß, wer oder was ich bin – egal was die Leute sagen.

https://gedichte.xbib.de/Lessing_gedicht_Der+Sonderling.htm (Lessing: Der Sonderling)

In Tucholskys Gedicht „Das Ideal“ findet man am Schluss die bekannte Dreiheit wieder: „Etwas ist immer. / Tröste dich / Jedes Glück hat einen kleinen Stich. / Wir möchten so viel: Haben. Sein. Und gelten. / Daß einer alles hat: / das ist selten.“

http://www.zeno.org/Literatur/M/Lessing,%20Gotthold%20Ephraim/Gedichte/Lieder%20(Ausgabe%201771) (Lessing: Lieder)

https://de.wikipedia.org/wiki/Anakreontik (Anakreontik)

https://www.lernhelfer.de/schuelerlexikon/deutsch-abitur/artikel/anakreon (Anakreon – Anakreontik)

Lessing: An die Leier – Text und Analyse

G. E. Lessing: An die Leier (1753)

Töne, frohe Leier,
Töne Lust und Wein!
Töne, sanfte Leier,
Töne Liebe drein!

Wilde Krieger singen,
Haß und Rach und Blut
In die Laute singen,
Ist nicht Lust, ist Wut.

Zwar der Heldensänger
Sammelt Lorbeern ein;
Ihn verehrt man länger.
Lebt er länger? Nein.

Er vergräbt im Leben
Sich in Tiefsinn ein:
Um erst dann zu leben,
Wann er Staub wird sein.

Lobt sein göttlich Feuer,
Zeit und Afterzeit!
Und an meiner Leier
Lobt die Fröhlichkeit.

Dieses Gedicht Lessings eröffnet heute die Sammlung der „Lieder“, welche meistens älter als „An die Leier“ sind und deren erste Sammlung 1751 erschienen ist. Die Lieder sind Fingerübungen des jungen Lessing (Jahrgang 1729), der in seiner anakreontischen Jugendphase Liebe und Wein besingt – ganz dem neuen Ton der deutschen Dichtung entsprechend.

„An die Leier“ war auch die erste Ode Anakreons gerichtet; dort berichtet der Sänger, dass er Heldenlieder singen wollte, doch die Leier spielte ein Liebeslied: „Drum, Heroen, freut euch künftig / Nur mit uns, denn meine Leier / Weiß zu singen nur von Liebe.“ Lessings Sänger wendet sich unmittelbar an seine Leier und bittet sie oder fordert sie viermal auf, von Lust und Wein und Liebe zu tönen (V. 1-4). Die Attribute seiner Leier sind „froh“ und „sanft“ (V. 1, V. 3); damit stehen die Töne der Leier im Gegensatz zu den wilden Liedern der Krieger (V. 5-8). Der Sänger benennt die gegensätzlichen Motive der Musizierenden: Lust – Wut (V. 8). Die beiden ersten Strophen sind also als Kontraste miteinander verbunden. In der zweiten Strophe sollte man V. 5 als abgeschlossenen Satz lesen; die Infinitivkonstruktion in V. 6 f. ist das Subjekt des Satzes in V. 8.

Die fünf Strophen bestehen aus jeweils vier Versen im Trochäus mit jeweils drei Versfüßen, wobei die Verspaare zuerst eine weibliche, dann ein männliche Kadenz aufweisen; nach jedem zweiten Vers tritt also eine kleine Pause ein, die auch (bis auf die zweite Strophe) dem Ende eines Satzes entspricht. Die vier Verse sind im Kreuzreim verbunden. Als bedeutsame Reime der Verspaare kommen jeweils die Verse 2/4 einer Strophe in Betracht; in den Versen 1/3 sind dreimal die Reimwörter gleich. In der ersten Strophe sind die Verspaare streng parallel aufgebaut: Imperativ, Anrede an die Leier, Aufforderung an die Leier; im Reim von „Lust und Wein / Liebe drein“ (V. 2/4) sind die wichtigsten Themen der Lieder benannt. Diese Lieder sind ein literarisches Spiel; sie drücken nicht unbedingt das Lebensgefühl oder die persönliche Einstellung des Dichters aus. Die Lieder der Krieger werden nach ihren Themen und dem Antrieb der Sänger charakterisiert: Hass, Rache, Blut / nicht Lust, sondern Wut (V. 6/8).

In den beiden nächsten Strophen beschreibt und bewertet der Sänger den „Heldensänger“ (als Typus, nicht als Individuum), welcher im Gegensatz zu ihm Heldenepen vorträgt: In der dritten Strophe wird zunächst beschrieben, dass er für seine Lieder Ruhm erntet (V. 9-11); als entscheidendes Kriterium der Bewertung folgt dann die Frage, ob er länger lebt: Nein (V. 12). Damit ist gesagt, dass seine Gesänge im Wesentlichen ihm nichts einbringen. Das führt zum Kontrast von den vielen Lorbeeren und dem gleichwohl begrenzten Leben (V. 10/12). In der vierten Strophe wird die Lebensweise des Heldensängers untersucht, wobei die beiden Verspaare in einem eigenartigen Kontrast stehen: Das Leben des Heldensängers sei mühselig (er gräbt sich in Tiefsinn ein, V. 13 f.), er lebe erst richtig in seinem Ruhm, wenn er tot ist (V. 15 f., ein Paradox) – wovon er eigentlich also nichts hat, da er ja Staub ist – woraus sich als Folgerung ergibt: Lieber so leben und so singen, dass man sich des wirklichen Lebens jetzt erfreut. Die Inversion in V. 9 f. (Prädikat „Sammelt“ hinter dem Subjekt) ist dem Metrum geschuldet; das „Aber“ zu „Zwar“ bildet V. 12.

In der letzten Strophe wendet der Dichter sich an alle Hörer (und Leser) der Gegenwart und der Zukunft (Afterzeit, V. 18): Sie sollen den Heldensänger mit seinem göttlichen Feuer und ihn mit seiner Fröhlichkeit loben (zwei Imperative). Was wie eine Parallele aussieht, weist zugleich einen untergründigen Kontrast auf: Dem Heldensänger wird „sein göttlich Feuer“, seine Begeisterung zugebilligt, auch wenn das in V. 13 f. anders klang. Diese Aufforderung, ihn zu loben, hat einen ironischen Unterton; denn der Heldensänger hat ja nichts mehr von diesem Lob, weil er Staub ist. Der Sänger selber aber singt in Fröhlichkeit (V. 20), und auch dafür verdient man ein Lob.

Durch die Imperative sind die erste und die letzte Strophe miteinander verbunden: Die Aufforderung an die Leier und an das Publikum bilden den Rahmen, in dem die beiden Arten des Singens einander gegenübergestellt werden.

Als Parallele sei Lessings Gedicht „Für wen ich singe“ genannt. In den ersten sechs Strophen wird erklärt, für der Sänger nicht singt. Dann folgt:

Ich singe nur für euch, ihr Brüder,
Die ihr den Wein erhebt, wie ich.
Für euch, für euch sind meine Lieder.
Singt ihr sie nach: o Glück für mich!

Ich singe nur für meine Schöne,
O muntre Phyllis, nur für dich.
Für dich, für dich sind meine Töne.
Stehn sie dir an, so küsse mich.

https://de.wikipedia.org/wiki/Leier_(Zupfinstrument) (Leier, mit Bildern)

http://www.zeno.org/Literatur/M/Lessing,%20Gotthold%20Ephraim/Gedichte/Lieder%20(Ausgabe%201771) (Lessing: Lieder)

https://de.wikipedia.org/wiki/Anakreontik (Anakreontik)

https://wiki.zum.de/wiki/Anakreontik (dito)

http://www.wmelchior.com/archive/own/literatur/thesenpapiere/anakreontik.pdf (dito, von W. Melchior)

https://www.lernhelfer.de/schuelerlexikon/deutsch-abitur/artikel/anakreon (Anakreon – Anakreontik)

Zur Deutung der Anakreontik

Die Monotonie anakreontischer Oden entwirft das Bild eines hedonistischen Individuums:

– als symbolische Absage an jede Transzendenz

– „Wein und Liebe“ begründen allein Sinn und Gluck des menschlichen Lebens

– dabei wird implizit alles, was dem Menschen zur Erreichung seines Glückideals im Wege steht, kritisiert (moralische Einwände).

Dies geschieht indirekt durch Aufforderungen zu unbeschwertem Genuss und unreflektiertem Vergnügen. Mit der Anakreontik – wie auch der gesamten aufklärerischen Dichtung – ist ein gesellschaftliches Programm verknüpft, das seine Hauptstoßrichtung in der religionsgeschichtlichen Tradition von Literatur und Gesellschaft findet. Kritisiert wird:

1. die Morallehre der Orthodoxie und des Pietismus, die die Handlungen des weltlichen Genusses ächten und verbieten

2. der Begriff des schuldhaften Handelns und des Schuldgewissens

3. die christliche Vergeltungslehre in Verbindung mit ihrer Transzendenzlehre. Stattdessen wird mit provokatorischem Impetus ein weltimmanenter Glücksbegriff entworfen und zu einem Prinzip neuen gesellschaftlichen Handelns erhoben. (Wolfgang Melchior, s.o.)

Aufklärung: Lessings Sinngedichte

„Lessings Sinngedichte entstanden hauptsächlich in den Jahren 1751 und 1752 in Berlin und Wittenberg. Einzelne Gedichte wurden erstmals in der Berlinischen privilegirten Zeitung abgedruckt oder ab 1751 in Sammelwerke aufgenommen. 1771 erschien der Band G. E. Lessings Sinngedichte als Sonderabdruck aus G. E. Lessings vermischte Schriften. Erster Theil (ebenfalls 1771).“ Das steht als Einleitung vor der Auswahl der Sinngedichte bei Wikisource (s.u.).

Die Sinngedichte stehen zwischen Witz und Belehrung, sind Unterhaltung in der Zeit der Aufklärung. Um das zu demonstrieren, stelle ich eine kleine Auswahl vor:

26. Auf Frau Trix

Frau Trix besucht sehr oft den jungen Doktor Klette.

Argwohnet nichts! Ihr Mann liegt wirklich krank zu Bette.

Das ist schlichte Unterhaltung, wie sie auch heute geboten wird.

37. Auf den Sanktulus

Dem Alter nah, und schwach an Kräften,

Entschlägt sich Sanktulus der Welt

Und allen weltlichen Geschäften,

Von denen keins ihm mehr gefällt.

Die kleine trübe Neige Leben

Ist er in seinem Gott gemeint,

Der geistlichen Beschauung zu ergeben;

Ist weder Vater mehr, noch Bürger mehr, noch Freund.

Zwar sagt man, daß ein trauter Knecht

Des Abends durch die Hintertüre

Manch hübsches Mädchen zu ihm führe.

Doch, böse Welt, wie ungerecht!

Ihm so was übel auszulegen!

Auch das geschieht bloß der Beschauung wegen.

Hier wird mit zwei Wortspielen gearbeitet: Sanctulus ist der, der ein klein wenig heilig (sanctus) ist. Und Beschauung oder Betrachtung bedeutet beim ersten Mal die geistige Vertiefung ist die Geheimnisse der Religion, beim zweiten Mal spielt die wörtliche Bedeutung ironisch in die religiöse Bedeutung hinein.

65. Hänschen Schlau

»Es ist doch sonderbar bestellt«,

Sprach Hänschen Schlau zu Vetter Fritzen,

»Daß nur die Reichen in der Welt

Das meiste Geld besitzen.«

Hier wird die Definition des Reichen (analytisches Urteil) wie ein synthetisches Urteil bzw. wie eine erstaunliche Erfahrungstatsache eingeführt – ein kleiner Witz um eine schon bemerkenswerte Tatsache: dass nämlich nur wenige viel mehr als andere besitzen.

91. Auf einen gewissen Dichter

Ihn singen so viel mäß‘ge Dichter,

Ihn preisen so viel dunkle Richter,

Ihn ahmt so mancher Stümper nach,

Ihm nicht zum Ruhm, und sich zur Schmach.

Freund, dir die Wahrheit zu gestehen,

Ich bin zu dumm es einzusehen,

Wie sich für wahr Verdienst ein solcher Beifall schicket.

Doch so viel seh‘ ich ein,

Das Singen, das den Frosch im tiefen Schlamm entzücket,

Das Singen muß ein Quaken sein.

Lessing als Kunstrichter oder Kollege – sein Urteil geht wie eine Fabel in den Bildbereich der Tiere, um aus der Analogie zu verstehen, wie schwache Produkte große Anerkennung finden können; das Gedicht gilt auch heute noch.

102. Auf Dorinden

Sagt nicht, die ihr Dorinden kennt,

Daß sie aus Eitelkeit nur in die Kirchen rennt;

Daß sie nicht betet, und nicht höret,

Und andre nur im Beten störet.

Sie bat, (mein eignes Ohr ist Zeuge;

Denn ihre Schönheit geht allmählig auf die Neige)

Sie bat mit ernstlichen Gebärden:

»Laß unser Angesicht, Herr, nicht zu Schanden werden!«

Hier liegt wieder ein Wortspiel vor: Das Gebet Dorindens erinnert an Psalm 31: „HERR, bei dir habe ich mich geborgen. / Lass mich nicht zuschanden werden in Ewigkeit; rette mich in deiner Gerechtigkeit!“ (Ps. 31,2) Was im Psalm für die gefährdete Person erbeten wird, gilt bei Dorinden nur für die Schönheit des alternden Gesichts.

105. Auf einen gewissen Leichenredner

O Redner! dein Gesicht zieht jämmerliche Falten,

Indem dein Maul erbärmlich spricht.

Eh du mir sollst die Leichenrede halten,

Wahrhaftig, lieber sterb‘ ich nicht!

Der Witz liegt auf der Hand: als ob zu sterben im Belieben eines Menschen stände!

108. Auf Lorchen

Lorchen heißt noch eine Jungfer. Wisset, die ihrs noch nicht wißt:

So heißt Lucifer ein Engel, ob er gleich gefallen ist.

Wieder ein Wortspiel mit dem Partizip „gefallen“ in einem Vergleich („So“); den Jüngeren heute muss man wohl erklären, dass ein „gefallenes“ Mädchen seine sexuelle Unschuld verloren hatte, also nicht mehr Jungfrau war, was früher als Schande galt, wie man an Gretchen im „Faust“ sehen kann. Vermutlich muss man ihnen ebenfalls erklären, dass im biblischen Mythos der Engel Lucifer („Lichtträger“) sich gegen Gott empörte (also gefallen oder abgefallen war), von Michael im Kampf besiegt besiegt und aus dem Himmel in die Hölle gestürzt wurde, wo er dann als Teufel Dienst tat.

141. An einen Autor

Mit so bescheiden stolzem Wesen

Trägst du dein neustes Buch – welch ein Geschenk! – mir an.

Doch, wenn ichs nehme, grundgelehrter Mann,

Mit Gunst: muß ich es dann auch lesen?

Mit Gunst“ heißt so viel wie „mit Verlaub“. Hier spielt Lessing mit einer Differenz: dem Stolz eines Autors auf sein Werk und der Einschätzung dieses Werks durch einen damit Beschenkten. Um das kleine Gedicht würdigen zu können, muss man vielleicht schon einmal derart beschenkt worden sein.

144. Abschied an den Leser

Wenn du von allem dem, was diese Blätter füllt,

Mein Leser, nichts des Dankes wert gefunden:

So sei mir wenigstens für das verbunden,

Was ich zurück behielt.

Das ist ein würdiger Abschluss der Sinngedichte und ein ironisches Spiel mit der Drohung, noch viel schlechtere Gedichte dem undankbaren Leser präsentieren zu können.

Im Anhang der Sinngedichte finden sich noch ein paar schöne Exemplare:

Auf den Herrn M den Erfinder der Quadratur des Zirkels

Der mathematsche Theolog,
Der sich und andre nie betrog,
Saß zwischen zweimal zweien Wänden,
Mit archimedscher Düsternheit,
Und hatte – – welche Kleinigkeit!
Des Zirkels Vierung unter Händen.
Kühn schmäht er auf das x + z
(Denn was ist leichter als geschmäht?)
Als ihn der Hochmut sacht und sachte
Bei seinen Zahlen drehend machte.
So wie auf einem Fuß der Bube
Sich dreht, und dreht sich endlich dumm,
So ging die tetragonsche Stube,
Und Stuhl und Tisch mit ihm herum.
O Wunder, schrie er, o Natur!
Da hab ich sie, des Zirkels Quadratur.

Die Quadratur des Kreises mit Zirkel und Lineal ist ein unlösbares mathematisches Problem, dessen „Lösung“ der Mathematiker hier am eigenen Leib erfährt, indem das quadratische Zimmer um ihn zu kreisen beginnt.

