G. R. Weckherlin: Drunkenheit – Text, Erläuterungen, kurze Analyse

Georg Rodolf Weckherlin:

Drunkenheit

Kont ihr mich dan sunst gar nichts fragen,

ihr herren, meine gute freind,

dan was ich euch könd neues sagen,

wie stark und wa jetzund der feind?

ich bit, doch wollet mir verzeihen,

mit fragen nicht zu fahren fort,

dan sunsten will ich euch verleihen

kein einig wort.

 

Ich red nicht gern von schmähen, träuen,

10 von krieg, bronst, raub, unglück und not,

sondern allein, uns zu erfreuen,

von gutem wildbret, wein und brot.

den man der wein mit lieb entzündet

und das brot stärket ihm den leib,

daß er das wildbret besser findet

bei seinem weib.

 

So lang zu reden, lesen, hören,

und mit dem haupt, hut, knü, fuß, hand

gesandten, herren, könig ehren,

20 so lang zu sprachen an der wand,

so lang zu schreiben und zu reden

von Gabor, Tilly, Wallenstein,

von Frankreich, Welschland, Denmark, Schweden

ist eine pein.

 

Darum fort, fort mit solchem trauren,

daß man alsbald bedeck den tisch,

und keiner laß die müh sich dauren,

wan wein, brot, fleisch und alles frisch;

der erst bei tisch soll der erst drinken,

30 so, herren, wie behend? wolan!

schenk voll! die frau thut dir nicht winken.

nu fang ich an.

 

Ho! Toman, Lamy, Sering, Rumler,

es gilt euch! dieser muß herum!

ich weiß, ihr seid all gute tumler

und liebet nicht was quad und krum,

dan nur das, so man kaum kan manglen,

die weiber wissen auch wol was,

gedenkend alsbald an das anglen.

40 aus ist mein glas.

 

Nim weg von meinem ohr die feder,

gib mir dafür ein messer her;

ho, Schweizer, kotz kreuz, zeuch von leder

und Schweizer gleich streb nu nach ehr!

wolan, ihr dapfere soldaten

mit unverzagtem frischen mut

waget zu neu und freien thaten

nu fleisch und blut.

 

Feind haben wir gnug zu bestreiten

50 in dem vortrab und dem nachtrab;

nu greifet an auf allen seiten

und schneidet köpf und schenkel ab,

indem sich streich, schnit, biß vermischen,

und der nachtrab mag hitzig sein,

so ruf ich stets, euch zu erfrischen:

ho! schenk uns ein!

 

Sih, wie mit brechen, schneiden, beißen

dem lieben feind wir machen graus!

laß mich das spanfärlin zerreißen,

60 stich dem kalbskopf die augen aus.

so, so, wirf damit an die frauen,

die, wan sie schon so süß und mild,

doch könden hauen und auch klauen.

es gilt! es gilt!

 

Wan die soldaten vor Roschellen,

wan die soldaten vor Stralsund

die mauren könten so wol fällen,

als herzhaft wir zu dieser stund

nu stürmen wollen die pasteien,

70 ich sag: die stark wildbret pastet,

so würden sie nicht lang mehr freien

die beede stät.

 

Frisch auf, wer ist der beste treffer?

ha ha! frisch her! ho, ich bin wund!

das pulver ist von salz und pfeffer!

ho! die brunst ist in meinem mund!

doch sih, es hat euch auch getroffen;

zu löschen, muß es nicht mehr sein

gedrunken, sondern stark gesoffen.

80 so schenk nur ein!

 

Durch diesen becher seind wir siger!

so sauf herum knap, munder, doll!

drink aus! es gilt der alten schwiger!

ich bin schon mehr dan halb, gar, voll.

darum so laß den käs herbringen.

kom küß! so küß mich artlich! so!

laß uns ein lied zusamen singen!

hem hoscha ho!

Die Schwäblein, die so gar gern schwätzen,

90 in Thüringen, dem dollen land,

fräßen ein rad für eine bretzen

mit einem käs aus Schweizerland.

in unsrer hübschen frauen namen

Schwab, Schweizer, Thüringer, Franzos,

so singet frölich nu zusamen:

kom küß mich, ros!

 

O daß die Schweizer mit den lätzen,

die Schwaben mit dem leberlein,

die Welschen mit den frischen metzen,

100 die Thüringer mit bier und wein

in ihrer hübschen frauen namen

ein jeder frölich, frisch herum

sing, spring und drink, und allzusamen.

küß mich widrum!

 

Nu schenk uns ein den großen becher,

schenk voll! so! so! ihr liebe freind,

ein jeder guter zecher, stecher

so oft, als vil buchstaben seind

in seines lieben stechblats namen,

110 hie disen ganz abdrinken soll;

ich neunmal, rechnet ihr zusamen.

es gilt ganz voll.

 

Wol! hat ein jeder abgedrunken?

drei, fünf, sechs, siben, zehenmal?

ist dises käs, fisch oder schunken?

ist dises pferd grau oder fahl?

darauf ich schwitz? gib her die flaschen!

es gilt herr Grey, herr Gro, Gro, Groll!

so dise wäsch wird wol gewaschen!

120 seid ihr all doll?

 

Ho! seind das reuter oder mucken?

buff, buff! es ist ein hafenkäs

zu zucken, schmucken, schlucken, drucken.

warum ist doch der A. das gsäß?

pfui dich! küß mich! thust du da schmecken?

wer zornig ist, der ist ein lump!

hei ho! das ding die zähn thut blecken.

bump bidi bump.

 

Ha! duck den kopf! scheiß, beiß, meerwunder.

130 nu brauset, sauset laut das meer.

ein regen, hagel, blitz und dunder.

hei, von heuschrecken ein kriegsheer!

ho! schlag den elefanten nider.

es ist ein stork! ha, nein, ein laus.

glück zu! gut nacht! kom, küß mich wider.

das liecht ist aus.

 

Alsdan vergessend mehr zu drinken

sah man die vier, wie fromme schaf,

zu grund und auf die bänk hinsinken,

140 beschließend ihre freud mit schlaf.

und indem sie die zeit vertriben,

hat diesen seiner freinden chor

alsbald auf dise weis beschriben

ihr Filodor.

Georg Rodolf Weckherlin: Gedichte, Leipzig 1873, S. 166-170.

Andere Schreibweisen des Textes: https://lyrikgeschichte.files.wordpress.com/2013/05/weckherlin.pdf

https://www.reinhard-doehl.de/poetscorner/weckherlin3.htm

http://www.helmut-arntzen.de/lage-der-nation-19.htm

Erläuterungen:

Überschrift: Es gibt auch die Überschrift „Ode. Drunckenheit“.

verleihen (V. 7): umsonst bewillen, zukommen lassen

kein einig (V. 8) : kein einziges

träuen (V. 9): dräuen, drohen

bronst (V. 10): Zustand, da ein Körper von der Flamme verzehrt wird

knü (V.18): Knie

sprachen an der wand (V. 20): sich unterreden, ratschlagen.

