Brecht: Wer aber ist die Partei? – zum Verständnis des Gedichts

Das Gedicht „Wer aber ist die Partei?“ war zunächst ein Dialog im Stück „Die Maßnahme“ (1931, entstanden 1929/30). Der Dialog zwischen dem jungen Genossen und den drei Agitatoren steht im Teil VI. Der Verrat; er setzt folgenden Dialog fort:

DER JUNGE GENOSSE: Hört, was ich sage: Mit meinen zwei Augen sehe ich, daß das Elend nicht warten kann. Darum widersetze ich mich eurem Beschluß, zu warten.
DIE DREI AGITATOREN: Du hast uns nicht überzeugt. Geh also zu den Arbeitslosen und überzeuge sie, daß sie sich in die Front der Revolution eingliedern müssen. Dazu fordern wir dich jetzt auf im Namen der Partei.

Dadurch wird die Frage (im Stück: ds jungen Genossen) im ersten Vers des Gedichts überhaupt erst verständlich: „Wer aber ist die Partei?“ Dem Dialog (V. 1-4, V. 5 ff.) schließt sich das Lied des Kontrollchors „Lob der Partei“ an.

Im Gedicht wird der Konflikt zwischen dem jungen Genossen, der Mitleid mit den Ausgebeuteten hat und direkt handeln will, und den drei Agitatoren, die von der Parteizentrale geschickt worden sind und eine langfristige subversive Arbeit betreiben sollen, reflektiert; denn sie haben „im Namen der Partei“ Gehorsam gefordert, so dass die Frage, wer denn die Partei ist, zu Recht gestellt werden kann. Diese Frage beantworten sie mit der großen mystischen Einheitsformel: „Wir sind sie. Du und ich und ihr – wir alle.“ (V. 5 f.) Dieser mystischen Einheit, welche dem theologischen Konstrukt „die Kirche = der Leib Christi = wir alle“ gleicht, verdeckt das entscheidende Problem: Wer kann dann „im Namen der Partei“ Gehorsam fordern? Wer ist der legitime Sprecher dieser mystischen Einheit, wie kann sie einen Willen haben und wer kann ihn kennen? Der junge Genosse denkt nicht zu Unrecht an ein Haus mit Telefonen (V. 2), wo vielleicht das Zentralkomitee der Partei sitzt, das als Sprecher der Partei auftritt und sich als solcher legitimieren muss – was mit der schönen Formel „Wir sind sie.“ überspielt wird.

Die Formel wird dann in V. 7 f. entfaltet: Die Partei steckt in deinem Anzug, denkt in deinem Kopf, wird in dir angegriffen. Wie aber kann man im Namen der Partei Gehorsam fordern, wenn sie doch in deinem Kopf selber denkt? Das wird in einem dialektischen Gedankenspiel begründet (3. Strophe): „Zeige uns den Weg, den wir gehen sollen, (…) aber ohne ist er [der richtige Weg] der falscheste.“ Das heißt schlicht und ergreifend: Wir bestimmen, was der richtige Weg ist. „Wir können irren, und du kannst recht haben“ (V. 15), das ist bloße Sonntagsrhetorik, am Montag hast du zu gehorchen: „also trenne dich nicht von uns [und ordne dich unter]!“ (V. 15 f.) Und „wir“, das sind eben doch die Parteikader, letztlich das ZK, wie im Folgenden noch deutlicher wird.

In der vierten Strophe wird mit der Metapher vom kurzen und langen Weg noch einmal begründet, warum der junge Genosse sich nicht von „uns“ trennen soll. Die Problematik steckt im Pronomen „uns“. Während oben mit dem Pronomen „wir“ die mystische Einheit aller Genossen beschworen wurde, steht jetzt einer dem „uns“ gegenüber, wobei „wir“ eben die Parteikader sind: Der eine mag den kurzen Weg kennen, aber er muss ihn uns zeigen – „was nützt uns sonst seine Weisheit?“ (V. 19) In diesem Vers 19 muss zweimal „uns“ betont werden, damit die Logik des Gedankens zur Geltung kommt: „Sei bei uns weise! Trenne dich nicht von uns!“ (V. 20 f.) Und das heißt bei denen, die „im Namen der Partei“ sprechen: Halte die Klappe und ordne dich unter! Aber viel schöner hört sich an: „Sei bei uns weise!“

Das Gedicht „Lob der Partei“, das in „Die Maßnahme“ auf unseren Dialog folgt und in der Gedichtsammlung „Hundert Gedichte. 1918 – 1950“ (1951) ihm voraufgeht, zeigt klar, wie die schönen Formeln „Wir sind sie.“ oder „Zeige uns den Weg…“ zu verstehen sind; es hatte 1931 auch schon die ersten „Säuberungen“ der KPdSU durch Stalins Getreue gegeben, was Brecht sicher nicht unbekannt war – er war 1930 halt ein Betonkommunist. „Lob des Zweifels“ ist erst zehn Jahre später entstanden.

https://www.rundfunkschaetze.de/wp-content/uploads/2014/04/Libretto-Brecht-Eissler-Die-Massnahme.pdf („Die Maßnahme“; Text des Gedichts in VI. Der Verrat)

https://gonzalolivero.wixsite.com/lenguadetrapo/single-post/wer-aber-ist-die-partei-bertolt-brecht (dito)

https://www.youtube.com/watch?v=uIXEnPXwMxk (gesungen)

https://www.academia.edu/4569168/_Die_Wahrheit_ist_konkret_Bertolt_Brechts_Ma%C3%9Fnahme_und_die_Frage_der_Parteidisziplin_In_Brecht_Jahrbuch_Frankfurt_Main_Suhrkamp_S_49_61 (zur „Maßnahme“)

https://www.kahl-marburg.privat.t-online.de/kahl_marx1.pdf (Kritik der Partei)

https://www.gkpn.de/So10_05_KORR.pdf („Was bleibt vom Marxismus?“)

http://www.mlwerke.de/br/br_002.htm (Lob der Partei)

https://fd.phwa.ch/?page_id=676 (Lob des Zweifels)

Wer ist Herr K.? Kritische Fragen zu Geschichten vom Herrn Keuner

In den Geschichten vom Herrn Keuner ist die Hauptperson Herr Keuner, der Fragen von Mitmenschen gestellt bekommt oder Erklärungen abgibt. Er antwortet stets mit Weisheiten, die auch von Brecht stammen könnten (Wikipedia, 6/2022, unter „Inhalt“)

Da die Geschichten vom Herrn Keuner aus einzelnen, voneinander unabhängigen Geschichten bestehen, ist es schwierig, eine allgemeine Interpretation zu erstellen. (…) Die Geschichten vom Herrn K. spiegeln aber Brechts persönliche Meinungen und politische Ansichten wider. Darum wird Herr K. gerne auch als Spiegelbild Brechts gedeutet. (Wikipedia, unter „Deutung/Interpretation“)

Die Figur war zunächst als handelnde Person in das Stück [„Fatzer“, 1926] einbezogen und nahm im Verlauf der Bearbeitungen Brechts immer mehr die Rolle des kritischen Kommentators (im Sinne des epischen Theaters) ein. Herr Keuner wird als Denkender dargestellt, der nur wenig Empathie mit anderen Personen zeigt und darum eher unsympathisch wirkt. Er ist hilfsbereit, solange keine speziellen Opfer von ihm verlangt werden. Er beurteilt die Tugenden, die Menschen schätzen, als gut, weil sie nützlich sind, und nicht wegen irgendwelcher Gefühle. (Wikipedia, unter „Herr Keuner“)

Die Wikipedia lässt uns mit ihrem Artikel „Geschichten vom Herrn Keuner“ eher fragend als belehrt zurück. Ich wende mich den Keunergeschichten zu, die in den „Kalendergeschichten“ stehen und mir unangenehm aufgefallen sind, um meinerseits als kritischer Kommentator Herrn K.s Auftreten zu würdigen, der nach Walter Benjamin nur als denkender Vermittler (im Dialekt von Brechts Heimatstadt Augsburg spricht man „keiner“ als „koiner“) in Erscheinung tritt. (Wikipedia, unter „Literaturkritik“)

Freundschaftsdienste

In dieser Geschichte nennt Herr K. den „Freundschaftsdienst“ des alten Arabers „richtig, weil er keine besonderen Opfer verlangte“.

Die erste Frage an Herrn K. lautet: Wieso hat der Araber den drei jungen Leuten überhaupt einen Freundschaftsdienst geleistet? Richtig ist, dass dieser Dienst nur einfache mathematische Kenntnisse verlangte (½ + 1/6 + 1/9 = 17/18), so dass das Kamel, das er ihnen „zur Verfügung“ stellt, ihnen nicht (bzw. nur zum Rechnen) zur Verfügung gestellt wird.

Zweite Frage an Herrn K.: Was unterscheidet Freunde von Fremden? Das Kamel konnte er genauso gut Fremden „zur Verfügung stellen“, und die drei jungen Leute waren ja auch nicht seine Freunde, sondern Fremde.

Brecht  selber hat von seinen Freundinnen Margarete Steffin und Ruth Berlau ganz andere Dienste eingefordert, als Herr K. den drei drei jungen Leuten geleistet hat. Brecht kann also Herrn K.s Bewertung der Freundschaftsdienste nicht gutheißen. Und ich heiße sie auch nicht gut. Wer ist also Her K., ist er wirklich Spiegelbild oder Sprachrohr Brechts?

Gastfreundschaft

Wenn Herr K. Gastfreundschaft in Anspruch nahm, „bemühte er sich, sein Wesen so zu ändern, daß es zu der Behausung paßte“ (allerdings mit dem Vorbehalt, dass seine Vorhaben dadurch nicht gestört würden). Wenn er Gastfreundschaft gewährte, rückte er ein Möbel zum Gast passend zurecht. „Und es ist besser, ich entscheide, was zu ihm paßt!“ sagte er.

Wir haben hier Herrn K. als einen im Prinzip charakterlosen Menschen vor uns, der sich der Umgebung bedenkenlos anpasst (allerdings mit dem Vorbehalt…), der seinerseits dann auch nicht zögert, seine Gäste nicht als Subjekte, sondern als Verfügungsmasse zu behandeln. Aus der Gastfreundschaft ist die Freundschaft eliminiert, die „Gäste“ sind nur noch Gebrauchsgegenstände. Wer ist dieser Herr K.? (Einen Anklang an „Gastfreundschaft“ höre ich auch in „Über die Störung des ‚Jetzt für das Jetzt‘“.)

