Brecht: Der Pflaumenbaum – Analyse

Im Hofe steht ein Pflaumenbaum…

Text

http://www.joergalbrecht.de/es/deutschedichter.de/werk.asp?ID=638

http://www.dynamoberlin2002.de/bfcfotos/wordpress/archives/132

http://www.deutsche-doggen.de/brechtgedicht.htm

„Der Pflaumenbaum“ ist 1934 entstanden und gehört in die „Svendborger Gedichte“ (1939), dort zu den Kinderliedern. Etwa seit 1929 hatte Brecht die Kinder als Adressaten seines Dichtens entdeckt – sie repräsentieren die Zukunft und sollen entsprechend angeleitet werden, revolutionär zu denken und zu handeln.

Der Sprecher tritt nicht als Figur hervor. Die Sprechweise ist die der Umgangssprache: V. 3 wird das deutlich; Auslassung von Buchstaben (wer’n, V. 5 und 6; ´s, V. 7); Satzverbindung meist ohne Konjunktion; lediglich V. 9 sticht mit einer gehobenen Konstruktion sprachlich heraus – der Sprecher könnte ein Kind sein, das sich direkt an ein anderes wendet (Zeigegestus in V. 2: „Der“). Zuhörer werden nicht ausdrücklich angesprochen.

Es wird von einem kleinen Pflaumenbaum berichtet, der „im Hofe“ steht (V. 1); ausdrücklich wird darauf hingewiesen, wie ungewöhnlich klein er ist (V. 2) und dass er nicht größer werden kann (V. 5). Das hängt mit seiner beengten Existenz zusammen: Er wird durch ein Gitter geschützt (V. 3 f.), er steht also nicht im Freien, und er hat auch zu wenig Sonne (V. 8). Wo der Hof ist, wird nicht gesagt; wenn man ein Kind als Sprecher denkt, dann ist es eben sein Hof, in dem es spielt und lebt, und der für das Kind „der Hof“ ist.

Diese Existenzbedingungen widersprechen dem, was ein Pflaumenbaum braucht: Er kann nicht größer werden (V. 5), obwohl zu wachsen das Lebensgesetz von Bäumen ist; er trägt auch nie eine Pflaume (V. 10), obwohl dies „das Ziel“ oder „die Aufgabe“ und der Sinn von Pflaumenbäumen ist. Er möchte sogar wachsen (Metapher, V. 6), aber das ist offenbar unmöglich (V. 7). Er ist so verkümmert, dass man in ihm kaum als Pflaumenbaum ansieht (V. 9). „Doch er ist ein Pflaumenbaum / Man kennt es an dem Blatt.“ (V. 11 f.) Diese Versicherung der Identität steht trotzig am Schluss des Gedichtes; das Blatt ist die elementarste Lebensäußerung des Baumes, noch vor Wachstum und Frucht. Das Blatt erhebt den Anspruch (oder: Der Baum erhebt im Blatt den Anspruch), zu wachsen und Frucht zu bringen.

Die vier Verse jeder Strophe reimen sich im Paarreim, nur die 3. Strophe besitzt einen Kreuzreim. Die au-Laute der Pflaumenbaums beherrschen die 1. und 3. Strophe zusammen mit dem gleichen Reimwort „kaum“. Das Metrum ist ein Jambus, jeweils 4 (Vers 1und 2) oder 3 Hebungen (Vers 3 und 4 jeder Strophe). Nur zwei Verse sind im Trochäus getaktet, V. 2 und V. 11; in V. 2 wird die Tatsache der unglaublichen Kleinheit herausgestellt, in V. 11 seine Identität behauptet – beides gegen die normale Erwartung, beide Verse gegen den normalen Takt.

Die Interpretation des Gedichtes ist umstritten. Einmal wird angenommen, der Baum repräsentiere den Dichter im Exil: „Überwiegend gibt der Baum [in Brechts Gedichten] den Bezug auf den Autor selbst bzw. auf die Produktivität seines literarischen Wirkens wieder.“ (Nona Mamiseishvili) Ähnlich sieht es Klaus-Detlef Müller: Die Reduktion der Natur auf die Schwundstufe der Verkrüppelung und Unfruchtbarkeit sei ein Aspekt, der in „Schlechte Zeit für Lyrik“ wörtlich wieder aufgenommen wird; in anthropomorphisierender Verweisung sei die Existenz des kleinen Baumes eine Analogie zu Brechts Lyrikproduktion in finsteren Zeiten.

Eine andere Deutung vertritt Hans Heinz Holz: „Einem Wesen wird versagt, sich zu entwickeln, zu sein, was es seiner Natur nach sein könnte. Vom Menschen ist nicht die Rede. Aber jeder versteht: Es gibt Hinterhofkinder, die nie in Licht und Sonne spielen können. Es gibt Menschen, denen gerade nur das Mindeste zum Überleben gelassen ist und zu denen nicht einmal ein tröstendes Gedicht dringt. Wir aber […] werden von dem Gedicht genötigt, etwas wahrzunehmen, wovor wir gern die Augen verschließen möchten.“ (1. Link unten)

http://www.neue-impulse-verlag.de/marxistischeblaetter/artikel/107/137-der-pflaumenbaum-und-der-kommunismus.html (Hans Heinz Holz: Brecht als kommunistischer Dichter)

http://www.dkp-online.de/uz/3842/s0801.htm (dito)

http://www.alexanderkroll.de/Website_10/akademisch_files/Bertolt%20Brecht.pdf (Interpretation von Kindergedichten Brechts, dort S. 11 f. – wer schlau reden können will, sollte den Text unbedingt auswendig lernen!)

Vortrag

http://www.musicline.de/de/player_flash/0782124842420/0/19/50/product (Sonja Kehler)

http://lyrics.lucywho.com/der-pflaumenbaum-lyrics-bertolt-brecht.html (Irmgard Arnold, das 2. Lied) = http://www.youtube.com/watch?v=cy-upD_OaxI (vertont von Paul Dessau)

Rezeption

http://fakstheater.de/programm/Theaterstuecke/der-pflaumenbaum

http://www.montessorizentrum-muenster.de/literatur-und-filme/filme/der-pflaumenbaum/

http://www.bae-hamburg.de/artikel_112.html

http://www.brechtweigelhaus.de/content/detail-3.htm

http://allforlaw.wordpress.com/2010/12/05/der-pflaumenbaum-the-plum-tree-erik-agaci/ (Übersetzung in verschiedene Sprachen)

http://home.arcor.de/manfred.roessmann/BaumGedichte.html (Gedichte, in denen Bäume eine Rolle spielen)

Heiner Müllers Gedicht „Ajax zum Beispiel“ hat am Ende den Vers: „Brechts Denkmal ist ein kahler Pflaumenbaum“ (Werke 1, S. 297).

1 thoughts on “Brecht: Der Pflaumenbaum – Analyse

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