Gabor (V. 22): Gabor Bethlen, Fürst von Siebenbürgen, im 30-jährigen Krieg Heerführer auf Seiten der Protestanten.

Tilly (V. 22): Johann Tserclaes Graf von Tilly (gest. 1632), Oberbefehlshaber des Heeres der katholischen Liga und Bayerns

Wallenstein (V. 22): Albrecht Wenzel Eusebius von Wallenstein (1583-1634), kaiserlicher Feldherr und Staatsmann

Welschland (V. 23): hier Spanien (?)

dauern (V. 27): Unlust empfinden, gereuen

der erst drinken (V. 29) als erster trinken

Toman, Lamy, Sering, Rumler (V. 33): vier Freunde Weckherlins in London

tumler (V. 35): ?

quad (V. 36): böse, verkehrt

V. 41: Die Schreibfeder klemmte man hinters Ohr; sie wegnehmen: den Beruf vergessen

Schweizer (V. 43): Toman (wohl auch Anspielung auf die Schweizergarde)

kotz kreuz (V. 43): ein Kraftausdruck

zeuch (V. 43): zieh!

vom Leder ziehen (V. 43): mach Ernst (das Schwert aus der Lederscheide ziehen)

Vortrab, Nachtrab (V. 50): Vorhut, Nachhut

spanfährlin (V. 59): Spanferkel

wirf damit an die frrauen (V. 61): jemanden „mit Augen anwerfen“ heißt ‚mit ihm liebäugeln‘

klauen (V. 63): kratzen.

Roschellen (V. 65): La Rochelle (Frankreich); 1628 von Kardinal Richelieu erobert

Stralsund (V. 65): 1628 von Wallenstein erfolglos belagert

pasteien (V. 69): Basteien (Befestigungen)

sie freien (V. 71): sich freuen

knap (V. 82): stattlich ?

schwige (V. 83):: Schwiegermutter

rad für eine bretzen (V. 91): eine Brezel so groß wie ein Rad

küß mich ros (V. 96): Rose, Rosa; Frauenname

V. 95: Rumler, Toman, Sering, Lamy (in dieser Reihenfolge, vgl. V. 33)

lätzen (V. 97): Hosenlätze.

metzen (V. 99): Mädchen, Huren; die Welchen müssten hier die Franzosen sein

stechblat (V. 109): Schutzvorrichtung am Degen, oft mit einer Inschrift (eigener Name) versehen

schuncken (V. 115): Schinken

mucken (V. 121): Mücken

hafenkäs (V. 122): Topfkäse

meerwunder (V. 129): Ungetüm

dunder (V. 131): Donner

stork (V. 134): Storch

Filodor (V. 144): Weckherlins Spitzname im Freundeskreis (?)

1. Ein Ich-Sprecher wendet sich an „Herren“ (V. 2), die seine guten Freunde sind; sie haben sich anscheinend bei ihm getroffen und schicken sich an, gut zu essen und zu trinken. Dazu fordert er sie, die er auch namentlich anspricht (V. 33) mehrfach auf.

2. Nach mehrfachen Aufrufen scheint mit der 6. Strophe das Essen zu beginnen. Der Sprecher lässt seine Schreibfeder gegen ein Messer austauschen und spricht im Anschluss daran vom bevorstehenden Essen als einem Krieg gegen die Speisen (V. 43 ff.). Er ruft auch zum gemeinsamen Singen (V. 87), zum Küssen (V. 96 ff.) und zum tatkräftigen Trinken (V. 105 ff. und öfter), sogar zum Saufen (V. 79) auf. Zum Schluss scheint die Stimmung völlig ausgelassen zu sein (V. 120 ff.), die Reden werden teilweise wirr (V. 121 ff.)., das Licht geht aus (V. 136). In der letzten Strophe erzählt der Sprecher, wie die Freunde anscheinend total betrunken eingeschlafen sind, während er das Gedicht geschrieben hat (V. 137 ff.). Der innere Aufbau des Gedichts ist an der Chronologie der Ereignisse des Abend orientiert.

Das Thema ist das gute Essen und Trinken im Kreis der Freunde, die sich ihres Lebens erfreuen und nicht mehr an den Krieg denken sollen. Die Erwähnung der Städte (V. 65) lässt darauf schließen, dass das Treffen 1628 oder kurz danach in England, also außerhalb des Kriegsgebietes stattgefunden hat.

3. Das Gedicht besteht aus 18 Strophen zu acht Versen, die im Kreuzreim miteinander verbunden sind. Der einzelne Vers besteht aus Jamben mit vier Füßen; die Verse mit ungerader Zählung weisen eine weitere Silbe auf (weibliche Kadenz), der letzte Vers jeder Strophe besteht aus zwei Jamben. Vor allem die Reime in den Versen mit gerader Nummer sind semantisch sinnvoll, zum Beispiel „freind / feind „(V. 2/4); mit Fragen fortfahren / kein Wort sagen (V. 6/8); „unglück und not / wein und brot“ (V. 10/12) usw.

Neben dem großen Bild vom Festessen als einem Krieg gegen die Speisen (ab V. 43) fällt noch ein kleines Wortspiel mit „wildbret, wein und brot“(V. 12 ff.) auf, wo die Frau als „wildbret“ des Mannes bezeichnet wird (V. 15. f.).

4. Die Barockgedichte sind oft vom Thema der Vergänglichkeit und dem sogenannten vanitas-Motiv bestimmt. Aber es gibt auch Zeichen der Lebensfreude, wie dieses Gedicht zeigt. Neben Weinliedern gab es in der Barockdichtung viele Trinklieder, zum Beispiel von Johann Christoph Haiden (1572-1617) „Salvete, lieben Fratres“, von Johann Hermann Schein (1586-1630) „Frisch auf, ihr Kloster-Brüder mein“, von Johann Wilhelm Moscherosch (1601-1669) „Alle Welt schreit: Zu den Waffen! Ich schrei: Juch zum Wein!“ u.a.

Weckherlins Leben:

https://de.wikisource.org/wiki/ADB:Weckherlin,_Georg_Rudolph

https://www.deutsche-biographie.de/sfz75070.html

https://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Rodolf_Weckherlin

Werke:

https://de.wikisource.org/wiki/Georg_Rodolf_Weckherlin (Übersicht)

https://archive.org/details/bub_gb_6WAZAAAAYAAJ/page/n5 (Gedichte, hrsg. von Karl Goedecke)

http://www.zeno.org/Literatur/M/Weckherlin,+Georg+Rodolf/Gedichte/Gedichte (Gedichte)

https://archive.org/details/bub_gb_AyZLAAAAcAAJ/page/n15 (Geistliche und weltliche Gedichte, 1648)

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/2/26/BLV_199_Georg_Rudolf_Weckherlins_Gedichte_Band_1.pdf?uselang=de (Gedichte, Bd. 1)

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/4/45/BLV_200_Georg_Rudolf_Weckherlins_Gedichte_Band_2.pdf?uselang=de (Gedichte, Bd. 2)

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/a/ae/BLV_245_Georg_Rudolf_Weckherlins_Gedichte_Band_3.pdf (Gedichte, Bd. 3)

Weckherlin: erklärung an etliche canzleiherren – Text und Analyse

Georg Rodolf Weckherlin:

Erklärung an etliche canzleiherren

1615.