In ein Stammbuch, dessen Besitzer versicherte, daß sein Freund ohne Mängel und sein Mädchen ein Engel sei

Trau keinem Freunde sonder Mängel

Und lieb ein Mädchen, keinen Engel.

sonder“ heißt „ohne“.

In den Sinngedichten finden sich auch solche, die in der Tradition der Frauenschelte bzw. der Misogamie fallen – in einer von Männern dominierten literarischen Kultur muss man derartige Produkte insgesamt eher zu den Scherzen zählen, die es in ähnlicher Weise (als Spiel mit Klischees) auch heute als (vermeintlich) witzig vielfach gibt:

[Doppelter Nutzen einer Frau]

Zweimal taugt eine Frau – für die mich Gott bewahre! –

Einmal im Hochzeitsbett, und einmal auf der Bahre.

Diese Tendenz gab es auch schon in den Sinngedichten:

82. Das Mädchen

Zum Mädchen wünscht‘ ich mir – und wollt‘ es, ha! recht lieben –

Ein junges, nettes, tolles Ding,

Leicht zu erfreun, schwer zu betrüben,

Am Wuchse schlank, im Gange flink,

Von Aug‘ ein Falk,

Von Mien‘ ein Schalk;

Das fleißig, fleißig liest:

Weil alles, was es liest,

Sein einzig Buch – der Spiegel ist;

Das immer gaukelt, immer spricht,

Und spricht und spricht von tausend Sachen,

Versteht es gleich das Zehnte nicht

Von allen diesen tausend Sachen:

Genug, es spricht mit Lachen,

Und kann sehr reizend lachen.

Solch Mädchen wünscht‘ ich mir! – Du, Freund, magst deine Zeit

Nur immerhin bei schöner Sittsamkeit,

Nicht ohne seraphin‘sche Tränen,

Bei Tugend und Verstand vergähnen.

Solch einen Engel

Ohn‘ alle Mängel

Zum Mädchen haben:

Das hieß‘ ein Mädchen haben? –

Heißt eingesegnet sein, und Weib und Hausstand haben.

Die seraphin‘schen Tränen sind die Tränen der Engelsorte Seraphim, die zur Langeweile des tugendhaften Lebens passen. Die zweite Strophe muss man ab „Du“ als Antwort des Freundes auf den törichten Wunsch lesen. Nicht so eindeutig ist die Nr. 110:

110. Der spielsüchtige Deutsche

So äußerst war, nach Tacitus Bericht,

Der alte Deutsch‘ aufs Spiel erpicht,

Daß, wenn er ins Verlieren kam,

Er endlich keinen Anstand nahm,

Den letzten Schatz von allen Schätzen,

Sich selber, auf das Spiel zu setzen.

Wie unbegreiflich rasch! wie wild!

Ob dieses noch vom Deutschen gilt?

Vom deutschen Manne schwerlich. – Doch,

Vom deutschen Weibe gilt es noch.

Was genau ist damit gemeint, dass die deutsche Frau sich selber aufs Spiel setzt, wenn‘s ans Verlieren geht? Heißt es, dass sie wild entschlossen blind heiratet, ehe sie als alte Jungfer endet? Die Frauenschelte ist ein weites Feld, auf dem auch Legenden wie die von Aristoteles und Phyllis wachsen und das gesondert zu erforschen wäre.

http://www.zeno.org/Literatur/M/Lessing,+Gotthold+Ephraim/Gedichte/Sinngedichte+(Ausgabe+1771)

https://www.projekt-gutenberg.org/lessing/sinnged/sinnged.html

https://de.wikisource.org/wiki/Sinngedichte (eine Auswahl)

https://literaturkritik.de/id/19300 (Frauenbild)

https://deacademic.com/dic.nsf/dewiki/963774 (Misogynie = Frauenschelte)

Lessing: Emilia Galotti – Inhalt, Geschehen

Übersicht über das Geschehen

* ein Kabinett des Prinzen
I 1 Prinz(-Kammerdiener): Gegenüberstellung der Orsina und der Emilia in den Gedanken des Prinzen; Brief der Orsina bleibt ungelesen (-> IV 3)
I 2 Conti-Prinz: Conti mit zwei Bildern, Orsina – X
I 3 Monolog Prinz: zweite Gegenüberstellung (I 1 <-)
I 4 Prinz-Conti: Charakterisierung der Orsina, Begeisterung für Schönheit Emilias angesichts der beiden Bilder
I 5 Monolog Prinz: gute Absichten gegen Familie Galotti
I 6 Marinelli-Prinz: Info über Wünsche der Orsina und die bevorstehende Heirat Emilias mit Graf Appiani, dem Feind Marinellis; erste Überlegungen dazu; Prinz lässt Marinelli für sich denken und uneingeschränkt handeln; „Falle“ angedeutet (-> II 3, II 10)
I 7 Prinz (- Kammerdiener): Prinz will sich Emilia in der Kirche nähern -> II 6), hebt Bild wieder auf.
I 8 Camillo Rota-Prinz: Prinz überlässt alle Entscheidungen seinem Rat, ist besessen von seinem Plan, will schnell Todesurteil unterschreiben (Info über Emilia und ihre erste Begegnung mit dem Prinzen in I 4 und in I 6)

* ein Saal in dem Hause der Galotti
II 1 Claudia-Pirro: Odoardo wird angekündigt
II 2 Odoardo-vorige: Sorge des Vaters um den Ausgang seiner Tochter; Info: in Kirche (-> II 6)
II 3 Pirro-Angelo: Diener Pirro als Gaunerkumpan Angelos, der die Route Odoardos und des Brautpaars auskundschaftet; Pirro ahnt Verbrechen (-> III 2), wehrt sich vergeblich gegen Komplizenschaft.
II 4 Odoardo-Claudia(-Pirro): Sorge Odoardos über Ausbleiben Emilias; Gespräch über städt. Erziehung Emilias und deren Folgen (Bekanntschaft mit Appiani und Prinz)
II 5 Claudia: reflektiert des Prinzen Absichten
II 6 Emilia-Claudia: Emilia, verwirrt durch des Prinzen Annäherung, erzählt ihrer Mutter den Vorfall, bei dem sie sich kaum gewehrt hat; Claudia rät ihr ab, Appiani zu informieren, beruhigt sie.
II 7 Appiani-vorige: Appiani in Gedanken; Gespräch über Brautschmuck, Vorahnungen („Tränen“)
II 8 Appiani-Claudia: Appiani will Prinz informieren; erklärt seine Sorgen (kurz vor dem Ziel).
II 9 vorige-Pirro-Marinelli: Ankunft Marinellis gemeldet
II 10 Appiani-Marinelli: Marinelli will Appiani zum Fürsten laden bzw. Gesandten bitten; abgelehnt, Streit, Duellforderung
II 11 Appiani-Claudia: Appiani beruhigt Claudia über den Streit.

* ein Vorsaal auf dem Lustschlosse des Prinzen
III 1 Prinz-Marinelli: Bericht Marinellis über sein Treffen mit Appiani; Andeutung, dann Erklärung des gleichzeitig erfolgenden Überfalls
III 2 Marinelli, dann Angelo: Angelo berichtet vom Überfall, Marinelli ist am Tod des Grafen interessiert
III 3 Prinz-Marinelli: in Erwartung Emilias: der Prinz ist unsicher, berichtet von der Begegnung am Morgen (III 1 <-, II 6 <-).
III 4 Marinelli-Battista-Emilia: Emilia, in Sorge um Mutter und Appiani, wird auf den Prinzen vorbereitet.
III 5 Prinz-Emilia-Marinelli: Begegnung; Sorge Emilias um die Angehörigen, im Zwiespalt angesichts der Bekenntnisse des Prinzen
III 6 Battista-Marinelli: beraten, wie sie mit Claudia umgehen sollen
III 7 vorige-Claudia: Battista führt Claudia zu Marinelli.
III 8 Claudia-Marinelli: Begegnung; Claudia, die in Marinelli den Mörder Appianis erkennt, durchschaut die Zusammenhänge des Geschehens; Emilia hört sie sprechen.

IV 1 Prinz-Marinelli: Prinz zornig über Appianis Tod, wird beschwichtigt; strategische Reflexion des Geschehens; Marinelli erklärt, was die morgendliche Aktion des Prinzen (II 6) im Zusammenhang bedeutet
IV 2 Battiasta-vorige: Ankunft der Orsina gemeldet
IV 3 Orsina-Marinelli: Orsina erklärt ihre Ankunft (Brief I 1 <-), Marinelli schwätzt ihr hilflos nach; Orsina äußert sich ironisch über den „Zufall“ und reflektiert die Möglichkeit von Zufällen (-> IV 5).
IV 4 vorige-Prinz: Prinz will an ihr vorbeigehen.
IV 5 Orsina-Marinelli: Marinelle erzählt ihr (teilweise), wer beim Prinzen ist; Orsina erkennt den Prinzen als Mörder, da sie von der Begegnung am Morgen weiß (II 6 <-, IV 3 <-)
IV 6 vorige-Odoardo: Odoardo kommt an, will zum Pinzen.; Orsina lässt sich von Marinelli nicht wegschicken.
IV 7 Orsina-Odoardo: gegen Marinellis Warnung erkennt Odoardo sie als normal; Gemeinsamkeit der beiden: Verstand verloren, Herz  gebrochen; Odoardo erinnert sich an Gespräch mit Claudia (II 4), erhält Dolch der Orsina. Sie, als verlassene Frau rasend, bittet ihn um Rache.
IV 8 vorige-Claudia: Claudia beteuert eigene und Emilias Unschuld, berichtet von Emilias Befinden; Odoardo schickt die beiden Frauen weg.

V 1 Marinelli-Prinz: spekulieren über Odoardos künftiges Verhalten; Marinelli plant Neues.
V 2 Monolog Odoardo: Er besinnt sich, distanziert sich von Orsina, plant Bestrafung des Prinzen (durch Verbannung Emilias in ein Kloster).
V 3 Marinelli-Odoardo: Marinelli will Odoardo bestimmen, Emilia nicht mitzunehmen; holt den Prinzen.
V 4 Monolog Odoardo: Im Zorn rechtfertigt er schon sein gesetzloses Tun (im Kampf mit dem Prinzen).
V 5 Prinz-Marinelli-Odoardo: Disput wegen Aufenthalt Emilias; Prinz gibt dem Vater nach, doch Marinelli schlägt ein Verhör Emilias in der Stadt vor sowie ihre Trennung von der Familie. Odoardo setzt zur Ermordung des Prinzen an; Streit um den Ort der Verwahrung Emilias.
V 6 Monolog Odoardo: Er zögert, will auf Tat verzichten, kann Emilia nicht mehr ausweichen.
V 7 Emilia-Odoardo: Emilia, ruhig; Odoardo (vorher) ist unruhig: Emilia will fliehen, Odoardo offenbart ihr das Vorhaben des Prinzen. Emilia will sich töten, um der Verführung zu widerstehen, reizt ihren Vater zum Mord.
V 8 vorige-Prinz-Marinelli: Odoardo stellt sich dem Gericht des Prinzen, dieser verjagt Marinelli als „Teufel“.

Legende: (-> verweist vor auf…, <- knüpft an … an.)

Sie finden meine Analyse des Dramas unter https://norberto42.wordpress.com/2012/03/06/lessing-emila-galotti-analysen/ – als Unterrichtsreihe ausgearbeitet: http://www.lehrer-online.de/dyn/9.asp?path=/emilia-galott

Lessing: Nathan der Weise – Inhalt, Geschehen

Übersicht über das Geschehen:

* Flur in Nathans Haus
I 1 Nathan – Daja: Beginn durch Nathans Heimkehr; Bericht über des Tempelherrn und des Sultans gute Taten -> I 2
I 2 Nathan – Daja – Recha: religiöse „Aufklärung“ Rechas durch Nathan
I 3 Nathan – Derwisch: (berichtende) Einführung Saladins
I 4 Nathan – Daja:  -> I 6; II 4 ff. (Tempelherrn holen!)
* ein Platz mit Palmen
I 5 Tempelherr – Klosterbruder: Angebot des Patriarchen (Einführung des Patriarchen und des Klosterbruders; Charakter des Tempelherrn)
I 6 Tempelherr – Daja: Tempelherr lehnt Einladung zu Nathan ab; Info: Vorgeschichte Dajas

* des Sultans Palast (Schachspiel)
II 1 Saladin – Sittah: Saladin über die Christen; Geldsorgen
II 2 Salaladin – Sittah – Al Hafi: Saladin und das Geld
II 3 die gleichen Figuren: Saladin wird über Nathan informiert -> II 6; II 9
* vor dem Hause Nathans, wo es an die Palmen stößt
II 4 Nathan – Recha – Daja: Verhältnis Vater-Tochter (vgl.I 1; III 1; IV 7; V 3, V 6-8) -> II 5
II 5 Nathan – Tempelherr: Gespräch; Freundschaft -> III 2
II 6 Nathan – Tempelherr – Daja: Info: Nathan zu Saladin eingeladen -> III 4 ff.
II 7 Nathan – Tempelherr: Nathans Haltung gegenüber Saladin -> II 4 ff.; er ahnt des Tempelherrn Identität -> III 9; IV 7; V 8; Tempelherr zu Nathan („zu uns“) eingeladen
II 8 Nathan – Daja: Nathan plant weiter -> II 9; IV 6
II 9 Nathan – Al Hafi: Al Hafi tritt ab; Info: Geldwünsche des Sultans -> III 4 ff.

* in Nathans Hause
III 1 Recha – Daja: Gespräch über Dajas Verständnis des Tempelherrn – Präludium zu III 7
III 2 Recha – Daja – Tempelherr: Begegnung Daja – Tempelherr: Mann – Frau  -> III 9 ff.
III 3 Recha – Daja: Gespräch über Rechas Liebe
* ein Audienzsaal in dem Palaste des Saladin
III 4 Saladin – Sittah: (vgl. II 3) Verfassung Saladins
III 5 Saladin – Nathan: erste Begegnung, Saladins Auftrag
III 6 Nathan: Reflexion des Auftrags -> III 7
III 7 Nathan – Saladin: Ringparabel, Freundschaft der beiden, Geldangebot (<-II 3.9) -> IV 3 ff.)
* unter den Palmen
III  8 Tempelherr: Reflexion seiner Situation
III  9 Tempelherr – Nathan: Werbung um Recha, Zurückhaltung Nathans
III 10 Tempelherr – Daja: Info: Recha ist Christin -> IV

* in den Kreuzgängen des Klosters
IV 1 Klosterbruder – Tempelherr:  -> IV 2
IV 2 Klosterbruder – Tempelherr – Patriarch: Gespräch über den „Fall“ Recha (<- III 10), Rückzieher des Tempelherrn
* ein Zimmer im Palaste Saladins
IV 3 Saladin – Sittah – Sklave:  -> IV 4
IV 4 Saladin – Tempelherr: Begegnung, Freundschaft; Gespräch über Recha; Tempelherr unreif, stürmisch(<-III 9 f.; IV 2)
IV 5 Saladin – Sittah: Beschluss, Recha zu holen (-> IV 8; V 6.8); Hinweis auf Assad
* die offene Flur in Nathans Hause
IV 6 Nathan – Daja: Gespräch über Rechas Ehe: Daja drängt, Nathan mahnt zur Geduld
IV 7 Nathan – Klosterbruder: Info über des Tempelherrn Gang zum Patriarchen (IV 2); Vorgeschichte Nathans; Identität von Assad und Recha deutet sich an
IV 8 Nathan – Daja: (<-IV 5) Daja beschließt, Recha ihre Herkunft zu enthüllen (-> V 6)

* das Zimmer mit den Geldbeuteln
V 1 Saladin – Mamelucken: Geld trifft ein; Saladins Großmut
V 2 Saladin – Emir Mansor: Info (<-V 1; II 1)
* die Palmen vor Nathans Hause
V 3 Tempelherr: Reflexion, er bereut seine Tat
V 4 Nathan – Klosterbruder: Klosterbruder bringt das Buch mit dem Stammbaum der Familie Filnek; Info über IV 2
V 5 Nathan – Tempelherr: IV 2 besprochen; neue Werbung; Andeutung des Verhältnisses („Bruder“)
* in Sittahs Harem
V 6 Sitta – Recha: (<-IV 8) Recha erzählt von Dajas Info und bangt um den Verlust des Vaters
V 7 Sitta – Recha – Saladin: Saladins Vorschläge zur Lösung von  Rechas Problem (<-IV 8; V 6)
V 8 Sitta – Recha – Saladin – Nathan – Tempelherr: Saladin fährt wie in V 7 fort; Nathan enthüllt die Identität der beiden „Kinder“ (V. 3812; 3836; <-II 7), indem er die am weitesten zurückreichende Vorgeschichte aufklärt; Lösung

Analysen zum Drama: https://norberto42.wordpress.com/2012/01/15/lessing-nathan-der-weise-analyse-inhalt/

Lessing: Emila Galotti – Analysen

Übersicht über das Geschehen

* ein Kabinett des Prinzen
I 1 Prinz(-Kammerdiener)     Gegenüberstellung der Orsina und der Emilia
in den Gedanken des P.; Brief der Orsina bleibt ungelesen (-> IV 3)
2 Conti-Prinz          Conti mit zwei Bildern, Orsina vs. X
3 Monolog Prinz     zweite Gegenüberstellung (I 1 <-)
4 Prinz-Conti          Charakterisierung der Orsina, Begeisterung für Schönheit Ermilias angesichts der beiden Bilder
5 Monolog Prinz     gute Absichten gegen Fam. Galotti
6 Marinelli-Prinz     Info über Wünsche der Orsina und die bevorstehende Heirat Emilias mit Graf Appiani, dem Feind Marinellis; erste Überlegungen dazu; Prinz läßt Marinelli für sich denken und uneingeschränkt handeln; „Falle“ angedeutet (-> II 3, II 10)
7 Prinz(-K.)           P. will sich Emilia in der Kirche nähern -> II 6), hebt Bild wieder auf.
8 Camillo Rota-Prinz      Prinz überlässt alle Entscheidungen seinem Rat, ist besessen von seinem Plan, will schnell ein Todesurteil  unterschreiben.
(Info über Emilia und ihre erste Begegnung mit dem Prinzen in I 4, und in I 6, S. 14 f.)

