Heine: Belsazar (Belsatzar) – Analyse

Die Mitternacht zog näher schon …

Text

http://www.hagalil.com/buch/heine/belsazar.htm

http://www.zeno.org/Literatur/M/Heine,+Heinrich/Gedichte/Buch+der+Lieder/Junge+Leiden/Romanzen/10.+Belsazar

Im Buch Daniel (AT) werden Daniels Taten und Visionen in der Babylonischen Gefangenschaft der jüdischen Elite (597 – 539 v.u.Z.) erzählt. Er ist dabei ein Beispiel an Weisheit, Glauben und Treue, sogar in den härtesten Prüfungen. Daniel tut sich auch in der Deutung von Träumen des Königs hervor, die er mit GOTTES Hilfe als einziger zu entschlüsseln weiß. In der Episode von der Gotteslästerung Belsazars und der Schrift an der Wand (Daniel 5) bewährt er seine Fähigkeiten als Deuter und kündigt dem König sein Ende an: „Du hast dich gegen den Herrn des Himmels erhoben und dir die Gefäße aus seinem Tempel herbeischaffen lassen. Du und deine Großen, deine Frauen und Nebenfrauen, ihr habt daraus Wein getrunken. Du hast die Götter aus Gold und Silber, aus Bronze, Eisen, Holz und Stein gepriesen, die weder sehen noch hören können und keinen Verstand haben. Aber den Gott, der deinen Lebensatem in seiner Hand hat und dem all deine Wege gehören, den hast du nicht verherrlicht.“ (Dan 5,23) Seine Tage seien gezählt, sein Reich werde den Medern und Persern übergeben. Der König belohnt daraufhin Daniel reichlich. „Aber noch in derselben Nacht wurde Belschazzar, der König der Chaldäer, getötet.“ (Dan 5,30)

Heine lehnt sich stark an diese biblische Episode an; er reduziert aber das Personal (Daniel, die Großen des Reiches und die Frauen fehlen), reduziert auch die Lästerungen des Königs auf das Trinken aus heiligen Gefäßen und macht aus der Geschichte von Daniels Bewährung eine Schauerballade vom Königsmord.

Der Erzähler steht außerhalb des Geschehens, bewertet aber im Erzählen das Auftreten des Königs negativ (störrig, V. 10; blindlings, V. 13; lästert, V. 14, 15; sündig, V. 14; frech, V. 15; wild, V. 15; „brüllt“, V. 16). Das erzählte Geschehen treibt auf zwei Höhepunkte zu: Zuerst wird in die Situation des Königsmahls beschreibend eingeführt (V. 1-6; V. 7-10); viel Raum nimmt die Erzählung von der Lästerung in Anspruch (V. 11-26), die zu einem ersten Höhepunkt führt (V. 26); darauf schlägt die Stimmung im Saal um (V. 27-30), als Antwort auf die Lästerung erscheint die Flammenschrift an der Wand (V. 31-34); der Umschlag vertieft sich (V. 35-38), als zweiter Höhepunkt erweist sich, dass das Geheimnis der Flammenschrift unauflösbar ist (V. 39 f.); die Ermordung des Königs bildet den Abschluss des Geschehens (V. 41 f.) – sie war durch zwei Hinweise vorbereitet worden (leichenstill, V. 30; totenblaß, V. 36).

Das Geschehen steht unter der Logik des Umschlagens (Figur des Kontrastes), welche ich durch einen Pfeil markiere:

kecker Mut (V. 11 ff.) -> Angst des Königs (V. 27 ff.)

Lärm im Saal (V. 9 f.) -> Leichenstille im Saal (V. 29 f.)

Beifall der Knechte (V. 16) -> Ruhe, Grauen der Knechte (V. 37 f.)

Verhöhnung Jehovas (V. 25) -> Flammenschrift an der Wand (V. 31-34)

„Ich bin der König von Babylon!“ (V. 26) -> von den Knechten umgebracht (V. 41 f.).

Die durch die spürbaren Kontraste erzeugte Spannung löst sich in der Ermordung des Königs auf; damit ist der Umschlag abgeschlossen, die Verhöhnung bestraft, das Geschehen vollendet.