Wenn Herr K. einen Menschen liebte

Genauso wie seine Gäste behandelt Herr K. einen Menschen, den er liebt: Er macht sich einen Entwurf von ihm und will den Menschen seinem Entwurf anpassen: Imperialismus der „Liebe“.

Ich denke an Max Frischs Gegenentwurf: „Du sollst dir kein Bildnis machen“: „Es ist bemerkenswert, dass wir gerade von dem Menschen, den wir lieben, am mindesten aussagen können, wie er sei.“ Wichtig ist auch, was Felix Schottlaender in seinem Buch „Des Lebens schöne Mitte“ über die Liebe schreibt – ich kann es nur aus dem Gedächtnis rekonstruieren: Im Stadium der Verliebtheit entwerfen wir ein Zauberbild der Geliebten und müssen dann mit der Zeit uns damit abfinden, dass sie dieses Zauberbild nicht ist, sondern ein Mensch mit Schwächen – wie ich selber. – Sowohl Frisch wie Schottlaender widersprechen dem Egomamen Herrn K.

Herrn K.s Lieblingstier

Nachdem Herr K. alle möglichen Gründe dafür aufgezählt hat, dass der Elefant sein Lieblingstier ist, folgt als letzter: „Er tut etwas für die Kunst: Er liefert Elfenbein.“

Das läuft darauf hinaus, dass der Elefant liebenswert ist, weil er verwertbar ist oder verwertbares Material liefert. Gegenüber einem Tier ist das eine verbreitete Einstellung. Sie zeigt, wer dieser Herr K. ist: Jedermann.

Das Altertum

Hier kritisiert Herr K. gerade, dass Menschen „als Gebrauchsgegenstände betrachtet wurden“ – das sei ein Merkmal des Altertums, und zwar des gegenwärtigen (kapitalistischen) „Altertums“, womit auf eine revolutionäre Hoffnung angespielt wird.

Hier stört mich nicht die Meinung Herrn K.s, sondern sein Gedankengang. Er betrachtet offensichtlich ein abstraktes Bild von Kannen und erkennt darin, dass die Maler die formlos gewordenen Dinge „wieder zurechtrücken“ mussten und die Kunden „ausgehungert nach Unbestechlichkeit“ waren. Darüber kann man diskutieren – aber jetzt erfolgt ein ideologischer Bruch: „Die Arbeit war unter viele verteilt, das sieht man an diesem Bild.“ Das halte ich für fragwürdig; und weil man aus der vorhin gelobten abstrakten Kanne kein Wasser ausgießen könnte, muss es „viele Menschen gegeben haben, welche ausschließlich als Gebrauchsgegenstände betrachtet wurden“. Diese Logik ist einfach absurd – hier verwirren kommunistische Träume (Brechts) den Gedankengang des Herrn K. (Auch in „Form und Stoff“ setzt Herr K. sich mit abstrakter Malerei auseinander.) – Dass übrigens Herr K. selber Menschen als Gebrauchsgegenstände betrachtet, ist bereits oben nachgewiesen worden.

Der Gesandte

Diese Erzählung macht erzähltechnisch Schwierigkeiten. Zunächst wird erzählt, dass Herr K. das subversive Verhalten des fremden Gesandten richtig findet, weil dieser nur so Erfolg haben konnte. Dann wird berichtet, dass der Gesandte gemaßregelt wurde, „als er zurückkam“, was Herr K. ebenfalls billigt und mit der Vermutung begründet, jener habe sich an das gute Essen gewöhnt und den Verkehr mit Verbrechern fortgesetzt… Davon war jedoch nicht die Rede – er wurde gemaßregelt, „als er zurückkam“, nicht Monate später. Hier lässt der Erzähler Herrn K. unsauber argumentieren.

Herr K. rechtfertigt die Maßregelung dann in einer Metaphernreihe: eine tödliche Aufgabe übernehmen (und ausführen) – er starb – er wurde begraben (= streng gemaßregelt). Mit dieser Reihe liegt die Logik des Versagens im erfolgreichen Handeln selbst: Um die Aufträge seiner Regierung erfolgreich auszuführen (= tödliche Aufgabe), musste der Gesandte sich bei den Feinden anbiedern (= er starb), wofür er „da“ (= damals) zu loben, aber später zu tadeln (= begraben) war. Das ist eine echt dialektische (kommunistische) Betrachtung, nach der man gerade den erfolgreichen Gesandten maßregeln oder sogar liquidieren darf: Der Zweck heiligt die Mittel und verdirbt den Täter, so dass er auch ohne (vermutete) spätere Verfehlungen verurteilt werden kann. – Herr K. hat die Logik seiner Metaphern noch nicht zur Hand oder nicht verstanden, als er zunächst die Vermutung späteren Versagens des Gesandten äußerte. Der Gesandte wird wieder wie ein Gebrauchsgegenstand behandelt, s.o.!

Hungern

Zunächst sagt Herr K.: „Ich kann überall hungern.“ Damit weist er die Frage nach seinem Vaterland zurück. Dann korrigiert er seine Antwort: „(I)ch kann überall leben, wenn ich leben will, wo Hunger herrscht.“ Das heißt: Ich kann überall leben; ich habe kein Vaterland. Damit ist die Ausgangsfrage beantwortet.

Die folgende Unterscheidung: selber Hunger haben / dagegen sein, dass Hunger herrscht, trägt nichts mehr zur Beantwortung der Frage nach dem Vaterland bei, sondern klärt nur über das Wohlbefinden Herrn K.s auf. Die Logik, wie die beiden Teile der Erzählung zusammenhängen, bleibt mir verborgen.

Überzeugende Fragen

Hier spricht Herr K. als kommunistischer Funktionär, der von „unserer Lehre“ annimmt, „daß wir auf alles eine Antwort wissen“, was viele abschrecke. Er will „im Interesse der Propaganda“ (und nicht im Interesse der Wahrheit!) „eine Liste der Fragen aufstellen, die uns ganz ungelöst erscheinen“ (statt: sind).

Hier entlarvt Herr K. sich selbst – er ist meilenweit von Brechts „Lob des Zweifels“ oder dem Gedicht „Der Zweifler“ entfernt, ein zynischer Funktionär!

Fazit

Wer ist Herr K.? Das ist von Geschichte zu Geschichte verschieden; sicher ist er nicht einfach das Sprachrohr Brechts – das kann er sein („Wenn die Haifische Menschen wären“), aber er ist es nicht immer. Er ist einfach eine Figur, richtiger: ein bloßer Name ohne festen Charakter, dem man verschiedenste Einfälle und Geschichten anhängen kann. In „Der hilflose Knabe“ demonstriert er (dem Knaben und dem Leser), dass es sinnlos ist, bloß um Hilfe zu schreien, statt sich mit anderen Beraubten zu solidarisieren und gemeinsam vorzugehen; dadurch wird sein anscheinend zynisches Handeln zutiefst sinnvoll. Auch das gehört zu Herrn K. Und manchmal ist er bloß ein mieser Typ.

https://nosologoethevlc.files.wordpress.com/2013/03/brecht-geschichten-keuner.pdf (Text)

https://monoskop.org/images/e/e0/Brecht_Bertolt_Geschichten_vom_Herrn_Keuner_1949.pdf (Herr K. in den „Kalendergeschichten“, Text)

http://www.g.eversberg.eu/DUpdf/BrechtKeuner.pdf (Textgeschichte einiger Geschichten)

https://literaturkritik.de/id/10199 (allgemeine Leseanweisung)

https://www2.klett.de/sixcms/media.php/229/316016_soi_05_01.pdf (eine Interpretation bei Klett)

https://st-ursula-gk.de/export/sites/einrichtungen/gymnasium-st-ursula-geilenkirchen/der-unterricht/fach/Deutsch/.galleries/downloads/Brecht-Bertolt_Der-hilflose-Knabe.pdf (Interpretation „Der hilflose Knabe“)

https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichten_vom_Herrn_Keuner (Info)

Klaus Modick: Sunset – Rezension

Klaus Modicks Buch „Sunset“ (2011; 2012 als Taschenbuch): ein Tag im Leben des Schriftstellers Lion Feuchtwanger, genauer der 18. August 1956. An diesem Tag ist er allein zu Hause in Pacific Palisades, in seinem amerikanischen Exil; sein Frau Marta ist verreist und hat ihm auf diversen Zetteln Anweisungen gegeben, was er an diesem Tag alles zu tun und zu beachten hat. An diesem 18. August 1956 bekommt er ein Telegramm, in dem er eingeladen wird, in Ostberlin an einem Staatsakt zu Ehren des gerade verstorbenen Dichters Bertolt Brecht, seines Freundes, teilzunehmen.

Aus diesem Anlass kommen ihm im Lauf des Tages verschiedene Erinnerungen an Brecht; damit haben wir zwei Themen des Buches genannt, den Menschen Feuchtwanger und den Dichter und Menschen Brecht. Marta ist nach Diego gefahren, zu einem Anwalt, wegen ihres Antrags auf Einbürgerung in die Vereinigten Staaten, in die sie mit ihrem Mann 1940 emigrieren konnte. Damit sind zwei weitere Themen genannt: das Leben deutscher Schriftsteller im Exil und die Schikanen der Einwanderungsbehörde in der McCarthy-Ära.

Das Ganze ist anschaulich und auch unterhaltsam erzählt. Aufgelockert wird es durch einige Sätzen aus Werken Feuchtwangers, die ihm (angeblich) gerade an diesem Tag einfallen und die er sogleich notiert; aufgelockert wird es auch durch gelegentlich eingestreute Lebensweisheiten des alten Mannes Feuchtwanger, der zwei Jahre später verstorben ist: „Diese Landschaft im Spiegel [im Rückspiegel eines fahrenden Autos, N.T.], die in jedem Augenblick neu entsteht und von der wir uns ununterbrochen entfernen, ist die Vergangenheit. Gegenwart ist immer verwirrend, vage und vieldeutig. Sie bestimmt unser Leben, lässt sich selbst aber nur als vergangene erfassen und verstehen…“ (S. 186 – eine Seite später ist das Buch zu Ende).