 

Ihr herren, damit ich ja euch

nenn eben gleich

wie günstig ihr euch selbs intitulieret,

ihr, deren grob verderbtes blut

sich, gleichsam ab des fiebers wut,

ab meiner schrift erhitzet und gefrieret.

 

Ihr mischet teutsch, welsch und latein,

doch keines rein,

weil eure kunst ihr nicht gern wolt verhehlen,

10 und sprechet mit zu weiser schmach,

daß ich verderb die teutsche sprach,

weil fremde wort ich nicht, wie ihr, mag quälen.

 

Zwar wan man ja welsch reden soll,

so müst ihr wol,

daß besser ich, dan ihr, es red, gestehen;

kan also auch ein blinder tropf

nicht so vil witz in euerm kopf

als neid und haß in euern herzen sehen.

 

Demnach dan euers hirns gefahr

20 so offenbar,

warum solt ich in versen euch bedenken?

wär ich nicht kränker selbs, dan ihr,

und auch ein vernunftloses thier,

wan ich euch wolt mit schriften mehr bekränken?

 

Nein. Euer argwohn ist umsunst

und nur ein dunst,

der euch das hirn, so vorhin schwach, verletzet.

ich wär wie ihr, wan ich die hand,

für oder wider eure schand

30 zu schreiben, nur auf das papier gesetzet.

 

Dan würden alle weisen nicht

bald das gedicht,

das euch fuchsschwänzen wolt, verlachen?

wie dan euch schelten, wär auch kaum

ein weisers werk, dan einen baum,

der dürr und faul, noch fruchtbar wollen machen.

 

Wan ich die zeit schadlos vertreib

und frölich schreib,

so schreib ich doch nicht an, für, noch von allen,

40 und meine vers, kunstreich und wert,

die sollen denen, die gelehrt,

und nur, hoff ich, verständigen gefallen.

 

Zu köstlich und zu rein und frisch

für euern tisch

und magen seind die trachten meiner schriften;

den bauren taugt ein hafenkäs,

die pomeranzen seind zu räß,

damit sie sich wol förchten zu vergiften.

Ich will nicht die torechte müh,

50 so ich alhie,

jemals von euch zu schreiben ferners haben;

darum so gebt euch nu zu ruh,

ich sag euch bei den Musen zu:

von euch schreib ich kein einigen buchstaben.

 

Auch mir gebührt es freilich nicht

durch ein gedicht

euch, herren, euch und euer lob zu singen,

sondern dem der in hungersnot

mit starker stim ein stücklein brot

60 für euerm haus verhoft davon zu bringen.

Quelle: Georg Rodolf Weckherlin: Gedichte, Leipzig 1873, S. 134-136.

Sprachliche Erläuterungen:

canzleiherr (Überschrift): Die Kanzlei war die Behörde des Regenten, die den Schriftverkehr führte. Kaiser Maximilian führte eine eigene (oberdeutsche) Kanzleisprache ein, während Luther sich auf die Sächsische Kanzleisprache stützte.

ab (V. 5): vor, aus

welsch (V. 7): ausländisch (italienisch, auch französisch)

verhehlen (V. 9): verbergen

schmach (V. 10): herabsetzende Beleidigung

tropf (V. 16): einfältiger Mensch

witz (V. 17): Verstand

euers hirns (V. 19): für euer Hirn

bedenken (V. 21): über etwas nachdenken, beachten

dan (V. 22, beim Komparativ): als (noch selten noch „denn“)

bekränken (V. 24): kränken

vorhin (V. 27): vorher

wan (V. 28) wenn

fuchsschwänzen (V. 34): schmeideln, nach dem Mund reden

schadlos (V. 37): ohne Schaden zu bringen

tracht (V. 45): was als Frucht getragen wird

hafenkäs (V. 46): alter fauler Käse

pomeranzen (V. 47): Goldäpfel

räß (V. 47): scharf, herb

damit (V. 48): womit (oder Objekt zu „sich vergiften“)

torecht (V. 49): töricht

einig (V. 54): einzig

für (V. 60): vor

verhoft (V. 60): von „verhofen (?): Bedeutung unklar; die Vorsilbe „ver-“ bedeutet oft das Falsche, Schlechte, Unzweckmäßige; „des Hofs verwiesen“ (bezogen auf „dem…“) oder „weggeworfen“ (bezogen auf „brot“)?; oder „erhofft“?

1. Durch die Überschrift werden die Gegner ungenau identifiziert, gegen die sich der Ich-Sprecher wendet. Dieser kann hier mit dem Autor Weckherlin gleichgesetzt werden.

2. Es geht um die angemessene Sprache des Autors Weckherlin, in in den Ohren mancher Kanzleiherren unangemessen klingt: Sie verwenden eine gängige Bildungssprache (V. 7-9) und werfen Weckherlin vor, die „teutsche sprach“ zu verderben (V. 11), weil er deutsche Wörter gebrauche.

Dagegen wehrt Weckherlin sich sehr polemisch:

  • Ich beherrsche die Fremdsprache besser als ihr (V. 13-18).
  • Mit euch setze ich mich nicht einmal auseinander (V. 19-36 und V. 49-54).
  • Ich schreibe nur für vernünftige Menschen (V. 37-48).
  • Ich schreibe für den, dem eure Sprachprodukte nicht genügen (V. 55 ff.).

Das Thema ist der Streit um die Frage, wie weit Schriftsteller sich von der mit Fremdwörtern durchsetzten Bildungssprache zugunsten der deutschen Sprache lösen dürfen oder sollen.

3. Die Strophen stehen in einer kunstvollen Spannung zwischen Reimform, Verslänge und Satzbau. Die Verse bestehen aus Jamben zu 5, 2, 6, 4, 4, 5 Hebungen; dabei bilden die Verse 1 und 2 jeder Strophe einen Paareim, die Verse 3-6 einen umarmenden Reim. Die jeweils ersten drei Verse und die letzten drei sind ein Satz, der mit einer weiblichen Kadenz ausklingt – sonst haben wir immer männliche Kadenzen. Zusammen ergibt das ein lebhaftes Sprechen, das dem Zorn des Sprechers den nötigen Schwung verleiht.

