Bechstein: Vom Schwaben, der das Leberlein gefressen – Analyse

Text: http://oaks.nvg.org/lb67-68.html (Vom Schwaben, der das Leberlein gefressen)

http://gutenberg.spiegel.de/buch/m-7468/3 (dito)

Vorlage ist Montanus: Wegkürzer (1557), darin die Geschichte von einem Schwaben, der das Leberlein gefressen. Bechstein hat die Geschichte geringfügig sprachlich überarbeitet; der neue letzte Satz rundet die Erzählung ab, statt dass des Schwaben Handeln wie bei Montanus erklärt würde. Montanus hat auf mündliche Überlieferung zurückgegriffen; die Geschichte ist später mehrfach nacherzählt worden. Bei den Brüdern Grimm finden wir seit 1819 ein ähnliches Märchen, „Bruder Lustig“ (Nr. 81). Bolte-Polívka (Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm, Bd. 2, S. 151 ff.) verweisen auf ein Gedicht des 10. Jahrhunderts als ersten Beleg des Motivs und auf noch ältere Quellen.

Zuerst wird die Situation der Handlung konstituiert: Der Herr und Heiland Jesus Christus geht mit einem Schwaben zusammen durchs Land.

Es folgt die erste getrennte Aktion der beiden: Jesus geht zu einem Begräbnis und erweckt den Toten, der Schwabe geht auf seinen Wunsch zu einer Hochzeit und kellnert; den ungleichen Lohn weiß der Schwabe geschickt zu seinem Vorteil zu teilen. – Mit dieser Verteilung (jedem das Gleiche) wird die zweite Teilung des Geldes narrativ vorbereitet.

Danach wird erzählt, wie der Schwabe in Jesu Auftrag ein Lamm zubereitet und dabei die Leber selber isst, was er später aber vehement bestreitet. – Dieser Vorgang ist der zweite Knoten, den er Erzähler knüpft, um die spätere Teilung vorzubereiten: Der Schwabe schwört einen Meineid (und bleibt auch in Lebensgefahr bei der Lüge); die Wahrheit sagt er erst, als er dafür Geld bekommt.

Es folgt die zweite getrennte Aktion der beiden: Der Schwabe lässt sich belehren, wie man Tote erweckt, und möchte zum Begräbnis gehen, um die reiche Belohnung selber kassieren, während Jesus zur Hochzeit geschickt wird. Jenem misslingt das Erwecken, weil er die Formel nicht richtig spricht, und man will ihn aufhängen; von Jesu Geschick bei der Hochzeit wird nichts erzählt – der „Held“ der Geschichte ist schließlich der Schwabe.

Darauf folgt die Lösung der angespannten Situation in zwei Schritten: Der Schwabe macht Jesus Vorwürfe; der will den Schwaben vom Tod erretten, wenn dieser sagt, wo das Leberlein des Lamms geblieben ist; der Schwabe will jedoch lieber sterben als die Wahrheit sagen. Im zweiten Schritt erweckt Jesus nebenher zunächst selber den Toten (und löst so die Aufgabe, an der der Schwabe gescheitert ist); dann bringt er dadurch, dass er dem Esser des Leberleins ein Drittel des neuen Gewinns (ferner ein Drittel für Jesus, ein Drittel für den Schwaben) zuerkennt, den Schwaben zum Geständnis, er habe tatsächlich das Leberlein gegessen. – Mit dem Schlusssatz wird die Ausgangssituation wieder aufgelöst; jeder der beiden geht seiner Wege.

Die Erzählung ist kein Märchen, sondern ein Schwank; Thema ist die Geldgier des Schwaben. Sie zeigt sich in der Pfiffigkeit, wie er den ersten Gewinn der beiden teilt; in seiner Entscheidung, bei der zweiten Aktion selber zum einträglichen Begräbnis zu gehen; zum Schluss in seinem Geständnis, die Leber gegessen zu haben – da besiegt seine Geldgier die verlogene Rechthaberei, und die war schon stärker als der Wille zu leben. Die Pointe: das Geständnis um des Geldes willen, kommt überraschend und ist erzählerisch doch sorgfältig durch die erste Teilung und das zweimalige Leugnen vorbereitet. Die Erzählung ist kunstvoll komponiert, jeder Erzählschritt hat seine Funktion und führt konsequent zur Pointe hin.

Pfiffige Kinder können die Geschichte bereits in der Grundschule verstehen, ansonsten eignet sie sich fürs Vorlesen in Kl. 5 und 6.

http://gutenberg.spiegel.de/buch/lustige-geschichten-aus-schwaben-zweiter-teil-6610/57 (Montanus: Von einem Schwaben, der das Leberlein gefressen)

http://www.sagen.at/texte/maerchen/schwaenke/leberlein.html (dito)

https://www.youtube.com/watch?v=Zk4UsrCuNPk (Vom Schwaben, der das Leberlein gefressen. Ein alter deutscher Schwank, nacherzählt von Clemens Brentano)

https://archive.org/stream/anmerkungenzuden02grim#page/150/mode/2up (Bolte-Polívka, s.o.)

http://www.maerchen.com/ludwig-bechstein.htm (Bechstein: Deutsches Märchenbuch, 1845)

http://www.zeno.org/Literatur/M/Bechstein,+Ludwig/M%C3%A4rchen/Deutsches+M%C3%A4rchenbuch (Deutsches Märchenbuch, Ausgabe letzter Hand 1857)

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