Klaus Modick hat also ein unterhaltsames Buch geschrieben. Außerdem bedankt er sich bei der Villa Aurora, und da ich die nicht kannte, habe ich nachgeschaut, was das ist, und habe zur Kenntnis genommen, dass man dort als Feuchtwanger Fellow ein Stipendium bekommen kann: „Die Villa Aurora vergibt jährlich insgesamt bis zu 12 dreimonatige Stipendien für Künstlerinnen und Künstler der Bereiche Bildende Kunst, Komposition, Film und Literatur für einen Aufenthalt in der Villa Aurora in Pacific Palisades, einem Stadtteil von Los Angeles. […] Das Stipendium in Los Angeles dient der Arbeit an einem künstlerischen Projekt. Zudem wird bei Bedarf in Los Angeles nach Möglichkeiten gesucht, Lesungen, Konzerte, Ausstellungen oder Filmvorführungen zu organisieren oder sich mit Kultureinrichtungen und Künstlern zu vernetzen.“ Aber das brauchte ich eigentlich nicht zu wissen, da ich nicht an einem künstlerischen Projekt arbeite – jedenfalls nicht an einem, wozu ich nach Kalifornien reisen sollte.

Was andere zum Buch sagen bzw. geschrieben haben:

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/belletristik/klaus-modick-sunset-der-amerikanische-freund-1643006.html

http://www.berlinerliteraturkritik.de/detailseite/artikel/klaus-modicks-neuer-roman-sunset.html

http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=15569

http://www.glanzundelend.de/Artikel/abc/m/modick_gogolin.htm

Brecht: Leben, Werk, Dichtung, Philosophie – Links

Nachdem ich hier die Gedichte Brechts, die in den KANON gehören, analysiert habe, möchte ich die wesentlichen Links und Linkquellen zu dieser Thematik im weiteren Sinn anführen:

http://de.wikipedia.org/wiki/Bertolt_Brecht (Exilszeit knapp, breit ab 1948) = http://lexikonn.de/Bertolt_Brecht

http://universal_lexikon.deacademic.com/213340/Bertolt_Brecht

http://www.raffiniert.ch/sbrecht.html (eher Werke als Leben)

http://www.xlibris.de/Autoren/Brecht (Leben, einige wichtige Werke)

http://downloads.lehrkunst.ch/Brechts%20Galilei/LexikonArtikelKnopfBrechtBio.pdf (Artikel Jan Knopfs in Kindlers Neues Literaturlexikon)

http://www.lehrer.uni-karlsruhe.de/~za874/homepage/Brecht.htm (Leben und Werke tabellarisch)

http://www.exilarchiv.de/Joomla/index.php?option=com_content&task=view&id=240&Itemid=66 (Biografie und Links)

http://www.bertoldbrecht.de/ (Brecht: ideologische Entwicklung)

http://www.ceeol.com/aspx/getdocument.aspx?logid=5&id=6b6f8c522f8d4a71a4248c513fc95ba5 (Lüthy: Vom armen Bert Brecht, 1952)

http://lecailloublanc.free.fr/Brecht/ErichUnglaub.pdf (Brechts Landkarten)

https://publikationen.ub.uni-frankfurt.de/frontdoor/index/index/year/2012/docId/24675 (G. Bauer: Weisheiten, zerpflückt…)

http://www.globkult.de/kultur/l-iteratur/802-lutz-goetze (Bertolt Brecht in Ost- und Westdeutschland)

http://www.ub.fu-berlin.de/service_neu/internetquellen/fachinformation/germanistik/autoren/autorb/brecht.html (Linkliste Bibliothek FU!)

http://www.bildungsserver.de/Bertolt-Brecht-1898-1956–4203.html (Links zu Brecht: Deutscher Bildungsserver)

http://bildungsserver.hamburg.de/bertolt-brecht/ (Linksammlung Hamburger Bildungsserver)

http://www.rezitator.de/3sat/autor/ (Sieben Folgen „Bertolt Brecht“ in „Lyrik für alle“)

http://www.br-online.de/wissen-bildung/telekolleg/faecher/deutsch/literatur/folge_13/dichter.shtml (Brecht: Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit)

http://sammelpunkt.philo.at:8080/79/1/brechti.htm (Versuche über die Philosophie Bertolt Brechts)

http://www.ddr-hoerspiele.net/2-lp/helene-weigel-liest-brecht.html (Paul Rilla über die Lyrik Brechts insgesamt)

Brecht: Die Pappel vom Karlsplatz – lockere Analyse

Eine Pappel steht am Karlsplatz…

Text

http://www.eule2003.de/gbereich/g-Deutsch/d13/D13-Lyrik/brecht_pappel.pdf (mit Interpretation und Tafelbild)

http://www.sos-halberstadt.bildung-lsa.de/vergangenheit/pdf/PappelvomKarlsplatz.pdf (mit Illustration)

http://www.flickr.com/photos/wolf-rabe/5627805989/ (mit Bild)

http://rauscherpeter.wordpress.com/tag/brecht/

Eisler hat 1950 Brecht dazu angeregt, neue Kinderlieder zum Vertonen für ihn zu schreiben; aber auch die Feiern zum 1. Mai 1950 und das erste Pfingsttreffen der FDJ mögen für Brecht Anlass gewesen sein, sich der Aufgabe zu stellen. Er verfasste jedenfalls 1950 dieses Gedicht, das in „Sinn und Form“ (1950, Heft 6) veröffentlicht wurde. Brechts „Kinderlieder“ konnten dann in der DDR nicht in der von Brecht vorgesehenen Fassung veröffentlicht werden, sondern nur in einer überarbeiteten Fassung (1953): So groß, wie die Sänger des „Einheitsfrontlied[s]“ hofften, war die Freiheit im real existierenden Sozialismus nicht.

In möchte diese Analyse ein bisschen anders als die bisherigen anpacken, ich kommentiere einfach die vorliegenden Links. Das hat zwei Gründe: Erstens gibt es zwei solide Analysen, zweitens habe ich eine besondere Beziehung zu Pappeln; mit dieser Beziehung fange ich an. Sie ist darin begründet, dass ich am linken Niederrhein aufgewachsen bin und dass mein Vater (+ 1945) Holzschuhmacher war; Holzschuhe werden am Niederrhein aber aus Pappeln gemacht, einem landschaftstypischen Baum mit weichem Holz, das gut zu bearbeiten ist. Ein Holzschuh aus Pappelholz, das (halbe) Werkstück der Meisterprüfung meines Vaters, steht auf meinem Schreibtisch. Über die Pappeln im Allgemeinen informieren http://baum-des-jahres.de/index.php?id=376&type=500 (Pappel: Nutzung, Verwendung und Heilkunde; kurz) und ausführlicher, echt niederrheinisch, Gisela Behrendt: Welchen Weg geht die Pappel?

Nun kommen wir zu Brechts Gedicht; einen schön markierten Text mit Analyse bietet oben der erste Link (eule2003); ergänzend weise ich auf den Kontrast zwischen Trümmerstadt/Grün (1. Str.) hin. Was bei eule2003 zur Bedeutung der Waisen (reimlose Verse) und über die Existenz des Daktylus (zu V. 7) gesagt wird, halte ich allerdings für spinnert bzw. falsch. Solide ist die Analyse in http://www.litde.com/stationen-der-deutschen-lyrik/erneuerungs-und-warngedicht/bertolt-brecht-ii-die-pappel-vom-karlsplatz-das-freundliche-grn.php; aber die ist auch wörtlich von Walter Hinck: Stationen der deutschen Lyrik: von Luther bis in die Gegenwart, abgeschrieben, wie man hier (S. 53-55) sehen kann.

Vortrag

http://www.youtube.com/watch?v=qelOkryNDN4 (Ernst Busch)

http://www.youtube.com/watch?v=PH6mrMla1K8 (schwedisch?)

Sonstiges gibt es reichlich, und zwar zunächst drei Berichte der „Berliner Zeitung“ aus den Jahren 1998-2007 über die Pappeln vom Karlplatz, wie er richtig heißt:

http://www.berliner-zeitung.de/newsticker/motorsaegentod,10917074,9423518.html (über den Pappel-Mythos, 1998, mit der Erinnerung von Ruth Berlau!)

http://www.berliner-zeitung.de/archiv/tafel-erinnert-an-das-schicksal-eines-baumes-brechts-pappel-auf-dem-karlsplatz,10810590,9999914.html (die historische Wahrheit über die Pappel vom Karlsplatz, 2002)

http://www.berliner-zeitung.de/archiv/die-geschichte-eines-beruehmt-gewordenen-berliner-stadtbaums-und-es-fiel-der-stamm-im-sturm—–,10810590,10490402.html (mit Geschichten von Brechts Leben in Berlin und der Fortsetzung der Pappel-Geschichte)

Eine Parallele zum Bericht von 2002 ist http://www.berliner-kurier.de/archiv/es-gibt-sie-wieder–brechts-pappeln-am-karl-s-platz,8259702,4310314.html

Auf http://www.stadtentwicklung.berlin.de/umwelt/stadtgruen/stadtbaeume/de/einzelbaeume/mitte/pappel.shtml findet man ein Bild vom Karlplatz mit Pappeln.

http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2005/02/02/a0214 (Ein Hoch der Pappel – eine allgemeine Hommage an die Pappel, mit Bezug zu Berlin)

Über Heinz Kahlau, gestorben am 6. April 2012, der eine Fortsetzung zu Brechts Gedicht geschrieben hat, schreibt „Unsere Zeit“: Ab 1953 studierte er an der Akademie der Künste und wurde Meisterschüler Bertolt Brechts am Berliner Ensemble. Brechts bekanntes Gedicht „Die Pappel vom Karlsplatz“ setzte er fort mit „Neue Bäume am Karlsplatz“ und ging auf die fünf jungen Bäume ein, die anstelle von Brechts Pappel 1953 gepflanzt wurden: „Dass es aber denen, die da wohnten, / die in Kält und Not die Pappel schonten, / nicht an frischem Grün gebrach / pflanzte man fünf junge Bäume nach. // Wenn sie euch mit Grün beschenken, / möchte ich bitten, dass ihr euch nicht scheut, / auch noch an den alten Baum zu denken. / Er hat euch in schwerer Zeit erfreut.“ (http://www.dkp-online.de/uz/4416/s1302.htm )

http://www.youtube.com/watch?v=EKuioqmHy90 (moderne Musik unter dem Titel von Brechts Gedicht)

http://www.zeit.de/1997/18/Die_Pappelfrage/seite-1 (die Pappelfrage als Paradigma politischer Entscheidungen – lebt vom Pappelmythos, nicht von der historischen Wahrheit!)

http://home.arcor.de/manfred.roessmann/BaumGedichte.html (Links zu Baumgedichten)

Fazit: Ein Gedicht, das eine breite Spur hinterlassen hat und sehr bekannt ist.