* ein Saal in dem Hause der Galotti
II 1 Claudia-Pirro     Odoardo angekündigt
2 Odoardo-vorige   Sorge des Vaters um den Ausgang seiner
Tochter; Info: in Kirche (-> II 6)
3 Pirro-Angelo     Diener Pirro als Gaunerkumpan Angelos, der die Route
Odoardos und des Brautpaars auskundschaftet; Pirro ahnt
Verbrechen (-> III 2), wehrt sich vergeblich gegen  Komplizenschaft.
4 Odoardo-Claudia(-Pirro) Sorge Odoardos über Ausbleiben Emilias;
Gespräch über städt. Erziehung Emilias und deren Folgen
(deren Bekanntschaft mit Appiani und Prinz)
5 Claudia         reflektiert des Prinzen Absichten
6 Emilia-Claudia    Emilia, verwirrt durch des Prinzen Annäherung,
erzählt ihrer Mutter den Vorfall, bei dem sie sich kaum gewehrt hat;
Claudia rät ihr ab, Appiani zu informieren, beruhigt sie.
7 Appiani-vorige   Appiani in Gedanken; Gespräch über Brautschmuck;   Vorahnungen („Tränen“)
8 Appiani-Claudia     Appiani will Prinz informieren; erklärt seine
Sorgen (so kurz vor dem Ziel).
9 vorige-Pirro-Marinelli  Ankunft Marinellis gemeldet
10 Appiani-Marinelli       Marinelli will Appiani zum Fürsten laden bzw.
Gesandten bitten; abgelehnt, Streit, Duellforderung
11 Appiani-Claudia     Appiani beruhigt Claudia über den Streit.

* ein Vorsaal auf dem Lustschlosse des Prinzen
III 1 Prinz-Marinelli   Bericht Marinellis über sein Treffen mit Appiani;
Andeutung, dann Erklärung des gleichzeitig erfolgenden Überfalls
2 Marinelli, dann Angelo  Angelo berichtet vom Überfall,
Marinelli ist am Tod des Grafen interessiert
3 Prinz-Marinelli   in Erwartung Emilias: der Prinz ist unsicher,
berichtet von der Begegnung am Morgen (III 1 <-, II 6 <-).
4 Marinelli-Battista-Emilia  Emilia, in Sorge um Mutter und
Appiani, wird auf den Prinzen vorbereitet.
5 Prinz-Emilia-Marinelli Begegnung; Sorge Emilias um die Angehörigen,
im Zwiespalt angesichts der Bekenntnisse des Prinzen
6 Battista-Marinelli     beraten, wie sie mit Claudia umgehen sollen
7 vorige-Claudia         Battista führt Claudia zu Marinelli.
8 Claudia-Marinelli      Begegnung; Claudia, die in Marinelli den Mörder
Appianis erkennt, durchschaut die Zusammenhänge des  Geschehens; Emilia hört sie sprechen.

IV 1 Prinz-Marinelli        Prinz zornig über Appianis Tod, wird beschwichtigt; strategische Reflexion des Geschehens; Marinelli erklärt, was die morgendliche Aktion des Prinzen (II 6) im Zusammenhang bedeutet.
2 Battiasta-vorige        Ankunft der Orsina gemeldet
3 Orsina-Marinelli        Orsina erklärt ihre Ankunft (Brief I 1 <-), Marinelli
schwätzt ihr hilflos nach; Orsina äußert sich ironisch über den  „Zufall“ und reflektiert die Möglichkeit von Zufällen (-> IV 5).
4 vorige-Prinz            Prinz will an der Orsina vorbeigehen.
5 Orsina-Marinelli      Marinelli erzählt ihr (teilweise), wer beim Prinzen ist;  Orsina erkennt den Prinzen als Mörder, da sie von der Begegnung am Morgen weiß (II 6 <-, IV 3 <-).
6 vorige-Odoardo       Odoardo kommt an, will zum Prinzen; Orsina
lässt sich von Marinelli nicht wegschicken.
7 Orsina-Odoardo       Gegen Marinellis Warnung erkennt Odoardo sie als normal; Gemeinsamkeit der beiden: Verstand verloren, Herz  gebrochen; Odoardo erinnert sich an Gespräch mit Claudia (II 4), erhält Dolch der Orsina. Sie, als verlassene Frau rasend, bittet ihn um Rache.
8 vorige-Claudia    Claudia beteuert eigene und Emilias Unschuld, berichtet von Emilias Befinden;
Odoardo schickt die beiden Frauen weg.

V 1 Marinelli-Prinz    spekulieren über Odoardos künftiges Verhalten;
Marinelli plant Neues.
2 Monolog Odoardo      Er besinnt sich, distanziert sich von Orsina, plant Bestrafung des Prinzen (durch Verbannung Emilias in ein Kloster.
3 Marinelli-Odoardo      Marinelli will Odoardo bestimmen, Emilia nicht
mitzunehmen; holt den Prinzen.
4 Monolog Odoardo       Im Zorn rechtfertigt er schon sein gesetzloses Tun    (im Kampf mit dem Prinzen).
5 Prinz-Marinelli-Odoardo   Disput wegen des Aufenthalts Emilias; Prinz
gibt dem Vater nach, doch Marinelli schlägt ein Verhör Emilias in der Stadt vor sowie ihre Trennung von der  von Familie. Odoardo setzt zur Ermordung des Prinzen an; Streit um den Ort der Verwahrung Emilias.
6 Monolog Odoardo       Er zögert, will auf die Tat verzichten, kann Emilia nicht mehr ausweichen.
7 Emilia-Odoardo           Emilia, ruhig; Odoardo (vorher) ist unruhig:
Emilia will fliehen, Odoardo offenbart ihr das Vorhaben des Prinzen. Emilia will sich töten, um der Verführung zu widerstehen, reizt ihren Vater zum Mord.
8 vorige-Prinz-Marinelli   Odoardo stellt sich dem Gericht des Prinzen, dieser verjagt Marinelli als „Teufel“.
Legende: (-> verweist vor auf…, <- knüpft an … an.)
(Seiten- und Zeilenzählung nach der Ausgabe RUB 45 von 2001)

Dramatische Situation am Ende von I
Diese Situation wird in den Materialien der Unterrichtsreihe bei lehrer-online beschrieben, siehe unten!
(Die Information über Emilia und ihre erste Begegnung mit dem Prinzen steht in I 4 und in I 6.)

Dramatische Situation am Ende von II
Eine Gefährdung des Brautpaares wird erkennbar: Der Berufsverbrecher Angelo kundschaftet den Weg und die Ausstattung der Kutschen aus; Odoardo zeigt sich besorgt; der Prinz nähert sich Emilia in der Kirche; Appiani ist von Vorahnungen gequält. Marinellis Versuch, Appiani durch die Gesandtschaft von der Hochzeit abzuhalten (Plan 1), scheitert; ihre Begegnung endet im Streit und mit einer Duellforderung.

Dramatische Situation am Ende von III
Einerseits klärt sich die Situation Emilas: Appiani wird ermordet (Plan 2 – in II 3 erkennt man, dass Plan 2 bereits angepackt wurde, ehe Plan 1 in II 10 scheiterte; in I 6 ist er möglicherweise bereits gedacht worden: 18/4 ff.), und zwar aufgrund von Marinellis eigenmächtiger, von seiner Feindschaft (und der Beleidigung „Affe“) bestimmten Rache; Emilia ist im Schloss, doch der Prinz ist aufgrund seines Kirchen-Abenteuers unsicher. Anderseits beginnt bereits die Aufklärung des Verbrechens: Denkt Emilia noch an einen „Zufall“ (48/2), so durchschaut Claudia das Verbrechen, als sie den Namen Marinelli hört und erfährt, dass man im Schloss des Prinzen ist; damit sind die Pläne Marinellis gescheitert. – Das Zusammentreffen aller Beteiligten wird die Krise des Geschehens heraufführen.

Dramatische Situation an Ende von IV
Gräfin Orsina tritt auf und bestimmt weithin das Geschehen; sie ist durch Zufall gekommen, weil sie sich irrtümlich mit dem Prinzen verabredet glaubte. In IV 3 debattiert sie mit Marinelli über „Zufall“ und reflektiert als Figur damit eines der Konstruktionsprinzipien des Dramas. Sie entdeckt, dass der Prinz hinter dem Mord an Appiani steht (IV 5), informiert Odoardo dementsprechend und gibt ihm einen Dolch, damit er die Frevel des Prinzen räche (IV 7). Sie dient dann noch dazu, Claudia aus der Szene zu entfernen, damit der strenge Vater und seine Tochter zusammentreffen wie auch dem Prinzen bewaffnet gegenübertreten können. – Das Drama neigt sich dem Ende zu: Die entscheidenden Erkenntnisse sind laut ausgesprochen, die Repräsentanten der Tugend und der Leidenschaft müssen in V noch aufeinander treffen.

Dramatische Situation am Ende von V

Der Streit um Emilia wird dadurch entschieden, dass ihr Vater statt des Prinzen sie auf ihren eigenen Wunsch tötet, damit sie der Verführung durch den Prinzen entgeht und ihre Ehre bewahrt. Der Prinz erkennt seine Schuld und verjagt Marinelli als „Teufel“, der ihn verführt habe.

Der Prinz in den Monologen des 1. Aufzugs
Bei seinem ersten Monolog (I 3) schwankt der Prinz, befindet er sich in einem Zwiespalt: Das Bild der Orsina mag kommen, solange sie selber fernbleibt (7/8); dann denkt er über die Möglichkeit einer neuen Annäherung an sie nach (7/9 f.), was er aber wieder sogleich verwirft (7/10 f.); er rechnet sogar damit, dass die Orsina den Maler bestochen hat, dem Prinzen mit Emilias Bild die lästige Geliebte (vgl. 6/3 ff.) nahezubringen (7/11 f.); doch das störte ihn nicht, wenn Emilias Bild in seinem Herzen verblasste (7/12 ff.), im Gegenteil: Er erinnert sich seiner früheren Heiterkeit. Diese Möglichkeit der Rückkehr zur Orsina verwirft er dann aber doch, weil er sich ohne sie besser fühle (7/17 ff.).
Im zweiten Monolog (I 5) ist er, nachdem er das Bild Emilias gesehen hat, Feuer und Flamme für sie, möchte sie besitzen, will ihren Eltern jeden Preis zahlen, schwärmt für ihr Aussehen und bedauert, Marinelli gerufen zu haben, weil er dadurch das schöne Bild nicht mehr betrachten kann. Interessant ist hier übrigens die Frage, wie man den Satz verstehen soll: „Am liebsten kauft‘ ich dich, Zauberin, von dir selbst!“ Wörtlich verstanden drückte der Prinz damit aus, dass er Menschen wie Sachen kaufen kann, dass er Emilia also als käufliche Frau betrachtet. Im Kontext muss man jedoch die Analogie zum Kauf des Bildes sehen; das schöne Werk der Kunst (12/4) ist das Pendant zum schöneren Meisterstück der Natur (12/6); „das Bild kaufen“ dient also als Metapher für die Annäherung an Emilia, und „von dir selbst [kaufen]“ kann man auch als Eroberung durch charmantes Werben verstehen. Eine Metapher eröffnet eben einen Spielraum des Verstehens.
Im dritten Monolog (I 7) begehrt der Prinz, nachdem Marinelli einen ersten Plan entworfen hat, wie die Hochzeit Emilias zu verhindern sei, Emilia heftig; er spricht zunächst etwas abgehackt und begnügt sich nun nicht mehr damit, Emilias Bild zu betrachten (18/20 ff.); als er erwägt, dass Marinelli vielleicht nichts erreicht (18/25 ff.), will er selber etwas unternehmen. Ihm fällt Emilias Gewohnheit ein, die Frühmesse zu besuchen (18/28 ff.); doch er zweifelt, ob sie dies auch am Hochzeitstag tun wird, hält es jedoch wiederum für möglich und bricht deshalb auf (19/3 ff.). Der Prinz ist also erneut von Unruhe gequält, aber eben in einer anderen Frage als in seinem ersten Monolog: Bekomme ich Emilia für mich?
An den drei Monologen erkennt man, wie der Prinz sich rasch Emilia annähert: Zu Beginn schwankt er in der Wahl zwischen den beiden Frauen; er begeistert sich dann für Emilia; er möchte schließlich ihre Hochzeit verhindern, um sie selbst zu „besitzen“. 

Aufbau von II 6

II 6 ist insofern interessant, als hier Emilia erstmals selbst auftritt. Sie berichtet über ihre zweite Begegnung mit dem Prinzen, die dieser in seiner Begierde und Ungeduld herbeigeführt hat (vgl. I 7); damit werden die Sorgen Odoardos, dass Emilia allein das Haus verlassen hat (II 2) und dass der Prinz von Emilia begeistert war (II 4), bestätigt. Niemand hat das Gespräch II 6 so geplant, Odoardo hat es nur ähnlich vielleicht vermeiden wollen.
Den ersten Teil des Gesprächs bestimmt Emilia, die von der unschicklichen Annäherung des Prinzen schockiert ist, ganz aufgeregt und kurz spricht und sich zu ihrer Mutter flüchtet (wirft sich in deren Arme 27/25); Claudia sucht ihr die Angst zu nehmen.
Mit Claudias Aufforderung, in Ruhe zu erzählen (28/8 f.), beginnt der zweite Teil: Emila berichtet zusammenhängend von dem, was sie in der Kirche erlebt hat (bis 29/4 und dann in gewisser Hinsicht noch einmal 29/27-30/5).
Ab 29/5 bestimmt eigentlich Claudia das Gespräch (dritter Teil), indem sie
– sich auf Odoardos Sorgen bezieht (29/5 ff.),
– sich Emilias Reaktion berichten lässt (29/19 ff.),
– Emilia beruhigt (30/11 ff.) und
– ihr ausredet, das Geschehene ihrem Verlobten zu berichten (30/18 ff.).
Dadurch fühlt Emilia sich erleichtert und aller Schuld ledig (vierter Teil) , worin Claudia sie bestärkt – das ist der Ausklang des Gesprächs.
Dadurch, dass die Männer der Familie nichts von des Prinzen heftiger Begierde erfahren, schöpfen sie keinen Verdacht, und der ganze Brautzug reitet ahnungslos in den von Marinelli organisierten Überfall. Daran ist auch Claudia schuld, welche die Besorgnis ihres Mannes richtig ahnt, aber falsch einschätzt, dass alles ohne Folgen bleiben werde wie ein Traum (30/9 ff.).

