Goethe: Iphigenie auf Tauris IV,5 – kurze Analyse

Kurze Analyse IV,5

Ausgangssituation:

Iphigenie ist von Pylades bedrängt worden, bei der Rettung der Griechen mitzumachen und sich über ihre Bedenken (V. 1566 ff., V. 1635 ff.) hinwegzusetzen.

Gesprächsverlauf:

In einem Monolog reflektiert Iphigenie ihre Situation. Sie ist unsicher, was sie tun soll und wie es mit ihr weitergeht – das zeigen die vielen Fragen (Fragezeichen), die sie zu Beginn stellt. Sie hebt zunächst auf das Muss ab, unter dem sie zu stehen scheint (V. 1689 f.), um die Ihren zu retten – und setzt dagegen ihr eigenes Schicksal (V. 1690 ff.).

Dieses eigene Schicksal ist von der Enttäuschung ihrer Hoffnung [Kontrast: vergangene Hoffnung / gegenwärtige Erfahrung resp. Erwartung] bestimmt: Sie hatte gehofft, als Frau „mit reiner Hand und reinem Herzen“ (V. 1701) die Schuld von ihrer Familie nehmen zu können (bis V. 1702) – gestützt auf die Erwartung, dass auch der Fluch wie alles in der Welt einmal zu Ende gehen werde (V. 1696/98). Nun schien sich diese Hoffnung gerade zu erfüllen (V. 1703/06), da wird sie von der Not(wendigkeit), das Götterbild zu stehlen und den König zu betrügen, zerstört (bis V. 1711).

In dieser verzweifelten Situation wendet sie sich an die (Olympischen) Götter mit der Bitte um Hilfe (V. 1712/17): auf dass nicht Auflehnung sie erfasse, auf dass nicht Hass gegen diese Götter in ihr aufkeime, wo doch die Götter sie in den grausamen Konflikt zwischen Rettung und Verbrechen hintreiben (hineinzutreiben scheinen): „Rettet mich / Und rettet euer Bild in meiner Seele!“ (V. 1716 f.)

Da erinnert sie sich an das Parzenlied, das sie selbst von ihrer Amme gehört hat und das die Begleitmusik ihres Familiengeschicks gewesen ist (V. 1718 ff.). Die Parzen (= griech. Moiren, Göttinnen des Schicksals) haben mit diesem Lied das Geschick des Tantalus kommentiert: Sie rufen zur Ehrfurcht vor den Göttern auf, weil diese die Macht haben, Menschen zu sich zu erheben oder auch wie Tantalus rücksichtslos in den Abgrund zu stoßen und das ganze Geschlecht unter ihrem Fluch leiden zu lassen (V. 1726 ff.). Mit diesem Lied, das ihr wie eine Warnung in den Sinn kommt, bestärkt Iphigenie sich darin, an der Ehrfurcht vor den Göttern und damit an ihrem Ideal des reinen Lebens festzuhalten. – In der letzten Strophe berichtet sie davon, wie Tantalus auf das Lied der Parzen reagierte. [Eigentlich gehört diese Strophe nicht mehr zum Lied der Parzen; sie ist aber so gesetzt (HA Bd. 5, S. 55), als ob sie dazu gehörte.]

Ergebnis:

Iphigenie steht in einem Konflikt zwischen der Pflicht, ihren Bruder und die Griechen vor dem Tod zu retten, und der Pflicht, „rein“ zu leben und dem König Thoas dankbar zu sein. Sie weiß keinen Ausweg; mit Gebet und Lied bestärkt sie sich darin, den Pfad des reinen Lebens nicht zu verlassen.

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