Th. Mann: Der Zauberberg – zum zweiten Mal gelesen

In den letzten beiden Wochen habe ich Thomas Manns Zauberberg zum zweiten Mal gelesen; von der ersten Lektüre 1995 hatte ich fast gar nichts mehr behalten. Es ist ein eindrucksvoller Roman, zu dem es eine Menge Inhaltsangaben, Interpretationen und Untersuchungen gibt, so dass ich überfordert wäre, etwas Neues zu schreiben; ich habe im Wikipedia-Artikel einen Satz hinzugefügt und unter „Diskussion“ meine Kritik an zwei Behauptungen zum Zeit-Thema dort festgehalten.

Ich möchte ausdrücklich auf das hinweisen, was Hans Castorp über das Leben im Unterschied zum Toten denkt („Was ist das Leben? …“, im Abschnitt „Forschungen“), was für mich wichtiger war, als es gemeinhin dargestellt wird. Auch Castors Selbstbild, das er im Gespräch mit Peeperkorn zeichnet („Ich bin seit langer Zeit hier oben…“, im Abschnitt „Mynheer Peeperkorn (des weiteren)“), verdient Beachtung.

„Der Zauberberg“ ist ein großer Roman, ein Zeitroman, den man mit einer einzigen Lektüre nicht erschöpft, lebenswert, zumal da die Zeit selber ans Geheimnis unseres Lebens rührt.

https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Zauberberg (umfangreich)

https://www.mythos-magazin.de/methodenforschung/ap_zauberberg.pdf (A. Petelin: Philosophische Bezüge in Thomas Manns Roman Der Zauberberg:

„Er [Nietzsche] begreift das Dionysische als den Lebensprozess selbst, als Wechsel von Werden und Vergehen, das eine gleichsam schöpferische wie destruktive Kraft darstellt. Im Rückbezug auf HERAKLIT verweist er auf das den Krieg als ein typisches Phänomen für das Hervorbrechen dionysischer Energien. Zivilisationen als Produkt des Apollinischen erscheinen ihm dementsprechend als Bollwerke gegen diesen endlosen Vernichtungskampf. Institutionen, Rituale und Sinngebungen dienen der Repräsentation der dionysischen Energien, die durch sie sowohl sublimiert, als auch angezapft werden. Das Dionysische und das Apollinische sind insofern antagonistische Prinzipien, die einander dennoch wechselseitig bedingen, denn erst durch ihr Zusammenspiel gelangen Kulturen zu ihrer Blüte. (…)

Im Folgenden soll nun untersucht werden, in welchem Ausmaß THOMAS MANN durch den Rückgriff auf die Kulturphilosophie FRIEDRICH NIETZSCHES und die ihr zugrunde liegenden Prinzipien des Apollinischen und Dionysischen das Beziehungsgeflecht zwischen der Handlung, den Figuren und Schlüsselmotiven des Romans herstellt. Vorweg sei darauf hingewiesen, dass THOMAS MANN selbst die Begriffe des Apollinischen und Dionysischen nicht verwendet, sondern stattdessen Begriffspaare wie Geist und Leben, Vernunft und Leidenschaft, Geist und Natur, Westen und Osten oder auch Geist und Körper verwendet. In den weiteren Ausführungen werden die Begriffspaare synonym zu denen NIETZSCHEs gehandhabt.“ – S. 19-37 findet man eine große Zusammenfassung des Geschehens; bedeutsam und tiefgründig ist die Interpretation der Figur Peeperkorn.)

https://d-nb.info/978901525/34 (Diss: zur Komposition des Romans)

https://www.duo.uio.no/bitstream/handle/10852/25600/Overrein_Master.pdf?sequence=1 (Die Bedrohung des Bürgerlichen im Roman – Masterarbeit von P. A. Overrein, Oslo. Das ist in der Fragestellung eine wichtige Arbeit, die aber als Masterarbeit natürlich viele Wünsche offen lässt:

„Laut Ingarden muss ein Leser eines literarischen Werkes „leere Stellen“ ausfüllen, um zum Verständnis eines Romans zu gelangen. Mein Verständnis, dass der Roman von einer Bedrohung handelt, ist eine solche Ausfüllung. Die Diskussion über das Bürgertum ist ebenso eine Ausfüllung. […] Castorp weicht von einigen Normen ab (Normen in dem Erwartungshorizont, siehe Kap. 3). Erstens verlässt er seine Ingenieurkarriere, und damit die Möglichkeit, an der Front des Fortschritts zu kämpfen. Zweitens verliebt er sich in eine nichtbürgerliche Frau, aber auf eine nichtproduktive Weise, da er homoerotische Neigungen hat. Die Atmosphäre des Kurorts droht ihm, seine bürgerliche Bildung in vielerlei Weise zu schwächen oder niederzubrechen, z. B. ihn zum Zynismus zu stimulieren. Das Interessante mit dem Buch ist, dass Castorp, obwohl er sein ganzes bürgerliches Leben in Gefahr setzt, die Kraft hat, diesem Widerstand entgegen zu stehen [setzen]. Er widersteht durch seine humanistische Skepsis gegenüber dem Fortschrittsglauben, und dadurch, dass er andere Eigenschaften als die Ingenieur-Fähigkeiten in sich selbst erweckt.

Er hält einen Abstand zu den Menschen, denen er begegnet, sowohl in der Liebe als beim Kontakt mit den Patienten und Ideologen. Abstand zu halten hat auch damit zu tun, dass er ein Spieler ist. Er tritt nicht wahrhaftig gegenüber der Liebe oder den Ideologen auf. Die Ideologen benutzt er als eine Aktivität, eine Unterhaltung, ohne die Ideologen zu unterstützen. Die Stärke seines Verhaltens ist, dass er den Kurort überlebt. Aber man kann fragen, ob der Preis ist, dass seine Beziehung zu den Menschen von großer Einsamkeit geprägt ist.“)

https://journals.openedition.org/zjr/1281 (Der Roman zwischen Religion und Literatur)

https://erikdesmedt.eu/mann.htm (Struktur und Funktion der Gespräche)

https://www.dhm.de/lemo/kapitel/weimarer-republik/kunst-und-kultur/thomas-mann-der-zauberberg.html (KLL)

Monika Skálová. Interpretation des Werkes „Der Zauberberg“ von Thomas Mann (Interpretation – Masterarbeit; es gelingt mir nicht, die Arbeit zu verlinken)

https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/gequ.12245 (Dimensionen des Zeitbegriffs im Roman – sehr gelehrt)

https://www.christian-gloystein.de/thomas-mann.html (Zusammenfassung einer Diss)

https://apcz.umk.pl/szhf/article/download/4060/3934 (Pakalski: Selbstwiderspruch und Synthese – Interpretation: Suche nach deutscher Identität)

https://comparaisondetre.wordpress.com/2018/03/03/thomas-mann-der-zauberberg/ (Interpretation nach einer ersten Lektüre)

https://www.xlibris.de/Autoren/Mann/Werke/Der%20Zauberberg (Interpretation, sehr eng)

https://www.getabstract.com/de/zusammenfassung/der-zauberberg/5429 (ausführlicher)

https://www.dieterwunderlich.de/Mann_zauberberg.htm (quasi beinahe gelehrt)

https://literaturkritik.de/id/6508 (Interpretation anlässlich einer Neuausgabe)

Fontane: Frau Jenny Treibel (1892) – gelesen

Jahrelang hatte ich „Frau Jenny Treibel“ im Bücherregal stehen; doch als ich kürzlich bei Ludwig Thoma oder Fritz Mauthner den Roman außerordentlich gelobt fand, habe ich mich entschlossen, ihn zu lesen – und habe es nicht bereut. In ihm wird die aus kleinen Verhältnissen emporgeheiratete Jenny Treibel, die von Gefühl und höheren Werten schwärmt, aber deren Sinn nur nach Geld und gesellschaftlichem Glanz steht, derart bloßgestellt, dass es eine wahre Pracht ist.

Es geht darum, wen Corinna, dynamische Tochter des Studienrats bzw. Gymnasialprofessors Schmidt, heiraten soll und darf. Ihr tüchtiger Vetter Marcell Wedderkopp liebt sie, aber sie hat sich in den Kopf gesetzt, den reichen Langweiler Leopold Treibel, Sohn einer Jugendfreundin ihres Vaters, als Mann zu gewinnen. Sie schafft es, dass Leopld Treibel sich mit ihr verlobt; aber er kann sich gegen seine Mutter nicht durchsetzen. Er schreibt seiner Verlobten nur täglich ein Briefchen und versichert sie seiner Treue, unternimmt aber nichts, so dass Corinna die Briefchen nicht einmal mehr liest: der Wendepunkt. Danach kommt sie im Gespräch mit der klugen verwitweten Haushälterin Schmolke und ihrem Vater zur Einsicht, dass ein aufrechter und tüchtiger Mann, eben ihr Vetter, besser ist als ein reicher Schlappschwanz. Es folgen die rasche Verlobung und Hochzeit, und am Ende sind alle zufrieden, auch die Schwiegertochter der Treibels, Helene, die unbedingt ihre Schwester Hildegard an den Mann (Leopold) bringen wollte.