Der Form nach argumentiert der Sprecher, aber im Wesentlichen beschimpft er seine Gegner und setzt sie als Idioten herab. Den Titel „Herren“ erkennt er ihnen nicht zu (V. 1-3); im Bild von Blut und Fieber wertet er sie als „verderbt“ ab (V. 4-6). Er wirft ihnen vor, sich mit ihren Kenntnissen brüsten zu wollen (V. 7-9), und benennt ihren Vorwurf (V. 10-12). Er prahlt damit, die fremdsprachen besser als sie zu beherrschen (V. 13-15), woraus sich ergibt, dass ihr vorwurf gegen ihn auf Neid und Hass beruhe (V. 16-18). Daraus folgert er, dass er sich mit ihnen nicht abzugeben brauche (V. 19 ff.), sie seien Schwachköpfe (V. 27); das ist ein innerer Widerspruch, da er sich ja die ganze Zeit mit ihnen befasst und bei seinem Gedicht die Hand aufs Papier gesetzt hat (V. 28-30). Mit dem Vergleich der Gegner mit einem dürren Baum (bzw. Vergleich des Scheltens der Gegner mit dem Versuch, einen verdorrten Baum fruchtbar zu machen, V. 34-36) schließt er diese Passage ab. Daraus ergibt sich logisch, dass er für Verständige schreibt, wie er anschließend kundtut (V. 37 ff.). Den Vergleich mit dem verdorrten Baum führt er in V. 43-45 fort: „Zu köstlich und zu rein und frisch / für euern tisch / und magen seind die trachten meiner schriften;“ er beschimpft sie indirekt als dumme Bauern (V. 46-48), für die seine Früchte (V. 45) zu schade sind. Im Zorn des Streitens wiederholt er den bereits geäußerten (V. 19 ff.) Schimpf, er setze sich mit ihnen nicht einmal auseinander (V. 49-54 und V. 55-57, vgl. V. 31-33). Er schreibe vielmehr für Leser, die solide Kost brauchten (V. 58-60).

Das Bild vom Gedicht als geistiger Nahrung beherrscht sachlich die Argumentation (V. 43 ff.), während vorher noch „gefallen (V. 42) als Kriterium des guten Gedichtes genannt wird.

4. Die Heftigkeit des Streits zeigt an, dass eine neue Zeit angebrochen ist, in der die deutsche Sprache in die Dichtung einzieht. Über diesen Hintergrund informiert der Artikel „Sprachgesellschaften im Barock“ im Lernhelfer Deutsch (https://www.lernhelfer.de/schuelerlexikon/deutsch-abitur/artikel/sprachgesellschaften-im-barock), allgemein die Übersicht „Literatur des Barock“ (https://www.lernhelfer.de/schuelerlexikon/deutsch-abitur/kapitel/46-literatur-des-barock oder https://de.wikipedia.org/wiki/Barockliteratur). Im Barock wird die deutsche Literatur neu begründet.

Leben:

https://de.wikisource.org/wiki/ADB:Weckherlin,_Georg_Rudolph

https://www.deutsche-biographie.de/sfz75070.html

https://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Rodolf_Weckherlin

Werke:

https://de.wikisource.org/wiki/Georg_Rodolf_Weckherlin (Übersicht)

https://archive.org/details/bub_gb_6WAZAAAAYAAJ/page/n5 (Gedichte, hrsg. von Karl Goedecke)

http://www.zeno.org/Literatur/M/Weckherlin,+Georg+Rodolf/Gedichte/Gedichte (Gedichte)

https://archive.org/details/bub_gb_AyZLAAAAcAAJ/page/n15 (Geistliche und weltliche Gedichte, 1648)

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/2/26/BLV_199_Georg_Rudolf_Weckherlins_Gedichte_Band_1.pdf?uselang=de (Gedichte, Bd. 1)

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/4/45/BLV_200_Georg_Rudolf_Weckherlins_Gedichte_Band_2.pdf?uselang=de (Gedichte, Bd. 2)

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/a/ae/BLV_245_Georg_Rudolf_Weckherlins_Gedichte_Band_3.pdf (Gedichte, Bd. 3)

Liebeslyrik Barock – Literatur des Barock

Methodisch:

1. Wenn man Liebeslyrik des Barock kennenlernen will, sollte man mit ein paar Beispielen beginnen; am besten liest man eines so oft (hier: Hoffmannswaldau), dass man es auswendig aufsagen und zitieren kann – dann kann man mit diesem andere Barock-Gedichte vergleichen! Für die beiden ersten Gedichte nenne ich auch jeweils zwei Analysen.

Martin Opitz: Ach liebste laß uns eilen

Ach liebste laß uns eilen
Wir haben Zeit
Es schadet das verweilen
Uns beyderseit.

Der Edlen Schönheit Gaben
Fliehen fuß für fuß:
Daß alles was wir haben
Verschwinden muß.

Der Wangen Ziehr verbleichet
Das Haar wird greiß
Der Augen Feuer weichet
Die Brunst wird Eiß.

Das Mündlein von Corallen
Wird umgestalt
Die Händ‘ als Schnee verfallen
Und du wirst alt.

Drumb laß uns jetzt geniessen
Der Jugend Frucht
Eh‘ wir folgen müssen
Der Jahre Flucht.

Wo du dich selber liebest
So liebe mich
Gieb mir das wann du giebest
Verlier auch ich.

Analyse: http://proudmary.beepworld.de/files/anaylseopitz.doc

und vor allem http://erlangerliste.de/barock/start2.html

Arbeitsanweisung dazu: http://www.teachsam.de/deutsch/d_literatur/d_litgesch/barock/opitz_txt_1.htm

 

Hoffmann von Hoffmannswaldau: Vergänglichkeit der Schönheit. Sonnet

 

Es wird der bleiche Tod mit seiner kalten Hand

Dir endlich mit der Zeit um deine Brüste streichen.

Der liebliche Korall der Lippen wird verbleichen;

Der Schultern warmer Schnee wird werden kalter Sand.

 

Der Augen süßer Blitz, die Kräfte deiner Hand,

Für welchen solches fällt, die werden zeitlich weichen.

Das Haar, das izund kann des Goldes Glanz erreichen,

Tilgt endlich Tag und Jahr als ein gemeines Band.

 

Der wohlgesetzte Fuß, die lieblichen Gebärden,

Die werden teils zu Staub, teils nichts und nichtig werden.

Dann opfert keiner mehr der Gottheit deiner Pracht.

 

Dies und noch mehr als dies muss endlich untergehen.

Dein Herze kann allein zu aller Zeit bestehen,

Dieweil es die Natur aus Diamant gemacht

 

Analyse: http://www.germanistik.unibe.ch/pdffiles/Musterklausur.pdf

http://www.michaelseeger.de/k2d/17_ss_vergaenglichkeit.doc

Dass der Tod mit seiner kalten Hand nach den Brüsten einer jungen Frau greift, ist ein Bild des Berner Totentanzes (Bild Nr. 18), vgl. https://www.seniorweb.ch/knowledge-article/zwischen-totentanz-und-bildersturm!

