Matthias Claudius: Urians Reise um die Welt, mit Anmerkungen – Analyse

Wenn jemand eine Reise tut …

Text

http://meister.igl.uni-freiburg.de/gedichte/cla_m03.html

http://freiburger-anthologie.ub.uni-freiburg.de/fa/fa.pl?cmd=gedichte&sub=show&noheader=1&add=&id=413

Vertont wurde das Gedicht nicht nur von Ludwig Berger und Beethoven, erschienen ist es 1786.

Urian ist bzw. war der fiktive Eigenname eines jeden Mannes, „vor welchem man wenig Achtung an den Tag legen will, besonders, wenn man seiner in einem Falle gedenkt, wo man ihn nicht erwartete“ (Adelung).

Herr Urian erzählt von einer Weltreise, die er unternommen hat; ein Chor (Tutti) kommentiert seine Erzählung nach jeweils vier Versen mit dem Refrain: „Da hat Er gar nicht übel dran getan; / Verzähl er doch weiter Herr Urian!“ (Das sind die Anmerkungen, die im Titel erwähnt werden – dort müsste „mit Anmerkungen“ kursiv gesetzt sein, was mir in diesem Blog technisch nicht möglich ist.) Herr Urian erzählt von seiner Reise zum Nordpol, nach Grönland, nach Amerika, Mexiko, Asien, China und Bengalen, Java, Otaheiti (eine der Gesellschaftsinseln) und Afrika. Überall stellt er sich jedoch dumm an, alles misslingt ihm oder er findet nichts Gutes – trotzdem fordert die dumme Menge (Tutti!), er solle weitererzählen. Schließlich ist das Fazit seiner Reise, dass er es überall so gefunden hat „wie hier,

Fand überall ’n Sparren, 


Die Menschen gradeso wie wir, 


Und eben solche Narren.“

Darauf, obwohl das die wesentliche Erkenntnis seiner Reise ist, ändern Tutti den Refrain und sagen zum Schluss:

„Da hat Er übel übel dran getan; 


Verzähl Er nicht weiter Herr Urian!“

Die Form ist einfach: Volksliedstrophe für Urians Erzählung (Jambus, Kreuzreim, Wechsel vier- und dreihebiger Verse mit männlicher und weinlicher Kadenz). Der Refrain ist im ersten Vers ein fünfhebiger Jambus, der zweite ist vierhebig mit unsauberem Takt.

Das Gedicht kann nur als Satire auf die Reise- und Entdeckungslust der frühen Neuzeit oder als Parodie der Reiseliteratur verstanden werden; das zeigt sich vor allem in der Reaktion der Menge auf einen nichtssagenden Reisebericht, vielleicht auch in der Verbform Verzähl er doch (statt Erzähl er doch). Verzählen bedeutete auch um 1800  falsch zählen; doch setzt es die plattdeutsche Form vertelle ins Hochdeutsche, wodurch die Tutti entweder als dumme Menschen vom Land oder als solche, die an platten Verzellcher ihre Freude haben, ausgewiesen werden. Jedenfalls gehört die Reaktion der Tutti (neben dem Namen Urian) wesentlich zur Satire. Vielleicht ist der Titelzusatz „mit Anmerkungen“ bereits der erste Hinweis auf den satirischen Charakter des Gedichts; denn was die Tutti als „Anmerkungen“ von sich geben, sind ja beileibe keine Anmerkungen! Adelungs Wörterbuch verzeichnet als dritte Bedeutung von „Anmerkung“: „die Erläuterung einer dunkeln Stelle in dem Hauptsatze; Scholion. Ein Buch mit Anmerkungen heraus geben. Anmerkungen zu einer Schrift machen“. Aber selbst in der alltäglichen Bedeutung (Anmerkung = Bemerkung) wären die Anmerkungen reichlich deplatziert: Satire! – Der Eingangsvers ist eine Redewendung geworden („Wenn jemand eine Reise tut …“), die heute ohne jeden ironischen Beigeschmack gebraucht wird, oft als Kommentar zur Erzählung unerwarteter Reiseerlebnisse.

Vortrag

http://www.youtube.com/watch?v=4u-Yl62x1P0 (Beethoven)

Sonstiges

http://de.wikipedia.org/wiki/Urian (Urian)

http://www.zeno.org/Wander-1867/A/Urian?hl=urian

http://library.musicaneo.com/de/data/sheetmusic/57092_1.pdf (Noten: Carl Friedrich Zelter)

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