Brecht: Einheitsfrontlied – Analyse

Und weil der Mensch ein Mensch ist …

Text

http://www.erinnerungsort.de/und-weil-der-mensch-ein-mensch-ist–28einheitsfrontlied-29-_113.html (alle mit 4 Strophen)

http://www2.igmetall.de/homepages/bremerhaven/buchtippsliedertexte/liedertexte/einheitsfrontlied.html (mit engl. und französ. Version)

http://ciml.250x.com/sections/german_section/gedichte_lieder/b_brecht.html

http://www.dkp-mk.de/musik/einheitsfrontlied

http://www.marxists.org/subject/art/music/lyrics/de/die-einheitsfront.htm (mit Musik)

Das „Einheitsfrontlied“ verfassten Bert Brecht und Hanns Eisler Ende 1934 im Londoner Exil, nachdem Erwin Piscator sie im Auftrag des Internationalen Musikbüros in Moskau um ein gutes Einheitsfrontlied gebeten hatte. Ursprünglich hatte das Lied, das in viele Sprachen übersetzt wurde, auch eine englische, französische und russische Strophe. Das Lied wurde öffentlich erstmals von Ernst Busch und einem Massenchor von 3.000 Arbeiterinnen bei der Ersten Internationalen Arbeitermusik- und Gesangs-Olympiade im Juni 1935 in Straßburg (Elsaß-Lothringen) gesungen. Gedruckt wurde es erstmals 1937 in Spanien in einem von Ernst Busch herausgegebenen Liederbuch; Brecht nahm es in die „Svendborger Gedichte“ (1939) und in die „Hundert Gedichte“ (1951) auf.

„Als Bertolt Brecht 1928 den größten Theatererfolg der Weimarer Republik verfasste (oder vielleicht besser: aus zahlreichen Quellen zusammenstellte), war sein sozialistisches Weltbild erst im Werden begriffen. Die Dreigroschenoper widmet sich eher dem genüsslichen Studium der Halb- und Unterwelt denn der strengen marxistischen Analyse. Konkreter wird Brecht, auch angesichts der zunehmend ungemütlichen Situation in Deutschland, erst zu Anfang der 1930er Jahre. In ‚Kuhle Wampe’, dem ersten deutschen Arbeiterfilm, verlangt das Solidaritätslied: ‚Vorwärts und nicht vergessen, / worin unsre Stärke besteht! / Beim Hungern und beim Essen, / vorwärts, nie vergessen: / die Solidarität!’ Das ebenso berühmte Einheitsfrontlied stammt schon aus Brechts Exilzeit: ‚Und weil der Mensch ein Mensch ist…’ Für beide fand Hanns Eisler gut sing- und gangbare Weisen, rhythmisch, federnd, fordernd – und auch ein wenig preußisch: ‚Reih dich ein in die Arbeiter-Einheitsfront, wo dein Platz, Genosse, ist!’ Dieser Aufruf kam, jedenfalls für Deutschland, leider zu spät: Die Einheitsfront, also das Zusammengehen der kommunistischen und der sozialdemokratischen Kräfte, hätte Hitler zweifellos eher aufhalten können als die vor 1934 von der Kommunistischen Internationalen durchgesetzte Sozialfaschismusthese, die den Hauptfeind des Proletariats in den Sozialdemokratischen Parteien sah.“ (VPOD-Magazin, März 2011)

Das Gedicht ist als politische Auftragsarbeit ganz einfach gestrickt: Wir haben drei (oder vier – wie die Differenz zu erklären ist, weiß ich nicht) Strophen vor uns, die im Prinzip gleichartig aufgebaut sind: Der erste Vers lautet immer: „Und weil der Mensch ein Mensch ist“, was als Identitätsformel nicht besonders originell, aber plausibel ist; nur in der letzten Strophe ist „Mensch“ durch „Prolet“ ersetzt – da wird auch der sonst weniger bestimmte zweite Teil der Strophe politisch eindeutig. Auf den Kausalsatz der ersten Verse folgt im zweiten Vers der begründete Hauptsatz, was der Mensch braucht bzw. nicht braucht: Essen, Kleidung, keine „Stiefel im Gesicht“, also keine Unterdrückung (das Bild vom tretenden Stiefel hat Brecht kurz vorher schon im „Lied vom Wasserrad“ verwendet). In der letzten Strophe steht dagegen die Prognose (nach der Theorie des Klassenkampfes), dass kein anderer sie befreien wird, sondern dass die Arbeiter sich selbst befreien müssen. Im dritten und vierten Vers folgen unterschiedliche Fortsetzungen: dass Geschwätz nichts nützt; dass der Mensch keine Herrschaft ausüben oder ertragen will; dass nur die Arbeiter die Arbeiter befreien werden. An alle diese zweiten Teile (Vers 3 und 4 jeder Strophe) schließt sich der immer gleiche Refrain sinnvoll an: die Aufforderung, sich in die Arbeitereinheitsfront einzureihen, „weil auch du ein Arbeiter bist“; denn dann können die zuvor genannten Bedürfnisse befriedigt werden – das wird aber nicht eigens ausgesprochen. Zuvor wird mit dem wiederholten „Drum links, zwei drei“ der Rhythmus einer marschierenden Truppe dargestellt, verbunden mit der Aufforderung „Wo dein Platz, Genosse, ist“: bei der Arbeitereinheitsfront im Klassenkampf.

Es gibt keinen als Person hervortretenden Sprecher bzw. nur einen für die Arbeiter parteiischen Sprecher, der politische Wahrheiten verkündet; indem das Gedicht von vielen gesungen wird, werden die Sänger als Repräsentanten der Arbeiter zu den Sprechern des Gedichts. Sie wenden sich an den Einzelnen, der Arbeiter und eigentlich auch „Genosse“ ist, aber sich der Einheitsfront noch nicht angeschlossen hat – sie unterstellen damit, dass sie die Arbeitereinheitsfront sind. Die einfachen, durch Wiederholung eindringlichen Thesen und Aufforderungen stehen in Strophen, wo sich jeweils der zweite und vierte Vers reimen. Die dritten Verse haben vier Hebungen, die ersten, zweiten und vierten Verse drei Hebungen, mit unregelmäßiger Füllung; im Refrain haben der erste und dritte Vers vier, der zweite und vierte Vers drei Hebungen, das ergibt einen straffen Rhythmus. Das Gedicht lehnt sich so an die Chevy-Chase-Strophe an, welche die vorherrschende Strophenform englischer Volksballaden ist. Die internationale Verbreitung des Liedes gibt der künstlerischen Konzeption von Brecht und Eisler Recht: Wenn man theoretische Debatten über die Einheitsfront verfolgt, schläft man leicht ein; Brecht und Eisler haben dagegen ein einfaches, schmissiges Lied fabriziert, was eine gute Voraussetzung für die breite Rezeption ist.

Analyse

http://de.wikipedia.org/wiki/Einheitsfrontlied (Begriff und Geschichte der Einheitsfront)

http://www.kommunisten.ch/index.php?article_id=235 (historischer Kontext)

http://www2.cddc.vt.edu/marxists/deutsch/archiv/thalheimer/1932/einheitsfront/index.htm (August Thalheimer über die Einheitsfront gegen den Faschismus, 1932)

Vortrag

http://www.youtube.com/watch?v=U0ihz0ryFRA

http://www.lastfm.de/music/Ernst+Busch/_/Einheitsfrontlied (Ernst Busch, 3 Strophen)

http://www.youtube.com/watch?v=R4ExkGrnUzo (Ernst Busch, mehrsprachig)

http://www.youtube.com/watch?v=cTM9J1PX4CI (Ernst Busch, mit engl. Untertiteln)

http://www.youtube.com/watch?v=US7TVy0m_b8 (DsingisKahn)

http://www.youtube.com/watch?v=1f_otoGMAoE (Commandantes)

http://www.youtube.com/watch?v=Pkicbh8UgUo (Ton, Steine, Scherben)

http://www.youtube.com/watch?v=HTgbQhaiZDs (mir unbekannt)

http://www.youtube.com/watch?v=-aY9_3FmAi0 (Angelika Sacher, 1 Str.)

http://mp3.li/index.php?q=Hannes%20Wader%20-%20Das%20Einheitsfrontlied (mehrere Versionen)

http://www.filestube.com/e/einheitsfrontlied (mehrere Versionen)

http://zomobo.net/einheitsfrontlied (viele Versionen)

http://www.myspace.com/music/player?sid=19243620&ac=now (Tatendrang)

Rezeption

http://www.antiwarsongs.org/canzone.php?lang=en&id=9297 (viele Sprachen)

http://www.youtube.com/watch?v=9MK18OjSsYc (finnisch?)

http://www.stadtbekannt.at/de/magazin/musik/reih-dich-ein_-genosse_.html (Plädoyer dafür, beim Arbeiten zu singen)

Brecht: General, dein Tank ist ein starker Wagen – Analyse

General, dein Tank ist ein starker Wagen…

Text

http://deu.anarchopedia.org/Bertolt_Brecht/Deutsche_Marginalien/General,_dein_Tank_ist_ein_starker_Wagen.

http://marteau7927.wordpress.com/2011/06/21/general-dein-tank-ist-ein-starker-wagen/ (mit italien. Übersetzung)

http://www.horus.com/~dune/text/brecht.html

http://www.ummah.com/forum/showthread.php?247783-Poem-by-Bertolt-Brecht (mit engl. Übersetzung)

http://www.eksisozluk.com/show.asp?t=general+dein+tank+ist+ein+starker+wagen (mit türkischer Übersetzung?)

http://www.fredsakademiet.dk/abase/digte/digt1.htm (mit dänischer Übersetzung)

Das Gedicht ist 1936/37 für die „Gedichte im Exil“ geschrieben worden und 1937 in „Deutsche Kriegsfibel“ (in: „Das Wort“, Moskau) veröffentlicht worden; es wurde auch in die „Svendborger Gedichte“ (1939) und in die „Hundert Gedichte“ (1951) aufgenommen. Es war das erste Gedicht Brechts, das in „Alemania libre“ (Freies Deutschland, No. 2, Dezember 1941) in Mexiko veröffentlicht wurde. Es wurde von Hanns Eisler und Paul Dessau vertont.