Analyse IV 1
Diese Szene kann als Beispiel dafür stehen, wie Marinelli mit dem Prinzen umgeht und wie dieser seinem Marchese unterlegen ist.
Kurz zuvor ist der Prinz von dem Überfall auf die Kutsche informiert worden, während dieser Überfall stattfindet (III 1, 41/36 ff.), der ohne sein Wissen inszeniert worden ist und den er sogleich nach dessen Andeutung billigt. In Erwartung Emilias ist der Prinz unsicher; Marinelli muntert ihn auf (III 3). Als Emilia hinzukommt, will Marinelli das Paar vor Störung schützen (III 5); er glaubt, die Mutter leicht gewinnen zu können (III 6), doch diese hat den Überfall als Verbrechen Marinellis und wohl auch des Prinzen aufgedeckt (III 8). Im Gespräch der beiden (IV 1)geht es darum, wer an Appianis Tod schuld ist und wem es anzurechnen ist, dass nun alle Welt den Prinzen für den Drahtzieher des Verbrechens halten wird.
Der Prinz kommt aus Emilias Zimmer zu ihm (Regie 54/5) und sucht Marinellis Rat (54/6 f.). Er zerstört dessen Selbstsicherheit bezüglich der Umstimmung Claudias und fragt drohend, da er Claudias Geschrei gehört hat, ob Appiani tot ist (54/26). Damit ist das Thema dieser Szene gegeben: Marinelli muss sich wegen des Überfalls rechtfertigen.
Zunächst beschwört der Prinz seine Unschuld (54/29 ff.) und beklagt den Tod des Grafen bedingungslos. Marinelli lügt sich heraus, der Tod sei nicht geplant gewesen, und gibt Appiani die Schuld, der geschossen habe (55/3 ff.), worauf der Prinz ihm ironisch zustimmt und den Täter Angelo des Landes verweist; Marinelli verteidigt sich damit, dass der Prinz vorab ihn von der Schuld an „Unglücksfällen“ freigesprochen hat (55/20 f.; vgl. 42/6 ff.). Der Prinz bezweifelt (im Wortspiel der Modalverben „könnten / sollten“, 55/23 f.), dass das angebliche Unglück tatsächlich nicht geplant war. Marinelli spielt nun den Beleidigten und erinnert zu seiner Rechtfertigung daran, dass er ohne Duell von Appiani in seiner Ehre gekränkt bleibe und schon deshalb dessen Tod nicht habe wollen können; er wird heftig („mit einer angenommenen Hitze“ 55/33). Sogleich gibt der Prinz nach – wahrscheinlich berührt ihn der Tod Appianis nicht wirklich; Marinelli fügt noch eine weitere Lüge hinzu, dass er sogar des Prinzen Gunst eher aufgäbe als die Möglichkeit, sich im Duell zu rehabilitieren, und hat damit den Prinzen vollends umgestimmt (56/3 ff.).
Besorgt fragt der Prinz nun, wie die anderen diesen Todesfall einschätzen werden (56/6 f.). Marinellis Strategie läuft darauf hinaus, des Prinzen Sorge, dass er als Täter verdächtigt werden wird, kalt und gleichgültig zu bestätigen; damit bringt er den Prinzen dazu, ihn erneut heftig zu beschuldigen, weil es sich eben nicht um ein kleines stilles Verbrechen gehandelt habe, dem auch der Prinz nicht abgeneigt wäre (56/18 ff.). Er wirft Marinelli also vor, dass dieser beim Überfall stümperhaft vorgegangen sei [nicht aber, dass dieser stattgefunden hat, 56/32 ff.]; er fordert zweimal Rechenschaft: „Rede will ich!“ (57/3 nach 56/36).
Damit hat Marinelli den Prinzen in der Situation, in der er ihn haben will, weil er sich jetzt verteidigen kann: dass der Prinz mit seinem „Meisterstreich“, Emilia ohne Wissen Marinellis in der Kirche anzusprechen (was Marinelli ihm ironisch als unerlässlich zugesteht, 57/11 f.), die Verantwortung für das Scheitern des Plans trage (57/4-22) – er jedoch habe in seiner Planung darauf gebaut, dass niemand von der Liebe des Prinzen wisse. Das muss der Prinz zugeben: „Verwünscht!“ (57/23) Marinelli nutzt die Situation und führt den Prinzen so sehr ins Eingeständnis der Schuld, dass er sich selbst schließlich ironisch als Schuldigen bekennen kann (57/32 f.).
In diesem Gespräch hat Marinelli die Schuld am Überfall abweisen können, weil er die Zustimmung des Prinzen eingeholt hatte, und die Verantwortung dafür, dass die Täterschaft zutage liegt, dem Prinzen zuschieben können, weil der eigenmächtig gehandelt und so Marinellis Planung gestört habe; der skrupellose Marinelli ist dem Prinzen intellektuell und rhetorisch überlegen und hat den Streit zu seinen Gunsten entschieden. Dieser muss nun zusehen, wie er mit dem Verdacht, dass er als Drahtzieher hinter dem Überfall stehe und für Appianis Tod verantwortlich sei, fertig wird. Marinelli darf weiter ungestört und unkontrolliert seine Machenschaften ausspinnen (V 1; vgl. I 6 und III 1); mit der Aufforderung „denken Sie für mich“ (17/25 f.) hat der Prinz von Anfang an auf Eigenständigkeit verzichtet. Erst angesichts der Leiche Emilias wird der Prinz begreifen, dass Marinelli der falsche Ratgeber war (V 8).

Aufbau V 5 – eine kurze Übersicht
Odoardo ist von der Orsina über den Überfall und dessen Hintergründe informiert worden (IV 7), hat Claudia weggeschickt (IV 8), aber Emilia noch nicht gesehen; das will er jetzt nachholen (V 1). Nach einem Streit mit Marinelli, wohin Emilia gehen soll (V 3), und einem Monolog, in dem er unentschlossen wirkt (V 4), wird er vom Prinzen „freundlich“ begrüßt (78/3 ff.). Der schneidet dann das Thema an, dass er selbst Emilia in die Stadt bringen wolle (78/12); dem Widerstand Odoardos gibt der Prinz schließlich nach (bis 79/5).
Seinen Sieg über Marinelli (vgl. V 3) kann Odoardo nicht ohne eine den Gegner provozierende Bemerkung (79/6) genießen; dadurch gereizt entfaltet Marinelli seinen Plan, wobei er sich auf seine Freundschaft zu Appiani beruft – er lügt, dass die Balken sich biegen. Er hat die Idee parat, dass wegen eines Gerüchtes eine genaue rechtliche Untersuchung nötig sei (ab 79/15: Prinz als „Richter“) und dass man Emilia wegen des angeblich notwendigen Verhörs isolieren müsse (bis 81/14).
Odoardo antwortet ironisch-verbittert und will ihn oder beide ermorden (81/15 ff.), lässt sich jedoch durch eine Floskel des Prinzen umstimmen.
Darauf übernimmt der Prinz, den Marinelli (ab 80/19) wieder ins Gespräch und damit ins Spiel gebracht hat, die Gesprächsführung (81/24 ff.) und schlägt vor, Emilia in die Stadt zu Grimaldis zu bringen; darüber verliert Odoardo vollends die Fassung, weil er „die liebenswürdigen Töchter“ der Familie (und ihren offenbar zweifelhaften Ruf, vgl. „Haus der Freude“ 85/30) kennt und nicht zustimmt; doch der Prinz bleibt bei seiner Entscheidung und will als Gewinner gehen (82/23 f.).
Odoardo hat „in tiefen Gedanken“ dagestanden (82/25); er verzichtet auf weiteren Widerstand und bittet nur darum, Emilia wenigstens einmal sehen zu dürfen – wahrscheinlich hat er den in V 6 bedachten und dann verworfenen Plan ins Auge gefasst, sie zu töten („was ich für sie tun will“, 83/16 – ich lese diese unbestimmte Äußerung als euphemistische Rechtfertigung des Tötens). Der Prinz gewährt diese Bitte; Odoardo möchte jedoch nicht mit den anderen mitgehen, sondern Emilia unter vier Augen sprechen – damit hat er eine neue Handlungsmöglichkeit gewonnen, wenn auch nur gegen Emilia.
Ergebnis: Odoardo, der dieses Gespräch gesucht hat, um Emilia in seine Obhut zu nehmen, hat wegen seiner („männlichen“) Aggressivität seinen Teilerfolg verspielt (78/3 ff.); ihm bleibt zum Schluss nur noch ein kleiner Handlungsspielraum übrig. Emilia bestimmt ihn (in V 7) durch den provozierenden Vergleich mit dem Römer, sie zu töten – es scheint, als ob auch hier die kämpferische Männlichkeit Odoardos Bedingung dieser Provokation und somit er in seinem Charakter daran schuld wäre (oder mitschuldig wäre), dass Emilia zum Schluss sterben „muss“.

Odoardo als Figur
Odoardo verdient deshalb besondere Beachtung, weil er sein Tochter tötet, um sie zu retten – ein nicht gerade alltäglicher Vorgang, den Emilia selbst in Anlehnung an den Virginia-Stoff provoziert hat.
Wie sehen und kennen ihn die anderen Figuren? Ein Diener weiß, dass er sich wehren kann, weil er ein „Mann“ ist (23/31); Appiani sieht in ihm das Musterbild aller männlichen Tugend (32/9 ff.). Der Prinz hat ihn als Gegner erlebt (9/33 ff.), deshalb erwartet er nicht, dass jener klein beigibt (74/23 f.); darauf nennt Marinelli ihn den alten Neidhart (75/3 f., vgl. Anmerkung!). Auch auf die Orsina macht er einen guten Eindruck (69/9; 71/1-3).
Emilia liebt ihren Vater, wie wir von Claudia wissen (24/32 f.); zwischen seiner Frau Claudia und Odoardo bestehen aber Differenzen in Fragen des Lebensstils und der Erziehung (25/11 ff.). Odoardo ist von Abneigung gegen das Leben in der Stadt und am Hof erfüllt (S. 25); denn er fürchtet, seine Tochter könnte moralisch zu Schaden kommen: Dies sei „der Ort, wo ich am tödlichsten zu verwunden bin“ (26/28 f.). Auf Claudia macht das den Eindruck, dass seiner „rauen Tugend“ alles verdächtig ist (27/3 ff.) und dass es deshalb gut ist, wenn er von dem Kirchenabenteuer Emilias nichts weiß (30/9). Nach dem Überfall äußert sie sich zweimal ähnlich, über ihn (dass er den Tag von Claudias Geburt verfluchen werde, 53/5 f.) und einmal zu ihm, nachdem sie ihn als Beschützer begrüßt hat: „Aber wir sind unschuldig…“ (71/31) Sie fühlt sich also von ihm kontrolliert, vermutlich zu Recht, wie seine Äußerung gegen die Orsina über Claudias städtische Ambitionen zeigt (70/17 ff.).
Als Emilia allein in die Kirche gegangen ist, ist er besorgt (21/29 ff.), weil jeder Schritt eines Mädchen einen Fehltritt bedeuten könne (22/1, wiederholt in Z. 5 f.). Besonders schätzt er Appiani deshalb, weil dieser sich aus der Stadt zurückziehen will; dessen Tod breche ihm das Herz, sagt er (69/23 f.).
In IV und V sehen wir ihn zugleich entschlossen und schwankend. Er gibt Marinelli nach (S. 67); als er von der Orsina informiert ist, will er sich zur Ruhe zwingen (S. 72) und ordnet dann gegen Claudias Bedenken an, dass diese in die Stadt fährt und Emilia bei ihm bleibt (S. 72 f.). In V hören wir in ein drei kleinen Monologen (Szene 2, 4, 6), wie er mit der Entscheidung ringt, was er tun soll: den Prinzen strafen, indem er ihm Emilia entzieht; den Kampf mit diesem aufnehmen, was er wieder verwirft; sie zu töten oder auch nicht, weil man ja nie wissen könne… Dem Prinzen widersteht er zumindest teilweise (S. 78 f.); doch gegen Marinellis Machenschaften ist er hilflos und unterliegt (V 5) – er hat voreilig diesem widersprochen und ist deshalb nicht über dessen Pläne informiert (V 4). Er ist schon im Begriff, den Prinzen zu töten (81/18 f.), lässt sich dann aber durch dessen höfliche Floskel besänftigen.
Als Emilia ihre Verführbarkeit gebeichtet und von dem „Tumult in meiner Seele“ (85/24 ff.) berichtet hat, spitzt sich die Situation zu: Odoardo hindert Emilia zwar am Selbstmord, lässt sich aber vom Vorbild des „Mannes“ Lucius Virginius, welches Emilia ihm vorhält, reizen, seine Tochter zu töten. Dann stellt er sich dem Gericht des Fürsten und stellt beide unter Gottes Gericht (V 8). Fazit: Ein Mann hat eine schwache Stelle, die Mädchenehre seiner Tochter; Odoardo ist als Vater ein „Mann“, darin stark und verwundbar zugleich.

Orsina als Figur
Sie hat bestimmte auslösende Funktionen (Erkenntnis, Information, Dolch liefern), die aber auch ohne sie von Claudia erbracht werden oder erbracht werden könnten. Sie scheint deshalb eher als ein Gegenbild Emilias zu verstehen zu sein: So etwas wäre auch aus ihr geworden, wenn sie dem Werben des Prinzen nachgegeben hätte.
Zunächst strebt sie zum Prinzen hin, wird aber von ihm zurückgewiesen; dann strebt sie zu Odoardo als ihrem Rächer, wird aber von ihm auf Distanz gehalten. Sie repräsentiert „die Rache“, also den Wunsch, den Prinzen aus persönlichen Gründen zu ermorden; sie ist die Figur, deren Orientierungen am stärksten wechseln.

„Emilia Galotti“ als Drama der Aufklärung
Im Anschluss an Gottsched nennt Horst Steinmetz als Axiome der Poetologie der Aufklärung,
* dass die Welt als Gottes Welt in einer schönen Ordnung geschaffen ist;
* dass ein Kunstwerk schön ist, wenn es diese Natur nachahmt;
* dass es in dieser Welt keine tragischen Konflikte geben kann [weil sich letztlich alles aus dem einen Willen und der einen Vernunft der einen Gottheit ergibt] – tragische Konflikte gibt es nur, wenn ein Mensch zwei gleich geltenden letzten Prinzipien verpflichtet ist und dazwischen zerrissen wird; in der Welt der Aufklärung können sich Menschen allerdings gegen die Weltordnung und die Vernunft verfehlen (religiös gesprochen: sündigen, oder irren oder voreilig sein).

im Lessing-Handbuch von Monika Fick wird „Emilia Galotti“ als eine Tragödie der (unkontrollierten) Leidenschaften verstanden. Vielleicht wäre es auch interessant, das Drama als bürgerliches Trauerspiel und als politische Demonstration bürgerlicher Ohnmacht zu lesen (V 7: „Dass alles verloren ist; – und dass wir wohl ruhig sein müssen, mein Vater.“); der Bürger erdolcht eher seine Tochter als den tyrannischen Prinzen.
Für die Lesart Monika Ficks spricht der Schluss; einmal die Metapher Emilias, mit der sie ihre Tötung deutet („Eine Rose gebrochen…“, 86/27 f.); dann das letzte Wort des Prinzen, „dass Fürsten Menschen sind“ (87/31). Die Fortsetzung, dass sich in ihren Freunden Teufel verbergen (können, 87/31 f.), ließe sich dagegen eher im Sinn der Adelskritik lesen. – Einen leichten Anstrich in der Farbe des analytischen Dramas gibt auch das Bekenntnis Emilias, dass seit ihrem ersten Besuch bei Grimaldi „so mancher Tumult in meiner Seele“ war (85/31 f.). Emilia ist also seit Wochen vom Prinzen beeindruckt gewesen; ihr Handeln am Hochzeitstag ist auch von dem Eindruck, den der schöne Prinz auf sie gemacht hat, bestimmt; das wird erst nachträglich gesagt, daher meine Anspielung aufs analytische Drama [welches „Emilia Galotti“ nicht wirklich ist, weil diese Wahrheit nicht das ganze Geschehen entschlüsselt, vor allem die dreisten Übergriffe Marinellis nicht erklärt – Odoardo, der Vater als Tugendwächter mit einer enormen Vorliebe für Appiani als Schwiegersohn, trägt ebenso seinen Teil dazu bei, dass Emilias Leidenschaft im Verborgenen wühlt!].

P.S. Man kann die Tötung Emilias durch ihren Vater nicht verstehen, wenn man nicht die römische patria potestas kennt.

Als Unterrichtsreihe sind diese Analysen hier ausgearbeitet: https://www.lehrer-online.de/unterricht/sekundarstufen/geisteswissenschaften/deutsch/unterrichtseinheit/ue/lessing-emilia-galotti/; dort findet man in den Materialien außerdem

  • Die dramatische Situation am Ende von I,
  • Eine Analyse zu I 6,
  • Eine Analyse zu III 1 (Klausur mit Lösungserwartung),
  • Überlegungen zu Emilias Schuld (zu II 6),
  • Aufbau von III 8.