 

Johann Georg Greflinger (ca.1620 – ca.1677)

An eine vortreffliche, schöne und tugendbegabte Jungfrau 

 

Gelbe Haare, güldne Stricke, 


Taubenaugen, Sonnenblicke, 


Schönes Mündlein von Korallen; 


Zähnlein, die wie Perlen fallen, 

 

Lieblichs Zünglein in dem Sprachen*, 


Süßes Zürnen, süßes Lachen, 


Schnee- und lilienweiße Wangen, 


Die voll roter Rosen hangen, 

 

Weißes Hälslein gleich dem Schwanen, 


Ärmlein, die mich recht gemahnen 


Wie ein Schnee, der frisch gefallen, 


Brüstlein wie zween Zuckerballen, 

 

Ausbund aller schönen Jugend, 


Aufenthaltung aller Tugend, 


Hofstatt aller edlen Sitten: 


Ihr habt mir mein Herz bestritten!
 

*Sprachen: Mund (Wortschöpfung/Neologismus)

 

2. Danach kann man sich mit der Theorie der Liebeslyrik im Barock befassen. Dieses Thema kann man in größere Zusammenhänge einbetten: Liebeslyrik im Barock -> Lyrik im Barock -> Literatur des Barock -> Epoche Barock. In dem Sinn sind die folgenden Links genannt und geordnet, besonders wichtige sind fett gesetzt:

a) http://www.teachsam.de/deutsch/d_literatur/d_litgesch/barock/litge_barock_4_3_1.htm (Liebeslyrik Barock)

http://www.teachsam.de/deutsch/d_literatur/d_litgesch/barock/litge_barock_4.htm (Lyrik des Barock – Großseite, mit Textbeispielen)

http://www.teachsam.de/deutsch/d_literatur/d_litgesch/barock/litge_barock_0.htm (Literatur des Barock)

b) http://www.literaturwissenschaft-online.uni-kiel.de/veranstaltungen/ringvorlesungen/liebesdichtung_antike_barock/Liebeslyrik_Barock_Zusammenfassung.pdf (Liebeslyrik 17. Jh.)

http://www.literaturwissenschaft-online.uni-kiel.de/veranstaltungen/ringvorlesungen/liebesdichtung_antike_barock/Liebeslyrik_Barock_Folien.pdf (Folien zu: Liebeslyrik im 17. Jh.)

http://www.hoegy.de/wiki2/index.php/Lyrik/Barocke_Liebe (Liebesgedichte im Barock, Teil der Unternehmung „Lyrik“: http://www.hoegy.de/wiki2/index.php/Lyrik)

c) http://www.donat-schmidt.de/files/downloads/deutsch/textsammlung/barockgedichte.pdf (Barockgedichte – Beispiele)

http://wiki.zum.de/Lyrik_des_Barock (Lyrik Barock, allgemein – mit guten Links)

http://erlangerliste.de/barock/start2.html (Interpretation von Barock-Gedichten)

http://www.awg.musin.de/comenius/8_2_d_bar_lyrik.html (die barocke Lyrik: Referat)

http://www.ahg-ahaus.de/deutsch/barocklyrik.pdf (Barocklyrik – ausführlich, Auszug aus F. G. Hoffmann / H. Rösch)

http://www.digitale-schule-bayern.de/dsdaten/18/530.pdf (Barocklyrik – stark formal)

http://gedichte.xbib.de/literatur_epochen_barock.html (Barock, mit Autoren, Gedichten und literarischen Formen)

d) http://de.wikipedia.org/wiki/Barockliteratur (Barockliteratur – allgemein)

http://blog.zeit.de/schueler/2012/02/16/thema-literatur-des-barock-1600-1720/#dossier (Literatur des Barock, mit Links zu Textbeispielen)

e) https://de.wikipedia.org/wiki/Barock (Barock insgesamt)

http://www.pohlw.de/literatur/epochen/barock.htm (Barock allgemein)

http://www.literaturwelt.com/epochen/barock.html (Barock, mit einigen Gedichten von einigen der „Vertreter“ des Barock)

Literatur bzw. Lyrik des Barocks

Ich möchte hier einige Beobachtungen ausführen, die es vielleicht möglich machen, dass Schüler über die simplen Schlagwörter der vanitas („alles ist vergänglich“), des entgegengesetzten „carpe diem“ und vielleicht noch der blind waltenden Fortuna hinauskommen. Ich stütze mich dabei ausschließlich auf die Gedichte in der Anthologie Conrady: Das Buch der Gedichte, neu hrsg. von Hermann Korte (2006). – Eigentlich müsste die Überschrift „Zur Dichtung des Barocks“ heißen, weil auch nichtlyrische Gedichte berücksichtigt sind.

1. Naturlyrik oder Gebet?
Der dtv-Atlas bietet einen guten Überblick über die Literatur des Barocks; am Beispiel von Gryphius‘ „Morgen Sonnet“ (einige Versuche, den Text heute zu präsentieren:
http://www.sternenfall.de/Gryphius–Morgen-Sonett.html
http://mdzonline.de/lyrik/gr-morgensonnet-t-txt.htm
http://www.sonett-archiv.com/gh/Gryphius/TAGESZEITEN.htm
http://www.sternenfall.de/wb–Gryphius–e.html : ein Arbeitsmittel!)
soll aufgezeigt werden, dass die strenge Einteilung in verschiedene Kategorien, wie sie der dtv-Atlas vorgibt, jedoch nur mit Vorsicht zu gebrauchen ist.
Zunächst scheint der Sprecher in der Situation eines ganz frühen Morgens zu stehen, wie die Adverbien „nun“ (V. 1, 6) und „schon“ (V. 5) zeigen, dessen Anzeichen („der Stralen Pracht“, V. 6) er begeistert beschreibt. Dann wendet er sich unvermittelt an Gott mit der Anrede „O“ (V. 7) und bittet darum, von IHM erleuchtet zu werden (V. 8); damit ist eine Wende erreicht bzw. scheint der „Sinn“ der Naturbeschreibung mit ihren Lichtphänomenen eingeholt zu sein: Vom Licht des neuen Tages kommt der Sprecher metaphorisch zur Erleuchtung des Menschen:
„Erleuchte den / der sich itzt beugt vor deinen Fuessen!“ (V. 8)
In den folgenden Versen der Terzette wird mit mehreren Bitten umschrieben, was das heißt: Vertreibe die Nacht der Seele, die Finsternis des Herzens; Erquicke mein Gemüt, stärke mein Vertrauen (V. 9-11); und im letzten Terzett wird dann dieser Tag jenem (letzten) Tag gegenübergestellt und unter die große Bitte „Gib“ zusammengefasst: in Gottes Dienst heute, dereinst ewige Schau des göttlichen Lichtes („mein Sonn, mein Licht“ (V. 14).
„Licht“ (vs. Finsternis) ist eine alte religiöse Metapher; aus der biblischen Tradition seien die beiden folgenden Sätze genannt: „Der Herr ist mein Licht und mein Heil“, sagt der Beter (Ps 27,1); der johanneische Christus sagt sogar: „Ich bin das Licht der Welt“ (Joh 8,12). Auch „erleuchten“ ist seit der Luther-Bibel als Metapher bekannt („Da ward mein Seel erleuchtet“, Sir 51). Zur Metapher „Licht“ vgl.: http://www.licht-hamburg.de/programm/vortrage
http://baseportal.de/cgi-bin/baseportal.
http://www.norberto42-2.blog.de/2005/07/
Da im zweiten Teil des Sonetts eindeutig die Licht-Metaphorik und die Anrede Gottes im Vordergrund steht, könnte man darüber streiten, ob hier eher ein Gebet oder ein „Naturgedicht“ vorliegt – oder ob das überhaupt eine Alternative ist: Vielleicht liegt ja beides vor, vielleicht auch ein Übergang vom einen zum andern. [Wie groß die Differenz zur Aufklärung ist, versteht man, wenn man bedenkt, was für ein Licht im 18. Jh. leuchten soll!]