Formal ist das Gedicht recht einfach aufgebaut: Es besteht aus drei Strophen zu vier Versen; die Strophen sind streng parallel aufgebaut: Zunächst wird ein General persönlich angesprochen, wobei der Sprecher nicht in Erscheinung tritt – es könnte sich also auch um einen inneren Monolog handeln. Es werden nacheinander drei „Objekte“ benannt, über die der General verfügt (dein Tank, dein Bombenflugzeug, der Mensch = dein Soldat) und die alle als stark (V. 1, V. 5) oder „brauchbar“ (V. 9) bezeichnet (und scheinbar gelobt) werden. Im jeweils zweiten Vers folgt die Begründung für dieses Lob; es beruht auf der Brauchbarkeit im Krieg. Der jeweils dritte Vers schränkt das Lob ein bzw. nimmt es zurück, er ist in allen drei Strophen identisch: „Aber er [es] hat einen Fehler“; im jeweils vierten Vers wird erklärt, worin der Fehler besteht: Der Tank braucht einen Fahrer (V. 4), das Flugzeug einen Monteur (V. 8) – das sieht noch wie eine bloße Einschränkung aus. In der dritten Strophe heißt die Einschränkung beim Menschen jedoch: „Er kann denken.“ (V. 12) Das ist ein Widerspruch gegen die Einschätzung, dass der Mensch „sehr brauchbar“ (V. 9) ist, und ist auch kein Fehler; denn wer als freier Mensch denkt, entzieht sich damit der bloßen Verwendung durch andere, auch durch Generäle. Zugleich wirft dieser Vers ein Licht auf die Verse 4 und 8; die dort genannten „Bedienungselemente“ Fahrer und Monteur werden mit V. 12 auch als Menschen deklariert und zeigen damit, wie anfällig oder schwach die vom General gesteuerte Militärmaschine ist – wenn die Fahrer, Monteure und Soldaten als Menschen zu denken beginnen.

Damit stellt das Gedicht eine Warnung an den angesprochenen General dar: Sei dir deiner Macht nicht zu sicher – prinzipiell können die Soldaten denken und sich damit der militärischen Disziplin entziehen.

Die Sprache des Gedichtes ist einfach, ohne Reim und Rhythmus, nur durch den Zeilenschnitt (jeweils vollständige Sätze) als Gedicht ausgezeichnet. Die Pointe liegt in der Spannung in jeder Strophe (im 3. Vers durch „Aber“ eingeleitet) sowie in der Veränderung der Berufs- oder Funktionsbezeichnungen „Fahrer“ und „Monteur“ zum Denkenden [Menschen]. Damit ist das Gedicht auch ein Appell an die Soldaten, sich als denkende Menschen zu erweisen – wobei der Sprecher offen lässt, was dabei herauskommt; für den General als General ist es aber nichts Gutes. Das „Aber“ setzt das Denken gegen die Brauchbarkeit des Menschen, es ist ein Gegensatz.

Neben dem Inhalt des Gedichts hat der einfache Aufbau sicher zu seiner starken Verbreitung und Verwendung beigetragen. Ob es allerdings einen General zum Zweifeln oder einen unsicheren Soldaten zum selbständigen Denken bringt, darf bezweifelt werden; so etwas erreicht man durch Gedichte in der Regel nicht.

Rezeption

http://www.youtube.com/watch?v=UA3Ga4SKFuA (Text, mit Bildern unterlegt)

http://www.cras-legam.de/HHZ15.htm

http://www.dialoginternational.com/dialog_international/2004/09/brecht_and_the_.html (Brecht im US-Wahlkamkpf)

http://scottishsteel.com/poetry/translations/general.html (engl. Übersetzung)

http://wegstilletorerinnerungerstenweltkrie.blogspot.de/

http://www.die-linke-hamburg.de/fileadmin/Kand_080517/berdal_bewerbung.pdf (mehrere ähnliche)

Brecht: Der Schuh des Empedokles – Analyse

Als Empedokles, der Agrigenter…

Text

http://wwwuser.gwdg.de/~ptrilck/tagung/geschichtslyrik_tagung_tischvorlagen_v1.1.pdf

τὰ σάνδαλα τοῦ Ἐμπεδοκλέος (die Sandalen des Empedokles) ist eine griechische Phrase. Zum Tod des Philosophen Empedokles erzählt der Philosophiehistoriker Diogenes Laertios, dass sich Empedokles entschied, den verbreiteten Glauben, er sei zum Gott geworden, zu bestärken, indem er sich in den Ätna stürzte, um keine Spuren auf der Erde zu hinterlassen. Doch der Krater spuckte seine Sandalen wieder aus (Wikipedia – nach Diogenes Laertios eine Sandale, die man erkannte, weil Empedokles in der Regel solche aus Bronze trug), wodurch man sah, dass Empedokles nicht in den Himmel aufgefahren, sondern in den Krater gestürzt war. Diese Legende hat Brecht in einem Akt produktiven Erzählens in seinem Sinn überarbeitet, also umgeformt; das Gedicht ist 1935 entstanden und 1939 in die „Chroniken“ vorbildlicher Ereignisse und Menschen der „Svendborger Gedichte“ aufgenommen worden. – Das Gedicht besteht aus zwei Teilen; im ersten Teil zähle ich 53 Verse (die Nummer 1 nicht mitgezählt), in Teil 2 die Verse 54-77 (die Nummer 2 wieder nicht mitgezählt).

In Teil 1 agiert ein auktorialer Erzähler; er erklärt und kommentiert das Geschehen und die Motive des Empedokles, kennt sein Inneres und das Wesen des Menschen. Die Ausgangssituation (V. 1-7) besteht darin, dass Empedokles, alt und geehrt, zu sterben beschließt, und zwar nicht „zunichte werden“ (V. 6), sondern „lieber zu Nichts“ werden möchte (V. 7) – was das heißt, wird später unter dem Stichwort „sein Absterben“ (V. 38 ff.) erklärt; es heißt, sich als Lehrer aus dem Kreis der Freunde oder Schüler zurückziehen und sie selbständig werden lassen.

Dann beginnt der Bericht vom ersten Teil dieses Programms: Nach dem Aufstieg auf den Ätna entfernt er sich unbemerkt aus dem Kreis der Freunde (V. 18). Beachtung verdient die Randbemerkung, dass beim Aufstieg niemand weise Worte vermisst (V. 14 f.; vgl. die Polemik gegen das „Geheimnis“, V. 45 ff.); erst später fällt auf, dass Empedokles nicht mehr da ist (V. 20 f.). Für ihn beginnt „das Sterben“ (V. 27), indem er die Worte seiner Freunde nicht mehr versteht, also nicht mehr am Gespräch teilnimmt. In V. 29 f. wird auf ein Wort Epikurs angespielt: „Das schauerlichste Übel also, der Tod, geht uns nichts an; denn solange wir existieren, ist der Tod nicht da, und wenn der Tod da ist, existieren wir nicht mehr.“ (Brief an Menoikeus, 125) Er vollendet die Erziehung seiner Freunde zur Mündigkeit, indem er sorgfältig den späteren Fund seines Schuhs vorbereitet (V. 30 ff.), um so jeder Legendenbildung entgegenzuwirken; dabei lächelt er souverän (V. 31). „Dann erst ging er zum Krater“ (V. 34 f.), sagt der Erzähler, und verschweigt den Sprung in den Abgrund. Die Freunde kehren ohne ihn zurück in die Stadt.

Der zweite Teil von des Empedokles Programm beginnt nach seinem Tod, indem „sein Absterben“ (V. 38) einsetzt und vollendet wird: Einige sind im Denken bereits selbständig geworden (V. 39 f.). In einem schönen Bild (Vergleich mit dem Verschwinden der Wolken, V. 40 ff.) wird deutlich, wie Empedokles aus dem Leben der Freunde, „aus ihrer Gewohnheit“ (V. 44) verschwindet. Der Erzähler berichtet, wie dann ein Gerücht entsteht, Empedokles sei nicht gestorben (V. 45 ff.); mit diesem Gerücht und seinen Varianten und der damit verbundenen Metaphysik („daß außer Irdischem Anderes sei“, V. 48) setzt der Erzähler sich heftig auseinander („Geschwätz“, V. 49) – man merkt, dass hier der Punkt angesprochen ist, um den es Brecht geht. Dann jedoch geht der Plan des Empedokles auf: Sein Schuh wird später gefunden (V. 50 ff.); absichtlich hatte er ihn „hinterlegt für jene, die / Wenn sie nicht sehen, sogleich zu glauben beginnen“ (V. 51 f.) – ein umgekehrte polemische Anspielung auf das an den ungläubigen Thomas gerichtete Jesuswort (Joh 20,29). So erscheint der Tod des Meisters „wieder natürlich“, was zu beweisen im Sinn des Empedokles und des Erzählers liegt: „Er war wie ein anderer gestorben.“ (V. 53)

Im Teil 2 (V. 54 ff.) relativiert der Erzähler seine Position des auktorialen Wissens; er berichtet von anderen Erzählungen vom Tod des Empedokles und stellt seine Argumentation dagegen (V. 64 ff.) – so schließt er sich an des Empedokles Programm der Erziehung zur Mündigkeit an; er lässt die Hörer/Leser die Argumente prüfen, wenn auch seine Einstellung so deutlich wird, dass er mit dem eigenen Absterben noch ein wenig wartet.

Er berichtet also von der Legende von des Empedokles Ehrgeiz, „sich göttliche Ehren zu sichern“ (V. 56), vom Scheitern dieses Plans (V. 60 f.) und von der Legende, der Berg habe den Schuh verärgert ausgespien (V. 62-64). Dagegen setzt er das große ABER (V. 64 ff.; vgl. das „Aber“, V. 50, mit dem er den Bericht vom geplanten Fund des Schuhs einleitet) seiner Argumentation, die er sogar relativiert („glauben wir lieber“, V. 64): Unbedacht habe Empedokles vergessen, den Schuh auszuziehen (V. 65 ff.), und der Berg habe, „Feuer speiend wie immer“ (V. 72), also auf ganz natürliche Art und Weise den Schuh wieder nach oben befördert.