Lessing: Nathan der Weise – Analysen

Entwicklung des Geschehens
Das Drama ist ein analytisches Drama; die Identität der Figuren wird erst im Verlauf des Geschehens enthüllt. Unmittelbare Vorgeschichte, die in I enthüllt wird: Saladin hat den gefangenen Tempelherrn nicht hingerichtet, weil er ihn an seinen verstorbenen Bruder erinnert hat. / Der Tempelherr hat Recha aus dem brennenden Haus Nathans gerettet.
Im 1. Aufzug (Akt) steht der Wunsch Rechas und Nathans, dem Tempelherrn zu danken, dessen Wunsch gegenüber, mit Juden nichts zu tun zu haben. / Die Dienerin Daja vertritt nachdrücklich ein wundergläubiges Christentum, schätzt aber Recha und Nathan persönlich; sie deutet Gewissensprobleme an. / Der christliche Patriarch von Jerusalem will den Tempelherrn als Spion gewinnen (und damit auf ein militantes Christentum festlegen), was dieser aus Anstand ablehnt. – Als Randfiguren treten Al Hafi und der Klosterbruder auf.
In II treten Sittah und Saladin persönlich auf (Schachspieler, mit Geldproblemen), Nathan wird Saladin indirekt vorgestellt. / Es bahnen sich Freundschaften an: Nathan gewinnt den Tempelherrn als Freund, Saladin lässt Nathan zu sich rufen. / Es bleiben Unklarheiten bezüglich des Tempelherrn (sein Aussehen, seine Herkunft II 7) und der Pläne Nathans (II 8). / Al-Hafi entschwindet.
Im 3. Aufzug kommt es zu zwei wichtigen Begegnungen: Recha wird vom Tempelherrn besucht, der sich in sie verliebt. / Saladin will Nathan eine Falle stellen, um von ihm Geld zu bekommen, wird aber mit der Ringparabel intellektuell zurückgewiesen und zugleich moralisch vom Pathos religiösen Respekts und praktizierten Glaubens überwunden; sie werden Freunde und wollen auch den Tempelherrn einbeziehen. / Es kündigen sich neue Probleme an, als der Tempelherr bei seiner Werbung um Recha von Nathan vertröstet wird (Frage seiner Herkunft III 9) und danach von Recha informiert wird, dass Recha nicht Nathans Tochter und Christin ist (III 10).
In IV wird Nathan durch des Tempelherrn Eifersucht (und weiter bestehenden Judenhass) gefährdet (IV 2); die Gefahr wird jedoch durch seine Bedenken und durch Saladins feste Haltung gebannt (sowie durch die Information Nathans durch den Klosterbruder). Saladin und der Tempelherr werden Freunde. / Dessen Verbindung mit Recha wird von mehreren Seiten betrieben (IV 5, 7, 8). / In IV 7 werden weitere Einzelheiten der Vorgeschichte Nathans (und des Klosterbruders) sowie Rechas bekannt, wodurch die Familienverhältnisse sich zu klären beginnen (2674 f. Assads Abenteuer; 2144 f. Abenteuer von des Tempelherrn Vater, vgl. auch II 7 und 3099 f.). – Mit fortschreitender Klärung der Vorgeschichte lösen sich die Probleme des Tempelherrn.
In V bekommt Saladin endlich Geld; der Tempelherr kommt zur Besinnung; Nathan erhält Gewissheit über die Identität von Rechas Vater. Nach einigem Hin und Her über Rechas Zukunft (Bindung an…) erweisen sich die Vier als Familie, während Nathan, Vater „seiner“ Kinder bleibend (3812/14), zurücktritt, aber doch dazugehört.

Nathan als Lehrer (I 2; II 5; III 5-7)

Analyse I 2
Bei seiner Heimkehr hat Nathan erfahren, dass Recha aus seinem brennenden Haus von einem Tempelherrn gerettet worden ist, den Saladin begnadigt hatte (V. 84 ff.) und der jetzt verschwunden ist. Nathan bedenkt, was das wohl für seine Tochter bedeutet (V. 127 ff.), und vermutet, dass sie „schwärmt“ (V. 140), d.h. dass Kopf und Herz verwirrt sind und von Phantasie bestimmt werden, was Daja ihm bestätigt (V. 140 ff.). Nathan möchte dieses Problem in einem Gespräch klären (V. 155) und seine Tochter vom süßen Wahn zur süßeren Wahrheit führen (V. 161 ff.).
Das Gespräch zwischen Vater und Tochter, in dem Daja nur eine Nebenrolle spielt (I 2), besteht aus drei Abschnitten; zunehmend übernimmt Nathan die führende Rolle. Zunächst lässt er Recha schwärmend berichten und widerspricht nur vorsichtig, wobei er ihr zugesteht, dass Gott „Wunder“ wirkt (bis V. 213).
Mit der Frage „Wie?“ (V. 213) leitet er eine Diskussion der Begriffe „Wunder“ und „Unglaubliches“ ein und zeigt, wie gerade im normalen erlebten Geschehen das Unglaubliche geschehen ist. Dajas Einwand, man fühle sich Gott („der ersten unbegreiflichen Ursache seiner Rettung“, V. 291 f.) im religiösen Wunderglauben näher verbunden, weist er als Stolz, Unsinn und Gotteslästerung zurück (V. 293 ff.). [In dieser Diskussion um das Wunderbare klingt Lessings eigener Streit mit Pastor Goeze um die „Fragmente eines Ungenannten“ an, also um die Auszüge aus dem Werk von Prof. Reimarus, in dem dieser das Alte Testament einer historisch-literarischen Kritik unterzogen hatte. Der Herzog hatte Lessing verboten, weitere Fragmente zu veröffentlichen und den Streit mit Goeze fortzusetzen, worauf Lessing stellvertretend die Arbeit am „Nathan“ aufnahm.]
Mit der Aufforderung „Kommt! hört mir zu.“ (V. 301) geht Nathan einen Schritt weiter und übernimmt explizit die Rolle des Lehrers. Er weist den Frauen nach, wie egoistisch die Engelverehrung ist; nach dem Stichwort „Allein ein Mensch!“ (V. 317) entfaltet er im Wechselgespräch mit den Frauen eine Erklärung dafür, dass das Ausbleiben des „Engels“ ganz normale Gründe haben kann: dass also der Franke womöglich krank ist und der Hilfe bedürfte, was in Recha Schuldgefühle auslöst. Darauf beschwichtigt er sie, erklärt ihr seine pädagogische Absicht („Es ist Arznei…“, V. 355) und zieht das Fazit: Jetzt hat sie begriffen, „wieviel andächtig schwärmen leichter, als gut handeln ist“ (V. 360 f.). Als er Al-Hafi erblickt, ist der Übergang zur nächsten Szene geschaffen.
Was ist das Ergebnis dieses Gesprächs? Nathan hat den Frauen gezeigt, wie religiöse Schwärmerei schadet (V. 301), und hat zumindest Recha einen Schritt weiter auf den Weg vernünftiger Einsicht in die Welt geführt; darin hat er sich auch als ein Weiser erwiesen, der die Seele seiner Tochter ebenso wie die Logik religiösen Schwärmens kennt und ein menschliches Handeln im Sinn hat. Damit hat er Recha auf eine menschliche Begegnung mit dem Tempelherrn vorbereitet; jetzt muss er nur noch den Tempelherrn bewegen, in sein Haus zu kommen (vgl. V. 156 ff.), damit Recha ihm gebührend danken kann.

Analyse II 5
Nathans Absicht, den Tempelherrn aufzusuchen, ist bekannt (Analyse I 2); er hat auch schon Daja nach ihm losgeschickt (I 4 und 6) und von ihr erfahren, dass der Tempelherr zu keinem Juden gehen will (V. 528). Der Tempelherr hat im Gespräch mit dem Klosterbruder seinen Chrakter bewiesen (I 5) und Daja erneut erklärt, dass es mit Nathan nichts zu tun haben will (I 6). II 4 bereitet auf II 5 vor, indem Nathan gegen Recha andeutet, dass er es für möglich hält, dass Recha den Tempelherrn liebt (V. 1160 ff.), und indem Daja von jenem zurückkommt und seine Wanderwege kennt (V. 1173 ff.).

Ein Tempelherr ist Mitglied des Templerordens, eines der Ritterorden. Die Ritterorden, während der Kreuzzüge entstandene Vereinigungen christlicher Ritter, welche die Mönchsgelübde abgelegt hatten, sollten ursprünglich die Pilger in Palästina schützen sowie Kranke und Verwundete pflegen. Sie sahen als übergeordnete Ziele die Befreiung des Heiligen Landes von der Herrschaft der „Ungläubigen“ und den Kampf für die Ausbreitung des Christentums an. – Die Templer wurden 1119 in Jerusalem gegründet, hatten ihr Domizil auf dem Tempelberg in Jerusalem (daher der Name). Ihr Ordensgewand war weiß, mit einem roten Tatzenkreuz; der Orden wurde 1312 von Papst Klemens V. aufgehoben.

Nachdem Nathan monologisch seinen ersten Eindruck vom Tempelherrn formuliert hat (V. 1191 ff.), begrüßt er diesen und stellt sich vor, wird jedoch zurückgewiesen (bis V. 1220). Er unternimmt einen zweiten Anlauf und bietet jenem vergeblich Hilfe an und küsst stellvertretend den versengten Mantel (bis V. 1253), wodurch er sich über die Textilien dem jungen Mann annähert und ihn verwirrt. Er bittet jenen nun darum, den Mantel ins Haus zu Recha zu schicken und scheint sich in die Ablehnung des Ritters gefunden zu haben; erstmals spricht dieser ihn mit dem Namen „Nathan“ statt als Jude an ((V. 1259). Nathan findet eine honorige „Erklärung“ für des Ritters abweisendes Verhalten in seiner Ritterlichkeit (V. 1262 ff.), womit er diesen offensichtlich berührt (vielleicht setzt er ihn so moralisch „unter Druck“?).
Damit ist ein Punkt erreicht, von dem aus die beiden miteinander sprechen: darüber, wie gute Menschen denken – Nathan unterstellt dies wieder seinem Partner und setzt die vorhin eingeschlagene Strategie fort und bestimmt den Tempelherrn dazu, ihm zuzustimmen -, wo sie zu finden sind und wie sie einander ihre Eigenheiten lassen müssen (bis V. 1286). Dieses Stichwort greift der Tempelherr auf, um den Juden ihre „Menschenmäkelei“ und den Anspruch auf den einzig wahren Gott vorzuwerfen (V. 1287 ff.) und so seinen „Antisemitismus“ zu erklären; er redet sich in Rage und will gehen (V. 1304), was Nathan jedoch verhindert, indem er auf das gemeinsame Menschliche verweist, das Christen und Juden verbindet (V. 1304 ff.); wegen der gleichen Hochschätzung des Verbindenden bietet er ihm die Freundschaft an, die der Tempelherr dankbar annimmt, indem er Nathans Worte wiederholt: „Wir müssen, müssen Freunde werden.“ (V. 1319, vgl. V. 1306).
Das Gespräch klingt mit einer Einladung in Nathans Haus aus; Nathans Blick erschließt sich „eine heitre Ferne“ (V. 1321), was man nach seinen Andeutungen gegenüber Recha (V. 1160 ff.) wohl so verstehen muss, dass er eine Verbindung der beiden in Liebe für möglich hält. Der Tempelherr seinerseits bezeugt seine Verbundenheit mit der Familie, indem er besorgt von „unserer“ Recha (V. 1325 f.) spricht.
Damit ist auch schon das Stichwort genannt, welches in den kommenden Szenen für Verwirrung sorgen wird, woran Nathan nicht unschuldig ist. Anderseits ist ein erster Freundschaftspakt geschlossen, dem weitere folgen (III 7 und IV 4); diese Freundschaften erwachsen also aus Nathans Weisheit, müssen dann aber auch die Belastungen ertragen, die sich, bedingt durch Nathans Unaufrichtigkeit (bereits V. 1381 f.) und des Tempelherrn jugendliche Heftigkeit (III 9), ergeben. Dass Dajas (III 10) bzw. des Patriarchen (IV 2) religiöser Fanatismus dazu beitragen, die Lage zu verwirren und Nathan in Gefahr zu bringen, versteht sich fast von selbst; und dass die Rettung aus der verstandenen Wahrheit einer guten Tat (IV 7) und der Besonnenheit des Freundes Saladin (IV 4) kommt, ergibt eine utopische Lösung der Konflikte.

Analyse III 5 f. – Skzizze
Situation: II 3, III 4 Geldnot Saladins und Plan Sittahs, Nathan eine Falle zu stellen (etwas abgeschwächt in V. 1751 ff.); Nathan wird zu Saladin gerufen (II 6) und ist wegen der Rettung Rechas durch dem Tempelherrn nun Saladin verpflichtet (II 7). Als Al-Hafi ihn über des Sultans Pläne informiert (II 9), ist er bereit, für die Schulden Saladins aufzukommen (V. 1514).
Aufbau III 5: drei Teile (V. 1797 ff.; V. 1820 ff.; V. 1837 ff.)
Saladin tritt sehr bestimmt, als der Herrscher auf (1797 f.), Nathan hält sich zurück; S. will Nathan darauf festlegen, dass er „weise“ ist (bis V. 1817, erneut V. 1838 f. zur Rechtfertigung der ungewöhnlichen Frage nach der wahren Religion) – Nathan wehrt dies bescheiden (vorsichtig?) mehrfach („das Volk“; Unterscheidung weise-klug) ab.
Saladin ist dieses Geplänkels, das unentschieden endet, überdrüsssig, springt auf (!) und kündigt ein neues Thema an: „Laß uns zur Sache kommen!“ (V. 1820); zugleich fordert er (abwertende Bezeichnung „Jud“ statt des Namens) Nathan zweimal auf, aufrichtig zu sein.
Nathan empfindet dies wohl als mögliche Gefahr und bietet Saladin Waren und militärische Informationen (V. 1821 ff.) an – das sind „Dinge“, bei deren Lieferung man aufrichtig sein kann; N. erwartet aber, dass S. Geld wünscht (V. 1866 f.), schiebt also andere mögliche Wünsche an den reisenden Kaufmann N. vor. Saladin lehnt beide Angebote kurz als unerwünscht ab und kündigt seinen Wunsch („Kurz“) an. Nathan antwortet untertänig: „Gebiete, Sultan!“ (V. 1836, vgl. V. 1350/52).
Nach der Einleitung (V. 1837 f.) fragt S. mit Bezug auf Nathans Weisheit, welche Religion (Gesetz, V. 1840: Judentum) ihm „am meisten [als richtig, vernünftig, N.T.] eingeleuchtet“ (V. 1841). Nathan weicht der Frage aus und sagt, welcher Religion er angehört – was Saladin natürlich bereits weiß (V. 1797). Saladin setzt nach, nennt noch den Islam und das Christentum und behauptet, dass nur eine dieser Religionen „die wahre“ (V. 1845) sein kann. Er unterstellt Nathan als dem Weisen, dass er „aus Einsicht, Gründen, Wahl“ (V. 1848) Jude sein müsse, und bittet darum (mit höflichen Floskeln, V. 1850 ff.), ihn diese Gründe hören zu lassen. Nathan ist erstaunt, stutzt, wägt ab (V. 1854 f.), worauf Saladin sich rechtfertigt (V. 1855 ff.) und ihm eine kurze Bedenkzeit gewährt (V. 1860 ff.).
Saladin hat das Gespräch bestimmt: durch seinen Tonfall, durch die Themenwahl, und Nathans Ausweichen (V. 1821 ff.) deutlich gestoppt; zum Schluss spricht er fast allein, da Nathan zögert. Er scheint an sein Ziel zu kommen.
Aufbau III 6: Im Monolog reflektiert Nathan, was der Sultan will, da er unverhohlen nach der Wahrheit fragt – ein Frage, worauf man eine Antwort nicht bloß einfach hinnehmen kann, wie man Geld einsteckt (zumindest abwägen müsste man, V. 1870). Dann prüft er, ob Saladin ihm wohl eine Falle stellt (V. 1876 ff.), was er wegen des Sultans Ungestüm bejaht. Er legt eine Taktik zurecht (V. 1863 ff.) und hat dann die Idee, ihm ein „Märchen“, eine Geschichte zu erzählen und ihn so abzuspeisen (V. 1889 f.): Er hat die Idee zur Ringparabel bekommen (III 7), dem Kern des Dramas. Nathan erweist sich hier (III 6) als dem Sultan überlegen, er durchschaut ihn.
* Saladin ist Sultan, er nimmt kaum auf Nathans Erwartungen Rücksicht (V. 1860 ff.).

