Bechstein: Der Hasenhüter und die Königstochter – Analyse

Text: http://www.maerchen.com/bechstein/der-hasenhueter.php (Der Hasenhüter, 1845)

http://www.1000-maerchen.de/fairyTale/620-der-hasenhueter-und-die-koenigstochter.htm (Der Hasenhüter und die Königstochter, 1857 – beinahe wörtlich gleich)

Das Märchen beruht auf einer mündlichen Überlieferung aus Franken; G. Friedrich Stertzing hat es erzählt und zu Bechsteins Sammlung beigesteuert.

Ausgangssituation:

Eine Königstochter veranstaltet eine Probe, um aus der großen Anzahl der Bewerber ihren Mann zu finden; keiner kann die drei Aufgaben lösen.

Geschehen:

Als letzter ist ein Schäfersbursche an der Reihe.

  • 1. Aufgabe: 100 freigelassene Hasen bis zum Abend wieder einfangen; der Schäfer will sich besinnen, ob er sich der Aufgabe stellt.
  • Da kommt unerwartet (und unmotiviert) eine alte Frau, die ihm ein besonderes Pfeifchen als Hilfsmittel übergibt.
  • Die Hasen werden freigelassen, aber mit dem Pfeifchen sammelt er sie alle wieder ein.
  • Versuch einer Störung des Erfolgs durch die Königstochter – sie gewährt dem Schäfer ein Schäferstündchen für einen Hasen, der ihr gleichwohl nachträglich durch Pfeifen wieder entwendet wird.
  • Versuch einer Störung des Erfolgs durch den König – er küsst einen Esel unter dem Schwanz für einen Hasen, der ihm nachträglich durch Pfeifen wieder entwendet wird [beides bereitet die spätere Lösung vor!].
  • König und Königstochter bekennen einander ihr Versagen, ohne Einzelheiten zu erwähnen.
  • 2. Aufgabe: 100 Maß Erbsen und 100 Maß Linsen bei Nacht ohne Licht trennen; mit Hilfe des Pfeifchens ruft der Schäfer Ameisen, die die Aufgabe lösen.
  • 3. Aufgabe: sich in einer Nacht durch eine Kammer voller Brot essen; mit Hilfe des Pfeifchens ruft er Mäuse, die die Aufgabe lösen.
  • Verzögerung durch ein Schwankmotiv: Ehe der Schäfer die Königstochter bekommt, muss er „einen Sack voll Lügen“ erzählen. Alle Lügen werden vom König als nicht hinreichend erachtet, auch nicht die Wahrheit, dass der Schäfer mit der unbescholtenen Prinzessin bereits ein Schäferstündchen hatte (was der König anstandshalber als große Lüge hätte zurückweisen müssen); erst als der Schäfer ansetzt, vom König wahrheitsgemäß die Geschichte des Eselkusses zu erzählen, wird der Schäfer unterbrochen: „Er [der Sack] ist voll, er ist voll!“ Der König schämte sich, persönlich bloßgestellt zu werden.
  • Belohnung: Hochzeit mit der Königstochter.
  • Abschluss: Der Erzähler wünscht, er wäre auch als Gast dabei gewesen.

Die Belohnung hat sich der Schäfer eher durch seine Geschicklichkeit verdient, die Forderung nach dem „Sack voller Lügen“, welche man beliebig auslegen kann, durch eine peinliche Wahrheit zu erfüllen – dieser zweite Teil ist ein echter Schwank, der bereits im ersten Teil erzählerisch vorbereitet wird. Auch hat der Schäfer sich die Hilfe der alten Frau in keiner Weise verdient, so dass wir insgesamt einen Schwank mit märchenartigen Motiven (drei Proben, wunderbare Hilfe) vor uns haben.

Dieses Märchen müsste man in der Grundschule vorlesen bzw. erzählen können, wenn die Kinder erfassen, wie peinlich es ist, einen Esel unterm Schwanz zu küssen, und wie gern man eine peinliche Wahrheit als „Lüge“ zurückweist.

„Der Vogel Greif“, ein Märchen der Brüder Grimm (Erläuterungen dazu), hat in seinen kunstvoll verwickelten Serien von Aufgaben und Bewährungen auch das Motiv des Hasenhüters, der mit Hilfe eines Zauberpfeifchens erfolgreich ist. Dort ist der Held Hans außerdem der jüngste und vermeintlich dümmste, aber ehrliche Sohn eines Bauern – ein „echtes“ Märchen. – Über die Freude des Volkes an Lügengeschichten erfährt man einiges in den Erläuterungen zum Grimm-Märchen „Der himmlische Dreschflegel“.

http://www.maerchen.com/ludwig-bechstein.htm (Bechstein: Deutsches Märchenbuch, 1845)

https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsches_M%C3%A4rchenbuch (Deutsches Märchenbuch, Ausgabe letzter Hand 1857)

http://www.zeno.org/Literatur/M/Bechstein,+Ludwig/M%C3%A4rchen/Deutsches+M%C3%A4rchenbuch (dito)

https://de.wikipedia.org/wiki/Neues_deutsches_M%C3%A4rchenbuch (Neues deutsches Märchenbuch, 1856)

http://www.zeno.org/Literatur/M/Bechstein,+Ludwig/M%C3%A4rchen/Neues+deutsches+M%C3%A4rchenbuch (dito)

(Ludwig Bechstein: Sämtliche Märchen. Mit Anmerkungen und einem Nachwort von Walter Scherf, 1976)

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