Auch im Teil 2 wird die Polemik des Erzählers gegen jede Art von „Glauben“ und Führerverehrung  deutlich: 1. Polemik gegen menschliche Dummheit als Neigung, „Dunkles noch dunkler zu machen“, statt nach einem zureichenden Grund zu suchen (V. 66 ff.); 2. Polemik gegen die anthropomorphe Betrachtung des Berges (V. 69-71); 3. Polemik gegen die leichtgläubigen Schüler, die allzu gern tiefsinnige Metaphysik entwickeln (V. 74 f.). Ausdrücklich betont er zum Schluss, dass die Schüler als Beweismittel den Schuh ihres Lehrers in Händen hielten, „den greifbaren / Abgetragenen, den aus Leder, den irdischen“ (V. 76 f.), womit ihre Metaphysik und ihr Mystizismus zu ihrem Leidwesen gründlich widerlegt ist.

Exkurs: Das Prinzip des zureichenden Grundes ist nach Leibniz eines der grundlegenden Prinzipien des Denkens. Es besagt, „daß keine Tatsache wahr seiend oder existierend, keine Aussage wahrhaftig befunden werden kann, ohne daß ein zureichender Grund sei, warum es so und nicht anders ist“ (Monadologie, § 32, nach anderer Zählung § 31). Im kritischen Rationalismus wird die absolute Geltung dieses Prinzips bestritten und durch das Prinzip der kritischen Prüfung ersetzt (http://de.wikipedia.org/wiki/M%C3%BCnchhausen-Trilemmahttp://www.schmidt-salomon.de/muench.htm).

Wir haben ein Gedicht in Brechts epischer Erzählweise vor uns; gelegentlich bereitet der Zeilenschnitt kleine Überraschungen beim Weiterlesen vor (etwa hinter V. 3, V. 6, V. 14, V. 33 u.ö.). Wenn man von den ausgewiesenen Anspielungen absieht, ist die Sprache weithin die Umgangssprache; doch ist wegen der Polemik gegen alles Übernatürliche öfter eine Art philosophischer Argumentation nicht zu vermeiden. Brechts Ziel ist es, jegliche Form von leichtfertiger Gläubigkeit sowie die Vergöttlichung menschlicher „Führer“ ad absurdum zu führen, den zugrunde liegenden Mystizismus zu entlarven und die Leser für ein rationales Denken einzunehmen.

Kritik an Brechts Verfahren: Es ist gar nicht so einfach, Legenden zu entmythologisieren, und ich meine, Brecht sei hier daran gescheitert – wieso er gescheitert ist, versuche ich zum Schluss zu erklären. Zuvor möchte ich meine These begründen, dass er gescheitert ist: Das Ergebnis der in Teil 1 erzählten Ereignisse ist nämlich, dass Empedokles auch in der Sicht seiner ehemaligen Verehrer wie ein anderer gestorben war (V. 53). Das hätte er einfacher haben können: Statt auf den Ätna zu klettern und den Trick mit seinem Schuh zu inszenieren, hätte er bloß im Kreis seiner Freunde in Agrigent zu sterben brauchen; das konnte er [in diesem Gedicht!] nicht, weil in der Legende der Aufstieg zum Ätna substanziell ist. Also müsste Brecht bzw. sein Erzähler plausibel erklären, warum Empedokles nicht wie andere Menschen im Kreis seiner Freunde sterben wollte – der einfache Satz, er habe nicht vor denen zunichte werden wollen, die er liebte (V. 5 f.), reicht als Erklärung nicht aus, finde ich; der Wunsch „nicht zunichte werden / lieber zu Nichts werden“ (V. 6 f.) ist zwar ein schönes Wortspiel, aber dieses trägt die Last der geforderten Erklärung und damit der Entmythologisierung nicht, weil hier bloß eine Metabasis eis allo genos vorliegt, ein Sprung vom Bereich des Leiblichen in das Reich des Geistigen. – Warum ist Brecht nun mit seinem Versuch der Entmythologisierung der Empedokles-Legende gescheitert? Ich erkläre es mir so: Es ging Brecht überhaupt nicht um Empedokles, sondern um Diffamierung naiver Gläubigkeit und Führerverehrung, wie sie 1935 im Schwange war. Dafür hat er auf die bekannte Empedokles-Legende zurückgegriffen und an ihr gebastelt, immer mit dem Blick auf sein Ziel; dabei hat er die Eigenlogik des erzählten Geschehens ein wenig unterschätzt bzw. sich auf sein Wortspiel verlassen. Wie rational-witzige Entmythologisierung gelingt, hätte Brecht bei Leszek Kolakowski: Der Himmelsschlüssel (1963, deutsch 1966), lernen können; aber dafür ist er zu früh gestorben, vielleicht hätte er Kolakowski auch nicht gelesen, wer weiß.

http://www.augsburger-allgemeine.de/augsburg/Brechts-antiker-Anti-Jesus-id6795761.html (Bericht: Vortrag)

Empedokles

http://www.antike-heilkunde.de/AntikeHeilkunde/Aerzte/Empedokles/Empedokles.php (kurz)

http://www.whoswho.de/templ/te_bio.php?PID=1387&RID=1 (kurz)

http://lexikonn.de/Empedokles = http://de.wikipedia.org/wiki/Empedokles

http://de.scribd.com/doc/104214360/225/Empedokles (dort S. 354 ff.) = http://www.norbertschultheis.de/pdf/Philosophen_der_Antike.pdf

http://www.zeno.org/Philosophie/M/Empedokles+aus+Agrigent (Schriften)

http://www.encyclopedia.com/topic/Empedocles.aspx

http://www.iep.utm.edu/empedocl/

http://www.hellenicgods.org/aempaethoklis—empedokles

http://plato.stanford.edu/entries/empedocles/

http://www-groups.dcs.st-and.ac.uk/history/Biographies/Empedocles.html

http://www.uni-koblenz-landau.de/koblenz/fb2/ik/institut/philosophie/lehrende/meyer/pelikan.pdf (Empedokles bei Hölderlin)

Empedokles als Mensch: https://archive.org/details/dievorsokratiker00nestiala/page/40/mode/2up (S. 41 ff.)

Worte des Empedokles: https://archive.org/details/dievorsokratiker00nestiala/page/134/mode/2up

Am 31. Juli 2020 haben gut 700 Besucher diesen Artikel angeklickt (bis 12 Uhr waren es schon 150, die haben vermutlich gepfuscht), das heißt, es wurde irgendwo in Deutschland eine Klausur zu diesem Gedicht Brechts geschrieben; am 1. August kamen noch einmal rund 300 Besucher hinzu. Am 2. August suchten noch 170 Besucher den Schuh des Empedokles, am 3. August immerhin noch rund 70.

P.S. „Wer der Seelenwanderungslehre anhing, durfte sein Leben nicht eigenwillig beschließen, und schon deshalb ist der Sprung des Empedokles in den Krater des Aetna ein Märchen. Laut der pythagoreischen Lehre sind die Seelen in die Leiber gebannt zur Strafe; der Selbstmord macht nicht frei vom „Kreis der Zeugung“; wer nicht im Leibe aushält, bis die Gottheit ihn erlöst, verfällt noch mehrerem und größerem Jammer, daher bei den Gläubigen das geduldige Abwarten des Todes im Alter.“ (J. Burckhardt: Griechische Kulturgeschichte, Bd. II, S. 435)

Brecht: Lied einer deutschen Mutter – Analyse

Mein Sohn, ich hab dir die Stiefel…

Text

http://www.joergalbrecht.de/es/deutschedichter.de/werk.asp?ID=294 (6 Str.)

http://www.kde.cs.uni-kassel.de/tane/Gedichte.html (dito)

http://lukrezia-das-herz.myblog.de/lukrezia-das-herz/page/540556 (dito)

http://sonnemohn.wordpress.com/bertolt-brecht-2/ (dito)

Hier stehen überall sechs Strophen; auch Edgar Marschs Kommentar (1974) geht von sechs Strophen aus, gesungen werden aber vier Strophen; vier Strophen stehen auch in „Bertolt Brecht. Ausgewählte Werke in sechs Bänden“, 1997, Bd. 4, S. 352 f. Ich halte mich an die Version von vier Strophen (ohne die 3. und 5. der sechs Strophen; in der zweiten Strophe heißt es „grüßt“, in der letzten „ein braunes Hemd“). Das ist die ursprüngliche Fassung; in der Vertonung von Paul Dessau wurde das Lied mit Lotte Lenya für das Office of War Information aufgenommen, dabei wurde es um zwei Strophen erweitert.

Das Gedicht ist 1942 entstanden und im Januar 1943 in „Freiheit für Österreich“ (New York) veröffentlicht worden. Es ist ein Rollengedicht von der Ursituation Mutter-Sohn: Eine Mutter spricht ihren toten Sohn an, der offensichtlich aufgebahrt vor ihr liegt; das ergibt sich aus dem Zeigegestus „dies braune Hemd“ (V. 2). Sie beklagt, dass sie seine Mitgliedschaft in der NSDAP aus Unwissenheit gefördert statt verhindert hat; das Recht zu den Vorwürfen gegen sich selbst ergibt sich aus dem, was sie heute weiß. Dieses evidente Wissen gipfelt im Schluss-Satz des Gedichts: „Es war dein Totenhemd.“ (V. 16) Was die Mutter heute weiß, ist das, was Brecht weiß; insofern meldet er sich im Mutter-Ich zu Wort, während sie früher nur eine dumme deutsche Mutter war.

Inhaltlich und formal rahmen die erste und die letzte Strophe den Rest des Gedichtes ein: Es geht in beiden um das braune Hemd (SA-Uniform); in beiden Strophen wird im dritten Vers ausdrücklich darauf rekurriert, „was ich heut weiß“, während es in den anderen Strophen nur heißt: „wußte [damals] nicht“ (V. 11, ähnlich V. 7).

