Brecht: Liebeslied aus einer schlechten Zeit – Analyse

Wir waren miteinander nicht befreundet…

Text

http://azzurro.designblog.de/thema/bertold-brecht….29/ (3. Text)

http://www.dradio.de/dlf/sendungen/lyrix/1087722/

http://jowinal.de/gedichte/gedichteturnus-vi/

Wann das Gedicht entstanden ist, kann ich nicht genau feststellen. Edgar Marsch datiert es in seinem „Brecht-Kommentar zum lyrischen Werk“ (1974) „um 1939“ (S. 301). Im Kommentar der sechsbändigen Werkausgabe von 1997 steht: „Um 1954. – Brecht schreibt das Gedicht vermutlich für Isot Kilian.“ (Bd. 4, S. 566) Wenn die Liebesgeschichte Brechts mit der Kilian 1954 begonnen hat, ist es unwahrscheinlich, dass er ein solches Gedicht für sie geschrieben hat. Brecht hat das Gedicht jedenfalls nicht veröffentlicht. Dass es ein Liebeslied aus einer schlechten Zeit ist, leuchtet nicht ein: Ist es überhaupt ein Liebeslied? Und ist nicht eher die Zeit schlecht gewesen, in der man sich in den Armen lag? Für bedeutend halte ich das Gedicht nicht.

In seiner Abhandlung „Lyrik – Liebe – Leidenschaft“ ordnet Gerhard Härle Brechts Gedicht in eine Gruppe von Gedichten ein, die er unter das Thema „’Du hast dich längst ins Trockene gebracht.’ Widerruf der Liebe“ gestellt hat: „Der Rückblick deckt all das schonungslos auf, was sich in der Liebe selbst, während sie währt, auch an Illusionen seinen Raum genommen hat, ja wahrscheinlich notwendig war. Vom Ende her werden die als wahr erlebten Optionen widerrufen und eine neue Wahrheit schafft sich ihre Sprache, die die erste Wahrheit aufzuheben scheint:

LIEBESLIED AUS EINER SCHLECHTEN ZEIT

Wir waren miteinander nicht befreundet

Doch haben wir einander beigewohnt.

Als wir einander in den Armen lagen

War’n wir einander fremder als der Mond.

 

Und träfen wir uns heute auf dem Markte

Wir könnten uns um ein paar Fische schlagen:

Wir waren miteinander nicht befreundet

Als wir einander in den Armen lagen.

Bertolt Brecht

Weil ihr die Freundschaft fehlte, könnte diese Liebe, die hier ihr Lied erhält, ein Irrtum gewesen sein, der Mangel an innerer Verbundenheit widerruft die Echtheit jenes Gefühls, das die beiden dazu trieb, einander in den Armen zu liegen. Die Intensität der körperlichen Nähe ist kein Indiz für die Echtheit des Gefühls, denn der Körper kann lügen oder sich täuschen. Das lyrische Subjekt, das dieses aussagt, ist kein Ich, das abrechnet und dem Du Vorwürfe macht, sondern eine Stimme, die für das Wir etwas konstatiert, das dieses Wir schon immer wusste und nur im Wortsinne ver-schlafen hat: Dass es den beiden stets an Freundschaft fehlte; das hat die Tage und wohl auch die Nächte, die so erfüllten, leer gemacht.“ (http://www.ph-heidelberg.de/wp/haerle/download/Haerle_LiebLyr_310306.pdf, dort S. 103. Lyrik – Liebe – Leidenschaft. Streifzug durch die Liebeslyrik von Sappho bis Sarah Kirsch. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2007, ISBN 978-3525208502.)

Das Gedicht lebt von der Differenz zwischen dem früheren Liebeserleben und der heute nüchternen, ent-täuschten Sicht auf dieses Erleben; sie ergibt sich aus der Negation „nicht“ beim Berichten und dem Konjunktiv II bei der Beschreibung des heutigen Zustandes (Verhältnisses der beiden). Die Sprache des lyrischen Ichs ist die Alltagssprache; es blickt zurück auf das, was „wir“ erlebt haben. Inhaltlich bietet das Gedicht keine Probleme; vermutlich kennen das viele oder die meisten, dass man manchmal nachträglich feststellt: Da war nichts außer dem Beischlaf und einer oberflächlichen Gemeinsamkeit. Formal ist festzustellen, dass das Gedicht aus zwei Strophen zu vier Versen in fünfhebigen Jamben besteht. Jeder Vers ist ein Satz oder Nebensatz, sodass am Ende jedes Verses eine Pause gemacht wird. Es reimen sich jeweils nur der zweite und vierte Vers, jedoch ohne semantischen Bezug der Verse. Eine innere Gliederung erhält das Gedicht dadurch, dass der erste und dritte Vers der ersten Strophe die beiden Schlussverse der zweiten Strophe ergeben. Die weibliche Kadenz in jedem zweiten Vers (1, 3, 6, 8) hat nicht viel zu sagen, erzeugt jedoch jeweils zusätzlich eine kleine Pause.

Tilman Krause schreibt in der Besprechung zweier Biografien: „Brecht war Wohltäter der Frauen, jedenfalls eines bestimmten Typs unter ihnen. Niemand in seiner Zeit hat das Konzept der Liebesgemeinschaft als geistiger Produktionsgemeinschaft so konsequent umgesetzt wie er. Keiner hat Frauen auch intellektuell so ernst, so sehr als Partner genommen, sie nicht nur durch den starren Blick aufs Dekolleté gewürdigt, sondern durch Fragen, Auskundschaften, Geltenlassen.“

Nur weil der Name genannt ist, notiere ich ein paar Links zu Isot Kilian:

http://de.wikipedia.org/wiki/Isot_Kilian

http://www.berlin.friedparks.de/such/gedenkstaette.php?gdst_id=3306

http://www.welt.de/print-welt/article235235/Brechts-Liebesleben-Erbarmen-mit-den-Frauen.html (Tilman Krause: Brechts Liebesleben)

http://www.tagesspiegel.de/kultur/lieblich-bis-zur-erschoepfung-ein-buch-ueber-isot-kilian-brechts-letzte-geliebte/736148.html (Besprechung der Biografie der Isot Kilian)

http://antifa.vvn-bda.de/200707/2701.php (dito)

Sonstiges

http://www.khristophoros.net/brecht.html (Bertolt Brechts Liebesgedichte)

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