Die Einheit der Kunst ist ein Problem der Philosophie, „indem sie eine Ästhetik des Gefühls entwirft“ (S. 3). Er biete nur ein Kapitel dieses Programms.
Görland geht es um eine Geschichte der Tragödie hinsichtlich der „Idee, kraft derer der Künstler seine Tragödie auferbaut“ (S. 5). Es geht um die Fabel, die Einheit der Handlung; das bedeutet beim Drama „die Einheit in der Gegensätzlichkeit der Handlungen“ (S. 6) Das Widerspiel dieser Einheit ist der Zufall, „wodurch das Spiel in eine vernunftloses interesseloses Chaos von bloßen Aktionen und Vorgängen zerfällt“ (S. 7).
Menschen handeln „unter der Idee der Selbstbestimmung [Freiheit] des Willens“ als vernünftige Wesen, als verantwortliche Personen (S. 7); eine Tat ist aber bloß ein Vorgang, der durch ein vernunftfähiges Lebewesen geschieht. Gegen die Handlung steht eine Tat im Sinn einer Nötigung, die in ihrer strengsten Form Schicksal ist. Deshalb ist Handeln „notwendig Ringen, notwendig Leiden“ (S. 9) → Geschichte der Tragödie ist die Reihe der Verwandlungen der einen Idee des Schicksals. Einheit der dramatischen Handlung: „in gewaltiger Straffheit diese Gegensätzlichkeiten von Wille und Schicksal aufeinander bezogen“ (S. 10) → Die Handlung wird Tat auf dem Boden der Tatsachen. „In der Tat ist der Wille auf den Boden der Gewalt gestellt, hier müssen Nötigung und Freiheit, Schicksal und Wille Zwillingsbegriffe eines Kampfes werden.“ (S. 11) „Versagt sich dem Willen die Erfüllung seiner Aufgabe, die er sich vorgesetzt, so opfert er diesen Versuch der Erfüllung durch das Opfer seiner Kreatur; aber er bewahrt sich die Reinheit seines Vorsatzes und also seine Aufgabe.“ (S. 12) Solche Sersuche machen die Größe des Menschen aus; der Held ist ein Held des Opfers. „Somit liegt der Sinn des Tragischen in der Demut, die uns daran mahnt, daß trotz aller Vergeblichkeit unserer Taten die Aufgabe (…) nach wie vor unangetastet bestehen bleibe.“ (S. 13)
Nach der Antike (S. 13 ff.) bespricht Görland Shakespeare als Tragiker (S. 37 ff.). Dieser gehört der Renaissance an, die durch die Methode des wissenschaftlichen Fragens (von Platon) bestimmt wurde, worauf das Denken die Antwort sucht. So wurde das Recht des Individuums konstituiert: „Freiheit nach Maß der eigenen Kraft!“ → Shakespeare: „Schicksal kann ihm nur bedeuten den individuellen Widerpart gewaltiger Individualität.“ Der Gegensatz muss „letzten Endes der innere Gegensatz widerstreitender Kräfte innerhalb jedes einzelnen Menschen gewöhnlichen Schlages sein“. Ein weitsichtiger Wille und ein starkes Temperament müssen in Kampf geraten; sind beide schwach ausgeprägt, haben wir einen Narren vor uns.
Der nächste große Tragiker ist Schiller (S. 64 ff.): Im 18. Jahrhundert stand dem Einzelnen der Staat als Übermacht gegenüber. Schillers Interesse gilt in den „Räubern“ nicht der Entwicklung des Willens am Schicksal, sondern der Zergliederung zweier gegensätzlicher Seelen. Ähnliches gilt für den „Fiesco“. In „Kabale und Liebe“ suchen sich Weltanschauungsgegensätze in Vater und Sohn ihre Träger; das gilt erst recht für „Don Carlos“, die Gegensätze der Menschen sind nur äußeres Spiel. Hier „steht der Zukunftswille eines Reiches freier Menschenrechte (…) vor der Schicksalsschranke einer Institution, die der Gang der Geschichte erzeugt hat“. In den „Räubern“ sieht man die neue Idee des Schicksals: „Das Schicksal des Willens, der sich allein vor dem reinen Gesetz der Menschlichkeit verantwortet, das Schicksal heißt für Schiller Despotismus.“ Moor wird zu einem tragischen Willen, weil er im Kampf gegen den Despotismus nur einzelne Menschen treffen kann. Im „Fiesco“ haben beide Größen, das Recht und die Macht, „das Recht der Staatsänderung“ – ein Fortschritt gegenüber den „Räubern“. In „Kabale und Liebe“ erscheinen Wille und Schicksal „verengt auf privilegierten Adelsstand und Bürgertum“, im Staat der Ständeunterschiede. Das Drama ist „durch die Fesselung des Willens gegen sein Schicksal trostlos, alles Zukunftsblickes bar“.
Die Größe seiner Schicksalsidee erringt Schiller erst wieder im „Don Carlos“. In Vater und Sohn werden zufällige individuelle Gegensätze beseitigt: Der König repräsentiert den Despotismus, Carlos steht mit Posa auf der Seite der Freiheit, seine Liebe zur Königin erhebt sich „in die unpersönliche Liebe zweier Menschen zum Freiheitsvermächtnis eines Geopferten“. In der neuen Welt ist „der Mensch nur Diener eines unpersönlichen Amtes und Berufes“. Schiller schreibt am Vorabend der Revolution von 1789.
Es folgen Hebbel (S. 93 ff.) und Ibsen (S. 113 ff.).
Albert Görland: Die Idee des Schicksals in der Geschichte der Tragödie. Tübingen 1913. Görland behandelt die Antike (v.a. Äschylos), Shakespeare, Schiller, Hebbel und Ibsen.