In jeder Strophe redet die Mutter den Toten mit „Mein Sohn“ an (V. 1 usw.). Sie zählt dann Episoden auf, in denen sie ihren Sohn als SA-Mann erlebt hat: Sie hat ihm die Uniform geschenkt (V. 1. F.), hat ihn beim Hitlergruß (V. 5 f.) und beim Marschieren „hinter dem Hitler her“ (V. 9 f.) gesehen; sie hat sich nicht dagegen gestellt, dass er „ein braunes Hemd“ trug (V. 13 f.). Im zweiten Teil jeder Strophe bringt sie dagegen ihr heutiges Wissen zur Geltung: Sie hätte sich besser aufgehängt, statt ihm die Uniform zu schenken (V. 3 f.); sie weiß, dass dem mit Hitlergruß Grüßenden „die Hand verdorren muß“ (V. 8 – eine archaische Strafe wie im Gedicht „An die deutschen Soldaten im Osten“; als Beleg gilt die Bibelstelle 1 Könige 13,4, wo dem frevelnden König die Hand verdorrt bzw. erstarrt). In der dritten Strophe bezeugt sie ihr Wissen, dass der mit Hitler (in den Krieg) Ziehende nicht mehr zurückkehrt (V. 11 f.); und heute weiß sie ebenfalls, dass das braune Hemd, welches sie ihrem Sohn geschenkt hat, „dein Totenhemd“ war (V. 15 f.).

Die Strophen gehen also Schritt für Schritt vor und führen dabei in der Klage der Mutter zum Tod des Sohnes; dabei sind die Strophen ähnlich aufgebaut – die beste Voraussetzung, sie zu einem eingängigen Lied zu vertonen. Es reimen sich der 2. und 4. Vers jeder Strophe, was jeweils zwei Langzeilen ergibt; zweimal endet hinter dem 1. Vers ein Satz, zweimal nicht. Pro Vers gibt es drei Hebungen; nur im dritten Vers kann man immer vier Hebungen zählen, wodurch dieser Vers etwas beschleunigt zu sprechen ist: Es ist der Vers vom Nicht-Wissen. Die Sprache ist die Umgangssprache, einige Wörter sind am Ende um das auslautende –e verkürzt (hab, V. 1; hätt, V. 3; heut, V. 3; hätt, V. 4; hab, V. 14; heut, V. 15). Was als Gedicht eher einfach ist, ist zu einem Lied geworden, das eindringlich die Folgen der leichtfertigen, ahnungslosen Nazi-Gefolgschaft beklagt.

Vortrag

http://www.youtube.com/watch?v=2WmScgUGiE0 (Gisela May)

http://www.youtube.com/watch?v=-enycd0E12g&list=PLB00860B15EF51549 (Andrea Emonds)

http://www.youtube.com/watch?v=l4WXMNXfaes (Dorine Niezing)

http://www.youtube.com/watch?v=4YsIzWGbWic (gerappt)

http://www.youtube.com/watch?v=RtEVdkiAraw&playnext=1&list=PLB00860B15EF51549 (gesprochen, Dika Newlin?)

Sonstiges

http://www.antiwarsongs.org/canzone.php?id=4682&lang=it (italien. Übersetzung)

Brecht: Und was bekam des Soldaten Weib – Analyse

Und was bekam des Soldaten Weib…

Text

http://www.kampflieder.de/liedtext.php?id=13786

http://www.antiwarsongs.org/canzone.php?lang=it&id=2055

http://www.dartmouth.edu/~german/German2/Brecht.html

http://de.answers.yahoo.com/question/index?qid=20091213033629AAESoaU

http://www.lyrics59.com/Und-was-bekam-des-Soldaten-Weib-lyrics-1336760.html

Das Gedicht ist 1941/42 entstanden und im März 1942 in „Freies Deutschland“ (Mexiko) veröffentlicht worden; 1951 wurde es in „Hundert Gedichte“ unter die „Balladen“ aufgenommen. Im Stück „Schweyk im Zweiten Weltkrieg“ heißt es „Das Lied vom Weib des Nazisoldaten“; die Wirtin Kopecka singt es Schweyk vor. Vertont wurde es von Hanns Eisler, Kurt Weill und Paul Dessau.

Die acht volksliedartigen Strophen beginnen alle mit dem gleichen Vers „Und was bekam des Soldaten Weib“; danach werden im zweiten Vers sieben Städte und das Russenland durchdekliniert: Prag, Oslo, Amsterdam, Brüssel, Paris, Tripolis und Russenland: Das sind Stationen der deutschen militärischen Expansion von März 1939 bis 1941. Im dritten Vers wird jeweils berichtet, was die Frau zum Anziehen aus den fremden Städten bekam; vermutlich handelt es sich dabei um Raubgut, das ihr Mann wie auch andere Soldaten „mitgenommen“ hatten. Im vierten Vers wird der dritte variiert, wobei öfter die Freude der Frau am neuen Besitztum ausgedrückt wird. Im fünften Vers wird wiederholt: „Das bekam sie aus …“

Nur die achte Strophe weicht inhaltlich vom Schema ab; da wird berichtet, dass sie den Witwenschleier bekam – auch ein Kleidungsstück, aber keines aus dem Beutegut: eine Metapher für die Nachricht vom Tod ihres Mannes. Dieser Tod wird nicht kommentiert; aber jeder versteht, dass der Witwenschleier der Preis für die anderen Kleidungsstücke ist, dass die (bevorstehende) Niederlage in Russland die Strafe für die frechen Überfälle auf die anderen Länder darstellt: Das ist das, was Brecht mit dem Gedicht sagen will.

Es berichtet ein neutraler Erzähler, der in den vierten Versen manchmal personal erzählt (evtl. V. 9, sicher V. 14, 19, 24). Die Verse 2/5 und 3/4 reimen sich, indem das Reimwort jeweils wiederholt wird (umarmender Reim). Der Rhythmus des Gedichtes ist nicht einfach zu bestimmen. Ich schlage vor, für die ersten, dritten und vierten Verse jeweils vier Hebungen, für die zweiten Verse drei Hebungen anzunehmen. Die fünften Verse weisen kein rhythmisches, sondern ein inhaltliches Schema auf.

Die Vielzahl der Vertonungen und die große Präsenz im Internet zeigt den Erfolg dieses so einfach und um den Kontrast zwischen Strophen 1-7/8 (Geschenke/Witwenschleier) aufgebaute Gedicht als Lied hat.

http://www.studieportalen.dk/Opgaver/Und-was-bekam-des-Soldaten-Weib—Brecht-6899.aspx (schülerhaft)

http://www.isf-freiburg.org/isf/beitraege/pdf/bruhn-hitlers.volksstaat_rez-aly.pdf (Besprechung: Götz Aly, als historischer Hintergrund)

Vortrag

http://www.youtube.com/watch?v=1M-N7gw4rNg (Hanns Eisler)

http://www.youtube.com/watch?v=ul_JysG9KT4 (Eva Meier)

http://www.youtube.com/watch?v=eAJ7jJkUz3c (Mina)

http://www.youtube.com/watch?v=LftUtRXKl-k (Fenna Ograjensek)

http://www.youtube.com/watch?v=mqvPzW8RPN8 (Gisela May)

http://www.oirmusicas.com/mp3/hanns-eisler-und-was-bekam-des-soldaten-weib.html (mehrere)

http://www.youtube.com/watch?v=9SeKMij1x1s (Petra Chiba, vertont von Kurt Weill)

http://www.youtube.com/watch?v=r1Jg9O4shKo

http://www.youtube.com/watch?v=DJEIM0HPoAg&feature=PlayList&p=755BC637761228D2&playnext_from=PL&playnext=1&index=3 (Sabina Meyer)

http://www.youtube.com/watch?v=GvYWaoJPJRQ (Valeria Ventura)

http://www.youtube.com/watch?v=TV7t7B0f-64 (Maestro Wenarto)

http://www.youtube.com/watch?v=avrIPYraqtE (Gloria Sanchez)

Rezeption

http://www.wallstreet-online.de/diskussion/721482-1-10/und-was-bekam-des-soldaten-weib (Adaption an den Nahen Osten)

http://www.quergesang.de/upload/index.php?id=159 (Noten: Kurt Weill)

Brecht: An die deutschen Soldaten im Osten – Analyse

Brüder, wenn ich bei euch wäre…

Text

http://hhp-hangover.de/print.php?threadid=3178&page=5&sid=20c55f26aca3dd3af936c1173755ce59 (dort unter dem Datum 21.12.2009)

http://de.scribd.com/doc/7351084/AnDieDeutschenSoldatenImOsten (Umlaute durch Zeichenfolgen ersetzt)

Das Gedicht ist am 9. Januar 1942 entstanden und im März 1942 in der Zeitschrift „Alemania libre“ (Freies Deutschland) in Mexiko veröffentlicht worden; Brecht lebte seit 1941 in Südkalifornien. Die deutschen Truppen waren bei ihrem Vormarsch im Dezember 1941 kurz vor Moskau gestoppt worden; Anfang Januar 1942 begannen die sowjetischen Gegenoffensiven gegen die auf einen Winterkrieg nicht vorbereiteten Deutschen; Hitler hatte nämlich nur mit einem „Blitzkrieg“ gerechnet.

AUFBAU des Gedichts (1-11)

Teil I

* Brüder, wenn ich bei euch wäre, würde ich wissen:

Da ist kein Weg nach Hause mehr. Also muss ich sterben. (1) ZUKUNFT

* Brüder, wenn ich bei euch wäre, würde ich fragen:

Warum bin ich hierhergekommen? Weil ich ein Knecht war.

Also muss ich erschlagen werden, (2)

weil ich eingebrochen bin in ein friedliches Land; GRUND

darum muss ich sterben, wie eine Ratte, (3)

auf dass die Erde gereinigt werde ZWECK

und dass ein Exempel statuiert werde, (4, 5)

und ich werde nicht mehr sehen die Heimat FOLGE

und nichts mehr hören von ihr, (6)

sondern ich werde sterben, unvermisst,

und werde beseitigt als ein Dreck und Gestank. (7)

Teil II

* Brüder, wenn ich jetzt bei euch wäre, würde ich fühlen:

Ich habe anders als Hitler gewusst, dass der Krieg im Osten scheitern muss, VERGANGENHEIT

sodass wir alle vertilgt werden, (8, 9) ZUKUNFT

weil wir das dort mühsam Erbaute zerstören wollten. (10) GRUND

Teil III

– Die Nazis haben („1000 Jahre“) über Zerstörungen in der Sowjetunion nur gelacht, VERGANGENHEIT

– aber jetzt wird sich in der Welt herumsprechen, dass die Zerstörer des Neuen vernichtet sind. (11) ZUKUNFT

Kurzer Kommentar zum Aufbau:

Teil I ist in der Form persönlicher Rede an die deutschen Soldaten im Osten dem gewidmet, was jeder Soldat im Osten weiß; der Blick geht in die Zukunft. Wesentlich ist die Ich-Form: In dieser Form (als Reflexion, Gewissenserforschung) wird das persönliche Schicksal des einzelnen Soldaten ins Zentrum gerückt, werden die eigene Verantwortung benannt, die Folgen für jeden persönlich drastisch vor Augen geführt. – Das ist ein Unterschied zur NS-Ideologie: Du bist nichts, dein Volk ist alles (aber auch ein Unterschied zur Sowjetideologie!).