Die Form des 1822 in Gedichte veröffentlichten Gedichtes ist recht einfach: Die Strophen bestehen aus zwei Versen mit Paarreim; sie bilden einen oder zwei Sätze, der Punkt steht aber immer erst am Ende der Strophe. Jeder Vers weist vier Hebungen auf; die Füllung ist unregelmäßig, häufig ist der Rhythmus jambisch. In der Regel besitzen die Verse einen Auftakt; nur in wenigen Fällen ist die erste Silbe betont („Ich“, V. 26; weniger stark V. 10 und 20). Wie „Die Grenadiere“ gehört das Gedicht zu den frühen Versuchen Heines; es steht bei den Romanzen im „Buch der Lieder“. Nach Gerhard Höhn (Heine-Handbuch, 2. Aufl. 1997) steht der Kaiser Napoleon in „Die Grenadiere“ für die fortschrittlichen Ideen der Revolution, während der König in „Belsazar“ die Mächte der Restauration verkörpert, die im Königsmord beseitigt werden – wegen der Karlsbader Zensur (1819) habe Heine nicht deutlicher sprechen können.

„1820 hatte der Berliner Theologe Franz Theremin Byrons „Hebrew Melodies“ mehr schlecht als recht übersetzt und mit einem antisemitischen Vorwort veröffentlicht, darunter auch die „Vision of Belshazzar“. Heines Gedicht ist fraglos darauf eine Antwort, aber es verweist zugleich auf Heines jüdisches Elternhaus, auf eine Inspiration durch die hebräische Hymne „Bachazoz halajla“ (= Um Mitternacht, R.D.), die, an den zwei Osterabenden gesungen, „mehrerer auf die Geschichte der Juden sich beziehender Ereignisse“ gedenkt, „die um Mitternacht vorgefallen“ sind, darunter auch des Todes Belzazars als Folge seiner Entweihung der Tempelgefäße. Dem „Belsatzar“ gesellen sich als alttestamentarische Romanzen in den „Historien“ des „Romanzero“ noch „Das goldene Kalb“ und „König David“, in den „Lamentazionen“ ferner „Salomo“.“ (Reinhard Döhl: Heines Romanzen, http://www.reinhard-doehl.de/forschung/ballade/ballade_10d.htm)

Warum ist das Gedicht so breit rezipiert, dass es sogar gerappte Fassungen und Parodien gibt? Ich vermute, dass es zum traditionellen Balladenbestand gehört, weil es ins religiöse Weltbild passt (Verhöhnung Gottes verboten!) und weil man so schön eine Lehre daraus ziehen kann (Gotteslästerung wird bestraft!). Ich kann das nicht belegen – aber es fällt doch auf, dass die Ballade von den beiden Grenadieren weithin unbekannt ist, während die vom überheblichen Belsazar sich großer Bekanntheit erfreut. Vielleicht war früher aber auch einfach der Stoff aus dem Religionsunterricht bekannt, was die Rezeption des Gedichts erleichtert hat.

http://www.digitale-schule-bayern.de/dsdaten/1/213.html (mit Aufgaben, Korrektur von Schülerlösungen und Musteranalyse)

http://de.wikipedia.org/wiki/Bel-%C5%A1arru-u%E1%B9%A3ur (dort auch: das Motiv „Belsazar“)

chhttp://www.informationen-bilder.de/heinrich-heine/belsazar-menetekel.htm (Text, mit historischen Erläuterungen)

http://de.wikipedia.org/wiki/Buch_Daniel#Dan_1-6

Vortrag

http://www.youtube.com/watch?v=_j6FVTcNKpY (Fritz Stavenhagen)

http://www.youtube.com/watch?v=bZuaLJyV-vY (Rainer Stelzig)

http://www.youtube.com/watch?v=mntwSjwqHKs (?)

http://www.youtube.com/watch?v=iWpWebz3LJI (gesungen von Sukrit Sanatani?)

http://www.youtube.com/watch?v=uKQxfv5EcTo (Schumann: Y. Gonczarowski)

http://vimeo.com/17303873 (Schumann: J. Fein) = http://www.youtube.com/watch?v=JG4eMU3_5tc

http://www.youtube.com/watch?v=cm9kc0PlLtQ (gesungen von ?)

Sonstiges

http://www.youtube.com/watch?v=nKjsDB56VZQ Schüler-Parodie

http://www.youtube.com/watch?v=LMtbXUrG_qk (Schüler-Parodie)

http://www.youtube.com/watch?v=FqTZzhwJ5_U (gerappt, Schüler)

http://www.youtube.com/watch?v=LMtbXUrG_qk (Comic, schön)

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