Analyse III 7 (Ringparabel)

Das Vorfeld der Ringparabel ist bereits oben beschrieben worden. Wir können hier also sofort untersuchen, wie Nathan in Gefahr (oder in unbekanntem Gelände) als Lehrer agiert.
Nathan tritt selbstbewusst auf (V. 1891 ff.), nachdem er in III 5 sich zurückgehalten hat (ab V. 1799); er hat die Besinnungspause genutzt, seine Situation vor Saladin zu durchdenken (III 6), und sich für ein behutsames Vorgehen entschieden (V. 1883 f.). Das scheinbar forsche Auftreten gehört also zur Strategie der Behutsamkeit, wie man gleich an seiner Bitte bemerkt, vorab „ein Geschichtchen“ (V. 1905, Diminutiv) erzählen zu dürfen. Er weicht also der theoretischen Stellungnahme aus in eine erdachte Beispielgeschichte, in der die Entscheidungsfrage rein herausgearbeitet werden kann – rein, das heißt: ohne soziale Konsequenzen für den Sprecher.
Nathan erzählt also, kaum unterbrochen, den ersten Teil der Ringparabel (V. 1911 ff.), wodurch er beim Sultan Betroffenheit hervorruft (nach V. 1955 Regieanweisung); warum der Sultan betroffen ist, wird nicht gesagt. Nathan zieht selbst das Fazit: Der rechte (richtige) Ring ist im erzählten Geschehen nicht erkennbar: „Fast so unerweislich, als uns itzt – der rechte Glaube“ (V. 1963 f.). Er springt damit in die Realität zurück, bezieht den Sultan mit in die Entscheidung ein („uns“) und weicht ihr so wie auch mit der Pointe der Erzählung aus; er behauptet (und hat erzählerisch „erklärt“), wieso die vom Sultan eingeforderte Entscheidung nicht getroffen werden kann, noch weniger als in der Ringfrage getroffen werden kann.
Der Sultan protestiert, Nathan zieht sich vorsichtig auf „ich“ (V. 1966) zurück, zieht sich in die Dimension des fiktiven Ringes zurück (V. 1965 ff.) und erlässt damit dem Sultan (zunächst) die Zustimmung. Dieser nutzt den Freiraum zum Widerspruch: Die Religionen seien klar unterscheidbar (V. 1970 ff.); zugleich verwarnt er Nathan: „Spiele nicht mit mir!“ Darauf muss Nathan mehr Farbe bekennen, also theoretisch argumentieren; indem er begrifflich unterscheidet: nach Kleidung, Speis und Trank / nach den Gründen bei den Religionen Unterschiede ausmachen, und indem er diese Unterscheidung erläutert (auf Treu und Glauben den Seinen folgen, V. 1977 ff.), erklärt er in einer kleinen fundamentaltheologischen Vorlesung seine Position. Mit dieser Argumentation kommt er aber nur durch, weil Saladin wahrhaft menschlich denkt; Nathan setzt nämlich das Vertrauen in die Vorfahren bei beiden gleich (ich – meine; du – deine: „Oder umgekehrt“, V. 1986). Indem er die Gleichwertigkeit des eigenen und des anderen Vertrauens behauptet und indem der Sultan diese anerkennt, Nathan also als einen Gleichen, d.h. als einen Mit-Menschen anerkennt (V. 1991 f.), ist das Problem theoretisch aufgelöst.
Es folgt der zweite Teil der Ringparabel, die Nathan zur Freude des Sultans weiterspinnt; dieser kann sich dem Zauber der Poesie überlassen, weil er Abstand von der verbissenen Rechthaberei besitzt und seine Geldwünsche hinter das Denken zurückstellt. Nathan erzählt also die Geschichte von „unseren“ (V. 1992 ff.) Ringen zu Ende, worauf der Sultan äußerst betroffen reagiert: „Gott! Gott!“ (V. 2054) Nathan wendet dann sogleich die Pointe der Erzählung an und nimmt den Sultan als Denker und als Menschen in die Pflicht: „Wenn du dich fühlest…“ (V. 2055 f.); diese Aktion entspricht spiegelbildlich seiner Weigerung („ich“, V. 1966), die Entscheidung über die alleinige Rechtgläubigkeit zu treffen. Der Sultan beendet die Diskussion mit der Bitte um Nathans Freundschaft (V. 2060, bis in die Wortwahl eine Spiegelung von V. 1305 f.). [Damit ist dann auf der Ebene des Zeitgenössischen der Hamburger Pastor Goeze in die Schranken gewiesen: Wenn man die Gründe des Glaubens untersucht und dabei menschlich vorgeht, kann man keiner Religion einen Vorrang vor einer anderen zuerkennen; wo Treu und Glauben am Anfang stehen, gibt es keine Beweise.]
Das Gespräch klingt mit Nathans Angebot, dem Sultan als seinem Freund Geld zu leihen (V. 2061 ff.), was er dem bloßen Herrscher nie gewährt hätte (er kennt ja von Al-Hafi die Situation des Sultans), und seinem Hinweis auf den Tempelherrn aus; dass der Sultan bemerkt, er habe den jungen Mann ganz vergessen (V. 2091 f.), ist sachlich völlig unglaubwürdig und nur dramaturgisch zu erklären: Nathan bekommt so Gelegenheit, den Tempelherrn in den Kreis der Freundschaft einzubeziehen, was der Sultan (in IV 4) vollendet.
Auf der Grundlage dieser Freundschaft von Nathan und Saladin wird der Ansturm der religiösen Fanatiker (Daja, der Patriarch) abgeschmettert und auch der jugendlich-heftige Curd in seine Schranken gewiesen, bis schließlich die Wahrheit triumphiert (V 8).

Vorlage für die Ringparabel ist die dritte Erzählung des ersten Tages aus Boccaccios „Der Decamerone = Das Dekameron“ (https://archive.org/details/derdecamerone01boccuoft/page/n75; durch Klicken unten rechts das Bild vergrößern). Eine Parallele zur Ringparabel ist die Parabel von den zwei Edelsteinen (in: Der Born Judas, Bd. 4, Leipzig 1919, S. 150 f. https://archive.org/details/derbornjudaslege04berd/page/150/mode/2up): Der Jude Ephraim Sancho weist die Frage des Königs Don Pedro des Alten nach der wahren Religion zurück, indem er auf einen „Fall“ verweist, dass ein Vater seinen Söhnen zwei Steine hinterließ, deren Eigenschaften und Unterschiede allein der Vater erklären konnte, und mit dieser Parabel dem König vorschlägt: „Möge er einen Boten zum Vater im Himmel senden, und dieser sage uns, wodurch sich die Steine [Esaus und Jakobs, N.T.] unterscheiden.“ (Als Quelle wird genannt: Liber Schevet Jehuda § 32, etwa um das Jahr 1500 von Solomo ibn Varga verfasst.)

Fazit: Wenn man kurz überlegt, wie Nathan als Lehrer agiert, wird man bedenken müssen, in welchem Verhältnis er zu den drei Belehrten steht und in welcher Situation er handeln muss.
Recha kennt er gut; indem er den Weg zu ihrem Herzen sucht, bringt er auch ihren Verstand wieder in Ordnung und kann das Schwärmen (wo Kopf und Herz ihre Rollen tauschen, verführt von der Phantasie, s.o.) abstellen: gerade indem er mittels der Phantasie einen möglicherweise hilfsbedürftigen Tempelherrn heraufbeschwört.
Den Tempelherrn gewinnt er, indem er ihn beschämt (den Mantel küsst), an dessen gute Motive glaubt (sie zumindest unterstellt) und mit einer begrifflichen Unterscheidung den Menschen über den Christen oder Juden, also das Menschsein über das Christ- und Judesein stellt; in dieser Schätzung des Menschen sind sich die beiden einig, das ist die Basis ihrer neuen Freundschaft. Dass er so zu Recht denken darf, hat ihm der Tempelherr vorab durch die selbstlose Rettung der fremden Recha bewiesen.
Wie er Saladin gewinnt, ist gerade untersucht worden: Er muss aus der sozialen Situation des Untertans in eine fiktive Situation reiner Entscheidung ausweichen; kann dann theoretisch argumentieren, indem er den menschlichen Grund des Glaubens offenlegt und die Allgemeinheit dieses Grundes postuliert – wobei der Sultan ihm aus seiner Menschlichkeit zustimmt; indem er also den Sultan als klug urteilenden guten Menschen in die Pflicht nimmt. Der Lohn des Lehrens sind Einsicht und Freundschaft.

Lessing: „Ernst und Falk. Gespräche für Freimäurer“
als Kommentar zu „Nathan der Weise“
Ich möchte weder den ganzen Dialog der beiden noch die politische Bedeutung des Textes würdigen, sondern ihn selektiv lese: zum besseren Verständnis der Aktionen Nathans, des Weisen. Ich beschränke mich auf die Teile II und III des Dialogs. Ich referiere Gedanken des Freimaurers Falk thesenartig:
1. „Die Staaten vereinigen die Menschen, damit durch diese und in dieser Vereinigung jeder einzelne Mensch seinen Teil von Glückseligkeit desto besser und sichrer genießen könne.“ Die Statten sind um der Menschen willen da.
2. Die bürgerliche Gesellschaft kann die Menschen nicht vereinigen, ohne sie erneut zu trennen: nach Nationen, nach Religionen und Ständen. Wenn also ein Franzose einem Engländer (oder ein Christ einem Juden) begegnet, so begegnet „nicht mehr ein bloßer Mensch einem bloßen Menschen, die vermöge ihrer gleichen Natur gegen einander angezogen werden, sondern ein solcher Mensch begegnet einem solchen Menschen, die ihrer verschiednen Tendenz sich bewußt sind, welches sie gegen einander kalt, zurückhaltend, misstrauisch macht“.
Das liegt daran, dass menschliche Mittel notwendig fehlbar sind, also nie ohne Nebenwirkungen ihrem Ziel dienen.
3. Man muss deshalb (als echter Freimaurer, ob man nun so heißt oder nicht) die Trennungen nicht zu groß werden lassen und gegen Vorurteile angehen .
4. Man muss also nicht den Übeln eines Staates entgegenarbeiten – das kann man als Bürger tun -, sondern den Übeln des Staates; dies kann man, indem man die Trennungen, welche die Staaten notwendig hervorbringen, in sich und durch sich wieder vereinigt.
5. Das Grundgesetz der Freimaurer ist es also, „jeden würdigen Mann von gehöriger Anlage, ohne Unterschied des Vaterlandes, ohne Unterschied der Religion, ohne Unterschied seines bürgerlichen Standes, in ihren Orden aufzunehmen“.

Dass durch Konstitution eines solchen „Ordens“ wieder eine neue Trennung hervorgerufen wird, sieht Falk wohl; dem sucht er sich mit der Unterscheidung von Lehre und Geheimnis bzw. zwischen Loge (Organisation) und Freimaurerei (geistige Haltung), die der von Kirche und Glauben entspreche, zu entziehen.
Ich denke, dass man vor diesem Hintergrund Nathans Werben um den Tempelherrn (II 5) mit mehr Verständnis liest – zumal wenn sieht, dass Lessing die Freimaurerei historisch mit dem Orden der Tempelherren verbindet.

Analyse III 2

Ausgangssituation: Elementar ist hier die Szene II 5.
– Recha möchte dem Tempelherrn danken (II 5), erwartet ihn ungeduldig (II 4 und III 1);
– dieser will zunächst nicht zu Juden gehen (I 3), hat jedoch Nathans Freundschaft und Einladung angenommen (II 5 und II 7) und möchte Recha kennenlernen.
* Man könnte auch noch Daja erwähnen, welche die beiden aus egoistischen Gründen verkuppeln möchte (III 1), doch spielt sie hier eine untergeordnete Rolle.
Phasen des Gesprächs:
– Eröffnung: kleine Irritation (V. 1603 f.);
– Recha beschämt den Tempelherrn wegen seiner Weigerung, Dank anzunehmen, durch Ironie (bis 1634);
– der Tempelherr steht und zeigt sich im Banne Rechas (bis V. 1677);
– er findet einen Vorwand und entfernt sich, um der „Gefahr“ der Liebe zu entgehen.
Übersicht über das Geschehen bei Rechas Begegnung mit Curd:
– Eröffnung (s.o.);
– Rechas ironische Rede, sie beschämt den Tempelherrn, macht ihm einen Vorwurf;
– dieser verteidigt bzw. entschuldigt sich (mit „Vorwurf“ an Daja),
er wird von Daja getröstet und von Recha verspottet (bis V. 1634);
– er macht Recha ein Kompliment, wie schön sie ist (V. 1634 ff.)
– und steht ganz im Bann der Frau (Regieanweisung hinter V. 1640 und 1641);
– Recha fragt, wo er gewesen ist, um ein Gespräch zu beginnen (über Sinai);
– wechselseitige Ab- und Zuwendung wegen des Tempelherrn Verliebtheit (V. 1660 ff.);
– Er fragt unsicher nach Rechas Liebe (V. 1669 ff.);
– allgemeiner Rekurs auf Nathan aus verschiedenen Gründen (V. 1672 ff.);
– unter dem Vorwand, mit Nathan verabredet zu sein, entfernt er sich
– und weist noch auf die Gefahr hin, die allen (vor allem ihm, wegen der Liebe) droht.
Was man bemerken sollte, ist der ironische Ton in Rechas Danksagung; sind die vielfältigen Zeichen der Verwirrung beim Tempelherrn (fassungslos vor Liebe); ist die relative Ruhe Rechas; sind die Tatsachen, dass der Tempelherr zum Schluss einen Vorwand sucht, um gehen zu können, und dass die Hauptgefahr ihm selber von Recha droht.
Ergebnis des Gesprächs:
Recha ist erfreut, aber ruhig (III 3, vgl. III 1); sie bleibt am Tempelherrn interessiert, ohne verliebt zu sein, was Daja ihr jedoch einreden will; der Tempelherr hat sich dagegen in Recha verliebt, muss seinen Zustand reflektieren (im Monolog III 8) und wird um Rechas Hand bei Nathan anhalten (III 9), was zu Verwirrungen (IV 2) und zur endgültigen Klärung (V) führt.

Verwirrungen (III 9; IV 1; IV 2)
Nachdem Nathan auch mit dem Sultan Freundschaft geschlossen hat, könnte das Geschehen des Dramas zu Ende gehen, wenn nicht neue Verwirrungen aufträten; sie haben sich angekündigt, als der Tempelherr seinem neuen Freund irgendwie bekannt vorkommt (V. 1198), ja, an seinen Freund Wolf erinnert (V. 1373 ff.), was der aber nicht offen zugibt. Nachdem der Tempelherr sich in Recha verliebt hat (III 2) und auch mit seinem Gewissen ins Reine gekommen ist (III 8), wartet er nun auf Nathan, um diesen um Rechas Hand zu bitten (III 9); dieser ist vom Sultan begeistert, aber zudem von einer Sorge umgetrieben, die er niemandem offenbart (V. 2905 ff.).
Nathan ist überrascht, Curd zu treffen (V. 2159), welcher ihn vorwurfsvoll auf die Länge seines Besuchs hinweist; Nathan ist noch beeindruckt von Saladins Größe, lädt den Tempelherrn zum Sultan ein und will vorab noch schnell ins eigene Haus, den Geldtransport zu Saladin organisieren (s. Anfang IV 3); das nutzt Curd, um zu seiner Bitte anzusetzen, wobei er von Nathan unterbrochen wird mit der thematischen Frage: „wie gefällt euch Recha?“ (V. 2172).
Der Tempelherr greift dieses Thema dankbar auf und bringt stammelnd und noch etwas verklausuliert sein Anliegen vor (V. 2172 ff.), sodass Nathan noch einmal nachfragt, wie das zu verstehen ist (V. 2177 f.). Mit einer Umarmung und dem Ausruf „Mein Vater!“ (V. 2178) schafft Curd Klarheit, wird aber von Nathan zurückgewiesen: „Junger Mann!“ Seinen stürmischen Nachfragen kommt Nathan schrittweise entgegen (bis zur Anrede „Lieber, lieber Freund!“, V. 2184); Curd vermutet, dass Nathan ihn wegen seines Christentums ablehne; er fleht und argumentiert mit dem Vorrang der Menschlichkeit, genau wie Nathan bei ihrem ersten Gespräch (V. 2180 ff., vgl. 1310 f.). Als Nathan immer noch, wenn auch freundschaftlich zögert, bringt er als Argument die wechselseitige Liebe vor, nachdem er zuvor daran erinnert hat, dass Nathans (?) „Erkenntlichkeit“ (V. 2185/87 – die Äußerung ist nicht ganz klar) den Weg zum Herzen Rechas geebnet habe. Nathan flüchtet sich in eine Ausrede, weil er den Grund seines Zögerns nicht offenbaren will (s.o.): „Ihr überrascht mich…“ (V. 2190). Der Tempelherr kann diesen Einwand leicht und sarkastisch widerlegen (V. 2191 ff.).
Indem Nathan zur Begründung seines Zögerns die Frage nach der Herkunft von Curds Vater stellt, übernimmt er stärker die Führung des Gesprächs. In einem kurzen Wechselgespräch über die Möglichkeit, dass ein Tempelherr Curds Vater sein kann, wird dieser immer mehr enttäuscht, weil er den Sinn dieser „Ahnenprobe“ nicht begreift und sie als taktlose oder überflüssige „Neubegier“ (V. 2198, vgl. 1386!) verstehen muss – als ob er ohne großen Stammbaum der Hand Rechas nicht würdig wäre. Nathan bemerkt seine Verbitterung (V. 2118) und redet sich verlegen damit heraus, dass er den Tempelherrn nicht auf sein Wort festlegen wolle, ihm aber grundsätzlich nichts verweigert habe. Der Tempelherr glaubt ihm das nicht und bittet ironisch um Vergebung. Nathan drängt zum Aufbruch, will ihn mitnehmen – er ist der Situation nicht gewachsen, weil er nicht den Überblick besitzt, dies aber auch nicht offen zugeben kann. Der Tempelherr lehnt erregt ab, mit Nathan zu Recha zu gehen.
So ist er , enttäuscht, bereit, Dajas Einflüsterungen anzuhören (III 10), um danach direkt beim Patriarchen die Sache in seinem Sinn zu entscheiden: Recha kriegen!