Die Spannungen innerhalb der beiden Treibelfamilien sind eine Delikatesse für sich, die blende ich jetzt aus, ebenso die Herrenrunde der Gymnasiallehrer, die sich einigermaßen regelmäßig trifft, obgleich die meisten einander nicht leiden können und sich gegenseitig für beschränkt halten. Das große Essen zu Beginn erinnert mich an das Eingangsfest bei Buddenbrooks, obwohl es chronologisch umgekehrt sein müsste; aber ich kenne „Buddenbrooks“ schon lange und Fontanes Roman erst seit gestern. Thomas Mann erzählt vom Zerfall einer großen bürgerlichen Familie, Fontane kritisiert die aufgeblasene und hohle Bourgeoisie.

Eines verdient noch einen Hinweis, ein Wort Marcells, das er im Gespräch mit seinem Onkel und künftigen Schwiegervater äußert, als es darum geht, dass er Corinna eine Entschuldigung und ein „Sündenbekenntnis“ ersparen will; da erinnert er an einen jüdischen Spruch, „wonach es als ganz besonders strafwürdig gilt, ‚einen Mitmenschen zu beschämen’“. Das deckt sich mit einem Spruch Nietzsches: Was ist dir das Menschlichste? — Jemandem Scham ersparen.“ (Die fröhliche Wissenschaft, 274.)

Fazit: unbedingt lesenswert, große Literatur, phantastische Charakterisierung der Menschen! Die feine Ironie des allwissenden Erzählers zeigt sich im Untertitel „Wo sich Herz zum Herzen find’t“. Das ist der letzte Vers eines Gedichtes, das der junge Schmidt für die von ihm verehrte Jenny Bürstenbinder verfasst hatte – seines einzigen Gedichts – und das Jenny Treibel immer noch liebt und als Lied bei Festessen vortragen lässt, obwohl sie in Heiratsfragen keinen Deut dafür gibt, was das Herz ihres Sohnes Leopold sagt; und im Gespräch mit Willibald Schmidt tönt sie, sie wäre wahrscheinlich „als Gattin eines in der Welt der Ideen und vor allem auch des Idealen stehenden Mannes wahrscheinlich glücklicher geworden“, worauf Schmidt „Ach, Jenny…“ mit dem Ausdruck des ganzen Schmerzes eines verfehlten Lebens haucht und sich dann im Stillen freut, „daß er sein Spiel so gut gespielt habe“ – einfach großartig.

https://de.wikipedia.org/wiki/Frau_Jenny_Treibel

http://literaturlexikon.uni-saarland.de/index.php?id=6662

https://www.ndr.de/kultur/buch/Theodor-Fontane-Frau-Jenny-Treibel,weltliteratur138.html

Kabale und Liebe: Adel – Bürgertum / Ehre – Herz

Normalerweise wird über „Kabale und Liebe“ so gesprochen, als gebe es dort zwei Welten: die Welt des Adels – die bürgerliche Welt, und zwischen ihnen gebe es die Standesschranke.
In Wirklichkeit muss man mindestens zwei weitere „Welten“ einführen, um das Handeln und Sprechen der Figuren verstehen zu können: das Prinzip der Ehre – die Lebensquelle des Herzens.
Wie passen alle diese Welten zusammen?…

Die Analyse finden Sie in meinem Buch „Friedrich Schiller. Kabale und Liebe“, das bei Krapp & Gutknecht erschienen ist.

Thomas Mann: Buddenbrooks / Mario und der Zauberer – Literatur und Links

Für das im Verlag Krapp & Gutknecht gerade erschienene Thomas-Mann-Lehrerheft (Material für zwei Unterrichtseinheiten) hatte ich eine Hilfsmittel-Liste zusammengestellt, die im Heft jetzt in einer gekürzten Fassung steht:

Die Liste finden Sie in meinem Buch „Thomas Mann: Buddenbrooks. Mario und der Zauberer“, das bei Krapp & Gutknecht erschienen ist.