Ähnliches könnte man zu Gryphius‘ Gedicht „Abend“ (1650) sagen, nur dass hier eben das Licht verfällt (V. 6), dass für das ganze Leben die Metapher der Rennbahn eingeführt wird (V. 8 – vorher „der Glieder Kahn“, d.i. Leib auf der Fahrt zum Hafen als dem Ziel, V. 5); Gott wird als der mit dem ewig-hellen Glanz angesprochen (V. 9 ff.) und gebeten, am letzten Tag bzw. am Abend des Lebens den Beter zu erretten:
„So reiß mich aus dem Thal der Finsternueß zu dir.“ (V. 14) Hier haben wir „Finsternis“ als Kontrast zum Licht und „Abend“ als Metapher des Lebensendes. – Eigenwillig gegenüber unserem Sprachgebrauch ist die Deklination „die Port“ (der Hafen).
(Text: s.o. „TAGESZEITEN“ sowie
http://www.dinlilleavis.dk/tndr_net/main/DLA/poesi/gry_a06.html
http://www.mdzonline.de/lyrik/gr-abend-t-wiss.htm (Interpretation)
http://www.teachsam.de/deutsch/d_ubausteine/aut_ub/gry_ub/gry_txt_3_ub_4_1.htm (ebenso)
Ähnliches gibt es in einer Reihe weiterer Gedichte, sodass wir doch ein klar benennbares Phänomen vor uns haben: Naturerlebnisse führen zu Gott hin, wenn sie in ihrem metaphorischen Sinn verstanden werden; in der Analogie, würde der Theologe sagen, ist die Welt voller Zeichen oder Spuren Gottes; man vergleiche
Catharina Regina von Greiffenberg: Auf die fruchtbringende Herbstzeit;
Paul Gerhardt: Abendlied (Vorlage für Matthias Claudius‘ Abendlied!);
Christian Knorr von Rosenroth: Morgenandacht;vgl. auch die Analyse von P. Gerhardt: Abendlied (1667), hier in dieser Kategorie!
Bei Barthold Heinrich Brockes (1680 – 1747) schiebt sich die Wahrnehmung der Natur schon stark in den Vordergrund: Das Gedicht „Die Nachtigall und derselben Wettstreit gegeneinander“ hat mit der Nachtigall ein neues Sujet und nur zum Schluss, beinahe formal einen Aufruf zum Gotteslob (V. 65 ff.; ähnlich „Kirschblüte bei der Nacht“, V. 29 ff.). Grimmelshausens Gedicht „Komm, Trost der Nacht, o Nachtigall“ (1669, vielleicht eine Anregung für Brockes‘ Gedicht von 1727?) ist eine Aufforderung an die Nachtigall, ihre Stimme zum Gotteslob zu erheben.

2. Politische Gedichte
Diese Kategorie ist nicht stark ausgebildet, obwohl der große Krieg (1618-1648) genügend Anlass zu politischen Überlegungen geboten hätte. Am auffälligsten ist Georg Rudolf Weckherlin: An das Teutschland (1641, siehe http://www.sonett-archiv.com/vz/Weckherlin.htm); dieser Aufruf (im Sinn von: Deutschland, erwache!) ist ein moralischer Appell:
„Zerbrich das schwere Joch…,
Gebrauch dein altes Herz…,
Straf nu die Tyrannei…“ im Vertrauen auf Gott, im Verein mit den Fürsten; ernüchtert hat Georg Herwegh zweihundert Jahre später Deutschland ironisch aufgefordert, weiter zu schlafen – der Glaube an Gott und die Fürsten war ihm abhanden gekommen.
Nach dem Krieg ist Johann Klajs „Teutschland betet“ (1650) erschienen; der Sprecher wendet sich an Gott und die „hohen Potentaten“, endlich Frieden zu machen; die letzten vier Strophen sind von Klagen über die Verluste erfüllt, die man in den letzten dreißig Jahren erlitten hat.
Eine reflektierte moralische Kritik nicht nur am Krieg, sondern auch an Politikern und den höfischen Leben bietet Friedrich von Logau (1604 – 1655), der viele Epigramme verfasst hat. „Abgedankte Soldaten“ und „Des Krieges Buchstaben“ (ein Akrostichon) stellen den Krieg bloß; in „Heutige Weltkunst“ und „Ein Hofemann“ kritisiert er das politische Leben allgemein. Die Töne des Gedichts „Ein Hofemann“ (1654) tauchen ziemlich genau 100 Jahre später fast identisch bei Lessing in Fabeln wieder auf.
Eigenwillig und schwer zu charakterisieren ist Grimmelshausens Gedicht „Du sehr-verachter Bauren-Stand / Bist doch der beste in dem Land…“ (1669). In den ersten acht Strophen wird also der Bauernstand in seiner Bedeutung für die Allgemeinheit herausgestellt; in den beiden letzten Strophen wird die Tatsache, dass die Bauern oft von Soldaten ausgeraubt wurden, ironisch als gut bewertet – der Soldaten böser Brauch diene den Bauern zum Besten, da sie so nicht hochmütig würden. Nur indirekt kann man dieses Gedicht ein politisches nennen.

Warum gibt es trotz schweriger Lage im Barock so wenige politische Gedichte? Die erlittenen Leiden wurden in der Klage über die Vergänglichkeit und im Vertrauen auf den ewigen Gott ertragen, zumindest in den Gedichten; die Frömmigkeit hat sich bei Angelus Silesius in eine derart hohe Mystik gesteigert, dass alles Irdische einfach bedeutungslos ist. Von seinen mystischen Epigrammen sei eines zitiert:
Der Mensch ist Ewigkeit
„Ich selbst bin Ewigkeit, wenn ich die Zeit verlasse
Und mich in Gott und Gott in mich zusammenfasse.“
Auch Friedrich Spee und Paul Gerhardt („O Haupt voll Blut und Wunden“, 1667; das Lied wird heute noch gesungen) seien als bedeutende Autoren religiöser Lieder und Gedichte herausgehoben.
Eigenwillig ist Daniel Czepkos Gedicht „Spiele wohl! Das Leben ein Schauspiel“ (erste Ausgabe 1930); in der Metapher vom Welttheater drückt sich ein distanzierter Blick auf das Geschehen aus. Auch hier ist „der wunderbare Gott“ derjenige, welcher den Schauplatz aufmacht (und schließt, V. 9 f.) und „dein Jesus“ derjenige, welcher den Menschen abzutreten ruft (V. 16)