In IV 1 erscheint zunächst der Klosterbruder; in einem Monolog rechtfertigt er sich, dass er im Sinn des Patriarchen „erfolglos“ arbeitet, und begründet vorab damit auch, dass er den Tempelherrn in desen Gewissensnot allein lässt. Was Weltabgeschiedenheit positiv leistet: sich aus allem heraushalten, ist zugleich ihre Schwäche – bemerkt der Leser; denn indem der Mönch den Tempelherrn nicht erhört, schickt er ihn zum blutgierigen Patriarchen, was trotz der frommen Begründung („mich einer Sorge nur gelobt“, V. 2451) heuchlerisch oder egoistisch klingt.
Der Tempelherr kommt auf ihn zu; seine Rückfrage veranlasst den Klosterbruder, sich an ihr erstes Gespräch zu erinnern (I 5) und zu seinem Bedauern festzustellen, dass er im Sinn des Patriarchen nun doch wohl Erfolg gehabt habe (V. 2391 ff.). Das bringt den Tempelherrn erstmals dazu, kurz innezuhalten und zu bedenken, „warum ich komme“ (2404). Der Mönch antizipiert die negativste Möglichkeit, den Erfolg seines ersten Auftrags: Erstarken des Freund-Feind-Denkens, Verrat an Saladin im Dienst der Christenheit (V. 2405 ff.); er beklagt es mit dem Seufzer „Ach Gott!“ Der Tempelherr beruhigt ihn, bekräftigt seinen bisherigen Standpunkt in dieser Frage und deutet an, er wolle den Patriarchen um Rat fragen (V. 2413 ff.).
Darauf wird der Mönch aktiv und trägt aus seiner Sicht des Verhältnisses von Adel und Klerus seine Bedenken gegen dieses Unterfangen vor (V. 2422 ff.), wobei Curd zu seiner Rechtfertigung zugibt, dass die Sache „ziemlich pfäffisch“ (V. 2414) ist. Curd denkt dann laut nach und verteidigt voller Trotz (und intellektuell schwach) sein Vorhaben: gewisse Dinge lieber schlecht nach andrer Willen als selber gut zu machen; das kann er als denkender Mensch nicht durchhalten. Seine Verbitterung bricht hervor, weil er Nathans Weigerung als Ausdruck eines religiösen Vorurteils versteht, woraus er für sich die Erlaubnis ableitet, ebenfalls religions-parteiisch zu handeln: „Weil das einmal nun so ist: Wird‘s so wohl recht sein.“ (V. 2438 f.). Damit widerspricht er seiner elementaren Einsicht, die er sowohl vor Nathan (V. 1291 ff.) wie im Monolog (III 8) geäußert hat – so weit treibt ihn die unverständliche Enttäuschung seines Begehrens. Er ist dabei, nicht nur Nathan, sondern sich selbst zu verraten.
Das kann der Klosterbruder nicht verstehen (V. 2439 f.). „Und doch!-“ (V. 2440), Curd kommt zur Besinnung, ohne dass dafür ein Grund erkennbar wäre; er muss also wohl bemerkt haben, wie unvernünftig er argumentiert hat. Das Gespräch mit dem Klosterbruder, ohne dass dieser ihn ganz verstände, offenbart ihm selber, welcher Qualität seine Motive sind. Er fragt sich danach, worum ihm „eigentlich“ zu tun ist; in den Unterscheidungen Machtspruch/Rat und gelehrter/lauterer Rat bahnt er sich und seinem Begehren einen Weg zum vernünftigen Handeln. Er dankt dem Klosterbruder für dessen unfreiwillig bei der eigenen Klärung geleistete Hilfe und bittet ihn sogleich: „Seid Ihr mein Patriarch!“ (V. 2445), wobei er in einer weiteren Unterscheidung das Amt des Patriarchen unter den „Christen“ stellt, als welcher ihm der Mönch erscheint.
Als er ansetzen will, jenem seine Frage vorzutragen, entzieht dieser sich – objektiv möglicherweise zu Recht, subjektiv jedoch in seine Weltabgewandtheit flüchtend, sich einer Aufgabe entziehend (V. 2448 ff.), und verweist ihn an den Patriarchen, der „zu meinem Glück“ (eben, V. 2452) gerade erscheint, als man ihn braucht.

In IV 2 ist der erste Eindruck des dicken Patriarchen negativ. In einem Vorgeplänkel fordert dieser vorab, und nicht ohne die Stimme der Vernunft unter die Worte des göttlichen Engels, also unter seine eigenen zu stellen, Gehorsam (V. 2461 ff.).
Nach dieser deutlichen Vernunft-Polemik, die Lessing seinem Kampf gegen Goeze schuldig ist, trägt der Tempelherr den „Fall Nathan“ vor: Erziehung eines Kindes in der falschen bzw. ohne Religion [und greift damit auf IV 7 und das richtige Urteil des frommen Klosterbruders vor], ohne Namen zu nennen. Als er hört, dass solches Vergehen mit dem Tod bestraft wird, bringt er Einwände vor, ohne den Patriarchen umstimmen zu können – „die stolze menschliche Vernunft“ (V. 2517) könne eben in solche Fragen nicht richtig urteilen [erneut lässt Goeze grüßen]; eine Erziehung aus Prinzipien der Vernunft sei das Schlimmste überhaupt (V. 2554 ff.).
Als der Tempelherr das Gespräch abbrechen will, weil er nun hinreichend Bescheid weiß, dass der Patriarch kein Ratgeber eines vernünftigen Menschen sein kann, droht dieser ihm, den Fall vor Saladin zu bringen und dessen Macht im Kampf gegen den ungenannten Juden einzusetzen. Darauf kann der Tempelherr souverän kontern, dass er im Begriff ist, einer Einladung Saladins zu folgen (V. 2583 ff.) und diesen entsprechend „vorzubereiten“, worauf der Patriarch einen Rückzieher macht (V. 2589 ff.), nicht ohne anzudeuten, dass er seinen Spion Bonafides (ein sprechender Name: guter Glaube) in diesem Fall einzusetzen gedenkt.

Im Gespräch mit Saladin gesteht der Tempelherr später ein, dass er beim Patriarchen war, und muss sich vom Sultan heftig zurechtweisen lassen, als er immer noch von seinem blinden Begehren getrieben wird (IV 4); in einem Monolog besinnt er sich dann, dass seine Leidenschaft ihn auf schlimme Wege geführt hat (V 3). Im Gespräch mit Nathan muss er sich rechtfertigen (V 5); dort zeigt sich, dass er noch immer nicht seinem Freund Nathan vertraut bzw. seine Leidenschaft überwunden hat – eine Folge auch dessen, dass Nathan nicht offen mit ihm gesprochen hat (vgl. auch V. 2912 ff.). Erst die Wahrheit kann ihn schließlich umstimmen (V 8) und alle Verwirrungen auflösen, wobei Nathan nur der Bote, nicht der Denker der historischen Wahrheit ist.

Analyse IV 4 – Aufbau der Szene
Saladin ist durch den neuen Freund Nathan an den Th. erinnert worden (eher dramaturgisch sinnvoll als psychologisch plausibel) und hat jenen gebeten, diesen doch mitzubringen (III 7); im Gespräch mit Sittah erzählt er von seinem vermissten Bruder Assad und kann auch das von Sittah gefundene Bild bestaunen (IV 3). Der Tempelherr ist also von seinem Freund Nathan (II 5) zum Sultan eingeladen worden (III 9) und wegen der Verärgerung über Nathan (III 9) schon allein losgegangen.
Den ersten Teil des Gesprächs dominiert Saladin (bis V. 2695); er bietet dem jungen Tempelherrn seine Freundschaft an, der Pakt wird besiegelt.
Im zweiten Teil geht es hin und her: um Nathan und des Tempelherrn Ärger, wobei Saladin den Grund der Verärgerung nicht kennt und deshalb nur allgemein gehaltene gute Ratschläge geben kann (etwa bis V. 2720). Mit seinen Bitten um Erklärung von Nathans Vergehen (V. 2717 – 2723) leitet der Sultan zur dritten Phase des Gesprächs über.
Nun erzählt der Tempelherr seine Sicht des Geschehens: Wie Nathan ihn zwar eingeladen, aber dann die vom Tempelherrn gerettete Tochter verweigert habe. Saladin stellt immer nur kurze Fragen oder versucht den Tempelherrn zu beschwichtigen (etwa bis V. 2777).
Als der Tempelherr sich daran macht, Drohungen gegen Nathan auszusprechen (V. 2778 ff.), wird Saladin ernst und ruft den Tempelherrn energisch zur Ordnung – um ihn dann zu ermahnen, seine Religion nicht zur Parteisache zu machen. Als dieser einlenkt, erkennt Saladin seine Aufgabe, dem Tempelherrn zu seiner Frau zu verhelfen und seine beiden Freunde miteinander zu versöhnen (bis V. 2821). Saladin hat also diesen Teil bestimmt, auch von seinem Anteil am Gespräch her.
Ergebnis des Gesprächs: Saladin ist um einen Freund reicher und muss in dem Konflikt vermitteln; der Tempelherr ist durch das Freundschaftsangebot des Sultans seelisch gefestigt, in seinem Zorn zu Räson gebracht und in der Hoffnung auf Recha bestärkt worden.

Bemerkungen zu V 5
Nathan hat vom Klosterbruder die Wahrheit über die Herkunft Rechas (und des Tempelherrn) erfahren (IV 7) und ist auch von jenem informiert worden, dass ein Tempelherr ihn beim Patriarchen denunziert hat (V 4). Er will immer noch mit dem Tempelherrn zu Saladin gehen (III 9). – Der Tempelherr ist von Saladin zurechtgestaucht worden (IV 4, wegen IV 2); er hat eingesehen, dass er zu weit gegangen ist (V 3), sieht aber auch den Klosterbruder in Begleitung Nathans und befürchtet nun, der könnte Nathan über sein Vorpreschen beim Patriarchen informiert haben (V. 3278 ff.).
Zu Beginn des Gesprächs verständigen sich beide darüber, dass sie zum Sultan gehen sollen und wollen (V. 3334 ff.). Danach bestimmt der Tempelherr das Gespräch; er will herausfinden, was Nathan von seinem Gang zum Patriarchen weiß (V. 3343 ff. und V. 3454 ff.); dieser tritt ganz cool und souverän auf. Als er hört, dass ein Tempelherr Nathan wohl angeklagt habe, verteidigt bzw. rechtfertigt er sich (ab V. 3363) in einem großen Monolog, den Nathan kaum unterbricht (vgl. wiederholt: „Hört mich, Nathan!“, V. 3364, 3372, 3385 und später wieder 3419). Erst als Nathan sehr deutlich nach dem Guten des Plans, ihm „kurz und gut das Messer an die Kehle zu setzen“ (V.3394 f.) fragt, ringt der Tempelherr sich zu Schuldbekenntnis und Bitte um Verzeihung durch, um dann aber wieder auf sein Anliegen aus III 9 zu kommen, Nathan möge ihm Recha zur Frau geben. In seine Schlussbemerkung fließt das von Daja (III 10) vermittelte Wissen ein, dass Nathan nicht Rechas Vater ist.
An der Stelle übernimmt Nathan die Gesprächsführung und spielt sein überlegenes Wissen andeutungsweise aus (wähnen – wissen, V. 3432 f., V. 3452 f.); der Tempelherr kann Recha nicht mehr „retten“ (V. 3447 f.), es gebe einen Bruder Rechas (V. 3462). Er hält den Tempelherrn, der nun viele törichte Einwände und Fragen vorträgt, hin und setzt dessen Drang, zu Recha zu rennen, die Bitte zu bleiben und mitzukommen entgegen. Wer Recha und den Bruder sucht, soll mit Nathan gehen – dann werde er sie finden. Die im Gespräch mit dem Klosterbruder erworbene Freiheit (V. 3224 ff.) zeigt sich hier. Die beiden werden also gemeinsam zum Sultan gehen, wo Nathan die wahren Verhältnisse aller Beteiligten aufdecken wird.

Über vernünftige Plausibilität im „Nathan“ (Metaphorik der Plausibilität)
Wenn man überdenkt, mit welchen Mitteln Plausibilität von den maßgeblichen Figuren in „Nathan der Weise“ erzielt wird, fällt Folgendes auf:
1. In Fragen der wahren Religion gibt es keine vernünftige Plausibilität. Saladin fragt Nathan nach einer Entscheidung „aus Einsicht, Gründen, Wahl des Bessern“ (V. 1848). Diese Frage kann (und will) Nathan nicht beantworten, wie er in der Ringparabel begründet (V. 1963 ff.); sachlich ist diese Unmöglichkeit, aus Gründen zu entscheiden, darin begründet, dass die Religionen sich „auf Geschichte“ gründen (V. 1975), Geschichte jedoch als tradierte Erzählung „auf Treu und Glauben angenommen werden“ muss (V. 1977 f.). In der Bildebene, wenn man so sagen will, entsprechen den Religionen von den Menschen hergestellte Ringe, also Artefakte, Kunstprodukte menschlicher Geschicklichkeit.
Es liegt an den Menschen, die von ihnen geglaubte Wahrheit ihrer Religion in ihrem Handeln zu erweisen: in der Freiheit des Liebens, in Verträglichkeit und Sanftmut (V. 2040 ff.). Die Wahrheit der Religion ist nicht theoretisch, sondern praktisch plausibel im Tun, im Erweis einer geglaubten Verheißung allgemeiner Beliebtheit und Wertschätzung (V. 1915 ff.).
2. In einer zweiten Bildrede werden die Unterschiede zwischen den Religionen in den Bereich der Äußeren platziert: „Ich habe nie verlangt, dass allen Bäumen eine Rinde wachse.“ (V. 2687 f.) Der Baum, das ist der Mensch selbst; seine Religion gehört in den Bereich der Rinde. Vielleicht ist es nicht ohne Bedeutung, dass dieses Bild aus der Natur genommen; es wird allerdings durch das Bild vom Menschen und seinem Kleid ergänzt, wobei die Religion ähnlich wie im Baumbild auf das Außen verwiesen ist, auf die Kleidung (Mantel, Jamerlonk, Tulban, V. 2685 f.), die man zufällig so oder so trägt, nach den Konventionen des eigenen Landes.
3. Auch Nathan denkt im Baumbild (V. 1279 ff.), als er gegen des Tempelherrn Einwand behauptet, dass alle Länder „gute Menschen tragen“ (V. 1274) und dass die von jenem postulierten Unterschiede an Kleidung und Gestalt (vgl. Saladins Rede!) nicht der Rede wert sind, wie eben das Baumbild zeigt.
4. Das Ergebnis unserer Überlegungen ist, dass vernünftige Plausibilität im Baumbild, also im Bildbereich der Natur zu gewinnen ist; dass sie sich nicht auf die Frage nach der Wahrheit von Religionen erstreckt; dass deren Unterschiede in Bereichen des Un-Wesentlichen gesehen werden.

