Remarque: Im Westen nichts Neues – Analyse: die verlorene Generation

Remarque: Im Westen nichts Neues (Ausgabe KiWi 916, 2005)

Im Vorwort oder Motto des Buchs wird als Thema vorgegeben, „über eine Generation zu berichten, die vom Kriege zerstört wurde – auch wenn sie seinen Granaten entkam“ (12); es ist damit eines der dominierenden Themen des Romans, vielleicht sogar das zentrale Thema. An vier Stellen habe ich Reflexionen des Ich-Erzählers Paul Bäumer gefunden, die dieses Thema behandeln; es geht um die Generation, die von der Schulbank weg in den Krieg geschickt wurde. Lost Generation ist ein relativ fester Begriff, den es bereits vor Remarque gab; in vielen Interpretationen (s. die Liste der Links!) wird er berücksichtigt.

1. Anlässlich eines Briefes Kantoreks erinnert sich Paul (19), wie Kantorek die ganze Klasse für den Kriegsdienst begeistert hat. Angesichts des Todes des Klassenkameraden Behm, der mit seiner Meldung gezögert hatte und sich dann doch überreden ließ, reflektiert Paul die Schuld Kantoreks (20), der sicher wie tausend andere (Lehrer?) überzeugt war, „auf eine für sie bequeme Weise [!] das Beste zu tun. Darin liegt aber gerade für uns ihr Bankerott.“ (20) Denn sie „sollten uns Achtzehnjährigen Vermittler und Führer zur Welt des Erwachsenseins werden“; doch der erste Tote zerstörte die Annahme, sie besäßen „größere Einsicht und menschlicheres Wissen“ (20). Die von ihnen vermittelte Weltanschauung zerbrach. „Wir waren plötzlich auf furchtbare Weise allein; – und wir mußten allein damit fertig werden.“ (21)

2. Zu Beginn des 2. Kapitels erinnert Paul sich an seine poetischen Arbeiten als Schüler – ein Leben, von dem er jetzt abgeschnitten ist. „Gerade für uns Zwanzigjährige ist alles besonders unklar (…). Die älteren Leute sind alle fest mit dem Früheren verbunden, sie haben Grund, sie haben Frauen, Kinder, Beruf und Interessen. (…) Wir waren noch nicht eingewurzelt. Der Krieg hat uns weggeschwemmt. (…) Was wir wissen, ist vorläufig nur, daß wir auf eine sonderbare und schwermütige Weise verroht sind, obschon wir nicht einmal oft mehr traurig werden.“ (25) Und Paul rechtfertigt Müllers Bemühen, Kemmerichs Stiefel zu bekommen, obwohl dieser noch lebt: „Wir haben den Sinn für andere Zusammenhänge verloren, weil sie künstlich sind. Nur die Tatsachen sind richtig und wichtig für uns. Und gute Stiefel sind selten.“ (26)

3. Im 5. Kapitel sind die Kameraden in einem lockeren Gespräch (66 f.), dem Müller mit seiner Frage, was sie nach dem Krieg machen sollen (66, 68), ein ernste Wendung gibt; alle sind eigentlich ratlos. Paul sagt, er möchte dann „etwas Unausdenkbares tun (…). Etwas, weißt du, was wert ist, daß man hier im Schlamassel gelegen hat. Ich kann mir bloß nichts vorstellen.“ (68) Der normale Betrieb mit Beruf und Studium und Gehalt genüge ihm dann nicht (68 f.). Kropp erklärt, man könne zwei Jahre Krieg „doch nicht ausziehen wie einen Strumpf“ (69); sie sind sich einig, dass es allen ähnlich ergeht. „Es ist das gemeinsame Schicksal unserer Generation.“ (69) Albert Kropp sagt, der Krieg habe für sie alles verdorben; Paul gibt ihm recht: „Wir sind keine Jugend mehr. (…) Wir flüchten vor uns. (…) Die erste Granate, die einschlug, traf in unser Herz. Wir sind abgeschlossen vom Tätigen, vom Streben, vom Fortschritt. Wir glauben nicht mehr daran; wir glauben an den Krieg.“ (69)

4. Im 6. Kapitel wird berichtet, wie Paul nach einem Nahkampf der Kompanie allein in der Nacht auf Posten ist (89). Da erinnert er sich an eine Landschaft seiner Jugend, eine Pappelallee (90). Er bedenkt, wie sich diese Erinnerung von Erinnerungen in der Zeit unterscheidet, die er vor seiner Kriegserfahrung in der Kaserne hatte (90 f.): Sie würden mit den Landschaften ihrer Jugend nichts mehr anzufangen wissen. „Heute würden wir in der Landschaft unserer Jugend umhergehen wie Reisende. Wir sind verbrannt von Tatsachen, wir kennen Unterschiede wie Händler und Notwendigkeiten wie Schlächter. Wir sind nicht mehr unbekümmert – wir sind fürchterlich gleichgültig. Wir würden da sein; aber würden wir leben? / Wir sind verlassen wie Kinder uns erfahren wie alte Leute, wir sind roh und traurig und oberflächlich – ich glaube, wir sind verloren.“ (91 f.) Hier ist das Stichwort gefallen: verloren. – Bei einem Heimaturlaub bemerkt er, wie fremd ihm das Leben der anderen (120 f.), aber auch das eigene Zimmer seiner Jugend geworden ist (123 f.).

Fazit: Die Generation derer, die als Jugendliche in den Krieg geworfen wurden, ist in Pauls Sicht eine verlorene Generation. Sie hat ihre Jugend, aber auch die Hoffnung auf eine normales Leben im Frieden verloren; sie hat die Heimat verloren und den Glauben an etwas, was das Leben lebenswert macht.

Dieses Thema „die verlorene Generation“ muss im Zusammenhang mit der Frage gesehen werden, was der Krieg aus den Soldaten insgesamt gemacht hat.

Eine Sendung des Deutschlandfunks zum Thema: https://www.deutschlandfunkkultur.de/manuskript-die-starkste-droge-uberhaupt-pdf.media.9fd9b81ef6df45b2b69d0f85d9d2d593.pdf

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