3. Gelegenheitsgedichte
Damit ist gemeint, dass manche Gedichte zu ganz bestimmten Anlässen verfasst wurden und nicht allgemein die Situation des Menschen darstellen, obwohl mit diesem Anlass auch allgemeine Überlegungen verknüpft werden – anders kann man ja über Anlässe nicht sprechen:
Simon Dach: Bei hochzeitlicher Ehren-Freude Herrn Reinhold Nauwercks… (1638)
Paul Fleming: Auf den Tod eines Kindes (1666)
Paul Fleming: Herrn Pauli Flemingi Grabinschrift… (1641)
David Schirmer: Als seine Marnia gestorben (1657)
Andreas Gryphius: Grab-schrift Marianae Gryphiae seines bruders Pauli töchterlein (1663)
Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau: Auf den Einfall der Kirchen zu St. Elisabeth (1695)
Es überwiegen also die traurigen Anlässe, ein Gedicht zu schreiben; möglicherweise zeigt dies aber auch, dass der Anlass gelegentlich halbfiktiv ist – ähnlich erscheint mir der von Johann Christian Günther geschaffene Typus der Überschrift „Als er…“ (Als er sie seiner beständigen Treue versicherte u.a.).

4. Das Thema „Zeit“
An diesem Thema bin ich persönlich interessiert – es kann noch weniger als die drei anderen als „repräsentativ“ für die Barockgedichte gelten; ich will mit meinen Hinweisen ohnehin nur zeigen, dass es abseits der vom dtv-Atlas gebahnten Pfade allerlei zu sehen gibt.
Der Hintergrund der wenigen expliziten Zeitreflexionen ist einmal der ständige Bezug auf die Ewigkeit, welche der erfahrenen Vergänglichkeit gegenübersteht. In dieser Perspektive wird der Mensch als „das Spiel der Zeit“ (Gryphius: Es ist alles eitel, V. 10) bezeichnet. In Czepkos Schauspiel-Gedicht wird diese Spiel-Metapher aufgegriffen (V. 1); die fünfte Frage heißt dann:
„Wer heißt auf das Gerüst uns treten? Selbst die Zeit.“ (V. 5)
Die gläubige Hinnahme der Vergänglichkeit wird in einem Gedicht Friedrich von Logaus reflektiert: „Das Beste der Welt“; dem Sprecher gefällt am meisten, „Dass die Zeit sich selbst verzehret / Und die Welt nicht ewig hält“ (V. 3 f.). In der Mystik antwortet darauf das schon erwähnte Epigramm „Der Mensch ist Ewigkeit“ (Angelus Silesius).
Eine paradoxe Zeit-Reflexion bietet wiederum Angelus Silesius:
Die Zeit, die ist nicht schnell
„Man sagt, die Zeit ist schnell. Wer hat sie fliegen sehen?
Sie bleibt ja unverrückt im Weltbegriffe stehen.“
Hier wird einmal die metaphorische Sprache aufgegriffen und gegen den Begriff der Zeit ausgespielt, dieser aber auch gegen die metaphorisch formulierte tägliche Erfahrung der dauernden Veränderungen.
Eine große Reflexion stellt Flemings Gedicht „Gedanken über der Zeit“ dar (http://www.philos-website.de/index_g.htm?autoren/fleming_paul_g.htm~main2), in der er teilweise das Niveau der Kant‘schen Zeit-Philosophie erreicht.

Ach ja, und wer noch mehr Barockgedichte lesen will, der wird die Quellen schon zu finden wissen, angefangen beim großen Conrady über „Epochen der deutschen Lyrik“, Bd. 4 und 5, bis zur Sammlung von Eberhard Haufe: Deutsche Gedichte des 17. Jahrhunderts.
Die am leichtesten greifbare Sammlung von Interpretationen zu Barcokgedichten ist Bd. 1 der Sammlung „Gedichte und Interpretationen“, hrsg. von Volker Meid, Reclam 1982, S. 124 ff. (insgesamt zu 24 Gedichten).

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Ausgangspunkt war folgender kleine Aufsatz:

Unter dem Stichwort „Barock“ behandelt ein Konversationslexikon (Meyers großes Taschenlexikon, 6. A. 1998) die Aspekte: Namen, Epoche allgemein, Baukunst, Bildhauerkunst, Malerei, Dichtung, Musik, Philosophie, Mathematik, Naturwissenschaften. Zu diesen Aspekten solltest du je einen Namen kennen (dort weitersuchen!).
Zur Literatur des Barock schaut man nicht in die Encarta, weil die Informationen dort zu unspezifisch oder unsortiert sind; vielmehr schaut man in eine Literaturgeschichte. Die „Deutsche Literaturgeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart“, hrsg. von Wolfgang Beutin u.a., 3. Auflage 1989, stellt zunächst Deutschland im 17. Jahrhundert vor (30-jähriger Krieg; Absolutismus: Erstarken der Fürsten gegen das Reich und die Bürger; bürgerliche Gelehrte als Staatsdiener; Juden- durch Hexenverfolgung ersetzt).
Die Dichtung ist Gesellschaftsdichtung, sollte sowohl erfreuen als auch nützen, sollte zur Tugend oder zur Einsicht führen; die Dichter waren hauptberuflich Gelehrte. 1617 wurde die erste deutsche Sprachgesellschaft gegründet, die „Fruchtbringende Gesellschaft“; sie stand Adeligen wie Bürgern offen und sollte die anständigen Sitten ebenso wie den Gebrauch der deutschen Sprache pflegen. Ihrem Beispiel folgten viele andere; Lesegesellschaften oder öffentliche Bibliotheken gab es noch nicht.
Die Sprache der Dichter und Gelehrten war Latein, daneben gab es eine volkstümliche deutsche Literatur. In den führenden europäischen Ländern gab es inzwischen Literatur in der Nationalsprache. 1624 veröffentlichte Opitz sein „Buch von der Deutschen Poeterey“, worin er nicht nur bestimmte Gedichtformen empfahl, sondern auch Jambus und Trochäus als die besten Versmaße festschrieb; er entdeckte das Gesetz von der Bedeutung der Wortbetonung (statt Silbenlänge) und empfahl die Übereinstimmung von Vers- und Wortakzent. – Auf dem Land und bei den Anlässen des praktischen Lebens lebte natürlich die alte Volksdichtung weiter.
Dichtung dient also einem Zweck und gehorcht damit den Kategorien der Rhetorik; der Dichter stellt sich in den Dienst einer Sache; es geht nicht um die Verarbeitung von Erlebnissen des Subjekts Dichter, sondern um Dichtung nach Regeln zu Zwecken im Rahmen bekannter Muster. In den Sonetten sind die beiden letzten Verse oft ein sich geschlossener Sinnspruch (Epigramm), etwa in Flemings Gedicht „An sich“. Das Sonett steht in hoher Blüte, aber es gibt auch andere Gedichtformen. Oft folgt es dem dreiteiligen Aufbau des Emblems: Überschrift – Bild (Text) – Epigramm.
Wenn du in eine Gedichtsammlung (Anthologie) deutscher Gedichte schaust, etwa in die von Karl Otto Conrady, solltest du Gedichte von Gryphius, Greiffenberg, Fleming, Friedrich Spee, Paul Gerhardt, Angelus Silesius, Kuhlmann, Logau, Hoffmannswaldau zur Kenntnis nehmen.
Das Theater ist noch nicht so entwickelt, dass ihr es kennen müsstet. Als Roman ist „Der Abenteuerliche Simplicissimus Teutsch“ von Grimmelshausen (1669) so bedeutsam, dass ihr eine Inhaltsangabe im KLL oder einem Romanführer lesen solltet. Defoes „Robinson Crusoe“ gehört ebenso wie spanische Pikaroromane in die Epoche.
http://www.teachsam.de/deutsch/d_literatur/d_litgesch/barock/litge_barock_centermap.html