Über den Verlauf das Geschehens und den Sinn der letzten Szene (V 8)
Dass die Aufhellungen der letzten Szene (V 8) reichlich konstruiert wirken – Assad als Bruder, Vater und Freund: So viel kann nur ein Toter leisten! – ist offenkundig. Fragen wir also nach dem „Sinn“ solcher Aufhellungen.
Die von Daja gewussten Diskrepanzen (Nathan ist nicht der Vater, Recha „ist“ nicht Jüdin) sind durch Nathans Vorleistungen (IV 7) und Rechas Wahl (V 7 f.) beseitigt: Recha bejaht den Vater, der nicht ihr Vater ist, was auch des Tempelherrn Verständnis von Vaterschaft (V 3, gegen des Patriarchen Theorie, IV 2, und des Tempelherrn aus dem Begehren geborene Argumentation, III 10) entspricht.
Die Vorleistung Saladins, den Gefangenen nicht zu töten und im Feind den Bruder zu erkennen, wird durch „Verwandtschaft“ bestätigt.
Des Tempelherrn spontane gute Tat wird gleichermaßen bestätigt; seine unvernünftige Leidenschaft (mit entsprechendem Antisemitismus) wird ihres Fundamentes beraubt.
Die religiösen Differenzen der drei Männer sind belanglos (vgl. III 7 und die Baum-Metaphern) und in einer größeren Bruderschaft teils realer Verwandtschaft, immer jedoch des tätigen Helfens überwunden.
Das alles „klappt“ deshalb, weil die drei Helden sich nur als Menschen begegnen; die realen Verteilungskämpfe um Geld und Einfluss sind ausgeblendet, Al-Hafi hat sich ebenfalls aufs reine Menschsein besonnen und ist in die Einsamkeit gegangen. Seine Analyse der Herrschaft und der Geldbeschaffung Saladins (I 3) bleibt folgenlos. Auch wie Nathan an sein Geld kommt, welches er recht freigebig verteilt, wird nicht analysiert, sondern nur bewundernd anerkannt (II 2). So ist der Schluss des Dramas eine Utopie: ein Land, zu dem keine begehbaren Wege führen.

P.S. Es wäre zu prüfen, ob die Frage nach dem echten Ring (Ringparabel, III 7) und die Frage nach dem wahren Vater Rechas (V 7 und V 8) derart zusammenhängen, dass sich die eine Dreiheit in der anderen spiegelt. So wird Assad alias „Wolf von Filneck“ als Vater Rechas identifiziert (V. 636 im fünften Aufzug), doch bleibt Recha auch Nathans Tochter (V. 552 f. im fünften Aufzug), während Saladin sich zuvor als guter Vater Recha angeboten hat (V. 518-520 im fünften Aufzug). Zwar scheidet Saladin als „Vater“ aus; doch ist sowohl Assad als auch Nathan die Vaterschaft nicht abzuerkennen – und die Frage, wer der wahre Vater ist, ist genauso unerheblich wie die Frage, welches der wahre Ring ist (Entscheidung des Richters bleibt offen, V. 494 ff.; sein Rat weist eine Entscheidung zurück und bindet den Anspruch auf Echtheit an das eigene Handeln, V. 515 ff. im dritten Aufzug).

Fabeln vergleichen: Der Tanzbär; Die Aufteilung der Beute

Es ist zwar nicht üblich, aber äußerst spannend, in Klasse 11 die Entwicklung einzelner Stoffe oder Fabel-Motive, d.h. ihre Behandlung durch verschiedene Autoren zu verfolgen. Ohne dass ich das hier ausreichend begründen könnte, vertrete ich die Auffassung, dass in der klassischen Fabel ein Fall (und damit eine allgemeine Frage) zur Entscheidung gestellt wird. Entschieden wird durch Erfolg oder Misserfolg einer Partei (und das heißt ihres Handlungsprinzips) oder durch ein kluges Wort. Die Texte, die ich im Folgenden vergleiche, stammen aus dem Arbeitsheft „Fabeln“ von Therese Poser (RUB 9519).

Der Tanzbär
In Gellerts Fabel wird von einem Bären erzählt, der der Gefangenschaft entfliehen konnte, von den Genossen freudig aufgenommen wird, seine Erlebnisse erzählt und bei dieser Gelegenheit zufällig zu tanzen beginnt (Z.10) – er erzählt mimisch anschaulich. Damit liegt die Exposition des Geschehens vor.
Das eigentliche Geschehen beginnt, als die anderen Bären sein Können bewundern und versuchen, so wie der heimgekehrte Bär zu tanzen, was sie aber nicht schaffen. Da lässt sich der Tanzbär „sehn“ (Z. 19) angesichts ihrer Unfähigkeit, aufrecht zu tanzen; damit stellt der Erzähler indirekt die Frage, die zu entscheiden ist: Was soll man (hier: der Tanzbär) tun, wenn man etwas deutlich besser als die anderen kann?
Die Bären reagieren mit Unmut auf die Demonstration seiner Überlegenheit und jagen ihn fort; durch seinen Misserfolg wird die Frage entschieden: Man soll nicht mit seinem Können prahlen. Der Erzähler nennt zwar des Bären Können „Kunst“ (Z. 20) und bezeichnet die Bären abwertend als schreienden „ganzen Haufen“; aber dieser Haufen bildet die heimatlich-brüderliche Genossenschaft des Bären (Z. 3-6). Sie fordern ihn auf, das Lebensgesetz des Durchschnitts anzuerkennen, bzw. verjagen ihn, da er sich dem nicht beugt.
In dem abschließenden Kommentar spricht der Erzähler seinen Hörer mit „du“ an, womit niemand spezifisch gemeint ist, sodass der Autor damit jeden Leser erreichen kann, der unter Menschen als seinesgleichen leben will. Mit den Mahnungen zieht der Erzähler das Fazit aus seiner Geschichte: „Sei nicht geschickt“ (Z. 24) und „nimm dich in acht, dich prahlend sehn zu lassen” (Z. 27); zwischen diesen beiden Forderung besteht eine Spannung – nur die letztere entspricht exakt dem Verlauf des Geschehens, da hier die zweifache Reaktion der Genossen (zunächst Anerkennung – „bald“ darauf Kritik) aufgenommen wird. Man wird also die erste Mahnung im Sinn der zweiten lesen müssen: Dem Ruhm folgt schnell der Neid (Z. 29 f.).
Lessings Fabel trägt den gleichen Titel wie die Gellerts, und man wird annehmen dürfen, dass sie in Kenntnis der ersten geschrieben worden ist; denn die Ausgangssituation ähnelt der von Gellerts Fabel (Entlaufener Tanzbär kehrt heim, Z. 1 f.). Doch ist sie nicht nur knapper erzählt, sondern es wird auch zugleich das Geschehen verändert: Der Tanzbär beginnt von sich aus, den Tanz vorzuführen. Der Erzähler bezeichnet den Tanz als „Meisterstück“ (Z. 3), wobei aufgrund der ungewöhnlichen Umstellung des Attributs „gewohnt“ (bei „Hinterfüßen“, es gehört zu „Meisterstück“: Enallage oder Hypallage, s. Ivo Braak!) zunächst nicht auffällt, dass diese Wertung eigentlich an die Sicht des Tanzbären gebunden ist, vom Erzähler also möglicherweise ironisch zitiert wird. Dass der Erzähler dem Tanzbären gegenüber Distanz wahrt, erkennt man am Verb „schrie“ (Z. 5), mit dem er die Eigenreklame des Tanzbären abwertend bezeichnet. Dieser nennt seine Aufführung „Kunst“ (Z. 5), was dem „Meisterstück“ (Z. 3) entspricht; er grenzt den Bereich seines früheren Wirkens, die (große) „Welt“ (Z. 5), gegen den „Wald“ (Z. 2) als Bärenort ab. Die Aufforderung „Tut es mir nach“ (Z. 6) ist aufgrund der beiden folgenden Einschränkungen eine Provokation; mit der ersten („wenn‘s euch gefällt“, Z. 6) wird der Kunstverstand der Wald-Bären, mit der zweiten ihr technisches Können bezweifelt. Er redet von sich aus so, ehe er es unternommen hat, überhaupt mit ihnen ein Wort zu sprechen. Durch diese erzählerische Raffung des Geschehens wird der Bär nicht nur als provokant dargestellt. Schlimmer noch: Wiewohl entflohen und in den Wald als Heimat zurückgekehrt, hält er an den Kunst-Normen seiner ehemaligen Welt fest und demonstriert sie, wobei er auf die Gangart der Waldbären hinabblickt. Damit ist die Frage gestellt, ob das wohl richtig sein kann.
Diese Frage wird durch das kluge Wort eines alten, also weisen Bären entschieden; dessen Überlegenheit demonstriert der Erzähler auch durch die Bezeichnung „brummen“ (Z. 7), womit er dem aufdringlichen Schreien des Tanzbären ein ruhiges Sprechen entgegensetzt. Mit der Aufforderung „Geh“ (Z. 7), die noch an die Vertreibung aus Gellerts Fabel erinnert, gebietet er dem Tanzbären, mit Tanzen und Reden aufzuhören; er entlarvt „dergleichen Kunst“ (Z. 8, „dergleichen“ wertet ab!) als Ausdruck eines Sklavengeistes (Z. 10), ohne ihre Brillanz ausdrücklich zu bezweifeln (Konzessionen: „schwer“ und „rar“, Z. 8 f.). Dem alten Bären wird nicht widersprochen, sein Wort ist das letzte der Fabel: Es ist damit nach dem Willen des Erzählers wahr.
Im Kommentar bezieht der Erzähler diese Entscheidung auf die Möglichkeit einer beruflichen Karriere an den Höfen zu Lessings Zeit: „Ein großer Hofmann sein“ (Z. 11, 16), wobei er durch die Wiederholung dieser Wendung und die negative Wertung höfischen Verhaltens („Schmeichelei, List, Kabalen, Komplimente“ an Stelle von „Witz und Tugend“) zu erkennen gibt, dass er „groß“ ironisch meint. Deshalb ist die Schlussfrage nur rhetorisch offen: Man kann nicht guten Gewissens Hofmann sein. Der Kommentar geht in seinem Zeitbezug und vor allem mit der moralischen Wertung des Hoflebens über das hinaus, was die Erzählung als Lehre hergibt.
In Lessings Fabel tritt die gleiche Figur wie in Gellerts Fabel auf, aber sie handelt anders, und das wirft eine andere Frage auf. An die Stelle des Gegensatzes von Können und Durchschnitt tritt der von Wald und Welt. Im Kommentar Lessings (oder des Erzählers?) wird die „Welt“ des Tanzbären als die Welt der Fürstenhöfe identifiziert, das Leben dort aus bürgerlichem Freiheitssinn und bürgerlicher Moral kritisiert.

Die Aufteilung der Beute (Luther: Von dem Lewen / Rind / zigen und schaff – Thurber: Der Löwe und die Füchse)

In Luthers Fabel „Von dem Lewen / Rind / zigen und schaff“ geht es um die Frage, wie unter ungleichen Jagdgenossen die Beute verteilt wird bzw. mit welcher Verteilung man rechnen darf: Geht das nach dem Recht der Kameradschaft bzw. der Gleichberechtigung, das der ersten Aufteilung in vier gleiche Teile zu Grunde zu liegen scheint (Z. 3), oder nach dem Recht des Stärkeren, das der Löwe ganz offen vertritt (Z. 8 f.). Er führt zunächst zwar zwei Argumente an, die ihm einen größeren Anteil an der Beute zu garantieren scheinen: Er sei der König der Tiere und er habe mehr gearbeitet (Z. 5-8); aber den Rest der Beute beansprucht er unverhohlen aufgrund seiner Stärke.
Man könnte diese Fabel in Situationen erzählen, in denen jemand so naiv ist, dass er an die Gleichberechtigung ungleicher Genossen, an die Fairness der Stärkeren glaubt.
In Thurbers Erzählung „Der Löwe und die Füchse“ wird das von Luther erzählte Geschehen fortgesetzt (Z. 1-3). Dann tauchen neue Tiere auf, drei Füchse (Z. 3); Schaf, Ziege und Rind (Kuh) sind von der Bildfläche verschwunden. Die Füchse nehmen dem Löwen seine Beute Zug um Zug wieder ab, und zwar mit ausgesprochen juristischen Argumenten (Strafgebühr, Z. 5; Hinterbliebenenversorgung, Z. 7 f.; Einkommensteuer, Z. 11 f.); der Löwe kommt nur zweimal zu Wort, als er knurrend widerspricht (Z. 9) und als er sich auf seinen fabel-haften Titel „König der Tiere“ beruft (Z. 14). Dieser alte Machtanspruch schadet ihm jedoch, weil er als Vorwand benutzt wird, ihm sogar das relativ wertlose Geweih des Hirschs abzunehmen (Z. 15-17).
Wenn man nach einer Handlungsalternative sucht, könnte man sie so formulieren: Kann man „heutzutage“ (siehe die „Moral“!) noch auf alte Machtpositionen vertrauen oder nicht? Der Misserfolg widerlegt die Erwartung des Löwen, dass seine unmittelbar vorher bestätigten Handlungsprinzipien noch gelten.
Spielerische Elemente sind in Thurbers Fabel mehrfach zu finden: Da ist einmal die Konfrontation des feudalen königlichen Löwen-Jagdrechtes mit dem modernen System, einen Jagdschein zu erwerben und eine Jagd zu pachten (Z. 5 f.); das zweite ist die offenkundige Lüge und Rechtsverdrehung, dass man dem Löwen etwas für seine Witwe abnehme (Z. 7 ff.), das dritte der despektierliche Umgang mit dem Titel „König der Tiere“ (Z. 14 ff.). Auch der offene Zynismus des dritten Fuchses („Das schützt mich…“) erfrischt den Leser, der vielleicht daran denkt, für welche Projekte ihm Steuern abgenommen werden und wie er einen riesigen Staatsapparat finanziert.
Damit ist angedeutet, dass Thurbers Fabel die Vorlage nicht nur spielerisch fortsetzt, sondern vermutlich auch einen Bezug auf Erfahrungen des 20. Jahrhundert besitzt. Die Erwartungen des Löwen, die sich auf alte Erfahrungen vom Recht der Stärke stützen, sind heutzutage nichts mehr wert; das sagt auch der Erzähler in der Moral der Fabel Thurbers. Die Frage ist nur, ob der Erzähler dies bedauert oder nicht.
„Der Löwenanteil“ (vgl. Z. 19) ist der Titel einer Fabel Äsops, die vom gleichen Prinzip wie Luthers Fabel bestimmt wird. Unter dem Stichwort „Löwenanteil“ wird nicht erkennbar, ob damit nur die Größe oder auch der unrechtmäßige Erwerb dieses Anteils gemeint ist. Wenn man sich den Erzähler konservativ denkt, wird man aus Thurbers Fabel die Klage hören, dass den Starken heute alles mit juristischen Spitzfindigkeiten abgenommen wird; das erinnerte an den F.D.P.-Slogan: „Leistung muss sich wieder lohnen.“
Aus zwei Gründen würde ich eine andere Lesart vorziehen, die die Niederlage des vormals frechen Löwen nicht ohne Schadenfreude erlebt. Einmal setzen die Füchse, wenn auch auf höherem Niveau, die fadenscheinige Argumentation fort, mit welcher der Löwe in Luthers Fabel das zweite und dritte Viertel der Beute beansprucht hatte. Außerdem ist mit dem Stichwort „Löwenanteil“ eine alte Fabel zitiert, in der das „Recht“ der Stärke demonstriert wurde. In dieser Lesart hätte sich also nichts Wesentliches geändert; nur wäre heute die Stärke nicht die des Löwen, sondern die des Staates und seiner Juristen, und der frühere Täter wäre jetzt Opfer, weil sich die Quelle der Stärke verändert hat: An die Stelle der Körperkraft ist die juristische Argumentation getreten.
Gegen dieses Verständnis spricht aber, dass die Füchse allzu dreist lügen (Z. 9) und ihren persönlichen Vorteil als Handlungsmotiv offenbaren (Z. 12 f.). So bleibt zum Schluss die Frage, ob es für den Leser neben der Freude an der spielerischen Abwandlung des alten Stoffs und der neuen Moral vom Wandel der Machtverhältnisse noch eine Parteinahme des Erzählers oder des Autors Thurber für oder gegen den geschädigten großen Löwen geben muss.
(Das Reclam-Heft bietet weitere Fabeln zum direkten Vergleich an.)