Jörg Baberowski: Räume der Gewalt – Besprechung

Es gibt im Netz mehrere gute Besprechungen; deshalb möchte ich mich damit begnügen, Leseeindrücke wiederzugeben.

Zu Beginn der Lektüre war ich beeindruckt: Der Autor zitiert viele Berichte und Augenzeugen von Gewaltanwendung, dazu kommen lockere theoretische Überlegungen – ein Essay. Im Fortgang, etwa ab Kap. 3, kommt man hinter die Methode: Baberowski hält sich an einen der großen Theoretiker (in Kap. 2 Norbert Elias, in Kap. 3 Zygmunt Baumann) und illustriert dessen Geschichtstheorie mit Beispielen von Gewaltereignissen, wobei die Grenzen zwischen Referat und Aneignung der Theorie fließen; im zweiten Teil des Kapitels wird dann dem großen Meister widersprochen, ebenfalls mit Beispielen… Die Beispiele fangen an, weniger fesselnd zu sein; man kennt bereits ähnliche Beispiele, nur die Orte und die Namen der Täter wechseln.

In Kap. 4 wird gegen Galtungs Theorie der strukturellen Gewalt polemisiert. In Kap. 5 vertritt Baberowski gegen W. Sofsky sein eigene These: Gewaltanwendung sei eine anthropologische Konstante, der Mensch könne jederzeit seine Hemmung zu töten überwinden, wenn ihm Gelegenheit und Erlaubnis dazu gegeben werde: wenn ein Gewaltraum eröffnet werde. Nur ein starker Staat, der seinerseits mit Gewaltanwendung drohe – und der dank seiner Machtfülle selber dazu missbraucht werden könne, Gewaltorgien zu entfesseln – könne Gewaltanwendung einschränken. Jedenfalls seien die gängigen sozialpsychologischen Erklärungen zur gewaltbereiten Persönlichkeit nichts wert, seien bloße Rechtfertigungsmuster.

In Kap. 6 geht es um den Zusammenhang zwischen Macht und Gewalt, wobei der Autor sich weitgehend an Heinrich Popitz orientiert (den man besser im Original liest: Phänomene der Macht, 2. Auflage, davon hat man mehr), auch an Elias Canetti und andere – aber eben theoretisch nicht kompakt, sondern essayistisch.

Nach der Lektüre des Buches, das im Literaturverzeichnis geschätzt 350 Titel aufzählt, hat man zwar viele Fälle von Gewaltanwendung kennengelernt sowie einige Theorien gestreift, ist aber nicht wesentlich klüger geworden.

http://www.sueddeutsche.de/kultur/theorie-der-gewalt-schreckenskammern-1.2699881 (kluge Besprechung, kritisch)

http://www.soziopolis.de/beobachten/raum/artikel/nur-beschreiben-oder-doch-erklaeren/ (klug, verständlich, kritisch – Fazit: „Insgesamt wartet Baberowskis Räume der Gewalt zweifelsohne mit animierenden Denkanstößen auf, allerdings wohl nicht mit Lösungen und fertigen Antworten, was die gravierenden theoretischen Probleme in der Gewaltforschung anlangt. Dass der Begriff des „Gewaltraums“ der Gewaltforschung den Königsweg wird weisen können, darf und muss indes bezweifelt werden.“

http://www.zeit.de/2016/04/raeume-der-gewalt-joerg-baberowski (kluge Besprechung, gute Übersicht über das Buch – zu unkritisch: H. Münkler)

http://www.sopos.org/aufsaetze/571489ac85638/1.phtml (klug, deutlich, kritisch)

https://denktagebuch.de/2015/10/baberwoskis-raeume-der-gewalt-als-schleichende-enthemmung/ (deutlich, kritisch, einseitig)

https://www.wsws.org/de/articles/2016/01/09/iyss-j09.html (ideologisch-kritisch, einseitig, schwach)

https://www.perlentaucher.de/buch/joerg-baberowski/raeume-der-gewalt.html (kurze Übersicht über die Rezensionen der großen Zeitungen)

http://swrmediathek.de/player.htm?show=8386a200-7e20-11e5-a663-0026b975f2e6 (ein Clip, stellt das Buch vor, mit Stimme Baberowskis)

http://www.deutschlandradiokultur.de/raeume-der-gewalt-hemmungen-steuern-das-toeten.1270.de.html?dram:article_id=331527

http://www.tagesspiegel.de/kultur/joerg-baberowskis-neues-buch-raeume-der-gewalt-wie-menschen-zu-massenmoerdern-werden/12456940.html (schwache Besprechung)

http://www.swr.de/swr2/kultur-info/raeume-der-gewalt-von-joerg-baberowski/-/id=9597116/did=16205400/nid=9597116/1gpw3ku/index.html (ebenfalls schwach)

http://www.zeithistorische-forschungen.de/1-2008/id%3D4400 (Jörg Baberowski: Gewalt verstehen, 2008 – der Aufsatz ersetzt die Lektüre des Buches)

Den Aufsatz Popitz‘ über Stufen der Institutionalisierung von Macht habe ich zusammengefasst: https://also42.wordpress.com/2015/07/25/heinrich-popitz-stufen-der-institutionalisierung-von-macht/