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Darauf  folgte dieser Beitrag zur Barockliteratur (mit aktualisierten Links):

Hier soll ein kurzer Überblick mit vielen Links zur deutschen Literatur des Barocks gegeben werden, dazu ein paar Hinweise auf die Epoche insgesamt.

Wenn man sich nicht im Netz über „Barock“ informieren will oder kann, langen für den Hausgebrauch die beiden Bücher dtv-Atlas Deutsche Literatur (ich habe die 8. Aufl., 1999) und Duden: Literatur. Basiswissen Schule (im Netz früher greifbar unter www.schuelerlexikon.de) als zusammenhängende Darstellungen; beim Schülerduden Literatur (4. Aufl. 2005) muss man halt blättern.

Der dtv-Atlas „Deutsche Literatur“ behandelt folgende Stichworte (S. 108 ff.):
* Polit. Geschichte des 17. Jh.
* Absolutismus: Untertanenfeindlichkeit und Chance des Bürgertums
* Die Kunstepoche des dt. Barock
* Die Sprachgesellschaften
* Ursprünge einer dt. Poetologie [dazu Martin Opitz: Buch von der Deutschen Poeterey]
* Martin Opitz
* Barockroman
* Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen
* Musikerromane
* Wurzeln des Barockdramas
* Schwerpunkte der barocken Dramenkunst [u.a. mit der Ständeklausel]
* Schäferdichtung im 17. Jh.
* „Petrarkismus“ in Deutschland
* Weltliche Lyrik im 17. Jahrhundert
* Geistl. Lyrik
* Emblem, Apophthegma, Bilderlyrik
* Satire und Zeitkritik
* Zeitungswesen und Feuilleton
(Ich zähle diese Stichworte auf, damit man sieht, welchen Fragen man nachgehen könnte.)

Im Internet findet man unter „Barockliteratur“:

http://de.wikipedia.org/wiki/Barockliteratur
http://de.wikipedia.org/wiki/Kategorie:Barock_(Literatur)

http://webs.schule.at/website/Literatur/literatur_barock.htm

http://www.literaturwissenschaft-online.uni-kiel.de/veranstaltungen/vorlesungen/17Jhdt/03042006F.pdf

http://www.fundus.org/pdf.asp?ID=7744

http://blog.zeit.de/schueler/2012/02/16/thema-literatur-des-barock-1600-1720/
http://www.pohlw.de/literatur/sadl/barock/barock.htm
http://www.teachsam.de/deutsch/d_literatur/d_litgesch/barock/litge_barock_0.htm
http://www.xlibris.de/Epochen/Barock/Barock1.htm
http://www.lehrer.uni-karlsruhe.de/~za874/homepage/barock.htm (knapp!)
http://www.literaturwelt.com/epochen/barock.html
http://www.buch.de/buch/schlagwort/barock_literatur_buch_3.html (Bücher zum Thema, also eher für Studenten oder Lehrer)
http://lbs.hh.schule.de/welcome.phtml?unten=/faecher/deutsch/epochen/barock/
http://www.bhak-bludenz.ac.at/literatur/barock/poeterey.asp
http://www.fgs.snbh.schule-bw.de/uproj/barock/Sonett.htm
http://www.referate10.com/referate/Epochen/1/Der-Barock-reon.php

Die deutschen Sprachgesellschaften
Vielleicht ist einmal interessant, seinen Blick auf diese Vereine zu lenken, in denen sich Menschen zusammenfanden, um für die Reinerhaltung der Muttersprache und die Entwicklung einer eigenen deutschen Poetik zu wirken, und nicht nur deren Werke zu betrachten; Menschen, das waren Adelige und bürgerliche Gelehrte, welche teilweise in mehreren dieser Gesellschaften Mitglieder waren. Die Idee dazu hatte Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen, der im Jahr 1600 Mitglied der entsprechenden „Kleie-Akademie“ in Florenz geworden war. – Man sollte auch darauf achten, wo diese Gesellschaften beheimatet waren (aufgezählt nach dem Gründungsjahr):
1617 Weimar: Fruchtbringende Gesellschaft (Palmenorden);
1633 Straßburg: Aufrichtige Tannengesellschaft;
1642 Hamburg: Teutschgesinnte Genossenschaft;
1644 Nürnberg: Pegnitzschäfer;
1660 Lübeck: Elbschwanenorden;
1677 Leipzig: Deutschübende Poetische Gesellschaft;
der dtv-Atlas „Deutsche Literatur“ nennt außerdem den Heidelberger Dichterkreis (um 1600: Schede, Zincgref, Weckherlin) und den Königsberger Kreis (1630: Dach, Albert).
Vgl. im Internet:
http://de.wikipedia.org/wiki/Sprachgesellschaft
http://barockerlebnis.jimdo.com/literatur-im-barock/sprachgesellschaften/
http://www.lahrer-hinkender-bote.de/art64.html
http://www.uni-bielefeld.de/lili/personen/useelbach/STUD/Sprachreform17.ppt
http://unterrichtsprojekt.net/barock/sprachgesellschaften-und-ihre-ziele/
http://www.pohlw.de/literatur/sadl/barock/sprachge.htm
http://sprache-werner.info/Wie_die_Passion_zur_Leidenschaft.3563.html
http://universal_lexikon.deacademic.com/303953/Sprachgesellschaften http://www.stiftungds.de/tradition.php (heute!)

Einige Gedichte, die dem Thema „deutsche Sprache“ gelten:
G. R. Weckherlin: Erklärung
Jacob Creutz: Lobgedicht auf D. Zincgrefens Teutsche Klugreden
J. M. Moscherosch: „Fast jeder Schneider / Will jetzt und leider…“
J. M. Schneuber: An den Chorion, als derselbe der deutschen Sprach Ehrenkranz ausgehen ließ
(unbekannter Verfasser:) Wehe-Klag des alten Teutschen Michels über die alamodische Sprachverderber