Teil II verbindet diesen Blick in die persönliche Zukunft mit dem Schicksal der anderen Soldaten (wir) und dem Wissen vom Scheitern, das bereits in der Vergangenheit vorhanden war (nur bei Hitler nicht). – Teil II ist eine verkürzte Variation von Teil I.

Teil III konfrontiert die Reaktion der Nazis auf die Zerstörungen in der Sowjetunion mit dem, was man in der Welt künftig darüber sagen wird.

* Alle weiteren Erklärungen und Analysen müssen in diesen großen Rahmen eingeordnet werden. Es folgen Detailanalysen:

(1) Dieser Teil lebt von dem Kontrast: Ich würde sagen (wie ihr): Sicher muss da ein Weg nach Hause sein /Aber ich würde wissen (wie ihr): Da ist kein Weg nach Hause mehr. – Begründung des Wissens (Weg zu weit, Mensch hält nicht ewig); Folgerung: Also muss ich sterben – als Räuber und Mordbrenner (wiederholt).

(2) Parallel zum Wissen (1) wird die Frage vorgetragen: Warum bin ich hierhergekommen? Wiederholt wird „Räuber und Mordbrenner“ (aus 1); als Grund des Kommens wird erkannt: „Nur weil ich ein Knecht war“; Wiederholung (aus 1): morden und brennen, gejagt und erschlagen werden.

(3) Land der großen Ordnung: Aufbau des Sozialismus unter Lenin, mit Beispielen. Am Ende der (Tier)Vergleich: sterben wie eine Ratte…

(4) „Daß von mir gereinigt werde / Das Gesicht der Erde, / Von mir Aussatz!“ Hier verbindet sich die Ich-Rede, welche die Einsicht jedes Soldaten formuliert (ab 1), mit einer „objektiven“ Sicht von außen, die für den einzelnen in ihrer Schärfe kaum zu akzeptieren wäre: „Räuber und Mordbrenner“ wird wiederholt und eingeschärft. – Damit stellt sich die Frage nach den Adressaten und dem Zweck des Gedichts: In Mexiko veröffentlicht, wird es kaum die deutschen Soldaten im Osten erreichen. Das Gedicht hat also eher den Zweck plakativer Anklage des Nazi-Regimes und in der Form der Gewissenserforschung des einzelnen Soldaten die Ankündigung des baldigen Untergangs der Deutschen Wehrmacht.

(5) Die drei daß-Sätze bezeichnen die Folge davon, dass so mit den Räubern und Mordbrennern (4) verfahren wird: Selbst ihre Frauen (Mütter) und Kinder sagen sich von ihnen los; die Erdhügel der Gräber verschweigen sie. – „Mütter und Kinder“ sind eine beliebte Figur der humanen Argumentation gegen politisch-militärischen Unverstand.

(6) Durch Aufzählungen wird umschrieben, was Heimat der Soldaten ist. Im zweiten Teil steht die Parallele nicht mehr sehen / nicht mehr hören, ferner die Parallele „und ich nicht und du nicht“.

(7) Hier ist ein Höhepunkt der Negativität des deutschen Soldaten: Zunächst die Aufzählung der Partizipien negierter Verben (ungeliebt…), dann das Aufatmen an der Grube des begrabenen „Schädlings“, mit einer Häufung negativer Namen (faulendes Fleisch, dürrer Strauch, Dreck, Gestank).

(8) Neuer Einsatz: Hier wird in Parallele zu (1, ich würde wissen) „ich würde fühlen“ eingeführt, das eigene sichere Wissen dem Unwissen des Führers konfrontiert, die Konsequenz aus dessen Unwissen benannt: dass wir alle vertilgt werden (hier erstmals „wir“ gegenüber dem bisher dominierenden „ich“).

(9) Aufzählungen, wo und wodurch wir vertilgt werden; Wiederholung „vertilgt werden“ (zu 8), weitere Aufzählungen führen Formel „Was hier gekommen ist, zu verwüsten / Was von Menschenhand errichtet wurde“ (Zweck des Kommens, Grund der Bestrafung).

(10) Der Grund der Bestrafung wird expliziert; Wechsel vom Präsens zum Präteritum und damit zur realen Welt, von der berichtet werden kann.

(11) Kontrast: Lachen der Nazis – künftige Rede „auf allen Kontinenten“: Die Strafen sind gerecht, weil der zertretende Fuß verdorrt, die zerstörende Hand abgehauen worden ist. Das sind archaische Bilder von gerechter Strafe, die die Zerstörer der neuen (wiederholt!) Sowjetwelt treffen.

Sonstiges

http://de.wikipedia.org/wiki/Kesselschlacht_bei_Smolensk Die große Schlacht im Herbst 1941, knapp 400 km vor Moskau, endete mit einem Sieg der Deutschen, aber wegen der starken Gegenwehr war der „Blitzkrieg“ gescheitert; Smolensk wird Station auf dem Rückzug sein.

Brecht: 1941 – Analyse

Auf der Flucht vor meinen Landsleuten…

Text

http://intranet.lsg.musin.de/0708/Bertold_Brecht

http://derbeo.tumblr.com/post/484353124/bertolt-brecht-1940 (dort Nr. VIII)

http://www.dradio.de/download/58436/ (dort S. 10)

http://kapitalismus.dudd.net/bertolt.html (links, 2. Gedicht)

Dieses Gedicht gehört als Nummer 8 oder VIII in den größeren Komplex „1940“, von dem beim vorhergehenden Gedicht die Rede war. Es ist 1941 entstanden; gedruckt wurde es 1949 in „Sinn und Form“. – Brecht lebte seit 1941 in Finnland.

„Gereimt wird heute meist nur noch für Familienfeiern («Dank allen Gratulanten, dem Onkel und den Tanten»), und das Versmass ist seit Bert Brecht aus der Mode gekommen. «Auf der Flucht vor meinen Landsleuten bin ich nun nach Finnland gelangt», berichtet Brecht. «Freunde, die ich gestern nicht kannte, stellten ein paar Betten ins saubere Zimmer.» Das ist Prosa, ungebundene Rede, weder dem Reim noch dem Rhythmus verpflichtet. Aber Brecht hat den Text «Gedicht» genannt und ihn so geschrieben:

Auf der Flucht vor meinen Landsleuten

Bin ich nun nach Finnland gelangt. Freunde,

Die ich gestern nicht kannte, stellten ein paar Betten

Ins saubere Zimmer.

Warum dieser erkünstelte Zeilenfall? Er ändert ja nichts am Prosacharakter. Er verlangsamt freilich die Lektüre und legt dem Leser nahe, nach Hintersinn zu grübeln. Das scheint dem Autor zu gefallen. Ohne all den Aufwand an Zeit, Phantasie und Sprachgefühl, den das Versmass und erst recht der Reim erfordern würde, heimst er einen Teil jenes Respektes ein, der aus dem optischen Eindruck, hier sei ein Gedicht entstanden, folgt.“ (Wolf Schneider: Sprachlese – Gedichte, die keine sind. In: NZZ Folio 03/98)

Das Gedicht wird öfter im Netz zitiert und findet auch seinen Platz in der Exillyrik. Was soll man zur „Interpretation“ sagen? 1. Auffällig ist, dass das lyrische Ich sich auf der Flucht „vor meinen Landsleuten“ befindet (V. 1); hier nehmen die Landsleute die Position ein, die sonst den Feinden zukommt.

2. Wenn man Europa als Haus betrachtet, versteht man die kleine Tür, die der Sprecher 1941 in Lappland sieht: eine Möglichkeit, den Nazis aus dem großenteils besetzten Europa zu entkommen.

3. Die siegreichen Landsleute, denen das Ich entkommen möchte, nennt es „Abschaum“; das sind die Nazis bzw. die von Nazis eingesetzte Militärmaschine „Deutsche Wehrmacht“. Abschaum ist laut Adelung „1) Eigentlich, was abgeschäumet worden, eine abgeschäumte Unreinigkeit; welche Bedeutung doch selten ist. 2) Figürlich, das schlechteste, schändlichste seiner Art. Der Abschaum des Witzes eines Zotenreißers. Er ist der Abschaum von allen bösen Buben.“

Eigentlich müsste man jetzt mit Wolf Schneider fragen: Was ist ein Gedicht?

http://www.lsg.musin.de/geschichte/Material/karten/web-ww2/Image2.jpg

http://oregonstate.edu/instruct/ger342/erwartet.htm

http://lyrik.no-ip.org/mediawiki/index.php/Was_ist_ein_Gedicht_(Laura_Riding)

http://de.wikipedia.org/wiki/Lyrik

http://heureka.kulando.de/gallery/9437/Friedrich_Hassenstein.doc

http://www.lyrik.ch/lyrik/poetik/poetik/gedicht.htm

Sonstiges

http://de.wikipedia.org/wiki/Lappland (Lappland)

http://www.lsg.musin.de/geschichte/Material/karten/web-ww2/Image2.jpg (Karte Europas, bis Juni 1941)

http://europa.eu/abc/maps/index_de.htm (Europa, heute)

http://bio.bwbs.de/UserFiles/File/PDF/DieDreissigerJahre.pdf (Nino Campagna: Die Dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts in Deutschland – Betrachtungen anhand der Lyrik Bertolt Brechts und von Texten Willy Brandts)

http://www.deutsch-gymnasium.de/fortbildung/Exillyrik/Anthologie.doc (Anthologie: deutsche Exillyrik)

http://anschauen.npage.de/berthold-brecht.html (Brecht’sche Gedichte zum Thema)

http://www.rezitator.de/3sat/autor/ (Sieben Folgen „Bertolt Brecht“ in Lutz Görners „Lyrik für alle“)